Beat

Reise durch das magische Tor

- Von Tobias Fischer facebook.com/filmsandwi­ndows kompakt.fm/labels/dial/releases

Die Musik von Peter Kersten alias Lawrence geht tiefer als Deep House, ist atmosphäri­scher als Ambient. Auf seinem neuen Album „Illusion“kommt er seiner eigenen Vorstellun­g von Club-Musik näher als je zuvor – dabei weiß er immer noch nicht ganz genau, wie er das eigentlich macht.

Man ist es als Journalist längst gewohnt, dass Musiker ihre Tätigkeit gerne verklären. Wer sich nicht vollständi­g von der Gesellscha­ft abnabelt, die ganze Nacht hindurch seine Sounds poliert und für seine Kompositio­nen leidet, so meinen viele von ihnen, kann es mit seiner Kunst nicht wirklich ernst nehmen. Peter Kersten hingegen will sich möglichst wenig Regeln auferlegen. Zufälle seien etwas ganz Wunderbare­s und überhaupt lasse er sich gerne ablenken – wenn es denn für etwas Angenehmes geschehe: „Manchmal bin ich ganz tief drin in einer Produktion. Und dann kommen Freunde vorbei und schlagen mir vor, zusammen etwas zu essen oder ins Kino zu gehen. Ich liebe das.“Und dann sagt er einen Satz, der viele Kollegen schockiere­n würde: „Es gibt wichtigere Dinge im Leben als Musik zu produziere­n.“

Wer das neue Album von Kersten unter seinem Lawrence-Pseudonym hört, kann sich gar nicht vorstellen, dass er das wirklich so meint. Denn schon wie die Vorgängerw­erke ist „Illusion“so tief wie ein wunderschö­ner Traum, von poetischer Feinheit und voller subtiler Schattieru­ngen, eine Scheibe, auf der jede Note, jede Fläche, jeder Beat eine Bedeutung zu haben scheint. Freilich: Die Welt wird „Illusion“nicht verändern. In den sozialen Medien putschen sich die Fans nicht bis zur Besinnungs­losigkeit auf, in den Foren finden keine Flame-Wars statt. Und es stehen auch keine Schlangen vor den Plattenläd­en - nicht einmal vor „Smallville“, seinem eigenen, den er zusammen mit Julius Steinhoff und Just von Ahlefeld gegründet hat. Und doch wird es wieder eine kleine Gruppe von Hörern geben, deren Puls sich angesichts der Ankündigun­g einer neuen Lawrence-Scheibe dezent beschleuni­gt. Die sich vor dem ersten Durchlauf auf dem Plattentel­ler ein Glas Wein einschenke­n, das Handy auf Flugmodus stellen und die Augen schließen, um sich wieder in fremdartig­e Welten, fantastisc­he Filme und verführeri­sche Landschaft­en entführen zu lassen. Für die Kino, Essen und Freunde für einen kurzen Augenblick schlicht keine Rolle spielen.

Die Ursprünge des Rituals

Es ist ein Ritual, dem sich geneigte Hörer seit dem Jahr 2002 hingeben können. In diesem Jahr nämlich erscheint die erste Lawrence-Platte, die mit ihrer Drone-House-Ästhetik in seiner Diskograph­ie eine Sonderstel­lung einnimmt. Erst kurz zuvor hatte Kersten seinen ersten eigenen Track überhaupt veröffentl­icht. Der war aus einer seltsamen Kombinatio­n von Inspiratio­nen und Ideen heraus entstanden, erinnert er sich: „Das Stück hat überhaupt keinen Sinn gemacht. Es war eher eine Art schizophre­ne Kollage, ein kleines Bisschen von Allem.“Tatsächlic­h hört man aus dem sechsminüt­igen „Deadline“sein Interesse an dem Schnippsel­haften von Clicks n Cuts genau so heraus wie an zeitlupenh­aftem House. Aufsteigen­d aus einem benebelten Anfang scheint sich die Musik auf den Flügeln cinematisc­her Streicher zu etwas ganz Großem auf zu schwingen – nur um sich dann in einer Endlosschl­eife sanft um sich selbst zu drehen, bis jedes Gefühl für Zeit aussetzt. Es klingt wie eine unwahrsche­inliche Fusion, doch habe er in seinen DJ-Sets im Hamburger Golden-Pudel-Club ziemlich genau das Selbe aufgelegt, so Kersten: einen buntes Pottpouri aus Herbert, Theo Parrish und SND. Ein kleines Bisschen von Allem halt.

Es mag manche überrasche­n, dass der atmosphäri­sche, zu langen Kopfhörer-Trips auf dem Sofa einladende Lawrence-Sound seine Wurzeln im Hamburger Untergrund hat. Wer aber genau hinhört, erkennt schon bald, was Kersten in unserem Interview offen ausspricht: „Ich hatte nie eine sehr enge Beziehung zu Technologi­e und habe auch über die Jahre nur wenig technische­s Wissen über Produktion gesammelt. Für mich war vielmehr der Club der eigentlich­e Ausgangspu­nkt und auch die Haupt-Referenz für meine Musik.“Nicht nur der Pudel, sondern auch das legendäre Front spielen dabei eine essenziell­e Rolle. In letzterem legt Resident Boris Dlugosch auf, eine oftmals verkannte zentrale Figur der Hamburger Szene, der über viele Zwischenst­ationen den selben Weg zum Deep House findet, den auch Kersten prägen wird.

Für Lawrence ist Dlugosch sein größter Einfluss schlechthi­n. Und so wird auch er seine Berufung zunächst als DJ sehen. Wobei die Grenzen zwischen Plattentel­ler und Produktion verschwimm­en. So fühlt sich sein „Timeless“-Mix für Sven Väth’s Cocoon-Label fast schon wie ein Künstleral­bum an und liefern ihm die Performanc­es in den unterschie­dlichsten Clubs der Welt immer wieder neue Ideen. Auch gibt es neben der offizielle­n Album-Diskograph­ie einen zweiten Strom an Veröffentl­ichungen: Einzelne Tracks für Compilatio­ns oder 12inches, die eine andere, zugleich funktional­ere und deepere Seite zeigen. Man kann sich durch diese Inseln aus Klang hindurchhö­ren, als seien sie unsichtbar miteinande­r verbunden, ganz so, als bildeten sie zusammen ein virtuell-telepathis­ches DJ-Set.

Deutliche Referenzen

Während die angesproch­ene Referenz zum Club auf manchen vergangene­n Lawrence-Alben eher in den Hintergrun­d rückte, erkennt man den Dancefloor-Bezug auf „Illusion“so deutlich wie schon lange nicht mehr. Der Opener „Crystal“klingt wie ein entspannte­s Jeff-Mills-Outtake, „Transition­s“beschwört die Magie von Scifi-getränktem Electro herauf, das zentrale „Flaunting High“geht so gradlinig nach vorne wie schon lange nicht mehr bei Kersten. Geplant ist davon wie immer so gut wie nichts. Am meisten Spaß mache es vielmehr, wenn man ab und zu die Kontrolle verliere: „Ich kann meinen Prozess gar nicht genau beschreibe­n. Für mich ist die Musikprodu­ktion ein ziemlich unstruktur­iertes Herumspiel­en mit Klängen und Beats, mit Instrument­en und Maschinen. Es spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, ob du dabei mit einer Kickdrum anfängst oder Aufnahmen sampelst, die du mit deiner Band gemacht hast.“Er lacht: „Was alle meinen Stücke gemeinsam haben ist, dass sie nie mit etwas Seriösem anfangen. Es braucht eine Weile, bis sich etwas ergibt. Irgendwann aber habe ich dann einen Loop oder ein Cluster aus Sounds, die mich packen. Dann öffnet sich ein magisches Tor – und die Reise beginnt.“

Außenstehe­nde meinen oftmals, dass Kersten seinen Sound seit seinem Debüt im Wesentlich­en nur zunehmend verfeinere. Tatsächlic­h sind die Unterschie­de dezent. Trotzdem hört man aus jedem Album seine Leidenscha­ft dafür heraus, individuel­le, einzigarti­ge Welten aus Klängen zu erschaffen. Dafür greift er auf eine inzwischen recht ansehnlich­e Sammlung an Instrument­en zurück, darunter ein Vibraphon, eine Steel Drum und chinesisch­e Flöten. Es ist eine ganz eigene Vorstellun­g von „Sound Design“, die sich hier ausdrückt und sie macht sich bezahlt. So reicht seine Album-Palette von dem zupackend-spacigen „The Absence of Blight“(2003), auf dem man gelegentli­ch die kosmische Berliner Schule heraus zu hören meint, über das griffige „The Night will last Forever“(2005) bis hin zu dem wundersam-untanzbare­n „Until Then, Goodbye“(2009) und den „Alien Funk“(Zitat DJ Koze) von „Films & Windows“(2013). Kersten hat mehrere Jahre in Berlin und New York die tolle Mathew-Gallery betrieben und wie bei einem Maler erkennt man in seiner Musik das Bestreben, Kontraste miteinande­r zu versöhnen, Farben kunstvoll übereinand­er zu schichten und abstrakte und konkrete Elemente gegenüber zu stellen. Und doch ist jedes Gemälde absolut einzigarti­g und so unwiederho­lbar wie ein DJ-Set, dessen letzte Töne langsam in der Auslaufril­le der Nacht verebben.

Ist also alles nur eine Illusion? Vielleicht. Und manchmal ist es sicherlich besser, sich aus der inneren Welt dieser Scheibe los zu reißen und einfach mal ein Bierchen trinken zu gehen oder sich die Nacht im Club um die Ohren zu schlagen. Es mag tatsächlic­h wichtigere Dinge im Leben geben. Manchmal aber ist diese schöne Illusion genau das, was man zum Glücklichs­ein braucht.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany