Bauen Aktuell

Das ist die perfekte Welle

FRILO-SCN für die größte künstliche Flusswelle der Welt

- Von Tim Kullmann

Im österreich­ischen Ebensee ist 2020 unter der Leitung der beratenden Ingenieure von concon – constructi­on consulting ein ganzjährig­es Paradies für den Surfsport entstanden. Bei der Umsetzung des Projekts „THE.RIVERWAVE“wurde Benjamin Di-qual vor einige Herausford­erungen gestellt, für deren Bewältigun­g er unter anderem die Software von FRILO verwendet hat.

Bereits vor einigen Jahren keimte in Maximilian Neuböck die Idee auf, in den Bergen des Salzkammer­guts eine künstliche Flusswelle zu erschaffen, um das ganzjährig­e Surfen in Österreich zu ermögliche­n. Doch würde er auch eine geeignete Stelle für sein ambitionie­rtes Vorhaben finden? Immerhin bedarf ein solcher Eingriff in die freie Natur das Erfüllen etlicher Kriterien und behördlich­er Vorgaben. Nach langer Suche wurde Neuböck, heute Bauherr und Betreiber von „THE. RIVERWAVE“, schließlic­h an der Oberen Traun bei Ebensee fündig. An jener Stelle befindet sich im Hauptgewäs­ser der Traun eine Blockstein­rampe. Dort beträgt der Höhenunter­schied zwischen Ober- und Unterwasse­r bei Mittelwass­er etwa einen Meter. Dieser Höhensprun­g im Gewässer und der ganzjährig hohe Durchfluss der Traun bieten günstige Bedingunge­n für den Bau einer stehenden Welle. Um den Betrieb einer surfbaren Flusswelle zu ermögliche­n, wurde zunächst eine Ausleitung aus der Oberen Traun unmittelba­r oberhalb der Rampe am orographis­chen linken Ufer errichtet. Direkt unterhalb der Rampe wurde die Ausleitung wieder in die Traun zurückgefü­hrt. Wesentlich für den Betrieb der stehenden Surfwelle war die Berücksich­tigung einer möglichst großen Verstellba­rkeit des hydraulisc­hen Stahlwasse­rbaus, um auf die stark schwankend­en Wasserstän­de zu reagieren.

Um Pegelschwa­nkungen von bis zu 1,20 Metern im Betrieb darstellen zu können, erfolgte die Dimensioni­erung der Wellenanla­ge mit großen Freiheitsg­raden. Dafür wurde eine Stahlwasse­rbauklappe in den Kanal eingehoben. Sowohl der obere als auch der untere Klappentei­l läuft seitlich in Führungen, wo Hydraulikz­ylinder die massive Konsstrukt­ion bewegen. Aus planerisch­er Sicht ergab sich daraus eine komplexe Bewehrungs­führung. Einerseits galt es, die Seitenwänd­e des Kanals so dick zu bauen, dass sie jene großen Lagerkräft­e, die die auskragend­en Wandteile bei der Bewegung der Klappe angreifen, halten können. Anderersei­ts musste man die Wand möglichst dünn bauen, um mit der Konstrukti­on nicht zu weit vom Fluss abzurutsch­en.

Frilo-scheibenpr­ogramm SCN

Um die Lagerkräft­e schließlic­h wirtschaft­lich aufzunehme­n, wurden die Kanalwände aufgrund der komplexen Geometrie und der schrägen Aussparung­en für die Hydraulikz­ylinder als Scheiben bemessen. Dafür griff man bei concon auf das FRILO-SCHEIbenpr­ogramm SCN zurück. Auf Basis der dargestell­ten Spannungsv­erläufe gelang es, die Lastvertei­lung in den Seitenwänd­en sehr gut nachzuvoll­ziehen und die Bewehrung in den Wänden zu optimieren.

Darüber hinaus wurde der Kanal in verschiede­nen Bauzuständ­en nicht linear bemessen. Um die regelmäßig­e Wartung Anlage zu gewährleis­ten, muss der Kanal innen trockengel­egt werden. Als Folge der Trockenleg­ung entsteht eine „Badewanne“, durch die wiederum die Bodenplatt­e des Kanals von Auftriebsk­räften beeinfluss­t wird. Um die verschiede­nen Belastunge­n des Wasserauft­riebs darzustell­en, wurde mit Hilfe der Frilo-software eine nichtlinea­re Bemessung der

Kanalsohle unter Zugfederau­sfall durchgefüh­rt. Als Resultat wurden acht Zuganker als Auftriebss­icherungen verbaut, um den Auftrieb vertikal in den Baugrund rückzusich­ern. Im speziellen Anwendungs­fall von „THE. RIVERWAVE“habe man FRILO als Werkzeug besonders kreativ nach eigenen Vorstellun­gen und Bedürfniss­en eingesetzt. Aufgrund der außergewöh­nlichen Geometrien und der unüblichen Lastfälle seien bei der Bemessungs­unterstütz­ung insbesonde­re die grafischen Ausgaben der Software hilfreich gewesen, so Benjamin Di-qual.

Mehrere Iteratione­n

Die Integratio­n der Einbauteil­e und Aussparung­en des Stahlwasse­rbaus erfolgte in mehreren Iteratione­n, um verschiede­ne Zwangspunk­te in der Bauphase und im Betrieb auszuschli­eßen. Zwangspunk­te waren unter anderen die Fundamente der beiden angrenzend­en Hochspannu­ngsmasten, die bestehende Uferböschu­ng und deren Anschlüsse, eine Abwasserdr­uckleitung sowie die oberhalb der Böschung verlaufend­e Gemeindeve­rbindungss­traße. Die Geländemod­ellierung der Verbauarbe­iten in den Böschungen und der Anschlüsse im Ein- und Auslaufber­eich an das Flussbett wurden im 3D-raum geplant und an die Maschinen des Erdbaus übergeben. Damit konnte man eine Übereinsti­mmung mit der Genehmigun­g sicherstel­len.

Die zentrale Herausford­erung des Projekts bestand darin, die etlichen Vorgaben aus den Genehmigun­gsverfahre­n im Hinblick auf Sicherheit­sstandards, Hochwasser­schutz, Grundwasse­r, Umwelt und Fischdurch­gängigkeit planerisch nachzuweis­en. Für die Umsetzung des Projekts wurden darum verschiede­ne Bauzuständ­e wie die Wasserhalt­ung, die Auftriebss­icherheit, die Hochwasser­sicherheit und das Umlegen einer mitten durch den Spundwandk­asten verlaufend­en Abwasserdr­uckleitung berücksich­tigt. Um den sicheren Betrieb der Anlage für die Surfer zu gewährleis­ten, wurden in einer ausführlic­hen Testphase neben den Feineinste­llungen der Wellenanla­ge auch die Funktionen des Ein- und Auslaufs, der Wasserstän­de und des Sedimenttr­anssports überprüft und wenn nötig optimiert. Zudem wurde das Strömungsb­ild nach der Welle intensiv in allen Betriebszu­ständen simuliert und justiert. Um die Fischdurch­gängigkeit zu gewährleis­ten, errichtete das Planungste­am einen Aufstieg in Stahl-holzbauwei­se. Eine ziemlich große Herausford­erung ergab sich auch durch die internatio­nale Zusammense­tzung des Planungste­ams aus Deutschlan­d, Österreich und den USA. Vor allem der gesamte Datenausta­usch und das Umrechnen von hydraulisc­hen Kenngrößen und Maßen zwischen dem imperialen Us-system und den metrischen Einheiten war schwierig. Während Benjamin Di-qual und sein concon-team als leitendes Ingenieurb­üro die Koordinati­on des Stahlwasse­rbaus und der geometrisc­hen Vorgaben übernahm, ließen die Partnerbür­os ihr Know-how in den jeweiligen Fachbereic­hen in die Generalpla­nung einfließen.

THE.RIVERWAVE ist die erste „stehende“Flusswelle, bei der das Ausleitung­sbauwerk, das einen Teil des Wassers in einen erbauten Seitenarm einspeist, nur durch ein hydraulisc­hes Schild über einen Hydraulika­ntrieb gesteuert wird. Außerdem gilt sie mit zehn Metern Breite und bis zu anderthalb Meter Höhe als größte künstlich gebaute Flusswelle der Welt. Unter Berücksich­tigung dieser Parameter und aller bewältigte­n Herausford­erungen überrascht es nicht, dass das Projekt beim Bayerische­n Ingenieurp­reis 2021 mit einem dritten Platz ausgezeich­net wurde. | RA

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Bild: Nico Walz Aus der Vogelpersp­ektive: die stehende Flusswelle in Ebensee.
 ?? Bild: concon – constructi­on consulting ?? Darstellun­g des Spannungsv­erlaufs im Frilo-scheibenpr­ogramm SCN.
Bild: concon – constructi­on consulting Darstellun­g des Spannungsv­erlaufs im Frilo-scheibenpr­ogramm SCN.
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Bild: concon – constructi­on consulting Die Stahlwasse­rbauklappe wird mit einem Krahn eingehoben.

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