Jenseits des Zumutbaren
Vier Jahre haben sich Emptyset für ihr neues Album Zeit gelassen, eigene Instrumente entworfen und ihren Produktionsansatz auf den Prüfstand gestellt. Im Kern jedoch ist sich eines der provozierendsten aktuellen Musik-Projekte treu geblieben: Sound spürbar – und Musik materiell erlebbar zu machen.
Jeder Künstler hat seine eigene Methode, einen kreativen Kurswechsel anzukündigen. In der Popmusik reicht gelegentlich eine andere Frisur, im Rock die Ankündigung eines neuen Produzenten. In der Elektronik verbergen sich ganze Welten aus Intentionen, Anspielungen und Botschaften in der Auswahl des Equipments. Bei einem Emptyset-Album lässt sich die ungefähre Richtung des Materials immer recht gut an dem Titel des ersten Tracks ablesen. Für sein Debüt-Album wählte das Duo programmatisch-schlicht den Anfangsbuchstaben des hebräischen Alphabets („Aleph“). Das nachfolgende „Demiurge“, auf dem sich James Ginzburg und Paul Purgas von dem narkotisierten Knister-Techno des Erstlings entfernten und bereits den Emptyset-Stil kreierten, mit dem sie heute für Furore sorgen, eröffnete mit dem programmatischen „Departure“. Für das auf Raster Noton erschienene „Recur“schließlich speckte man den eigenen Sound weiter ab, konzentrierte sich ganz auf die elementaren Bausteine der Musik und ging zurück zum „Origin“, zu den Ursprüngen also. Nun sind sie nach längerer Studio-Pause wieder da und das erste Stück auf dem gerade erschienenen „Borders“heißt „Body“. Das alleine schon deutet darauf hin, dass eines der eigenständigsten Projekte der experimentellen Musiklandschaft diesmal weit mehr wagt als nur eine weitere evolutionäre Verfeinerung. Denn bislang waren es doch immer die Maschinen, Mikrophone und unzähligen in der Signalkette zwischengeschalteten Medien, die im Emptyset-Kosmos den Ton angaben; die Anspielungen auf Architektur, zeitgenössische Kunst und den Materialgedanken. Der menschliche Körper – sensibel und verletzlich – war dabei nur noch ganz zum Schluss, als passiver Empfänger beteiligt.
Jetzt steht genau diese Körperlichkeit voll und ganz im Mittelpunkt. „Es hat ein- fach Sinn für uns gemacht, ganz neu darüber nachzudenken, wie wir Musik machen. Dabei erschien uns die Idee, uns mehr über das Performative und Gestische auszudrücken und innerhalb unseres Kompositionsprozesses mehr Improvisation zuzulassen als sehr aufregend“, so die beiden. In knapp einem Jahrzehnt haben der ehemalige Literatur-Student Ginzburg und der Architektur- und Designbesessene Purgas zunächst aus einer kleinen Wohnung in ihrer Heimatstadt Bristol, die zugleich als Zentrale für ihre Label- und Geschäftsaktivitäten und Studio fungierte, und anschließend über weltweite Installations- und Klangkunst-Arbeiten einen überschaubaren, aber ungemein dichten, inspirierend-provozierenden Katalog zusammengetragen, dessen Werke zunehmend größer, aufwendiger und komplexer wurden. Zuletzt sah man sie zunehmend in Museen und auf Kunst-Events und immer seltener in Clubs und Konzert-Locations. Die beiden letzten Veröffentlichungen „Medium“und „Signal“entstanden gar aus lebenden Sound-Performances, welche mit wissenschaftlicher Akribie den Spagat zwischen Underground und Universität, brutalem Krach und intellektuellem Spiel zwischen Noise, Dubstep und Sound Art wagten. Auf „Medium“fand diese Annäherung in einem präparierten Haus statt, das von genau platzierten Klangquellen in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Auf „Signal“wiederum schickten die beiden ihre Töne hinaus in die Ionosphäre, ließen sie dort von den Naturkräften umformen und wieder zurück an die Basis-Station senden. Was als Ausgangspunkt für eine Tour dienen sollte, erwies sich als viel zu aufwendig und kostenintensiv und Purgas und Ginzburg beschlich allmählich das Gefühl, das ihnen ihre eigene Musik zu entgleiten drohte. Allein schon aus diesem Grund näherte sich das erfolgreiche Kunstobjekt Emptyset nach über einem Jahrzehnt dem an, womit die meisten vergleichbaren Projekte eigentlich beginnen: Einer Band.
Keine traditionellen Referenzen
Wobei das Duo diesen Begriff ganz gewiss ablehnen und sogar alles daran setzen würde, ihn zu vermeiden. Denn bis heute will man sich allen traditionellen Referenzen verweigern, übliche Bezugssysteme aus den Angeln heben. Fest steht auch, dass „Borders“nicht im Proberaum seinen Anfang nahm. Den Ausgangspunkt bildeten vielmehr zwei selbst gebaute Instrumente, mit denen Emptyset schließlich sämtliche Tracks einspielten: Einer einfachen Trommel als Taktgeber sowie einem zitterähnlichen Konstrukt, dessen sechs Saiten annähernd in Oktaven gestimmt sind. Das möge zwar exotisch klingen, doch habe man sich dafür schlicht an einem sehr üblichen Format nicht-westlicher Musik orientiert, der Kombination aus melodischen Saitenund rhythmischen Fellinstrumenten, wie es beispielsweise im Indischen in der Gegenüberstellung von Tabla und Sitar zur Anwendung komme. So mutet das Setup, gerade im Vergleich zu den aufwendigen Sound-Transformations-Ansätzen ihrer vergangenen Veröffentlichungen fast schon primitiv an, hat etwas Ursprüngliches, Tribales, Rituelles. Man kann sich nur unschwer vorstellen, wie direkt die musikalische Kommunikation plötzlich gelaufen sein muss, wie befreiend und leicht. Da kann es kaum noch verwundern, dass sich die elf auf den Punkt produzierten Tracks in gerade einmal zwei Wochen aus expansiven Jam-Sessions heraus schälten. Gleichzeitig war es eine hart erkämpfte Leichtigkeit, eine von vielen konzeptuellen Überlegungen begleitete Befreiung: „Den Erzählfaden und die Intention der Platte hatten wir schon seit geraumer Zeit in unseren Köpfen, einfach nur, weil wir darüber geredet und bereits