Test: Dada Noise System
Das Erica Synths Liquid Sky Dada Noise System ist das nächste Komplettset von den lettischen Modular-Spezialisten. Doch an wen richtet sich dieses ästhetische Ungetüm?
Modular, geil – und sehr speziell.
Erica Synths Liquid Sky Dada Noise System ist ein komplettes Modularsystem für experimentelle Klangforscher, welches in Zusammenarbeit mit dem Artist-Kollektiv Liquid Sky in Berlin und Portugal entstanden ist. Galt das Fusion Drone System schon als exotischer Krachmacher für Drive-Fetischisten, setzt diese Neuheit nochmal eine Schippe oben drauf und ist auch mal eben doppelt so groß. Also, auf geht’s in den Liquid Sky...
Überall rauscht es
Für die eigene Klangerzeugung gibt es im Liquid Sky Dada Noise System grob gesagt vier Module: zwei Black Code Source Einheiten inklusive einem Expander stehen für umfangreiche Noise-Experimente, während Pico VCO und Pico Drums klassische Sounds abdecken. Doch zunächst zum Noise: Black Code Source ist ein digitaler Rauschen- und Zufallsgenerator sowie Bitcrusher, der neun unterschiedliche Rauscharten in Stereo mit einstellbarer Tonhöhe beherbergt. Schon aus diesem Satz lässt sich ableiten, was man klanglich erwarten darf: Noise!! Über den (Sample-) Rate-Regler wird die Qualität soweit herabgesenkt, dass man flüssig vom Rauschen zu klassischen Chiptune-Bitcrusher-Sounds bis zu einzelnen Klicks herunterfahren kann. Weil die digitalen Noise-Quellen auch durch ein Sample & Hold laufen, sind zudem Loop- und Stotter-Effekte umsetzbar. Und von diesem Spezialisten hat man eben zwei Stück an Bord. So kann man einerseits wunderbare Noise-Texturen umsetzen oder sich im rhythmischen Klick-Bereich verlieren und interessante Grooves aufspüren. Dazwischen liegen klassische Bitcrusher-Klänge mit Chiptune-Flair. Außerdem ergänzt das Expander-Modul den Funktionsumfang der Black Code Source-Einheiten um eine Pitch-Hüllkurve - ideal für die Kreation von Hi-Hats, rauschhaften Snaredrums oder Percussions.
Pico inside
Unscheinbar und dennoch mächtig im Klang sind die beiden Module der Pico-Serie: Pico VCO und Pico Drums. Letzterer bedient sich aus einem Pool an 64 Samples (12-Bit-Qualität) und versorgt das Modularsystem mit zahlreichen Drums-Sounds. Genial: Pico Drums arbeitet dual, sodass zwei unabhängige Trigger auch zwei Samples (z.B. Kick und Snare) unabhängig ansteuern können, um rudimentäre Beats zu ermöglichen. Es ist aber auch möglich, eigene Samples zu laden, damit man mit dem Liquid Sky Dada Noise System nicht in der Noise-Welt gefangen bleibt.
Für eine gewohnte Portion Standard gibt es das Modul Pico VCO. Dieser winzige tonal spielbare Digital-Oszillator stellt 32 Wellenformen bereit, die von klassisch-analogen Vertretern (Sägezahn und Co.) bis zum Rauschen reichen. Also kann das experimentierfreudige Liquid Sky Dada Noise System auch klassi
sche Sägezahn-Bässe oder Leads. Doch das wäre so, als würde man mit einem Porsche durch eine 30er-Zone „heizen“. Viel spannender ist es, wenn man die druckvollen Wellenformen des Pico VCO als tonales Beiwerk betrachtet und dieses mithilfe der exotischen Module in rauschhafte, übersteuerte Sphären schickt.
Formungen und Modulationen
In puncto Modulations-Möglichkeiten geht’s beim Liquid Sky Dada Noise System mächtig ab. Der Octasource beispielsweise ist ein LFO auf Stereoiden, denn er erzeugt acht Wellenformen, die summiert oder individuell(!) abgegriffen werden können. Mit dem Rate-Parameter kann mit die Geschwindigkeit logischerweise kontrollieren, aber auch die Wellenformen einfrieren, wenn diese den Nullpunkt erreicht. Das Ändern der Phasenlage ist auch noch machbar. In der Praxis könnte man also Pico VCO, Black Code Source und Pico Drums für die Klangerzeugung nutzen und deren Einstellungen über den Black Octasource zentral ändern und für die musikalische Akzentuierung einfrieren.
Neben dem Black Octasource wurden noch weitere Modulatoren/Steuereinheiten verbaut : Black Modulator, Black Dual EG/LFO und der Joystick Controller. Black Dual EG/LFO ist ein ziemlich ausgefuchstes Modul, denn dieses ist je nach Modus eine flotte ADSR- oder duale AD-Hüllkurve. Das schnelle Ansprechverhalten eignet sich gut für perkussive Verläufe. Besonders genial ist der LFO-Modus, denn dann wird die Hüllkurve im Loop wiedergegeben. So könnten beispielsweise zwei geloopte, perkussive AD-Hüllkurven die beiden Sample-Slots im Pico Drums antriggern, um rudimentäre Beats zu kreieren.
Der Black Modulator hingegen ist ein vollständiger LFO, dessen drei Wellenform separat ausgegeben werden. Aber natürlich findet man auch hier wieder ordentlich Noise mit separaten Ausgängen und clockbarer Sample-&-Hold-Schaltung. Typische Filter-Wobbles gelingen also ebenso gut wie chaotische Modulationen. Übrigens: der LFO kann auch in den Audio-Modus geschaltet werden, sodass die Wellenformen und das Rauschen für die Klangerzeugung genutzt werden können. Das tonale Spielen ist dann aber nur über den Rate-Regler möglich – also eher unpraktisch.
Der Joystick ist zwar kein Modulator im Sinne eines LFOs oder dergleichen, aber eignet sich eben hervorragend, das Modularsystem für die Live-Performance aufzupimpen. Aus den Bewegungen lassen sich ganze acht Steuerspannungen abgreifen, um beispielsweise Effekt-Parameter, Filterfrequenz, LFO-Intensität und Rauschen-Variationen spielerisch zu kontrollieren. In der Praxis ist dieses Modul ein Segen, denn wenn einem die Komplexität des Dada Noise Systems zu überwältigend scheint, legt man sich eben acht essenzielle Parameter auf den Joystick und genießt den hochwertigen Klang während der spielerischen Performance.
Ringmodulation, Hall & Co.
Aus der Fusion-Serie haben die Tüftler dem Noise-System die beiden Module Fusion Ringmodulator und Fusion Ensemble spendiert. Das ist eine sehr gute Wahl, denn der Ringmodulator kann auf Basis zweier Signale einen völlig neuen Sound erzeugen, der leicht metallisch und spacig klingt. Das i-Tüpfelchen ist aber die verbaute Röhre, wodurch sich bei höheren Pegeln dreckige Verzerrungen in das Signal einschleichen – Charakter pur!
Mit dem Modul Fusion Delay Flanger Vintage Ensemble ist es dann ein Leichtes, trockenen Signalen eine räumlich-sphärische Note zu verpassen. Alles, was dünn und mono reinkommt, kann fett und stereo wieder rausgehen! Verträumte Echos mit übersteuerten Feedback-Orgien gehören ebenso zum Programm wie Chorus-Effekte durch ultra-kurze modulierte Delay-Zeiten. Auch hier steuert die verbaute Röhre bei hohen Pegeln eine Verzerrung bei.
Ein weiteres Effekt-Modul heißt Black Hole DSP, welches gleich 16 Effekte an Bord hat und in Stereo ausgeführt ist. Sehr viele Delay-Varianten mit unterschiedlichen Feedback-Ausführungen, granularen Funktionen oder Tonhöhen-Effekten können aus diesem Modul ertönen und passen extrem gut zu Ambient Noises, Drones und eben alles, was lange klingen soll. Die Bedienung ist aufgrund der wenigen Parameter kinderleicht und kann via CV automatisiert werden.
Filter, Mixer und Splitter
Das Filter-Modul Multimode VCF ist ein resonantes Multimode-Filter mit separaten Ausgängen für Hoch-, Tief- und Bandpass. Die Cutoff-Frequenz und Resonanz können wie gewohnt via CV angesteuert werden. Klanglich präsentiert sich das Filter butterweich, aber auch authentisch Acid-lastig, wenn man die Resonanz aufdreht. Hier gibt’s also „nur“gewohnte Kost und keine exotischen Spielereien.
Zu guter letzt finden sich noch zahlreiche Mixer- und Splitter-Module im Liquid Sky Dada Noise System, um Signale von A nach B zu schicken, aufzuteilen oder ganz einfach zu multiplizieren. So gibt es also genug Anlaufpunkte, um auch externe Signale wie beispielsweise Synthesizer, Spuren aus der DAW oder andere Modularsysteme in die Noise-Welt einzubinden. Das Black Output Module bietet sich für das Ende der gesamte Signalkette an, denn hier können drei Quellen im Panorama verteilt und als Master ausgegeben werden. Der finale Sound kann zudem über Kopfhörer abgehört werden.
Klang und Praxis
Im Alltag erweist sich das Liquid Sky Dada Noise System als großartiger Ideenspender mit hohem Suchtpotential. Die Bedienung macht durchweg Spaß, denn alles ist sofort griffbereit. Verschachtelte Menüs, fummelige Regler und billige Massenware sucht man hier vergebens. In puncto Klang darf man aber nicht zimperlich sein, denn Rauschen, Verzerrung, Feedback und Bitcrusher Noise findet man an jeder Ecke. Doch genau das ist der Reiz. Während man bei klassischen Synthesizern oftmals einen Rauschengenerator vorfindet und diesen eben fix abstempelt hat, bewegt man sich hier in einer eigenen Galaxie des Atonalen. Wer darin eintaucht, will so schnell nicht wieder raus. Und wenn man dann externe Signalquellen – Radio, DAW, Synthesizer etc. - ins System einspeist, begreift man erst die klangliche Wucht der Module. Vocals können wie verzerrte Funksprüche aus dem Spaceshuttle klingen, sterile Loops aus der DAW blühen auf und genießen durch Feedback, Röhren und Rauschen ein inspirierendes Eigenleben und so weiter und so weiter. Natürlich sind auch tonale Spielereien möglich, doch das können andere Komplettsystem besser. Wer auf den Zug des Liquid Sky Dada Noise System springt, will unkonventionelle Klänge und keine Standardware für EDM.
Fazit
Das Liquid Sky Dada Noise System von Erica Synths ist eine teuere Angelegenheit, keine Frage. Doch hier bekommt man ein ultra-flexibles Modularsystem mit sehr hohem Spaßfaktor. Das System ist so schräg, dass man eigentlich keine Kritikpunkte vergeben kann, denn das Konzept geht auf. Wer ein besonderes Instrument für die experimentelle Klangforschung sucht und dabei Wert auf einen performanten Workflow, sehr gute Verarbeitung und detailverliebten Analog-Sound sucht, sollte sich schon einmal Gedanken über die Finanzierung machen. Das System rockt einfach!