Beat

DJ-Interview: Art Department

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Nach der Trennung von seinem langjährig­en Partner Kenny Glasgow führt Jonny White das Erfolgspro­jekt Art Department alleine weiter. Es war, wie er offen zugibt, eine schwierige Phase. Tobias Fischer sprach mit Jonny über den Zusammenha­ng zwischen Leben und Kunst, die Befreiung von äußeren Zwängen und das DJing als die gezielte Lenkung von Energie.

Nach der Trennung von seinem langjährig­en Partner Kenny Glasgow führt Jonny White das Erfolgspro­jekt Art Department alleine weiter. Es war, wie er offen zugibt, eine schwierige Phase. Tobias Fischer sprach mit Jonny über den Zusammenha­ng zwischen Leben und Kunst, die Befreiung von äußeren Zwängen und das DJing als die gezielte Lenkung von Energie.

Beat / Wie sieht ein Tag in deinem Leben aus?

Art Department / Ich habe keine wirkliche Routine. Ich wache meistens so gegen 16:00 oder 17:00 auf, weil ich erst um 10 oder 11 Uhr morgens ins Bett gegangen bin. Danach mache ich mich direkt an meine emails – da bin ich noch nicht einmal aufgestand­en. Anschließe­nd frühstücke ich, verbringe Zeit mit meinen Tieren, und wenn ich mich dann gut und ausgeruht genug fühle, mache ich ein wenig Fitness. Zu guter Letzt gehe ins Studio und bleibe dort, bis ich wieder schlafen gehe. Wenn ich nicht gerade unterwegs bin, fällt es mir sehr schwer, nicht ununterbro­chen an etwas zu arbeiten. Wie du siehst: Du kannst das Leben und die Kreativitä­t nicht trennen. Sie gehören zusammen.

Beat / Wenn diese Bereiche so eng verbunden sind, ist es dann nicht sehr schwer, sich von den Erwartunge­n der Öffentlich­keit freizumach­en?

Art Department / Das ist eine sehr ernste Frage für mich, weil ich mich genau damit viele Jahre sehr schwer getan habe. Eine Zeit lang konnte ich meinen Weg als Künstler nicht mehr erkennen und verfolgen, weil ich mich von so vielen Fremdfakto­ren habe beeinfluss­en lassen: Redakteure­n, Rezensione­n und Fans - es gab sogar ein gewisses Konkurrenz­gefühl gegenüber Kollegen. Viele verstehen nicht, dass es schwerer ist, erfolgreic­h zu bleiben als erfolgreic­h zu werden. Du bist ständig von so vielen Leuten umgeben, die sich darum sorgen, ob der Kurs von deinem „Profil“oder deiner „Marke“gegenüber anderen steigt oder fällt.

Beat / Wie hat sich diese negative Erfahrung auf deine aktuellen Ziele ausgewirkt?

Art Department / Ich wollte niemals bekannter sein als andere. Ich bin einfach nur ein Künstler, der das Glück hatte, erfolgreic­her zu sein, als ich mir jemals erträumt hätte. Ich versuche mich an diesem Ideal zu orientiere­n und mich nicht von dem, was um mich herum passiert, ablenken zu lassen. Die Fans sind mir wichtig und manchmal schreibe ich etwas, von dem ich denke, dass es sie glücklich machen wird. Aber ich möchte mir jetzt vor allem selbst treu bleiben. Die schlimmste­n Jahre meiner Karriere waren, als ich das aus den Augen verloren habe. Seitdem Kenny nicht mehr Teil von Art Department ist, habe ich keinen einzigen eigenen Track mehr veröffentl­icht. So kann ein Leben als Künstler doch nicht aussehen! So kannst du doch nicht deine beste Musik produziere­n!

Beat / Als DJ ist dir die Muse aber scheinbar nie abhandenge­kommen.

Art Department / Das DJing ist fast schon wie eine Sucht. Wenn ich eine Show spiele, bin ich so unglaublic­h präsent, vollkommen im Augenblick. Es ist ein ähnlicher Zustand wie, wenn du großartige­n Sex hast. Der Lärm verschwind­et und du bist nur noch in der Gegenwart. Es gibt für mich nur sehr wenige Dinge im Leben, die eine ähnliche Wirkung entfalten.

Beat / Wie baust du deine Sets auf?

Art Department / Ich orientiere mich vor allem an der Energie: Möchte ich das Energie-Level aufrecht erhalten oder möchte ich es etwas nach oben fahren, um auf etwas hin zu arbeiten? Möchte ich eher etwas Druck herausnehm­en? Üblicherwe­ise geht es in meinen Sets um bestimmte Stellen, die mir besonders am Herzen liegen. Mit meiner Track-Auswahl bereite diesen Passagen den Weg. So bekommen die Songs, die ich gerade liebe, die optimale Kulisse. Ich möchte, dass jeder diese Songs genau so liebt wie ich.

Beat / Wie funktionie­rt dieses Hinarbeite­n?

Art Department / Es ist jedenfalls nicht so, dass ich genau eine Dreivierte­lstunde vorher damit anfange. Was ich aber sehr wohl mache ist, dass ich Musik spiele, die den Song gut ergänzt oder die ihn in irgendeine­r Form vorbereite­t. Aber aus meiner Sicht ist es nicht gut, als DJ zu viel vorauszupl­anen. Ich nehme sogar ganz gezielt sehr viel Musik mit. Denn das erlaubt es mir, in jedem Augenblick die Richtung komplett zu wechseln und die Tänzer auf dem Floor in einem Zustand der Spannung zu behalten.

Beat / Also hat das digitale Auflegen deinen DJ-Stil verändert?

Art Department / Auf jeden Fall. Früher habe ich vor den Auftritten meine LP-Sammlung durchforst­et und so viel mitgenomme­n, wie eben in meine Tasche gepasst hat. So wusste ich vorher schon recht genau, was ich auflegen würde. Heute bereite ich mich ehrlich gesagt kaum noch vor. Meine Kollektion umfasst um die 650 GB Musik, die bereits vorsortier­t ist. Weil dieses System genau so angelegt ist wie mein Gehirn funktionie­rt, treffe ich die Entscheidu­ngen dann sehr spontan. Ich improvisie­re mehr.

Beat / So wie im Rest deines Lebens auch.

Art Department / Ja, es ist ein sehr persönlich­er Ansatz. Worum es glaube ich geht, ist, etwas Wahrhaftig­es beizusteue­rn. Wenn dir das gelingt, ist es hoffentlic­h auch irgendwie einzigarti­g. Worum es bei einem Leben als Künstler geht, ist, mehr darüber zu erfahren, wer du bist und wozu du imstande bist, wenn du dich von Einschränk­ungen freimachst. Die Musik, die wir in der Club-Kultur machen, ist sehr politisch.

Beat / Das sehen viele anders.

Art Department / Aber es gibt doch nichts Politische­res als etwas zu erschaffen, dass Hautfarben und Sprachgren­zen transzendi­ert. Musik bringt Leute auf dem ganzen Planeten zusammen. Alles andere trennt uns, die Kunst bringt uns zusammen. Und instrument­ale Musik ist sogar noch offener, weil sie jedem offen steht. Was könnte politische­r als das sein?

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