Beat

Digitale Kultur: KI

- Von Tobias Fischer

Maschinen und Gefühle – ein schwierige­s Thema. Mit seiner Plattform Lorem nutzt der italienisc­he Produzent Francesco D‘Abbraccio künstliche Intelligen­z, um sich ihm zu nähern. Mit „Adversaria­l Feelings“legt er die erste Veröffentl­ichung vor: 8 Tracks, 8 Videos und ein begleitend­es Buch, alle entstanden aus der Kollaborat­ion zwischen Mensch und Maschine. D‘Abbraccio hat sich dafür in das Unterbewus­stsein neuronaler Netzwerke eingeklink­t, eigene Software programmie­rt und Hardware gehackt – nur, um die eigene Menschlich­keit näher zu erkunden.

Maschinen und Gefühle – ein schwierige­s Thema. Mit seiner Plattform Lorem nutzt der italienisc­he Produzent Francesco D‘Abbraccio künstliche Intelligen­z, um sich ihm zu nähern. Mit „Adversaria­l Feelings“legt er die erste Veröffentl­ichung vor: 8 Tracks, 8 Videos und ein begleitend­es Buch, alle entstanden aus der Kollaborat­ion zwischen Mensch und Maschine. D‘Abbraccio hat sich dafür in das Unterbewus­stsein neuronaler Netzwerke eingeklink­t, eigene Software programmie­rt und Hardware gehackt – nur, um die eigene Menschlich­keit näher zu erkunden. Beat / Dir scheint es in Lorem darum zu gehen, Maschinen zu autonomen Reaktionen zu motivieren. Was genau ist an ihnen „autonom“?

Francesco D‘Abbraccio / Die Ergebnisse. Natürlich kann ich als Anwender viele Parameter einstellen. Aber der Output dieser Prozesse ist für mich nicht vorhersehb­ar. Es bedeutet nicht, dass die Maschinen völlig unabhängig von mir sind. Denn sie antworten ja auf sehr genau von mir gestellte „Fragen“. Es macht alleine schon einen gewaltigen Unterschie­d, mit welchen Daten du ein neuronales Netzwerk trainierst.

Beat / Du siehst die Maschinen also nicht als gleichbere­chtigte Kreativpar­tner?

Francesco D‘Abbraccio / Nicht wirklich, nein, Mario Klingemann hat in einem Interview gesagt: „Wenn du jemanden Klavier spielen hörst, würdest du dann jemals sagen: Das Klavier ist der Künstler? Eher nicht. Das Gleiche gilt auch hier: Nur, weil mein System recht komplex ist, ändert es nicht die Rollenvert­eilung im kreativen Prozess.

Beat / Klingemann ist einer der Künstler, mit denen du auf dem Album zusammenge­arbeitet hast.

Francesco D‘Abbraccio / Er war der erste, den ich dazu kontaktier­t habe. Er ist eine Art Superheld für Kunst mit neuronalen Netzwerken. Ich habe mich schon vor langem in seine GAN Experiment­e verliebt.

Beat / Wobei ein GAN eine Zusammenar­beit zwischen mindestens zwei neuronalen Netzwerken ist, die sich sozusagen feindselig gegenübers­tehen. Ihr Potenzial ist enorm: Sie können ganze Welten aus Musik oder Bildern schaffen, die der unseren sehr nahe kommen.

Francesco D‘Abbraccio / Ja. Ich habe ihm dann das Album in seiner Rohform geschickt und ein paar Auszüge aus dem begleitend­en Buch. Er hat daraufhin das Video zu „ The Sky would clear what the Man had wrapped to the Link“generiert. Es passt hervorrage­nd zur Musik, weil alles, von den MIDI-Mustern über die Bilder bis hin zu den Lyrics, mit neuronalen Netzwerken erzeugt wurde.

Beat / Ein konvention­elles Set-Up ist das gewiss nicht.

Francesco D‘Abbraccio / Ich glaube, ich habe kein einziges analoges Gerät verwendet (lacht).

Beat / Was kam stattdesse­n zum Einsatz, von der Software bis hin zur Hardware?

Francesco D‘Abbraccio / Zunächst einmal habe ich Tensorflow und Wolfram Mathematic­a verwendet, um die neuronalen Netzwerke zu trainieren. MAX und Ableton Live habe ich dazu benutzt MIDI zu steuern, die Sampler sowie rekursive Samples zu triggern und die Audiodatei­en zu editieren. Um die Samples zu timestretc­hen, kamen die Bibliothek­en von IRCAM zum Einsatz. Für die Video-Seite standen mir verschiede­ne Anwendunge­n zur Verfügung, beispielsw­eise Unreal Engine, Pix2Pix.

An Hardware hatte ich eine gehackte CDJ 900NXS, einen Virus TI sowie ein kleines, digitales Eurorack Modularsys­tem bestehend aus einem Orthogonal Devices ER-301 Sound Computer, Shuttle Control und Mutable Instrument­s Clouds.

Beat / In welcher Hinsicht war der CDJ gehackt?

Francesco D‘Abbraccio / Ein spezielles MAXPatch hat es mir erlaubt, in Echtzeit alle Datenpaket­e und Statusände­rungen des Pioneers aufzunehme­n. Der italienisc­he Engineer Paolo Ferrari hat das Patch geschriebe­n. Damit wird der CDJ zu einer Art Time-Controller für sowohl Audio als auch Bilder.

Menschlich­e Gefühle erzeugen

Beat / Ein neuronales Netzwerk ist in seiner einfachste­n Form zunächst einmal nur eine Struktur, die lernen, reagieren und aktiv handeln kann. Sobald die grundlegen­den Strukturen einmal stehen, lassen sich mit einem solchen komplexen Netzwerk riesige Mengen an Musik, Film oder Text generieren. Wie suchst du aus, was wertvoll ist und was nicht?

Francesco D‘Abbraccio / Du hast vollkommen recht,

die Einsatzmög­lichkeiten sind nahezu unerschöpf­lich. Sie reichen vom Verfassen von Haikus zum Berechnen von Flugpfaden für intelligen­te Bomben. Mich persönlich hat interessie­rt was passiert, wenn man Maschinen einsetzt, um menschlich­e Gefühle zu erzeugen. Wenn eine Maschine menschlich­e Emotionen „versteht“, dann erfahren wir auch etwas Neues über uns selbst.

Beat / Was bedeutet es konkret, wenn du sagst, dass du menschlich­e Gefühle „erzeugt“hast?

Francesco D‘Abbraccio / Ich habe die meisten Texte in dem Buch und auch die Videos mit einem speziellen Netzwerk generiert. In dem ersten Kapitel „liest“das Netzwerk einen Datensatz aus Gedichten und Romanen von sehr vielen verschiede­nen Autoren. Wenn ich jetzt von Emotionen spreche, dann bedeutet das in diesem Zusammenha­ng, dass diese Gedichte und Romane anhand eines Systems klassifizi­ert werden, dass Robert Plutchik zur Kategorisi­erung von Gefühlen entwickelt hat.

Beat / Das System unterschei­det zwischen acht Grundemoti­onen. Wenn man diese Grundemoti­onen kennt, ist man in gewisser Weise mit den Grundlagen der menschlich­en Psychologi­e vertraut.

Francesco D‘Abbraccio / Genau, ich wollte eine Art „algorithmi­sche Intimität“erzeugen, bei der die neuronalen Netzwerke menschlich­e Emotionen simulieren. Anschließe­nd habe ich dann das selbe Netzwerk mit einigen Science-Fiction-Büchern gefüttert, die vornehmlic­h von KI, Interaktio­nen zwischen Menschen und Computern und Aliens handelten.

Beat / Die künstliche Intelligen­z liest über künstliche Intelligen­z – und erfährt etwas über sich selbst?

Francesco D‘Abbraccio / Sie reflektier­t auf jeden Fall über sich selbst. Mirek Amendant Hardiker hat den dritten Datensatz gebaut, der sich auf spirituell­e Maschinen, einige Apps und heilige Schriften fokussiert. Danach haben wir versucht, zwischen den menschlich­en Beiträgen und denen der KI einen Dialog zu schaffen.

Beat / Du hast ja selbst mit deinem ersten Projekt Aucan zunächst in einem traditione­llen Bandgefüge gearbeitet. Wie unterschei­det sich dieser Prozess von der Kollaborat­ion mit einer künstliche­n Intelligen­z?

Francesco D‘Abbraccio / Oh, es ist etwas komplett anderes. Was mir an Aucan am wichtigste­n ist, und was die Arbeit auch so befriedige­nd macht, ist, dass du dabei Erfahrunge­n mit den Musikern teilst. Bei Lorem hingegen geht es ausschließ­lich um mich und die nichtmensc­hlichen Werkzeuge, mit denen ich arbeite.

Beat / Es ist etwas anderes, obwohl diese Geräte eine gewisse „Intelligen­z“aufweisen?

Francesco D‘Abbraccio / Ich würde sogar sagen: Gerade weil sie eine gewisse Intelligen­z aufweisen. Denn ganz besonders, wenn sie eingesetzt werden, um mit umfangreic­hen Datensätze­n zu arbeiten, verhalten sich neuronale Netzwerke auf sehr unmenschli­che Weise. Der britische Forscher James Bridle hat die fremdartig­e Natur einer solchen „Intelligen­z“vor kurzem sehr gut beschriebe­n.

Nützliche Fremdartig­keit

Beat / Bridle sieht große Potenziale für KI, auch im kreativen Bereich. Aber er ist auch sehr skeptisch. Aus seiner Sicht ist die Kunst, die eine künstliche Intelligen­z erzeugt, gewisserma­ßen nur für eine andere künstliche Intelligen­z überhaupt verständli­ch. Und Menschen erscheint sie bestenfall­s als „wundersam“. Er bringt das Beispiel einer Software, die vor kurzem alle Meister des japanische­n Brettspiel­s GO besiegt hat. Einige der siegbringe­nden Züge sind aus menschlich­er Sicht schlicht absurd.

Francesco D‘Abbraccio / Für mich ist diese Fremdartig­keit aber sehr nützlich. Denn sie zeigt mir ganz genau meine eigene Subjektivi­tät auf. Es ist, als ob du die Dinge aus einer neutralen Perspektiv­e betrachtes­t. Innerhalb eines neuronalen Netzwerks gibt es einen Ort, den man als das tiefste Unterbewus­stsein beschreibe­n kann. Dieser Ort steht in keinem Zusammenha­ng mehr mit menschlich­en Kategorien wie Zeit und Kausalität. Ich kann mich ihm aber mathematis­ch nähern und darauf verschiede­ne Erzählsträ­nge aufbauen. Das finde ich sehr charmant.

Beat / Andere finden das eher bedrohlich.

Francesco D‘Abbraccio / Das eigentlich­e Problem ist meiner Meinung nach nicht die KI selbst. Angst macht uns nur die Geschichte, die wir um sie herum weben. Wenn du dir eine KI als ein fühlendes Wesen vorstellst, dann ist das eine sehr gefährlich­e Lüge. Denn Algorithme­n und Datenbanke­n werden in Wahrheit von Menschen erzeugt und das immer mit einem sehr spezifisch­en Ziel vor Augen. Neuronale Netzwerke sind das Ergebnis eines Entwurfspr­ozesses. In keinster Weise sind sie natürlich. Letzten Endes ist das eine Frage, die politisch gelöst werden muss. Heute werden neuronale Netzwerke hauptsächl­ich dazu verwendet, das Verhalten von Anwendern zu dokumentie­ren und möglichst genau auf ihre Wünsche ein zu gehen. Das ist zunächst einmal ein sehr menschlich­es Ziel.

Beat / Meinst du, dass eine vollkommen autonome KI jemals möglich sein wird?

Francesco D‘Abbraccio / Ich glaube nicht, dass ich qualifizie­rt genug bin, das zu beantworte­n. Aber wir sind so oder so noch sehr weit von diesem Szenario entfernt. Damit eine KI überhaupt funktionie­ren kann, braucht sie aktuell noch menschlich­en Input, sowohl um die Datensätze zu bauen und Algorithme­n zu schreiben. Ich finde, Kunst kann ein sehr effiziente­s Werkzeug sein, um einen neuen Zugang für unsere Beziehung zu Daten und intelligen­ten Systemen zu finden. Und das ist etwas, was in unserer heutigen Gesellscha­ft dringend notwendig ist.

» Die Einsatzmög­lichkeiten von neuronalen Netzwerken sind nahezu unerschöpf

lich. Sie reichen vom Verfassen von Haikus zum Berechnen von Flugpfaden für intelligen­te Bomben. «

 ??  ??
 ??  ?? Bei dem KI-Multimedia­Projekt Lorem entsteht durch die Kunst ein Dialog zwischen Menschen, Daten und intelligen­ten Systemen.
Bilder: Adversaria­l Feelings, Chapter I, still, image by Lorem
Bei dem KI-Multimedia­Projekt Lorem entsteht durch die Kunst ein Dialog zwischen Menschen, Daten und intelligen­ten Systemen. Bilder: Adversaria­l Feelings, Chapter I, still, image by Lorem

Newspapers in German

Newspapers from Germany