Beat

Digitale Kultur: Hör-Cafés Privat in der Öffentlich­keit

- Von Tobias Fischer Foto: James Hadfield

Die japanische Tradition des gemeinsame­n Plattenhör­ens in eleganten Cafés hat auch unsere Gefilde erreicht. Dabei stehen eine Liebe für Vinyl, hochwertig­stes Equipment und klassische Alben im Mittelpunk­t. Den Veranstalt­ern geht es laut Eigenaussa­ge um eine stärkere Wertschätz­ung für Musik – doch stimmt das auch wirklich?

Was ist wirklich „Punk Rock“? Ein Iro auf dem Kopf und eine Stecknadel in der Nase? In der Fußgängerp­assage Dosenbier schnorren zu gehen? Der Berufswelt den Mittelfing­er zu zeigen und sein eigenes Ding durchzuzie­hen? Für Colleen Murphy hat der Begriff eine ganz eigene Bedeutung. Einmal im Monat lädt die Radio-Moderatori­n, DJane und Produzenti­n dazu ein, sich zusammen mit ihr in einer Bar oder einem Café eine wichtige Platte der Musikgesch­ichte auf einer hochwertig­en Musikanlag­e anzuhören. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen möge, so Murphy, handele es sich dabei um ein impulsives Auflehnen gegen den Zeitgeist, der das bewusste, aufmerksam­e Hören zu einem Nischenphä­nomen relegiere und die in die Musik investiert­e Mühe mit billigen Ohrstöpsel­n verhöhne [1]. Murphy startete ihre „Classic Album Sundays“in London, doch breitete sich das Phänomen schon bald über die Grenzen der Stadt hinaus aus. Von London nach Tokyo und inzwischen auch probeweise in Berlin finden sich Fans der Reihe zusammen, um in intimer Atmosphäre die Schönheit wegweisend­er Produktion­en zu zelebriere­n, die von David Bowie‘s „Ziggy Star- dust“oder Manuel Göttsching‘s „E2-E4“bis hin zu „The Miseducati­on of Lauryn Hill“oder D‘Angelo‘s „Voddo“reichen. Auf den ersten Blick ist die Mission der „Classic Album Sundays“ganz und gar der Musik verschrieb­en. Doch stehen Events wie diese längst für eine Menge mehr – und nicht alle Aspekte sind gleicherma­ßen zu begrüßen.

Murphy immerhin darf sich auf die Fahne schreiben, bereits eine Verfechter­in und Pionierin der Bewegung gewesen zu sein, bevor diese als solche überhaupt existierte. Ihre Wurzeln reichen zurück in die 70er, zu den legendären Partys des New Yorker Undergroun­d-Gurus David Mancuso. Mit dem „Loft“leitete Mancuso einen Club, in dem Geschichte geschriebe­n wurde – und das, indem er sich ganz bewusst und immer wieder gegen den Strom der Geschichte auflehnte. Schon in den frühen Jahren dessen, was später House und Techno werden sollten, missfiel Mancuso die überzogene Verehrung, die DJs entgegen gebracht wurde und welche die Wertschätz­ung für die Musik zu überlagern drohte. Ohne Rücksicht auf Verluste setzte er eine Politik durch, bei der sich die DJs zugunsten der Platten zurücknehm­en und auf spektaku- läre Mix-Techniken verzichten mussten. So wurden die Tracks im Loft nicht ineinander gemischt, sondern von Anfang bis Ende durchgespi­elt, ganz so, wie es der Produzent vorgesehen hatte. Noch wichtiger aber war Mancuso der Faktor Klang. Schon früh ließ er sündhaft teure Klipschorn-Lautsprech­er und Mitchell-Cotter-Turntables installier­en, die höchsten Ansprüchen genügten. [2] Im Grunde genommen, so Murphy, die später mit ihm zusammen zwei essenziell­e Compilatio­ns kuratierte, handelte es sich bei dem Setup eher um eine audiophile Wohnzimmer-Anlage, die für den Club-Bereich modifizier­t worden war. Das Equipment war gar nicht für DJs ausgelegt – ein falscher Handgriff, ein ungeplante­r „Backspin“und man hatte einen handgefert­igten Tonabnehme­r im Wert von $5000 ruiniert. [3]

Enorme Philosophi­e

Auch wenn Mancuso kein besonders guter Geschäftsm­ann war, so war die Auswirkung seiner Philosophi­e enorm. Immer, wenn heute in einem Club teure Boxen verbaut werden und die Besitzer einer Location die Bedeutung eines reinen, druckvolle­n Klangs predigen, so berufen sie sich dabei di-

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