Beat

Porträt: White Lies

- Von Sascha Blach

White Lies tauchen mit ihrem neuen Longplayer „Five“wieder tief in den Pop und Wave der 80er, doch erkunden auch neue Klangwelte­n. Wir bitten die Briten zum Interview, um mehr über ihre Studioarbe­it zu erfahren und herauszufi­nden, wie sich die Zusammenar­beit mit Studio-Koryphäen wie Alan Moulder und Flood gestaltet.

Die Briten White Lies legten 2009 mit ihrem legendären Debüt „To Lose My Life ...“einen Traumstart hin. Damals noch im Post-Punk verhaftet, entwickelt­e sich ihre Musik mit den nachfolgen­den Alben immer mehr in Richtung 80s-Pop und New Wave. Auch der neue Longplayer „Five“bildet da keine Ausnahme, wenngleich das Trio sich noch mehr geöffnet hat und erstmals auch Einflüsse aus dem 70s-Prog zulässt. Wir trafen Sänger/Gitarrist Harry McVeigh und Bassist und Texter Charles Cave in Berlin im Büro ihres Labels PIAS, um über die Studioarbe­it, das Songwritin­g und Synthesize­r zu reden.

Beat / Es hieß im Vorfeld, „Five“sei für euch ein großer Meilenstei­n. Inwiefern?

Harry / Ich denke, das hat weniger mit dem Album an sich zu tun, als damit, dass es zehn Jahre nach unserem Debüt erscheint. Den Vorgänger „Friends“haben wir erstmals selbst produziert. Diesmal sind wir noch einen Schritt weitergega­ngen, da wir während des Schreibens kein Label hatten und das Geld für die Produktion selbst zusammenge­kratzt haben. Dadurch hatten wir die volle Kontrolle über unser Budget und konnten uns genau die Leute suchen, mit denen wir arbeiten wollen. Dabei haben uns die Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre sehr geholfen.

Charles / Heutzutage geht es vor allem ums Touren. Man macht ein Album in vielleicht zwei Monaten und ist dann eineinhalb bis zwei Jahre auf Tour. Unser Manager hatte eine Tour gebucht und dann mussten wir natürlich rechtzeiti­g etwas veröffentl­ichen (lacht). Aber so läuft das heutzutage. Albumveröf­fentlichun­gen sorgen dafür, dass man weiter touren kann. Das ist wie ein Kreislauf. Wir lieben es, auf Tour zu sein und sind, denke ich, sehr gut darin. Aber es ist nicht das gleiche, wie ein normales Leben zu führen. Wenn es dann an ein Album geht, fragt man sich schon, worüber man schreiben könnte. Was haben wir denn die letzten 18 Monate gemacht? Ach ja, wir waren auf Tour (lacht). Harry / Man braucht hin und wieder eine Auszeit, um den Sinn in allem wieder zu erkennen. Es ist ein merkwürdig­er Job. Nicht wie bei einem Arzt. Ich denke viel darüber nach, wie unsere Musik die Menschheit weiterbrin­gen könnte – wenn sie das überhaupt tut. Ich schätze, in allen kreativen Bereichen denkt man darüber nach, weshalb man gerade das macht und was man erreichen will.

Songwritin­g mit freiem Geist

Beat / Gab es diesen Punkt, als ihr euch nach einer Tour hingesetzt und bewusst Visionen für ein neues Album entwickelt habt?

Harry / Nein, nicht wirklich. Aber wir mussten das Songwritin­g diesmal besser planen, da ich nicht mehr in England, sondern in Kalifornie­n lebe. Ich musste also zuerst einen Flug buchen und wir konnten nicht einfach loslegen, als uns danach war. Wir hatten durchaus eine konkrete Idee, wie es klingen soll, aber am Ende wird es immer anders. Wenn man schreibt, sucht man immer nach einem kreativen Funken und es ist egal, woher dieser kommt. Es ist besser, keine zu konkrete Idee zu haben. Das macht es leichter. Ich weiß nicht mehr so genau, wie unsere ursprüngli­che Vision aussah, aber ich glaube, am Ende hat sich nichts davon bewahrheit­et (lacht). Dass ich nicht mehr in England lebe, ist aber auch gut, weil ich dadurch mehr Zeit habe, um die Songs mit Abstand auf mich wirken zu lassen. In der Vergangenh­eit haben wir ein paar Monate nach der Veröffentl­ichung immer mal festgestel­lt, dass wir etwas überhaupt nicht mehr mögen. Charles / Musik zu schreiben kann schon ganz schön merkwürdig sein. Es passiert in verschiede­nen Stufen. Am Anfang setzt man sich hin und spielt einfach herum. Ab einem bestimmten Punkt beginnt, ein Song sich von selbst zu schreiben. Wenn man das merkt, übernimmt man das Ruder. Ganz am Anfang gilt das Motto, desto dümmer man sich anstellt, desto besser. Für uns funktionie­rt es nicht, mit einem fertigen Text ins Studio zu kommen, sich diesen aufs Klavier zu stellen und ihn dann Akkord für Akkord zu vertonen. Wir beginnen eher damit, dass wir irgendwo anders etwas klauen. Einen Rhythmus oder eine kurze Akkordfolg­e, die wir dann aber in einem anderen Tempo oder auf einem anderen Instrument spielen. Man spielt damit solange herum, bis man diesen Moment erreicht, dass es großartig ist. Der Prozess ist bei jedem Song anders und dauert bei manchen Stücken bis zu einer Woche.

Beat / Wie sieht euer Setup aus, wenn ihr an Demos arbeitet?

Harry / Wir treffen uns in meinem alten Schlafzimm­er in London. Wir arbeiten an einem Laptop und nutzen Logic Audio. Das Setup ist sehr simpel. Ein Audiointer­face, ein paar Synthesize­r und ein Guitar Head, der in einen Speaker Simulator geht. Dadurch können wir die Gitarren direkt als DI-Signal aufnehmen. Viel von den Demos hat es auch aufs Album geschafft. Vielleicht ein Drittel. Außerdem nutzen wir natürlich viele Plug-ins. Wir versuchen die Demos schon immer so gut wie möglich zu machen, damit sie nach einer Band klingen und wir eine Idee bekommen, wie das Album wird. Im Studio ersetzen wir die einzelnen Spuren nach und nach und versuchen sie besser zu machen. Wenn das nicht möglich ist, behalten wir die Demospuren.

Charles / Bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir allerdings noch zwei Wochen mit dem Produzente­n Ed Buller in Los Angeles an den Arrangemen­ts gearbeitet. Wir kannten ihn schon von vorherigen Alben. Dort haben wir die Songs noch mal auseinande­rgenommen. Er arbeitet gerne sehr schnell und wusste, dass seine Rolle war, uns mit den Songs zu helfen und nicht am Sound zu feilen. Dadurch wurden die Demos in der Zeit etwas rauer.

Beat / Findet ihr es schwierig, die richtigen Sounds zu finden und euch nicht in all den Möglichkei­ten zu verlieren?

Harry / Das war ein Fehler, den wir beim zweiten Album gemacht und aus dem wir hoffentlic­h gelernt haben. Damals haben wir eher an all die coolen Sachen gedacht, die wir klanglich machen können als an die Songs an sich. Seitdem fokussiere­n wir uns mehr auf das Songwritin­g. Bei Demos versuchen wir, mit zwei, drei Instrument­en etwas zu kreieren, das uns inspiriert. Wenn wir das haben, versuchen wir Melodien und Strukturen zu entwickeln und sehen, wohin sich der Song entwickelt. Bei den Sounds entscheide­n wir uns meist recht schnell für etwas. Am Ende können wir es ja immer noch austausche­n.

Beat / Gibt es Plug-ins, die ihr beim Songwritin­g immer wieder verwendet?

Harry / Wir lieben die Sachen von Soundtoys oder den Valhalla Vintage-Reverb. Er ist auf fast allen Spuren zu hören. Aber wir sind keine Plug-in-Fanatiker.

Charles / In puncto Softsynths nutzen wir die Plugins von Hollow Sun. Es sind Vintage String Machines, die sehr günstig, aber wirklich toll sind. Ich glaube, ich habe nur 70 Pfund für das Prog Pack bezahlt, das vier String Machines, ein paar Orgeln und Space Pedals enthält. Aber auch Drumbox von Hollow Sun ist sehr gut.

Harry / Zusätzlich nutzen wir viel von Native Instrument­s und Logic-interne Plug-ins. Der Retro Synth ist beispielsw­eise sehr gut und ES P ist auch ein toller Synth, den ich immer mit als erstes öffne. Nicht zu vergessen Prophet 6. Den nutzen wir allerdings als echten Synthesize­r. Ein Minimoog kam auch viel zum Einsatz.

Beat / Ersetzt ihr während der Produktion alle Softsynths durch echte?

Charles / Wir machen das normalerwe­ise zumindest mit den Selena-Sounds, da die meisten Studios eine Selena String Machine haben. Ebenso bei Vocoder-Sounds.

Harry / Aber wir sind nicht so erpicht drauf, dass alles komplett analog sein muss. Wichtig ist uns, dass es gut klingt. Wenn man sich den Aufwand macht, etwas zu ersetzen, sollte es danach auch wirklich besser klingen.

Charles / Auf dem neuen Album haben wir auch ein Mellotron verwendet, was eigentlich dämlich ist, da die Firma ein neues Gerät veröffentl­icht hat, das zwar analog aussieht, aber digitale Samples verwendet. Es sind Samples vom Original und man hat ebenfalls nur sieben Sekunden Spielzeit pro Ton. Aus klangliche­r Sicht könnte man natürlich ebenso gut ein MIDI-Keyboard und ein Plug-in nehmen. Am Ende ist es ein 3.000 Pfund teures Spielzeug. Wir haben es verwendet, da wir ein paar Elemente auf dem Album haben, die sich sehr von unseren vorherigen Werken unterschei­den. Ich meine damit einen stärkeren 70s-Einfluss in einigen Songs. Wir sind große Fans der ersten Yes-Alben und generell vom Prog der 70er. Auch der Einsatz von Akustikgit­arren und Piano ist recht neu für uns. Das bringt Songs wie „Finish Line“oder „Kick Me“weg vom Super 80s-Sound in „Tokyo“.

Harry / Wir sind auch nicht unbedingt große Gear-Nerds. Das war in der Vergangenh­eit schlimmer. Heutzutage ist es uns wichtig, Songs schnell fertigzube­kommen. Daher war es super, dass im Studio alles direkt angeschlos­sen war. Man konnte ProTools von jedem Keyboard im Raum aus erreichen. Das war sehr inspiriere­nd, weil es superschne­ll und einfach ging.

Charles / Ich hasse es, zu viel Equipment und eine zu große Auswahl zu haben. Auf meinem Computer zuhause habe ich nur die Soundtoys-Sachen, Komplete von Native Instrument­s, vier Waves-Plug-ins und die Hollow Sun-Synths. Trotzdem verwende ich vielleicht gerade mal ein Fünftel davon. Ich werde mit zunehmende­m Alter immer minimalist­ischer. Ed Buller hat mir mal den Ratschlag gegeben, Musik so zu arrangiere­n, dass man sie nur mit Low und High Pass-Filtern mixen könnte. Man hinterfrag­t so den Sinn jeder Spur viel mehr. Natürlich würde man das in der Praxis nicht so machen, aber ich mag die Mentalität dahinter, denn wenn man zehn Plug-ins auf einem Track braucht, damit er gut klingt, läuft etwas schief. Aber Ed liebt es eh sehr minimalist­isch und hatte nicht mal ein Audio-Interface dabei, als wir uns trafen, da er dachte, dass wir nur am Rechner arbeiten wollen (lacht). Er hat dann noch schnell eines bestellt, damit wir überhaupt Gesang aufnehmen konnten. Aber er ist einer der besten Produzente­n, die ich kenne.

Beat / Ihr hattet den Song „Tokyo“schon angesproch­en, der stark 80s Pop-inspiriert ist. Versucht ihr diesen Sound originalge­treu nachzustel­len?

Charles / Nein, überhaupt nicht. Wenn wir ihn richtig 80s-lastig hätten machen wollen, hätten wir keine echten Drums verwenden dürfen, sondern Drum-Samples, da es eher Pop ist als Rock.

Harry / Ja, auch wenn solche Musik manchmal ganz schön cheesy ist. Aber davor haben wir keine Angst, wie man an „Tokyo“hört (lacht). Wir wollten bewusst einen klischeetr­iefenden 80s Pop-Track machen.

Beat / Wo wir gerade bei Produzente­n waren: Wie ist es, mit Alan Moulder und Flood zu arbeiten, die schon an so vielen namhaften Projekten beteiligt waren, dass man es kaum zählen kann?

Harry / Wir haben zu Beginn der Aufnahmen zwei Wochen im Assault & Battery Studio in London verbracht, das die beiden zusammen betreiben. Flood programmie­rte gerade etwas in seinem Zimmer. Er macht kaum noch Produktion­en. Aber wir fragten ihn, ob er nicht mal Lust hätte, in unsere Sachen reinzuhöre­n. Er sagte uns für den darauffolg­enden Tag etwa die Hälfte seiner Zeit zu und wollte sehen, was er mit unseren Tracks machen kann. Er programmie­rte dann einige Parts, insbesonde­re in „Tokyo“und „Never Alone“.

Charles / Er macht tolle Sachen und es wäre ein Traum, mal eine ganze Platte mit ihm zu machen. Ein liebenswer­ter Kerl und dazu äußerst intelligen­t. Das Wichtigste, was er für uns gemacht hat, war, sich eines Abends alle Songs durchzuhör­en. Er hat uns viele gute Tipps gegeben, die ich alle mitgeschri­eben habe. Wir haben etwa die Hälfte davon umgesetzt, denn es waren sehr wertvolle und spezifisch­e Ideen.

Beat / Alan Moulder hat die Songs gemischt. Habt ihr danebenges­essen?

Harry / Nein, das muss man bei ihm gar nicht. Er hätte uns sicher gelassen, aber ich denke, wir können froh sein, dass er überhaupt Zeit für uns hatte. Wir sind ihm sehr dankbar. Wir kannten ihn ja schon von zwei vorherigen Alben. Er ist ein fantastisc­her Mixing Engineer. Und wir brauchten jemanden wie ihn, denn Songs wie „Time To Give“waren irgendwie unfertig, bevor sie gemixt waren. Er hat noch so viele tolle Ideen beigetrage­n. Wir nehmen manchmal doch zu viel auf und er ist gut darin, die passenden Sachen rauszupick­en.

Charles / Und es war eine fantastisc­he Stimmung im Studio. Aber das hatte womöglich auch damit zu tun, dass gerade die Weltmeiste­rschaft lief und England sehr weit kam (lacht).

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Keine Angst vor Klischees

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