Porträt: Ladytron
Die Liverpooler Ladytron haben sich nach dem 2011er-Album „Gravity
The Seducer“rar gemacht. Doch wie heißt es so schön? Das Warten hat sich gelohnt, denn die am 15. Februar erscheinende Comeback-Scheibe „Ladytron“ist ein echtes Electro-Pop-Kleinod mit bezaubernden Melodien und anspruchsvollen Elektronik-Arrangements. Wir werden in der nächsten Ausgabe hinter die Kulissen der Produktion blicken.
Ursprünglich aus Liverpool kommend, leben die vier Mitglieder von Ladytron mittlerweile über den halben Globus verteilt. Auch daran lag es, dass zwischen dem 2011er-Album „Gravity The Seducer“und dem dieser Tage erscheinenden Nachfolger „Ladytron“siebeneinhalb Jahre liegen. Der Qualität hat es indes nicht geschadet, denn die Briten liefern einmal mehr exquisit produzierten, anspruchsvollen Electro-Pop mit süchtig machenden Melodien. Wir unterhielten uns mit Keyboarder Daniel Hunt und Sängerin Helen Marnie über das selbstbetitelte neue Werk, das zweifelsohne ein künstlerisches Statement ist.
Beat / Stand die Existenz der Band nach „Gravity The Seducer“jemals infrage? War die lange Pause beabsichtigt?
Helen / Wir hatten schon vor, eine Pause einzulegen, da wir von 2001 bis 2011 fast ununterbrochen mit Aufnahmen und Touren beschäftigt waren. Aber es war nicht geplant, dass die Pause so lange dauert. Ursprünglich dachten wir an zwei bis drei Jahre.
Beat / Und woran lag es, dass es länger dauerte? Wann seid ihr wieder zusammengekommen, um an einem neuen Album zu arbeiten?
Daniel / Wir haben seit 2013 regelmäßig über neues Material gesprochen. Aber es fanden große Veränderungen statt in verschiedenen Aspekten unseres Lebens wie Familien, Wohnsituationen oder anderen musikalischen Projekten. Es gab diverse Kollaborationen mit anderen Künstlern, Solo-Material, Soundtracks und so weiter. Die Zeit war erst im Juni 2016 wieder reif. Als wir mit der Arbeit an neuen Songs begonnen hatten, betrug die Pause nur fünf Jahre.
Beat / Der Albumtitel „Ladytron“kann als Statement verstanden werden. Stellt dieses Album für euch die Essenz der Band dar?
Daniel / Ein gleichnamiges Album kann dein erstes sein oder eines, das irgendwie wichtiger
ist als die anderen. In diesem Fall fühlten wir uns nach so langer Pause in der Lage, gewissermaßen den Reset-Button zu drücken. Es folgt nicht derselben Marschroute wie die fünf Alben zuvor, sondern steht für sich. Es gab verschiedene Gründe, es so zu betiteln. Aber wir mussten nicht wirklich darüber nachdenken.
Arbeit über die Distanz
Beat / Eure Musik klingt erneut sehr aufwendig und es gibt viele Details, deren Produktion sicher unzählige Stunden in Anspruch nahm. War es ein langer Prozess mit vielen Höhen und Tiefen?
Daniel / Wir haben zwei Jahre lang unabhängig voneinander gearbeitet, geschrieben und produziert, sind über Kontinente hin und her gereist und haben dann einen Monat im Studio in England verbracht, um die Produktion abzuschließen. Aber es war kein schwieriger Prozess, selbst nach einer solch langen Pause.
Beat / Das Besondere an Ladytron sind die eingängigen, poporientierten Melodien in Kombination mit Arrangements, die weit mehr bieten als typische Popmusik. Versucht ihr bewusst, etwas Anspruchsvolles zu erschaffen?
Daniel / Unsere Art zu arbeiten ist viel instinktiver. Ich denke, der Unterschied ist ein philosophischer. Viele gehen davon aus, man schreibt Musik so, dass man etwas hört und dann bewusst versucht es nachzubilden. Gerade in der heutigen algorithmischen Zeit gibt es eine industrielle Massenproduktion von Musik, wo auch tatsächlich vieles gleich klingen soll. Wir haben natürlich auch so unsere Einflüsse, doch auf diese Weise haben wir noch nie Musik gemacht. Ich denke, der Schlüssel ist, die eigenen Instinkte freizusetzen und zu versuchen, den Prozess nicht zu überdenken. Das Resultat zu hören, bevor man es infrage stellt.
Beat / Wie sah der Songwriting-Prozess denn konkret aus?
Helen / Genauso wie wir immer gearbeitet haben. Einige von uns kommen mit kompletten Songs, andere mit Tracks, die noch keinen Gesang haben. Die fügt dann jemand anderes hinzu. Wir arbeiten aus der Ferne zusammen, treffen uns immer mal wieder zu Recording-Sessions und stellen das Album dann am Ende bei einem intensiven Studioaufenthalt fertig.
Beat / Wie kann man sich eure Arbeitsumgebungen vorstellen? Habt ihr jeweils eigene Projektstudios?
Daniel / Ja, wir haben alle unsere eigenen Studio-Setups. Meines ist jetzt in São Paulo, wo ich wohne. Ein kleiner Raum mit all meinen alten Vinyls und der Ausrüstung, die ich brauche.
Beat / Mit welchem Equipment arbeitest du beim Songwriting am liebsten?
Daniel / Die DAW hängt ganz davon ab, was ich gerade mache. Am Ende landet bei uns immer alles in Pro-Tools, aber die Komposition findet oft in Cubase statt.
Beat / Im Studio habt ihr wieder mit dem Produzenten Jim Abbiss zusammengearbeitet. Wie würdet ihr seinen Einfluss auf die Musik beschreiben?
Daniel / Wir arbeiten schon lange mit Jim zusammen. Die ersten Tracks haben wir 2002 mit ihm gemacht. Später produzierte er unser drittes Album, „Witching Hour“. Er ist ein guter Freund von mir und ich habe viel von ihm gelernt.
Electro-Pop mit Metal-Drummer
Beat / Im Studio zu Gast war der ehemalige SepulturaDrummer Iggor Cavalera. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Daniel / Ich kenne Iggor seit 2006, er ist ebenfalls ein guter Freund von mir. Er lebt jetzt in
London. Wir haben bereits zusammen an einigen anderen Projekten gearbeitet und ich habe ihn daher gebeten, bei einigen Tracks auf diesem Album unser Gast zu sein.
Beat / Iggor ist vor allem als Metal-Drummer bekannt. Wie passte das zusammen?
Daniel / Er kam ins Studio und experimentierte zu den Tracks, die bereits vorhanden waren – Polyrhythmen und andere Ansätze. Er ist hauptsächlich als Metal-Schlagzeuger bekannt, ja, und ich denke, er ist einer der besten der Welt. Aber er ist auch viel mit elektronischer Musik beschäftigt, zum Beispiel hat er zusammen mit Laima Leyton das Projekt Mixhell und spielt auch bei Soulwax.
Beat / Oft ist es schwierig, bei euch den Unterschied zwischen organischen Drums und programmierten Elementen zu erkennen ...
Daniel / Normalerweise ist es eine Kombination aus beidem. Selten verwenden wir ausschließlich programmierte Drums. Es gibt bestimmte Signature-Sounds, die wir häufig verwenden, wie zum Beispiel das Claptrap. Wir haben bei alten Drum Machines keinen puristischen Ansatz. Wenn es gut klingt, ist es richtig.
Beat / Euer Sound ist stark Synth-basiert. Welche Synthies haben den Sound des Albums geprägt?
Daniel / Alle unsere alten Favoriten sind immer noch da, ob Pro One, Juno 6, SH-2, Crumar Stratus oder MS-20. Aber wir haben auch eine Reihe neuer Geräte von Analogue Solutions bekommen, mit denen wir Spaß hatten.
Beat / Der Sound ist warm und klingt irgendwie analog. Dies ist heutzutage jedoch auch mit Soft-Synthies möglich. Arbeitet ihr lieber mit analogen oder digitalen Klangerzeugern?
Helen / Analog macht immer mehr Spaß, aber wenn wir am Strand sind und an neuer Musik arbeiten möchten, verwenden wir natürlich auch Software-Synthesizer (lacht).
Beat / Heutzutage gibt es Millionen an Presets. Ist die Verwendung eines Presets, das gut klingt, eine Option für euch oder programmiert ihr ausschließlich eigene Sounds?
Daniel / Das hängt immer davon ab. Wenn es einen bestimmten alten Sound gibt, den wir unbedingt wollen, und er in einem Preset zu finden ist, warum nicht!? Wir vermeiden jedoch die Produktion von Preset-basierter Musik. Obwohl das manchmal auch klappt.
Beat / Versucht ihr, auf jedem Album mit neuen Klangfarben zu arbeiten, oder gibt es typische Ladytron-Sounds, die immer wieder zum Einsatz kommen?
Daniel / Wir führen immer wieder neue Sounds ein, aber es gibt eine sich stetig weiter entwickelnde Palette, auf die wir zurückgreifen. Wir wissen instinktiv, wann wir einen bestimmten Klang oder bestimmte Bearbeitungen brauchen.
Gesangs-Editing
Beat / Die Vocals klingen stark bearbeitet. Was benutzt ihr für den Gesang, um ihn nach Ladytron klingen zu lassen?
Daniel / Auf dieser Platte haben wir das EchoplexPedal eine Menge verwendet. Es gab langsam seinen Geist auf, sodass wir einige interessante Modulationen und Artefakte erzeugen konnten. In den letzten Tagen des Mixes ging es dann endgültig kaputt. Armes Ding.
Beat / Wie steht ihr zur Verwendung von Melodyne oder Autotune? Muss bei euch alles „ perfekt“sein?
Daniel / Wir benutzen sie durchaus. Die Kunst besteht allerdings darin, sie unmerklich einzusetzen. Die Ästhetik von Autotune ist eigentlich überhaupt nicht ansprechend. Geschmack ist natürlich der Feind der Kunst, aber für mich bildet das eine Ausnahme. Ich hätte mir nie erträumt, dass diese Debatte 20 Jahre nach Chers „Believe“immer noch weitergehen würde. In welcher Zeit leben wir eigentlich?!
Beat / Wie sieht euer Live-Setup aus? Habt ihr unterschiedliche – größere und kleinere – Setups für Shows, je nachdem, ob ihr fliegen müsst oder nicht?
Daniel / Wir haben eine 6-köpfige Band. Eine audiovisuelle Show ist bei uns mittlerweile unabdingbar. Wir haben in der Vergangenheit immer mal vereinzelt Projektionen eingesetzt, aber dies ist das erste Mal, dass wir sie konsequent in die Show einbauen. Wir haben aber keine verschiedenen Setups, da eh nur noch zwei Bandmitglieder in Großbritannien leben.
Beat / In der Vergangenheit wart ihr unter anderem Opener auf Touren von Björk oder Nine Inch Nails. Gab es etwas, das ihr von diesen Konzertreisen mitnehmen konntet?
Daniel / Wir waren seinerzeit bereits sehr erfahren, denn wir hatten zu der Zeit, als wir mit ihnen gespielt haben, selbst bereits zwei oder drei Weltreisen unternommen. Daher bin ich mir nicht sicher, ob wir wirklich etwas Neues gelernt haben. Es ist jedoch ein anderes Gefühl, Teil der Show eines anderen zu sein. Man befindet sich gewissermaßen in dessen Umlaufbahn. In beiden Fällen wurden wir jedoch vom Künstler selbst eingeladen. Es ist also etwas anders. Vor den NIN-Shows wurden wir gewarnt, dass die Zuschauer sehr feindselig werden können. Das war aber nicht der Fall und wir konnten während dieser Tour neues Publikum zu gewinnen.
Beat / Was ist für die Zukunft geplant? Müssen wir wieder fast acht Jahre auf ein neues Album warten?
Helen / Es kommt auf jeden Fall früher. Aber erstmal müssen wir dafür sorgen, dass das aktuelle möglicht viel gehört wird.