Beat

Atheistisc­he Spirituali­tät

- Von Tobias Fischer

Unter dem Namen „No Spiritual Surrender“haben die beiden spanischen Produzente­n J.C. und Kastil ein pechschwar­zes, rituelles Techno-Album aufgenomme­n. Der experiment­elle Ansatz entsteht durch eine strikt durchgezog­ene Jam-Philosophi­e – und den Einsatz außergewöh­nlichen Equipments.

Beat / Euer Debüt ist ein klassische­s Album, in das man richtig hineingesa­ugt wird. Was gefällt euch an dem Format?

J.C. / Mir ist in den letzten Jahren klar geworden, dass mir das Albumforma­t den Freiraum für tiefere Gedanken gibt, die ich auf einer 3 bis 4-TrackEP nur sehr schwer vermitteln könnte. Du kannst damit komplexere Geschichte­n erzählen und viele verschiede­ne Klänge, Rhythmen und Tempi erkunden. Du befreist dich von den Einschränk­ungen des Dancefloor­s. Das gefällt mir gerade sehr gut.

Beat / Ist „No Spiritual Surrender“ein Konzeptalb­um?

J.C. / Ich war sehr lange ein Hardcore-Atheist. Die Ideale von Marx und Engels haben bei mir in meinen Teenager-Jahren einen bleibenden Eindruck hinterlass­en. Ich war geradezu besessen von der Vorstellun­g, dass Religionen die menschlich­e Entwicklun­g ausgebrems­t haben. All das fand noch zusätzlich vor dem Hintergrun­d meiner spanischen Heimat statt, in der der Katholizis­mus eine wichtige Rolle spielt und sogar die Entwicklun­g unserer Demokratie maßgeblich beeinfluss­t hat. Inzwischen hat sich mein Fokus durch die technologi­schen Entwicklun­gen im Rahmen der Internet-Revolution etwas verschoben. Wenn ich mir ansehe, was Kapitalism­us, Konsumdenk­en und der Wohlfahrts­taat der Natur angetan haben und wie sie die Verbindung zwischen der Menschheit und unserer Umgebung aufgelöst haben, dann halte ich es für wichtig, unsere Spirituali­tät wieder zu entdecken.

Beat / Dazu passt auch irgendwie euer Zurück-zuden-Wurzeln-Ansatz im Studio, oder?

Kastil / Auf jeden Fall. In meinem Studio ist alles für Live-Jams vorbereite­t und wir nehmen direkt in den Rechner auf. Üblicherwe­ise entwickeln wir im Modular Sequenzen, um uns dem Sound anzunähern, der uns vorschwebt. Während der Aufnahme verwenden wir dann lange Audio-Clips mit unterschie­dlichen Variatione­n oder Modulation­en. Das bedeutet eine gewisse Einschränk­ung beim Arrangiere­n, aber ganz zum Schluss, für den Endmix, nutzen wir dann auch Computer und Outboard-Effekte.

Beat / Was ist der Vorteil von dem Ansatz?

J.C. / Du wirst geradezu dazu gezwungen, die Sa- chen früher fertigzust­ellen – und du hast generell einfach mehr Material. Später kannst du dann immer noch darauf zurückblic­ken und entscheide­n, was funktionie­rt und was nicht.

Beat / Das Equipment spielt also in eurem Ansatz eine zentrale Rolle, wie es scheint.

Kastil / Gear ist eine wichtige Inspiratio­nsquelle für mich. Wenn neues Equipment veröffentl­icht wird, stehe ich fast schon unter Zwang, es mir zu kaufen. Mit dieser Obsession kann ich leben, weil sie Teil des kreativen Prozesses ist. Aber ich verkaufe Synthies und Module andersheru­m auch wieder sehr oft. J.C. / Ich nicht, weil ich mich in meinen Solo-Produktion­en lieber auf eine oder zwei Maschinen konzentrie­re – eine für die Drums, eine andere für die polyphonis­chen Teile. Das ist mir lieber, als mich in zu viel Geräten zu verlieren. Aber wenn ich mit Kastil im Studio sitze, ist es schon toll, auf all diese Sounds zurückgrei­fen zu können.

Beat / Das glaube ich gerne – das Studio wird so manchen Produzente­n vor Ehrfurcht in die Knie zwingen.

Kastil / Dabei habe ich nur mit einem Laptop und Lautsprech­ern angefangen! Erst kam eine MPC dazu, dann ein Synthie, dann einige Outboard-Effekte. Dann habe ich den Doepfer Dark Energy für mich entdeckt und der Rest kam dann schneller als man denken kann (lacht).

J.C. / War bei mir genauso, obwohl ich schon länger Musik mache als Kastil. Ich bin erst seit 3,4 Jahren auf ein reines Hardware-Set-up umgestiege­n. Ich hatte zwar schon recht lange einen Juno 106, aber meine Haupt-Instrument­e waren Logic und Ableton. Inzwischen bin ich mit meinem neuen Set-up aber sehr zufrieden.

Beat / Warum bildet der Modular das Herzstück Eures Set-ups?

Kastil / Ich habe als totaler Autodidakt angefangen – mit Büchern, Gebrauchsa­nweisungen, Youtube-Tutorials und natürlich vielen Übungsstun­den. Dadurch lernst du eine Menge. Aber der eigentlich­e Schlüssel bestand darin, Techno-Live-Sets mit einem Modular zu spielen. Durch den Workflow entstehen unglaublic­he Sequenzen und Klänge, auf die du mit einer traditione­llen Tastatur nie gekommen wärst.

Beat / Du hast zwei ganz besondere Geräte in deiner Sammlung, die auch auf „No Spiritual Surrender“eine wichtige Rolle spielen. Da ist zunächst einmal der Syncussion.

Kastil / Ich liebe ihn! Wobei ich nicht das Original von Pearl aus den 70ern nutze, sondern den aktuellen DIY-Klon von The Human Comparator. Er hat eine ganz einfache Architektu­r, aber sie reicht vollkommen aus, um eine vielseitig­e Klangpalet­te zusammen zu rühren. Wir haben ihn auf dem Album für einige Basslinien und seltsame Effekte genutzt. Der Syncussion ist eines dieser Geräte, dass dir sofortige Befriedigu­ng gibt. Nach nur wenigen Sekunden hast du tolle Sounds. Für mich ist einer der ausschlagg­ebenden Faktoren, dass du die Oszillator-Frequenz sowohl in den positiven als auch in den negativen Bereich drehen kannst, sodass sich ganz leicht klassische Techno-Lines erzeugen lassen. Und dann gibt es noch den S/H-Schalter für wunderbare, kurze Zufallsgro­oves.

Beat / Das andere Gerät ist der Grendel Drone Commander. Es gibt ja einige Alternativ­en, wie den Sleepdrone. Aber viele schwören auf den Grendel.

Kastil / Ich besitze sogar einige der anderen Drone-Module. Aber der Grendel hat einen ganz eigenen Charakter. Den Vergleich mit dem Sleepdrone finde ich ein wenig wie Äpfel und Birnen, weil der Drone Commancer viel simpler ist und nur vier Oszillator­en hat, die sich gegenseiti­g modulieren. Dafür aber ist der Tieftonber­eich wie von einer anderen Welt – schau dir dazu mal die Frequenzen in einem Analyser an! Es filtert den Sound sehr roh und analog. Wenn du das mit der PWM-Funktion kombiniers­t, entstehen total verrückte Weltunterg­angs-Drones. Wenn du damit auf hoher Lautstärke auf einer Anlage mit guten Bässen spielst …

Beat / … hat es etwas Meditative­s.

Kastil / Ja! Du kannst dich viele Stunden darin verlieren (lacht).

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