Album des Monats: Crying Vessel – A Beautiful Curse
Es gehört praktisch zum Rüstzeug jedes Künstlers, die eigene Schmerzgrenze zu erkunden. Nur wenige aber wagen sich so tief in das dunkle Reich jenseits dieser Linie wie „A Beautiful Curse“. Es ist der Bericht eines Überlebenden, der Soundtrack zu Schmerz und Zweifel, einem gescheiterten Selbstmordversuch und einer im letzten Augenblick erfolgreichen Wiederbelebung. Andere wären daran zerbrochen. Für den in Bern lebenden Produzenten Slade Templeton hingegen waren die Erlebnisse eine Aufforderung dazu, endlich die Musik zu machen, die er schon so lange in seinem Kopf hörte: Dramatische Synthies, die im Dunkeln glühen wie die Scheinwerferkegel in David Lynch‘s „Lost Highway“. Drums, die krachen wie Maschinen in gigantischen Fabrikhallen.
Elektrisch zuckende Gitarren, gespielt von geisterhaften, blutverschmierten Händen. Songs, die sich Aufbäumen gegen das Unvermeidbare, die weitermachen ohne zu wissen wozu, die sich auftun wie Abgründe und den Hörer ins Bodenlose stürzen. Vergleiche mit The Mission, Type O Negative und The Cure sind nicht von der Hand zu weisen, doch hätten sich Peter Steele und Robert Smith vor der Intensität von „A Beautiful Curse“verkrochen. Vor allem die Texte bewegen sich an der Grenze zum Fieberwahn, setzen sich mosaikhaft zusammen wie eine flimmernde Fläche aus Flashbacks und unterdrückten Erinnerungen. „I was so much stronger when I was a young boy“, heisst es an einer Stelle, „Losing the world around me. I can‘t come back now, I‘m too far gone“an einer anderen“- Passagen die sich als Dokumentation des misslungenen Suizids lesen lassen. Und doch ist „A Beautiful Curse“, wie es schon der Titel andeutet, weniger ein Album über die Hässlichkeit des Lebens, sondern vielmehr eine Abhandlung darüber, was Schönheit bedeutet, wenn es keine Hoffnung mehr gibt.
Die Antwort darauf muss jeder Hörer aus den Andeutungen und Hinweisen selbst zusammensetzen, doch gelingt es Templeton auch, ohne eine eineindeutige Botschaft aus den Stücken des zerbrochenen Puzzles eine Feier des Lebens zu machen. Der federnde Beat und die schweren Bass-Synths von „Killing Time“mögen auf eine gescheiterte Beziehung verweisen, auf schlaflose Nächte und das Gift selbstzerstörerischer Gedanken, die jedes Glück im Keim ersticken. Doch kann man sie auch als offene Referenz an den melancholischen Pop von Don Henley‘s „Boys of Summer“hören, einer Hymne auf die ewige Liebe. Dies ist womöglich das Tröstendste an diesem finsteren Album: Auch der Pfad in das Herz des Schmerzes führt letzten Endes doch noch in die Erlösung.