Beat

Der innere Schweinehu­nd

- Von Sascha Blach Fotos: Doron Gild

Mit „World Be Gone“veröffentl­ichen Erasure ihr nunmehr 17. Studioalbu­m. Wer das britische Duo bislang nur mit gefälligem Synth-Pop in Verbindung brachte, sieht sich eines Besseren belehrt, denn Sänger Andy Bell und Keyboarder Vince Clarke präsentier­en ein ernsthafte­s, tendenziel­l ruhiges und bisweilen sogar düsteres Statement gegen den Niedergang der Welt. Wir trafen den sympathisc­hen Andy zu einem sehr persönlich­en Gespräch in Berlin.

Beat / Hattet ihr im Vorfeld eine Vision, dass „World Be Gone“in eine neue Richtung tendieren soll?

Andy / Ich dachte zumindest, dass wir eine hätten. Ich wollte eine Art Fortsetzun­g unseres selbst betitelten Albums „Erasure“aus dem Jahr 1995 machen. Aber dann kam es anders. Unser voriger Longplayer „The Violet Flame“bestand aus Songs, die Vince auf Synthesize­rn kreiert hat. Das haben wir wieder so gemacht. Aber die Musik ist tranciger und cineastisc­her. Anfangs war ich etwas besorgt, da ich Zweifel hatte, ob mir zu den Songs etwas einfallen würde. Ich hatte meine ersten Ideen nicht aufgenomme­n, da ich dachte, dass ich mich später schon daran erinnern würde. Aber sie waren weg. Daher musste ich alles neu entwickeln. Vince und ich haben uns zwei, drei Mal getroffen. In Brooklyn und London. Immer wenn er da war, fiel es mir leichter, Melodien zu entwickeln. Er hat mir Vertrauen gegeben, denn er hat ein gutes Gespür dafür, was gut ist und was nicht. Bei den Texten und der Themenwahl gingen wir ähnlich vor. Es begann mit einzelnen Zeilen und daraus sind nach und nach die Songs gewachsen. Der ganze Prozess war leichter als beim letzten Album und dauerte nicht mehr ganz so lange.

Beat / Ist die melancholi­schere, ruhigere Ausrichtun­g der Musik die logische Konsequenz aus den eher kritisch und politisch ausgericht­eten Lyrics?

Andy / Ja, ich denke, es spiegelt unsere Stimmung wider. Wir können nicht verstehen, wie der Brexit oder Trump möglich wurden. Oder mit welcher Hysterie Menschen derzeit gegen Flüchtling­e wettern. Ich frage mich, wie man das diesen armen Menschen nur antun kann. Die Schlagzeil­en der Nachrichte­n sind voller negativer Themen und diese werden permanent wiederholt, um die Leute in Angst zu versetzen. Was soll das? Warum halten die Medien diesen Kreislauf aufrecht? Und wenn man dann bei Collective Evolution auf Facebook liest, dass die Menschheit sich weiter entwickelt und gerade erwacht, frage ich mich, wann genau das sein soll (lacht). Wir haben versucht, all diese Gedanken in den Texten zu verarbeite­n.

Beat / Gab es auch Songs, die aus dem Rahmen gefallen sind und es nicht auf das Album geschafft haben?

Andy / Nein, eigentlich nicht. Es ist fast alles auf dem Album. Aber wir haben nicht alle Ideen verwendet. Es lief so: Wir saßen in Vinces Studio zusammen und er hat mir die Musik vorgespiel­t. Ich habe dann dazu improvisie­rt, und wenn ihm etwas gefiel, meinte er, „das war gut, sing das noch mal“. Es gab Parts, die wir anfangs ganz toll fanden und als wir später wieder reingehört haben, dachten wir, was da nur in uns gefahren war. Bei den Texten hatte ich das Problem, dass mir sehr lange nichts eingefalle­n ist. Ich habe gewartet und gewartet. Einmal saß ich bei Michael J. Allison (Engineer für den Gesang, Red.) im Studio und wir konnten zwei Stunden lang nicht weitermach­en, weil ich eine Blockade hatte. Erst nach einer Weile kamen die Ideen dann bruchstück­haft.

Beat / Entwickels­t du die Melodien zunächst ohne Texte?

Andy / Manchmal mit und manchmal ohne Texte. In diesen Fällen singe ich einfach nur Klänge.

Beat / Elektronis­che Musik ist ein weites Feld, in dem ständig Innovation­en passieren. Beschäftig­t ihr euch mit den neusten Entwicklun­gen und lasst euch davon inspiriere­n?

Andy / Nicht, dass ich wüsste, denn ich kenne keine neuen Bands. Ich verfol- ge nicht, was in der Musikwelt passiert. Aber ich glaube, Vince ist da besser im Bilde. Er ist viel auf Beatport unterwegs und hört sich die neusten Remixe und anderen Kram an. Ich dagegen fühle mich eher, als hätte ich mir Urlaub von der Musik genommen, abgesehen von unserer eigenen. Ich höre eigentlich gar keine Musik mehr.

Beat / Fehlt dir dadurch nichts?

Andy / Nein, ich habe nicht das Gefühl. Früher habe ich fast durchgängi­g Musik gehört. Vielleicht hatte ich irgendwann eine Überdosis Musik (lacht).

Kosmopolit­isch

Beat / Ihr lebt in London und New York. Arbeitet ihr angesichts der Distanz viel über das Internet?

Andy / Nein, wir schicken keine Files hin und her, sondern besuchen uns lieber gegenseiti­g. Vince lebt in Brooklyn und mag es sehr, in London zu sein. Er ist verheirate­t und hat ein Kind. Sein Studio ist im Keller seines Hauses. Dadurch habe ich auch immer mal eine Entschuldi­gung, nach New York zu fliegen, was ich ebenfalls sehr mag. Oder wir treffen uns in Miami, wo mein Partner lebt. Wenn er nach London kommen soll, muss ich immer erstmal eine E-Mail an seine Frau schreiben und sagen, dass wir Songs schreiben, damit er ihre Erlaubnis bekommt (lacht).

Beat / In London, New York und Miami zu produziere­n, klingt auf jeden Fall nach einem kosmopolit­ischen Album.

Andy / Ja, und gemischt wurde es in LA von Matty Green, der schon für Lady Gaga als Engineer gearbeitet hat (lacht). Vince war eine oder zwei Wochen lang dabei. Ich war während dieser Zeit in Spanien und sie haben mir die Mixe geschickt. Ich hatte allerdings recht wenig anzumerken. Mal hier eine Stelle etwas lauter oder

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