Mehr als nur das richtige Material
Neue Studie zum Leichtbau im urbanen System
Wer beim Bauen den Materialeinsatz halbieren und somit Kosten senken will, sollte über Leichtbau nachdenken. Auch bis zu 60 Prozent weniger Wärmeinseleffekte im urbanen Raum brächte diese Bauart mit sich.
Die neue Studie „Leichtbau im urbanen System“hat untersucht, welche Einsparpotenziale bereits heute durch Leichtbauprinzipien gegenüber konventionellen Bauweisen im Kontext der Stadt möglich sind.
Man stehe vor der Herausforderung, für immer mehr Menschen in den kommenden Jahren mit weniger Material zusätzlichen Wohn- und Lebensraum in Städten schaffen zu müssen, sagt Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Landesagentur für Leichtbau Baden-württemberg. Ziel des modernen Leichtbaus sei es deshalb, die gebaute Umgebung von ihren zukünftigen Nutzern und benötigten Funktionen her
zu denken und zu planen – der Mensch und seine Bedürfnisse stünden dabei im Mittelpunkt.
Der Handlungsdruck ist angesichts der zu erwartenden globalen Entwicklungen da: Bis 2050 werden doppelt so viele Menschen in Städten leben als noch vor wenigen Jahren. Dies entspricht bei heutigen Kenngrößen weltweit einem jährlichen Neubau von 4.000 Quadratkilometern an neuem Stadtraum für Wohn-, Gewerbe- und Verkehrsflächen, zwei Milliarden Kilometer Infrastrukturleitungen für Wasser, Strom und Gas sowie etwa 4.500 Kilometer U-bahn- und Straßenanlagen. Angesichts immer wichtiger werdender Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele gilt es, urbanes Wachstum im System zu denken und durch Ressourceneffizienz und Optimierungsverfahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette urbaner Prozesse zukunftsfähig zu gestalten.
Mehr als nur das richtige Material
Leichtbau wird dabei weniger im Sinne von Materialien verstanden. „Es geht in der Studie vor allem um das Thema Funktionsintegration. Das heißt, dass ein Produkt verbessert wird und danach mehrere Funktionen erfüllt – so dass man auf andere Produkte mit vielen Einzelfunktionen verzichten und diese weglassen kann“, erklärt Seeliger. Anhand von drei urbanen Anwendungsfällen hat die Studie Einsparpotenziale durch Leichtbauprinzipien untersucht: Ein „Mobilitätshub“als neuer Funktionsbaustein im urbanen System, „urbane Oberflächen“(zum Beispiel Fassaden als Schnittstelle zwischen gebauter Umgebung und öffentlichem Raum) sowie der „adaptive öffentliche Raum“(Mehrfachnutzung städtischer Flächen).
Visionen in der Leichtbaustadt
Der Mobilitätshub ist der umfassendste Anwendungsfall und weist die meisten Einsparpotenziale auf. Denn in der Studie wird deutlich, je komplexer ein System ist und je mehr Funktionen integriert werden, desto mehr Einsparungen lassen sich erzielen. Der Mobilitätshub geht dabei über die reine Nutzung von verschiedenen Mobilitätsangeboten hinaus und stellt einen neuen Funktionsbaustein im urbanen System dar: durch kurze Wege und den Transport mehrerer Verkehrsträger verringert er das Verkehrsaufkommen im Stadtkontext. Neben einer Vielzahl intermodaler Transportangebote, die verschiedene Mikromobilitätslösungen umfassen, sind im Modell auch eine Logistikzentrale mit Paket-abholzentrum und Drohnen-auslieferungshub vorhanden. Die beiden Funktionen teilen sich eine Transferfläche für automatisierte Shuttles mit wechselbarem Aufbau.
Zudem sind ein Coworking Space und ein Fablab, eine offene Werkstatt mit Zugang zu innovativen Fertigungstechnologien, in den Mobilitätshub integriert. Diese wurden durch eine Konstruktion aus Naturfasern vor Ort additiv gefertigt. Der Coworking Space dient vor allem dem Wissenstransfer und der Vernetzung unterschiedlicher Branchen und bildet zudem eine digitale Kommunikationsstelle, die etwa virtuelle Arbeit und remote work ermöglicht. Das Fablab als lokale Produktionsstätte unterstützt unter anderem durch 3D-drucker das lokale Prototyping direkt vor Ort.
Neuer Wohnraum
Mikro-wohnungen auf Basis modularer Holzbauweise unterstützen nicht nur die kurzen Wege, sondern auch die Ein
dämmung des Flächenverbrauchs in urbanen Räumen. Darüber hinaus werden verschiedene Gastronomieangebote Bestandteil des Mobiliätshubs. Diese lassen sich durch temporäre Eventpavillons und modulares Außenmobiliar für flexible Außenraumnutzung ergänzen.
Die Energieversorgung des Hubs wird durch vertikale Mikrowindkraft sichergestellt. Durch die Integration einer vertikalen „Indoor Urban Farm“wird nicht nur die lokale Lebensmittelproduktion unterstützt, sondern auch der Nährstoffkreislauf gefördert. Der „Community Garden“auf dem Dach befördert ebenfalls die lokale Lebensmittelproduktion, leistet aber ebenfalls einen Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas und begünstigt den sozialen Austausch. Durch die Funktionsintegration und die verschiedenen Nutzungen ist es möglich trotz eines geringen Platzangebots eine Vielzahl von Funktionen unterzubringen und sie gleichzeitig miteinander zu vernetzen, um weitere Synergien zu heben. Weitere Infos stehen kostenfrei zum Download bereit: www.leichtbau-bw. de/studielus