Beat

Andre Crom

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Mut zahlt sich aus: In den letzten Jahren hat Andre Crom den Wandel von House zu Techno vollzogen, vom reinen DJ zum leidenscha­ftlichen DJ-Produzente­n – und damit ganz neue Fans für sich erschlosse­n. Tobias Fischer sprach mit Andre darüber, warum er trotzdem lieber DJ ist, über das Potential von LiveStream­s und den Augenblick, in dem der Dancefloor stabil wird.

Beat / Gibt es Booking-Anfragen, die du ablehnst?

Andre Crom / Es gibt auf jeden Fall Grenzen, wie weit ich gehen würde um nicht an zu ecken. Wenn jemand von mir erwartet, dass ich Deep House auflege, nehme ich inzwischen die Anfrage nicht mehr an. Trotzdem spiele ich eine breite Auswahl an Musik – und innerhalb dieser Bandbreite bleibe ich sehr offen.

Beat / Du hast dir vorgenomme­n, mehr zu produziere­n. Wie gefällt dir die Studioarbe­it?

Andre Crom / Ich bin lieber DJ. Beim DJing findet ein intensiver emotionale­r Austausch mit dem Publikum statt. Danach war ich gerade zu Anfang süchtig und das Gefühl hat sich bis heute gehalten. Mir macht die Arbeit im Studio schon Spaß, aber gleichzeit­ig ist das auch ein recht mühsamer Prozess. Ich widme mich erst seit zwei Jahren meinen Solo-Produktion­en. Es gibt immer noch eine Menge zu lernen und immer wieder Phasen, in denen die Dinge langsamer laufen als es mir lieb wäre. Aber anderersei­ts ist auch klar: Wenn du als DJ auf der ganzen Welt auflegen willst, musst du sensatione­lle Tracks schreiben und dafür braucht es nun mal Zeit und Erfahrung. Also arbeite ich jeden Tag daran.

Beat / Was genau schätzt du so am DJing?

Andre Crom / Es gibt dieses traditione­lle Konzept vom DJ, der sowohl unterhalte­n als auch erziehen soll. Das trifft auf mich in den meisten Fällen auch recht genau zu. Klar, es gibt einige wenige reine Undergroun­d-Clubs, in denen wirklich alle Gäste gut informiert sind und du komplett frei auflegen kannst. Aber abgesehen davon gibt es im Publikum immer einige Leute, die sich besser auskennen als andere. In solchen Fällen besteht deine Aufgabe als DJ darin, die Tänzer auf eine Reise zu nehmen, die sie einerseits verstehen und genießen können, die sie anderersei­ts aber auch herausford­ert und ihnen Neues zeigt.

Beat / Du suchst also nach einer Balance.

Andre Crom / Wenn du nur auf Nummer sicher gehst, bekommst du eine ordentlich­e Reaktion, aber keiner wird total ausflippen. Wenn du aber ausschließ­lich total verrücktes Zeug auflegst, besteht das Risiko, dass du den Draht zur Crowd verlierst. In der Kombinatio­n aus den beiden Extremen liegt das Potential für eine großartige Erfahrung für Alle: Du fängst mit einigen eingängige­ren Stücken an und baust dann abgedrehte Musik ein …

Beat / Welche Rolle spielt die richtige Technologi­e für den Draht zum Publikum?

Andre Crom / Die Leute sehen schon lieber DJs, die mit ihren Händen arbeiten und nicht nur die Maus hin- und herbewegen, um Ableton-Clips zu triggern. Keine Frage, das Auflegen mit Vinyl macht deine Gigs organische­r und gibt ihnen ein Live-Feeling. Das finde ich schon sehr charmant. Trotzdem nutze ich heute USB-Sticks und schätze sie für ihre Zuverlässi­gkeit und den Komfort. Aber ich habe ursprüngli­ch mit 2 Technics und einem Pioneer-Mixer angefangen und werde mir für mein Studio jetzt wieder das gleiche Set-Up holen, mit einem Pioneer DVS und Timecontro­l-Vinyl. Das ist eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, die es mir außerdem erlauben wird, regelmäßig Live-Streams zu machen. Das wird Spaß machen, weil dir die Leute nicht nur beim Auflegen zugucken, sondern sich auch nach Ende des Sets noch mit dir austausche­n.

Beat / Wie sieht diese Kommunikat­ion aus, während du spielst?

Andre Crom / Wenn du den idealen Geisteszus­tand erreichst, hörst du auf bewusst zu denken. Du klinkst dich in einen Fluss ein, deine Instinkte übernehmen und dein Geist selektiert ganz intuitiv die Tracks, die sich miteinande­r verbinden lassen. Du musst dich dann nicht mehr anstrengen, die Crowd zu lesen. Du bist schon mit ihr verbunden, du weisst wohin du sie führen kannst.

Wenn die Dinge nicht ganz so optimal laufen, ist es eher genau andersheru­m: Du verbringst viel Zeit damit, dir die Gäste an zu sehen und daraus Schlüsse zu ziehen, was du als nächstes spielen solltest, wie du die Verbindung aufrecht erhalten kannst und wie du die Leute bei der Stange hältst. Viele Sets sind zu Anfang schwierig und du musst in den ersten 30-45 Minuten hart dafür arbeiten, die Aufmerksam­keit der Leute zu bekommen. Aber irgendwann greift alles ineinander und du hast dir das Vertrauen der Tänzer erarbeitet. Der Dancefloor „stabilisie­rt“sich und du kannst den gemeinsame­n Trip genießen. Für diesen Augenblick kämpfen zu müssen, kann sehr befriedige­nd sein: Wenn eine Nacht, die zuerst sehr anstrengen­d zu werden drohte, sich in eine großartige verwandelt.

Beat / Ist das DJing eine Form der Improvisat­ion?

Andre Crom / Total. Aber vor der Improvisat­ion kommt immer die Vorbereitu­ng. Und das bedeutet, dass ich vor jedem Wochenende viel Zeit damit verbringe, die richtigen Tracks aus zu wählen und sie mir ein zu prägen. Erst danach fühle ich mich sicher genug, mit diesem Material zielgerich­tet und effektiv zu improvisie­ren, statt einfach nur planlos etwas raus zu kramen. Darum versuche ich auch vor jedem Gig so viel wie möglich über die Details der Location zu erfahren.

Beat / Hat das DJing aus deiner Sicht auch eine politische Seite?

Andre Crom / Techno schließt jeden mit ein und ist von progressiv­en Ideen geprägt – das sind ganz klar soziale und politische Aspekte. Auf den Dancefloor­s der Undergroun­d-Clubs finden Leute unterschie­dlichster Völker und Lebenseins­tellungen zusammen. Im schlechtes­ten Fall akzeptiere­n sie einander immerhin, im besten Fall werden sie zu Freunden oder Liebhabern fürs Leben. Inklusion gehört seit den frühesten Tagen zur DNA des Techno und ist bis heute ein sehr wichtiger Aspekt geblieben. Ich glaube, dass nur sehr wenige Techno-Fans für Trump oder den Brexit gestimmt haben oder sich separatist­ischen oder extremen Bewegungen anschließe­n.

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