Atheistische Spiritualität
Unter dem Namen „No Spiritual Surrender“haben die beiden spanischen Produzenten J.C. und Kastil ein pechschwarzes, rituelles Techno-Album aufgenommen. Der experimentelle Ansatz entsteht durch eine strikt durchgezogene Jam-Philosophie – und den Einsatz außergewöhnlichen Equipments.
Beat / Euer Debüt ist ein klassisches Album, in das man richtig hineingesaugt wird. Was gefällt euch an dem Format?
J.C. / Mir ist in den letzten Jahren klar geworden, dass mir das Albumformat den Freiraum für tiefere Gedanken gibt, die ich auf einer 3 bis 4-TrackEP nur sehr schwer vermitteln könnte. Du kannst damit komplexere Geschichten erzählen und viele verschiedene Klänge, Rhythmen und Tempi erkunden. Du befreist dich von den Einschränkungen des Dancefloors. Das gefällt mir gerade sehr gut.
Beat / Ist „No Spiritual Surrender“ein Konzeptalbum?
J.C. / Ich war sehr lange ein Hardcore-Atheist. Die Ideale von Marx und Engels haben bei mir in meinen Teenager-Jahren einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich war geradezu besessen von der Vorstellung, dass Religionen die menschliche Entwicklung ausgebremst haben. All das fand noch zusätzlich vor dem Hintergrund meiner spanischen Heimat statt, in der der Katholizismus eine wichtige Rolle spielt und sogar die Entwicklung unserer Demokratie maßgeblich beeinflusst hat. Inzwischen hat sich mein Fokus durch die technologischen Entwicklungen im Rahmen der Internet-Revolution etwas verschoben. Wenn ich mir ansehe, was Kapitalismus, Konsumdenken und der Wohlfahrtstaat der Natur angetan haben und wie sie die Verbindung zwischen der Menschheit und unserer Umgebung aufgelöst haben, dann halte ich es für wichtig, unsere Spiritualität wieder zu entdecken.
Beat / Dazu passt auch irgendwie euer Zurück-zuden-Wurzeln-Ansatz im Studio, oder?
Kastil / Auf jeden Fall. In meinem Studio ist alles für Live-Jams vorbereitet und wir nehmen direkt in den Rechner auf. Üblicherweise entwickeln wir im Modular Sequenzen, um uns dem Sound anzunähern, der uns vorschwebt. Während der Aufnahme verwenden wir dann lange Audio-Clips mit unterschiedlichen Variationen oder Modulationen. Das bedeutet eine gewisse Einschränkung beim Arrangieren, aber ganz zum Schluss, für den Endmix, nutzen wir dann auch Computer und Outboard-Effekte.
Beat / Was ist der Vorteil von dem Ansatz?
J.C. / Du wirst geradezu dazu gezwungen, die Sa- chen früher fertigzustellen – und du hast generell einfach mehr Material. Später kannst du dann immer noch darauf zurückblicken und entscheiden, was funktioniert und was nicht.
Beat / Das Equipment spielt also in eurem Ansatz eine zentrale Rolle, wie es scheint.
Kastil / Gear ist eine wichtige Inspirationsquelle für mich. Wenn neues Equipment veröffentlicht wird, stehe ich fast schon unter Zwang, es mir zu kaufen. Mit dieser Obsession kann ich leben, weil sie Teil des kreativen Prozesses ist. Aber ich verkaufe Synthies und Module andersherum auch wieder sehr oft. J.C. / Ich nicht, weil ich mich in meinen Solo-Produktionen lieber auf eine oder zwei Maschinen konzentriere – eine für die Drums, eine andere für die polyphonischen Teile. Das ist mir lieber, als mich in zu viel Geräten zu verlieren. Aber wenn ich mit Kastil im Studio sitze, ist es schon toll, auf all diese Sounds zurückgreifen zu können.
Beat / Das glaube ich gerne – das Studio wird so manchen Produzenten vor Ehrfurcht in die Knie zwingen.
Kastil / Dabei habe ich nur mit einem Laptop und Lautsprechern angefangen! Erst kam eine MPC dazu, dann ein Synthie, dann einige Outboard-Effekte. Dann habe ich den Doepfer Dark Energy für mich entdeckt und der Rest kam dann schneller als man denken kann (lacht).
J.C. / War bei mir genauso, obwohl ich schon länger Musik mache als Kastil. Ich bin erst seit 3,4 Jahren auf ein reines Hardware-Set-up umgestiegen. Ich hatte zwar schon recht lange einen Juno 106, aber meine Haupt-Instrumente waren Logic und Ableton. Inzwischen bin ich mit meinem neuen Set-up aber sehr zufrieden.
Beat / Warum bildet der Modular das Herzstück Eures Set-ups?
Kastil / Ich habe als totaler Autodidakt angefangen – mit Büchern, Gebrauchsanweisungen, Youtube-Tutorials und natürlich vielen Übungsstunden. Dadurch lernst du eine Menge. Aber der eigentliche Schlüssel bestand darin, Techno-Live-Sets mit einem Modular zu spielen. Durch den Workflow entstehen unglaubliche Sequenzen und Klänge, auf die du mit einer traditionellen Tastatur nie gekommen wärst.
Beat / Du hast zwei ganz besondere Geräte in deiner Sammlung, die auch auf „No Spiritual Surrender“eine wichtige Rolle spielen. Da ist zunächst einmal der Syncussion.
Kastil / Ich liebe ihn! Wobei ich nicht das Original von Pearl aus den 70ern nutze, sondern den aktuellen DIY-Klon von The Human Comparator. Er hat eine ganz einfache Architektur, aber sie reicht vollkommen aus, um eine vielseitige Klangpalette zusammen zu rühren. Wir haben ihn auf dem Album für einige Basslinien und seltsame Effekte genutzt. Der Syncussion ist eines dieser Geräte, dass dir sofortige Befriedigung gibt. Nach nur wenigen Sekunden hast du tolle Sounds. Für mich ist einer der ausschlaggebenden Faktoren, dass du die Oszillator-Frequenz sowohl in den positiven als auch in den negativen Bereich drehen kannst, sodass sich ganz leicht klassische Techno-Lines erzeugen lassen. Und dann gibt es noch den S/H-Schalter für wunderbare, kurze Zufallsgrooves.
Beat / Das andere Gerät ist der Grendel Drone Commander. Es gibt ja einige Alternativen, wie den Sleepdrone. Aber viele schwören auf den Grendel.
Kastil / Ich besitze sogar einige der anderen Drone-Module. Aber der Grendel hat einen ganz eigenen Charakter. Den Vergleich mit dem Sleepdrone finde ich ein wenig wie Äpfel und Birnen, weil der Drone Commancer viel simpler ist und nur vier Oszillatoren hat, die sich gegenseitig modulieren. Dafür aber ist der Tieftonbereich wie von einer anderen Welt – schau dir dazu mal die Frequenzen in einem Analyser an! Es filtert den Sound sehr roh und analog. Wenn du das mit der PWM-Funktion kombinierst, entstehen total verrückte Weltuntergangs-Drones. Wenn du damit auf hoher Lautstärke auf einer Anlage mit guten Bässen spielst …
Beat / … hat es etwas Meditatives.
Kastil / Ja! Du kannst dich viele Stunden darin verlieren (lacht).