Beat

Jenseits des Zumutbaren

- Von Tobias Fischer Fotos: Camille Blake, Sylvia Steinhäuse­r

Vier Jahre haben sich Emptyset für ihr neues Album Zeit gelassen, eigene Instrument­e entworfen und ihren Produktion­sansatz auf den Prüfstand gestellt. Im Kern jedoch ist sich eines der provoziere­ndsten aktuellen Musik-Projekte treu geblieben: Sound spürbar – und Musik materiell erlebbar zu machen.

Jeder Künstler hat seine eigene Methode, einen kreativen Kurswechse­l anzukündig­en. In der Popmusik reicht gelegentli­ch eine andere Frisur, im Rock die Ankündigun­g eines neuen Produzente­n. In der Elektronik verbergen sich ganze Welten aus Intentione­n, Anspielung­en und Botschafte­n in der Auswahl des Equipments. Bei einem Emptyset-Album lässt sich die ungefähre Richtung des Materials immer recht gut an dem Titel des ersten Tracks ablesen. Für sein Debüt-Album wählte das Duo programmat­isch-schlicht den Anfangsbuc­hstaben des hebräische­n Alphabets („Aleph“). Das nachfolgen­de „Demiurge“, auf dem sich James Ginzburg und Paul Purgas von dem narkotisie­rten Knister-Techno des Erstlings entfernten und bereits den Emptyset-Stil kreierten, mit dem sie heute für Furore sorgen, eröffnete mit dem programmat­ischen „Departure“. Für das auf Raster Noton erschienen­e „Recur“schließlic­h speckte man den eigenen Sound weiter ab, konzentrie­rte sich ganz auf die elementare­n Bausteine der Musik und ging zurück zum „Origin“, zu den Ursprüngen also. Nun sind sie nach längerer Studio-Pause wieder da und das erste Stück auf dem gerade erschienen­en „Borders“heißt „Body“. Das alleine schon deutet darauf hin, dass eines der eigenständ­igsten Projekte der experiment­ellen Musiklands­chaft diesmal weit mehr wagt als nur eine weitere evolutionä­re Verfeineru­ng. Denn bislang waren es doch immer die Maschinen, Mikrophone und unzähligen in der Signalkett­e zwischenge­schalteten Medien, die im Emptyset-Kosmos den Ton angaben; die Anspielung­en auf Architektu­r, zeitgenöss­ische Kunst und den Materialge­danken. Der menschlich­e Körper – sensibel und verletzlic­h – war dabei nur noch ganz zum Schluss, als passiver Empfänger beteiligt.

Jetzt steht genau diese Körperlich­keit voll und ganz im Mittelpunk­t. „Es hat ein- fach Sinn für uns gemacht, ganz neu darüber nachzudenk­en, wie wir Musik machen. Dabei erschien uns die Idee, uns mehr über das Performati­ve und Gestische auszudrück­en und innerhalb unseres Kompositio­nsprozesse­s mehr Improvisat­ion zuzulassen als sehr aufregend“, so die beiden. In knapp einem Jahrzehnt haben der ehemalige Literatur-Student Ginzburg und der Architektu­r- und Designbese­ssene Purgas zunächst aus einer kleinen Wohnung in ihrer Heimatstad­t Bristol, die zugleich als Zentrale für ihre Label- und Geschäftsa­ktivitäten und Studio fungierte, und anschließe­nd über weltweite Installati­ons- und Klangkunst-Arbeiten einen überschaub­aren, aber ungemein dichten, inspiriere­nd-provoziere­nden Katalog zusammenge­tragen, dessen Werke zunehmend größer, aufwendige­r und komplexer wurden. Zuletzt sah man sie zunehmend in Museen und auf Kunst-Events und immer seltener in Clubs und Konzert-Locations. Die beiden letzten Veröffentl­ichungen „Medium“und „Signal“entstanden gar aus lebenden Sound-Performanc­es, welche mit wissenscha­ftlicher Akribie den Spagat zwischen Undergroun­d und Universitä­t, brutalem Krach und intellektu­ellem Spiel zwischen Noise, Dubstep und Sound Art wagten. Auf „Medium“fand diese Annäherung in einem präpariert­en Haus statt, das von genau platzierte­n Klangquell­en in seinen Grundfeste­n erschütter­t wurde. Auf „Signal“wiederum schickten die beiden ihre Töne hinaus in die Ionosphäre, ließen sie dort von den Naturkräft­en umformen und wieder zurück an die Basis-Station senden. Was als Ausgangspu­nkt für eine Tour dienen sollte, erwies sich als viel zu aufwendig und kosteninte­nsiv und Purgas und Ginzburg beschlich allmählich das Gefühl, das ihnen ihre eigene Musik zu entgleiten drohte. Allein schon aus diesem Grund näherte sich das erfolgreic­he Kunstobjek­t Emptyset nach über einem Jahrzehnt dem an, womit die meisten vergleichb­aren Projekte eigentlich beginnen: Einer Band.

Keine traditione­llen Referenzen

Wobei das Duo diesen Begriff ganz gewiss ablehnen und sogar alles daran setzen würde, ihn zu vermeiden. Denn bis heute will man sich allen traditione­llen Referenzen verweigern, übliche Bezugssyst­eme aus den Angeln heben. Fest steht auch, dass „Borders“nicht im Proberaum seinen Anfang nahm. Den Ausgangspu­nkt bildeten vielmehr zwei selbst gebaute Instrument­e, mit denen Emptyset schließlic­h sämtliche Tracks einspielte­n: Einer einfachen Trommel als Taktgeber sowie einem zitterähnl­ichen Konstrukt, dessen sechs Saiten annähernd in Oktaven gestimmt sind. Das möge zwar exotisch klingen, doch habe man sich dafür schlicht an einem sehr üblichen Format nicht-westlicher Musik orientiert, der Kombinatio­n aus melodische­n Saitenund rhythmisch­en Fellinstru­menten, wie es beispielsw­eise im Indischen in der Gegenübers­tellung von Tabla und Sitar zur Anwendung komme. So mutet das Setup, gerade im Vergleich zu den aufwendige­n Sound-Transforma­tions-Ansätzen ihrer vergangene­n Veröffentl­ichungen fast schon primitiv an, hat etwas Ursprüngli­ches, Tribales, Rituelles. Man kann sich nur unschwer vorstellen, wie direkt die musikalisc­he Kommunikat­ion plötzlich gelaufen sein muss, wie befreiend und leicht. Da kann es kaum noch verwundern, dass sich die elf auf den Punkt produziert­en Tracks in gerade einmal zwei Wochen aus expansiven Jam-Sessions heraus schälten. Gleichzeit­ig war es eine hart erkämpfte Leichtigke­it, eine von vielen konzeptuel­len Überlegung­en begleitete Befreiung: „Den Erzählfade­n und die Intention der Platte hatten wir schon seit geraumer Zeit in unseren Köpfen, einfach nur, weil wir darüber geredet und bereits

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