Digitale Kultur: Hör-Cafés Privat in der Öffentlichkeit
Die japanische Tradition des gemeinsamen Plattenhörens in eleganten Cafés hat auch unsere Gefilde erreicht. Dabei stehen eine Liebe für Vinyl, hochwertigstes Equipment und klassische Alben im Mittelpunkt. Den Veranstaltern geht es laut Eigenaussage um eine stärkere Wertschätzung für Musik – doch stimmt das auch wirklich?
Was ist wirklich „Punk Rock“? Ein Iro auf dem Kopf und eine Stecknadel in der Nase? In der Fußgängerpassage Dosenbier schnorren zu gehen? Der Berufswelt den Mittelfinger zu zeigen und sein eigenes Ding durchzuziehen? Für Colleen Murphy hat der Begriff eine ganz eigene Bedeutung. Einmal im Monat lädt die Radio-Moderatorin, DJane und Produzentin dazu ein, sich zusammen mit ihr in einer Bar oder einem Café eine wichtige Platte der Musikgeschichte auf einer hochwertigen Musikanlage anzuhören. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen möge, so Murphy, handele es sich dabei um ein impulsives Auflehnen gegen den Zeitgeist, der das bewusste, aufmerksame Hören zu einem Nischenphänomen relegiere und die in die Musik investierte Mühe mit billigen Ohrstöpseln verhöhne [1]. Murphy startete ihre „Classic Album Sundays“in London, doch breitete sich das Phänomen schon bald über die Grenzen der Stadt hinaus aus. Von London nach Tokyo und inzwischen auch probeweise in Berlin finden sich Fans der Reihe zusammen, um in intimer Atmosphäre die Schönheit wegweisender Produktionen zu zelebrieren, die von David Bowie‘s „Ziggy Star- dust“oder Manuel Göttsching‘s „E2-E4“bis hin zu „The Miseducation of Lauryn Hill“oder D‘Angelo‘s „Voddo“reichen. Auf den ersten Blick ist die Mission der „Classic Album Sundays“ganz und gar der Musik verschrieben. Doch stehen Events wie diese längst für eine Menge mehr – und nicht alle Aspekte sind gleichermaßen zu begrüßen.
Murphy immerhin darf sich auf die Fahne schreiben, bereits eine Verfechterin und Pionierin der Bewegung gewesen zu sein, bevor diese als solche überhaupt existierte. Ihre Wurzeln reichen zurück in die 70er, zu den legendären Partys des New Yorker Underground-Gurus David Mancuso. Mit dem „Loft“leitete Mancuso einen Club, in dem Geschichte geschrieben wurde – und das, indem er sich ganz bewusst und immer wieder gegen den Strom der Geschichte auflehnte. Schon in den frühen Jahren dessen, was später House und Techno werden sollten, missfiel Mancuso die überzogene Verehrung, die DJs entgegen gebracht wurde und welche die Wertschätzung für die Musik zu überlagern drohte. Ohne Rücksicht auf Verluste setzte er eine Politik durch, bei der sich die DJs zugunsten der Platten zurücknehmen und auf spektaku- läre Mix-Techniken verzichten mussten. So wurden die Tracks im Loft nicht ineinander gemischt, sondern von Anfang bis Ende durchgespielt, ganz so, wie es der Produzent vorgesehen hatte. Noch wichtiger aber war Mancuso der Faktor Klang. Schon früh ließ er sündhaft teure Klipschorn-Lautsprecher und Mitchell-Cotter-Turntables installieren, die höchsten Ansprüchen genügten. [2] Im Grunde genommen, so Murphy, die später mit ihm zusammen zwei essenzielle Compilations kuratierte, handelte es sich bei dem Setup eher um eine audiophile Wohnzimmer-Anlage, die für den Club-Bereich modifiziert worden war. Das Equipment war gar nicht für DJs ausgelegt – ein falscher Handgriff, ein ungeplanter „Backspin“und man hatte einen handgefertigten Tonabnehmer im Wert von $5000 ruiniert. [3]
Enorme Philosophie
Auch wenn Mancuso kein besonders guter Geschäftsmann war, so war die Auswirkung seiner Philosophie enorm. Immer, wenn heute in einem Club teure Boxen verbaut werden und die Besitzer einer Location die Bedeutung eines reinen, druckvollen Klangs predigen, so berufen sie sich dabei di-