Filesharing – Label, Artist, Rezis
Apparat: LP5
Seit den letzten Apparat-Platten „The Devil‘s Walk“(2011) und „Krieg und Frieden (Music For Theatre)“(2013) ist viel Wasser die Spree heruntergeflossen und Sascha Ring hat mit Moderat große Erfolge gefeiert. Doch nun war wieder Zeit für die „eigentlichen“Projekte der Beteiligten und etwa zeitgleich zur neuen Modeselektor-Scheibe legt auch Ring ein weiteres Apparat-Album vor. Das simpel „LP5“betitelte Fünftwerk erweist sich als äußerst vielschichtige Angelegenheit ohne roten Faden, aber auf hohem Niveau. Seine Techno-Vergangenheit hat er wohl endgültig hinter sich gelassen. Stattdessen gibt es elektronische Collagen, Experimentelles, viele akustische Instrumente, einige poppig-eingängige Chorusse, Soundtrack-Reminiszenzen und immer wieder unerwartete Wendungen. Schwer zu sagen, wo nun das Zielpublikum für „LP5“liegt, aber vermutlich sind Apparat über solch banale Fragen eh längst hinausgewachsen.
Genre: Electro, Akustik, Pop | Label: Mute/PIAS
Chai Khat: Hail Satin
Humor scheinen sie ja zu haben, wie der Albumtitel und die albernen Bandfotos andeuten. Ihr Musik nehmen Chai Khat aus dem Ruhrgebiet und Berlin aber augenscheinlich sehr ernst, denn solch ein hochwertiges Album wie „Hail Satin“macht man nicht mal eben nebenbei. Die vier Musiker vereinen Elemente aus New Wave, Synth-Pop und Post-Punk und lassen sich von alten 80er-Helden wie OMD, Simple Minds oder New Order inspirieren. Eine gewisse Ähnlichkeit zu White Lies, die sich ebenfalls auf diese Zeit berufen, ist auch nicht zu verleugnen. Die Stücke vereinen weite Synthie-Flächen mit einer organischen Rock-Instrumentierung und strotzen nur so vor schönen Melodien, tiefer Melancholie und viel Gefühl. Auch der eher tiefe Gesang weiß zu gefallen. Wenn die Musikwelt gerecht ist, wird man von dieser Band noch viel hören!
Genre: New Wave | Label: Flat Field Records
Daniel Thorn: Lines Of Sight
Mit „Lines Of Sight“tritt der in Liverpool lebende Australier Daniel Thorn, der ansonsten beim Immix Ensemble aktiv ist, erstmals als Solomusiker in Erscheinung. Zu hören sind sechs instrumentale Kompositionen, die Synthesizer-Elemente und Saxofonspiel vereinen. Dabei fußt vieles auf mathematischen Berechnungen, Improvisationen und der Limitierung auf vier Spuren pro Song. Das Album kommt komplett ohne Beats aus und fällt eher in die Riege avantgardistischer Musik, denn wenn Thorn die Dissonanzen ausreizt, greifen zartbesaitete Hörer sicher schnell zur Stop-Taste. Doch lässt man sich ein auf diesen etwas eigenwilligen Klangkosmos zwischen Ambient, Jazz und Electronica, erwartet einen eine pulsierende, im steten Wandel begriffene Welt, die auf sonderbare Art lebendig ist und durchaus eine gewisse Nähe zu Klassik und Neuer Musik aufweist.
Genre: Avantgarde | Label: Erased Tapes
Guts: Philantropiques
Der Franzose Guts startete einst als Hip-Hop-Produzent, doch auf seinem sechsten Album „Philantropiques“ist davon nichts mehr übrig. Zu hören ist eine Mixtur aus Afro-Tropical, Reggae und Weltmusik. Das Album klingt derart heiter und sommerlich, dass man glauben mag, es hätte im Studio jemand die Sonne tief in den Songs konserviert. Eigentlich hatte Guts vor, wieder eine reduzierte Hip-Hop-Solo-Platte machen, doch am Ende kam es anders und er wollte lieber radikal mit seiner Vergangenheit brechen und etwas Neues versuchen. Mal wieder. Weder Hip-Hop noch Electro-Funk oder Space-Jazz spielen daher in diesen Sound mit rein. Stattdessen denkt man eher an den Soundtrack zu „Buena Vista Social Club“und andere südamerikanisch oder afrikanisch geprägte Musik. Der 14-Tracker macht Spaß, klingt leichtfüßig und mitreißend. Der Sommer kann kommen!
Genre: Afro-Tropical | Label: Heavenly Sweetness/Broken Silence
Jean-Marc Lederman Experience: 13 Ghost Stories
Eine interessante Prämisse war Ausgangspunkt für dieses Album. Jean-Marc Lederman fragte seine Kollaborateure, wie sie machen würden, wenn sie nach dem Tod für einen Tag als Geist auf die Erde zurückkehren könnten. Die Sänger/ innen beantworteten diese Frage musikalisch und lieferten unterschiedlichste Ideen. Lederman, der sich durch sein Mitwirken bei Ghost & Writer, The Weathermen oder Fad Gadget einen Namen gemacht hat, liefert die Musik dazu, die sich überwiegend in sanften Synth Popund Ambient-Gefilden bewegt und den Gästen viel Platz lässt. Dabei sind Elena Alice Fossi (Kirlian Camera, Spectra*Paris), Mark Hockings (Mesh), Rascal Nikov (Rotersand), Darrin Huss (Psyche) oder JP Aston (Jene Loves Jezebel). Insgesamt 13 Sänger/innen aus zehn Ländern. Aber Nationalitäten spielen in der Geisterwelt vermutlich eh keine Rolle.
Genre: Electro | Label: Dependent
KÁRYYN:T he QuantaSeri es
Die syrisch- armenisch-amerikanische Komponist in undSäng er inKÁRYYN verarbeitet in diesem Liederzyklus den Tod zahlreicher ihr nahestehender Menschen und arbeitete an den Stücken zunächst im Cherry Valley im Hinterland des Bundesstaates New York und später in Berlin, eh sie in ihre Heimatstadt Los Angeles zurückkehrte. Sie schrieb diese Musik, um ihrem Leben wieder Sinn zu geben und glaubte anfangs nicht, dass sich überhaupt jemand dafür interessieren würde. Neben Liebe und Trauer spielt inhaltlich auch die Quantenphysik eine große Rolle. Auf diesem Album erscheinen alle Stücke der Serie nun versammelt. Es klingt wie ein musikalischer Ausflug in eine ätherische Anderswelt. Schwerelos, verträumt und entrückt. Stilistische Mittel sind experimentelle Elektronik und die elfenhafte Stimme der Sängerin, die auch ein bisschen björkisch klingt.
Genre: Ambient, Electronica | Label: Mute/PIAS
Kompromat: Traum und Existenz
Hinter Kompromat steckt der französische Techno-Produzent Vitalic, der sich mit seinen beiden Platten „OK Cowboy“und „Flashmob“in Insider-Kreisen einen Namen gemacht hat und auch schon große Namen wie Björk oder Daft Punk durch den Remix-Fleischwolf jagen durfte. Für Kompromat hat er sich mit der französischen Sängerin Julia Lanoe zusammengetan. Lanoe, die beim Electroclash-Duo Sexy Sushi als Rebeka Warrior firmiert, besorgt hier den lasziven, kindlich-naiven Sprechgesang auf Deutsch mit starkem Akzent. Als Basis dienen ihr old-schoolige Tracks, die Retro-Techno, 80s-Post-Punk und Minimal Electro vereinen. Die daraus entstandene Mischung ist düster, aus der Zeit gefallen, schräg angehaucht und im positiven Sinne ganz eigensinnig. Könnte in den Clubs durchaus der nächste heiße Scheiß sein.
Genre: Electroclash | Label: Clivage Music/!K7
Lamb: The Secret Of Letting Go
Insbesondere in den späten 90ern und frühen 2000ern waren Lamb einer der erfolgreichsten britischen Exporte im Bereich Trip-Hop. Und wenngleich die Abstände zwischen den Veröffentlichungen im neuen Jahrtausend deutlich größer wurden, ist das Duo aus Manchester immer noch bzw. wieder aktiv und liefert schöne Alben, die sich nicht allzu weit von ihren Wurzeln entfernen. Auch auf „The Secret Of Letting Go“gibt es einen gefälligen Mix aus Trip-Hop, Electronica, ein paar Drum’n’Bass-Fragmente, Balladeskes und Pop, der durch den samtweichen Gesang von Louise Rhodes getragen wird. Spannend klingen gelegentliche orientalische und arabische Einflüsse in Songs wie „Armageddon Waits“oder Jazz-Nuancen in „Deep Delerium“. Prima Album!
Genre: Trip-Hop | Label: Cooking Vinyl
UNKLE: The Road: Part II/Lost Highway
Es scheint, einen Mangel an Kreativität scheint es bei UNKLE nicht zu geben. Als Nachfolger des 2017er-Werks „The Road: Part 1“liefert das britische Ein-Mann-Projekt erneut ein Doppelalbum in zwei Akten – und was für eines! James Lavelle lud allerlei Gastmusiker ins Studio und schuf ein ebenso vielschichtiges wie anspruchsvolles Werk, das nicht selten wie ein großer Soundtrack klingt. Allein die Liste der Gäste würde den Rahmen dieser Rezi sprengen. Dabei sind unter anderem Mick Jones (The Clash), Tom Smith (Editors), Mark Lanegan oder Jon Theodore (Queens Of The Stone Age). Musikalisch geht es quer durch Genres wie Electronica, Pop, Symphonic und Art-Rock, sodass beispielsweise auch Hörer von Archive oder Jon Hopkins hier auf den Geschmack kommen könnten. Zeitweise geben sie die Gastsänger/innen am Mikro die Klinke in die Hand, teils bleibt die Musik instrumental. Dabei ist alles phänomenal gut produziert. Eine spannende Entdeckungsreise, für die man sich Zeit nehmen sollte.
Genre: Electronica, Alternative | Label: Songs For The Def/The Orchard/Membran
V.A.: The Time Released Sound Around The World Ambient Program
Diese Sammlung von Ambient und Space Music wurde von Wolfgang Röttger, der letztes Jahr mit seinem Morgen Wurde-Album „Als je zuvor“an dieser Stelle vertreten war, für das Label Time Released Sound aus San Francisco zusammengestellt. Darauf zu hören sind die persönlichen Genre-Highlights des Musikers aus den letzten etwa zwanzig Jahren, denen so noch etwas Aufmerksamkeit zukommen soll. Darunter sind Tracks von Projekten wie Purl, Logic Noon, Mind Over MIDI, Ruxpin und Benoit Pioulard. Allesamt späherische Nummern mit ausladenden Synth-Pads, teils mit Piano, teils orchestralen Elementen und anderen Spielereien. Sicher eher etwas für eine kleine Insider-Szene, aber diese darf sich über eine harmonische Compilation freuen, die es bei Bandcamp als Download gibt.
Genre: Ambient | Label: Time Released Sound