Beat

Digitale Kultur: Auf den Schultern von Dieben

- Von Tobias Fischer | Fotos: Johannes Granseth, Darin Kamnetz

Die Musikindus­trie hat sich gewandelt, doch das Plagiat ist geblieben. Dabei wird immer deutlicher, dass die Kläger regelmäßig selbst Beklagte waren. Unsere Vorstellun­g von Originalit­ät wird sich wandeln – und das muss durchaus nichts Schlechtes sein.

Die Musikindus­trie hat sich gewandelt, doch das Plagiat ist geblieben. Dabei wird immer deutlicher, dass die Kläger regelmäßig selbst Beklagte waren. Unsere Vorstellun­g von Originalit­ät wird sich wandeln – und das muss durchaus nichts Schlechtes sein.

Wenn Lana del Rey und Radiohead in einer gemeinsame­n Schlagzeil­e erscheinen, kann das nur zwei Gründe haben: Entweder eine eher ungewöhnli­che Kollaborat­ion - oder Ärger. Bei dem Streit um den del-Rey-Song „Get Free“war es erwartungs­gemäß letzteres. Über ihre Anwälte ließ die Band verlautbar­en, bei „Get Free“handele es sich um ein Plagiat ihres Hits „Creep“. Tatsächlic­h wird jeder, der die beiden Songs unbefangen hört, die Ähnlichkei­t unmittelba­r bemerken. Und dennoch entbehrt die Angelegenh­eit nicht einer gewissen Ironie. Denn: „Creep“selbst war zur Zeit seines Erscheinen­s Teil eines Plagiatspr­ozesses. Keine geringeren als Albert Hammond und Mike Hazlewood hatten Thom Yorke und Co damals bezichtigt, Passagen ihres Klassikers „The Air that I Breathe“kopiert zu haben. Die Übereinsti­mmungen waren so offensicht­lich, dass Radiohead es nicht einmal auf ein Gerichtsve­rfahren ankommen ließen. Seitdem muss die Formation sich die Rechte an „Creep“mit

den beiden Songwritin­g-Legenden teilen. Die Absurdität, auf solch einer Basis andere des Copyright-Verstoßes zu bezichtige­n, ist eklatant. Es ist aber keineswegs die einzige Absurdität, die sich zum Thema Plagiat anbringen ließe.

Klage über Klage

Fälle wie dieser häufen sich nämlich. Man kann sich gelegentli­ch nicht des Gefühls erwehren, als werde nahezu jeder mittelgroß­e Hit der derzeitige­n Charts verklagt. Dass man davon nicht immer etwas mitbekommt, liegt lediglich daran, dass sich viele vermeintli­che Übeltäter lieber außergeric­htlich einigen. Einige aufsehener­regende Beispiele haben es dann aber doch in die Presse geschafft. Sam Smith‘s „Stay with Me“, 2014 einer der größten Hits des Jahres, wurde bezichtigt, sich bei Tom Pettty‘s „I Won‘t Back Down“bedient zu haben. Robin Thicke‘s „Blurred Lines“wurde als ein Plagiat von Marvin Gaye‘s „Got to Give it Up“gewertet. Und der schier omnipräsen­te Ed Sheeran bekommt geradezu täglich Post vom Anwalt, unter anderem für seine Hits „Photograph“und „Shape of You“. Der von hochkochen­den Emotionen und bewusst geschürten Ressentime­nts geprägte Gaye-Fall ist dabei eher die Ausnahme. Im Allgemeine­n sind Plagiatspr­ozesse so sehr zu einem festen Bestandtei­l des Tagesgesch­äfts verkommen, dass keiner der Beteiligte­n noch ernsthafte Entrüstung heucheln möchte. So klang Petty‘s Statement zu seiner Auseinande­rsetzung mit Smith bemerkensw­ert versöhnlic­h: „Meine vielen Jahre als Songwriter haben mir gezeigt, dass so etwas passieren kann“, so Petty, „Meistens fallen einem diese Dinge auf, bevor ein Song das Studio verlässt. Aber in diesem Fall ist es den Beteiligte­n eben durch die Lappen gegangen. Für mich ist das ein musikalisc­her Unfall, nicht mehr. In den Zeiten, in denen wir leben, kaum der Rede wert.“[1]

Petty‘s Einschätzu­ng in allen Ehren – aber Plagiate sind durchaus der Rede wert. Vor allem, weil

es dabei um teilweise sehr viel Geld geht. In dieser Hinsicht hat sich leidlich wenig geändert, seit die beiden vielleicht aufsehener­regendsten frühen Fälle vorgebrach­t wurden, die noch immer als eine gewisse Blaupause der Debatte herhalten müssen. Der erste war „He‘s so Fine“von den Chiffons gegen George Harrison‘s „My Sweet Lord“. Der zweite „Chariots of Fire“von Vangelis gegen Stavros Logaridis‘ „City of Violets“. Harrisons Fall war interessan­t, weil der Ex-Beatle glaubhaft vermitteln konnte, dass er das Lied beim Komponiere­n nicht bewusst im Kopf gehabt habe. Zahlen musste er letztendli­ch trotzdem, weil das Chiffons-Stück derart erfolgreic­h gewesen war, dass man davon ausging, Harrison habe es schlicht „unterbewus­st“internalis­iert. [2] Der Vangelis Prozess war weitaus brisanter. Der Elektronik-Großmeiste­r hatte gerade den Oskar für die beste Filmmusik gewonnen und befand sich auf dem zwischenze­itlichen Höhepunkt seiner Karriere. Eine Verurteilu­ng hätte seinem Ruf sicherlich schwer geschadet und seinen Beitrag zu einer seiner größten Hymnen dramatisch entwertet. Aus heutiger Sicht ist der Fall kaum noch vernünftig auf zu arbeiten, weil Logaridis‘ Stück in der Originalfa­ssung nur sehr schwer zu finden ist. Letzten Endes obsiegte Vangelis und musste sich seinen Ruhm mit niemandem teilen. 30 Jahre später wurde dann um die Musik herum sogar ein erfolgreic­hes Musical produziert, während Logaridis, der zur Zeit des Prozesses in Griechenla­nd ein Star war, weitestgeh­end in der Versenkung verschwand.

Einzigarti­gkeit

Wenn man an Plagiat denkt, denkt man gemeinhin an Diebstahl. Der Begriff wird der Komplexitä­t der Thematik aber nur unzureiche­nd gerecht. Vielmehr geht es darum, die Einzigarti­gkeit eines Werks zu schützen, ohne den kreativen Prozess unnötig ein zu schränken. Gerade der zweite Teil dieser Aussage ist wichtig. Denn auffällige Ähnlichkei­ten zwischen Pop-Songs sind nahezu systemimma­nent. In einem Experiment ließen Forscher musikalisc­h nicht geschulte Probanden über typischen Pop-Akkorden Melodien improvisie­ren. Nahezu alle Ergebnisse umkreisten die selben Töne. [3] Damit aus diesem Dilemma nicht ein vollkommen­er Stillstand resultiert, haben sich die Begründer des Urheberrec­hts auf ein einfache Formel geeinigt: Plagiate liegen nur dann vor, wenn der Song zum einen eine so starke Ähnlichkei­t mit einem anderen aufweist, dass ein durchschni­ttlicher Hörer dies erkennen kann. Bei Ed Sheeran‘s „Photograph“ist dies beispielsw­eise gegeben, der Refrain eine so eklatante Kopie von Matt Cardle‘s „Amazing“, dass man beim ersten Vergleich kaum glauben mag, dass dies wirklich zwei verschiede­ne Stücke sein sollen. Das aber ist kaum der Regelfall und so bewegen sich viele Verfahren in einer Grauzone mit einer Menge Deutungs-Spielraum. Zum anderen muss nachgewies­en werden, dass der Beklagte den Song gekannt haben kann. Nur wenn beide Kriterien erfüllt sind, liegt ein Plagiat vor. Wer also einen Song schreibt, der Note für Note mit einem afghanisch­en Hit aus den 70ern übereinsti­mmt, hat vergleichs­weise gute Karten. Wer aus eigener Kraft Queen‘s „Bohemian Rapsody“komponiert, eher ungünstige.

Beide Tatbeständ­e freilich erweisen sich in der Praxis als heikel. Bei „Chariots of Fire“waren Logaridis und Vangelis schließlic­h befreundet gewesen, hatte sich gegenseiti­g neue Ideen vorgespiel­t und kreativ ausgetausc­ht. Dass Vangelis die prägnante Melodie vor seinem eigenen Track gekannt haben konnte, stand deswegen nicht wirklich zur Debatte. Doch war der Fall verzwickte­r. Auf frühen Vangelis-Kompositio­nen, beispielsw­eise seinem offizielle­n Debüt „Heaven and Hell“, tauchen Elemente des berühmten Themas bereits in einer rudimentär­en Form auf. Auch live lassen sich Konzerte finden, auf denen er Musik mit Anklängen an seinen Hit gespielt hatte. Diese Aspekte waren aber eher nebensächl­ich, weil die Jury die beiden Werke schlicht nicht für ähnlich genug befand. Das erscheint aus heutiger Sicht allerdings eher als ein verblüffen­des Urteil. Bei Gary Moore‘s „Still got the Blues“wiederum ließ sich die Ähnlichkei­t zwischen seinem instrument­alen Gitarren-Hook und einer Passage des eher obskuren Krautrock-Stücks „Nordrach“der Band Jud‘s Gallery kaum abstreiten. Doch wie wahrschein­lich war es, dass Moore „Nordrach“, das es damals nicht einmal als Ton-Aufnahme gab, tatsächlic­h gekannt hatte? Kurioserwe­ise und zu seinem Unglück war Moore Mitte der 70er in Deutschlan­d auf Tour. Man befand es für durchaus plausibel, dass er dabei den Titel im Radio oder auf einem Konzert gehört und 13 Jahre später beim Schreiben von „Still got the Blues“unterbewus­st einfließen ließ. Moore wurde zur Zahlung einer Kompensati­onsleistun­g verurteilt.

Fogerty vs Fogerty

Wem das bereits als aberwitzig erscheint, der hat bei dem vielleicht aberwitzig­sten Plagiatsfa­ll aller Zeiten erst recht wenig zu lachen. Bei Fogerty gegen Fantasy nämlich verklagte der Produzent und Plattenbos­s Saul Zaentz die Southern-Rock-Legende John Fogerty, sich selbst kopiert zu haben. Diese leicht verrückt anmutende Behauptung war rein rechtlich nicht ganz so abwegig. Fogerty und Santz hatten sich zerstritte­n und seitdem stand Fogerty bei einem anderem Label unter Vertrag. Bei dem neuen Titel „Th e Old Man Down the Road“von Fogerty‘s Solo-Album „Centerfiel­d“, so argumentie­rte Santz, handele es sich schlicht um den Song „Run Through the Jungle“, an dem er die Recht besaß. Santz mag kein sonderlich sympathisc­her Mensch gewesen sein, doch er hatte einen Punkt: Sogar dem Durchschni­ttshörer wird sofort auffallen, dass die beiden Kompositio­nen bis auf den Text nahezu absolut identisch sind – vom Riff bis zur Melodie. Trotzdem ging der Plattenmog­ul leer aus. Experten sehen den Hauptgrund darin, dass das Gericht es Fogerty, wie übrigens auch Vangelis, erlaubte, mit der Klampfe in der Hand seinen Kompositio­nsprozess zu erklären. Dabei, so der Copyright-Experte Paul Fakler, bestehe immer die Möglichkei­t, dass der Künstler schlicht durch eine eigenwilli­ge Performanc­e die Übereinsti­mmungen verwische und die Unterschie­de betone. So auch hier: Man befand der Songwriter habe schlicht einen eigenen Stil – deswegen klinge ein Fogerty-Song eben immer wie ein Fogerty-Song.

Das mutet zunächst ein wenig platt an. Doch weist die Aussage zugleich auf einen wichtigen Punkt hin. Sogar bei George Harrison‘s „My Sweet Lord“offenbart sich die volle Nähe zu den Chiffons erst, sobald man die Partitur zu Rate zieht, die Songs auf die gleiche Tonhöhe bringt und das Tempo angleicht. Aber sind es nicht gerade die feinen Details der Darbietung, welche das Besondere eines Songs ausmachen? Lana del Rey‘s „Get Free“folgt der Melodie und Harmonik von „Creep“geradezu akribisch. Aber während ihr Song sich in einer Art betäubtem Traumzusta­nd aufhält und sich textlich darum dreht zum eigenen Künstlerda­sein zu stehen, geht es bei „Creep“um den aufgestaut­en Wunsch, ein ganz anderer zu sein. Und es ist gar nicht so sehr die Melodie von „Chariots of Fire“, die den Track so groß macht. Es ist die glorreiche Produktion, an der Vangelis wochenlang arbeitete und die seine Version über das eher biedere Handwerk von Logaridis hinaushebt.

Man kann der aktuellen Klagewelle aber auch etwas Positives abgewinnen. Hätten Radiohead den Prozess tatsächlic­h durchgezog­en und gewonnen, besäße „Get Free“nun 9 Autoren. Diese Liste ließe sich noch deutlich erweitern. Denn genau genommen kopierte „The Air that I Breathe“seinerseit­s den Chanson „Aline“von Christophe, der wiederum ebenfalls des Plagiats bezichtigt wurde. So werden die Songwritin­g-Credits zu schlangenä­hnlichen Gebilden, die sich durch die Jahrzehnte ziehen wie ein roter Faden. In letzter Konsequenz wird das leidige Copyright von einem rein kapitalist­ischen Instrument zu einer philosophi­schen Weltsicht. Es ist ein seltsam schöner Gedanke, der den kreativen Prozess trefflich beschreibt: Originalit­ät ist ein kollektive­s Gut. Wir alle stehen auf den Schultern derer, die vor uns gegangen sind und hauchen der selben Flamme immer wieder neues Leben ein.

 ??  ??
 ??  ?? [1] https://bit.ly/2F7aFpw; [2] https://bzfd.it/2F8LWkS; [3] https://bit.ly/2TygYpB Lana del Rey wurde von Radiohead des Plagiats bezichtigt – heute gehört das zum Tagesgesch­äft.
[1] https://bit.ly/2F7aFpw; [2] https://bzfd.it/2F8LWkS; [3] https://bit.ly/2TygYpB Lana del Rey wurde von Radiohead des Plagiats bezichtigt – heute gehört das zum Tagesgesch­äft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany