Ich versuche immer spontan zu sein und es ist für mich kein gutes Zeichen, wenn man ewig an einem Track sitzt.
mir beginnt ein Track meist mit einer Melodie, die ich mit sehr einfachen Sounds umsetze. Erst danach kommt die Ausgestaltung von möglichst interessanten Texturen.
Beat / Wie lang arbeitest du im Schnitt an einem Track?
Erwan / Das ist schwer zu sagen. Meinen wohl bekanntesten Track „Bye Bye Macadam“aus dem zweiten Album, der Millionen Klicks hat, habe ich innerhalb von zwei Stunden auf dem Sofa gemacht. Das ist witzig, denn an anderen Tracks habe ich zwei Monate gesessen und sie waren überhaupt nicht erfolgreich [lacht]. Aber da kommen wir wieder auf die Spontaneität zurück, denn oft ist das richtige Feeling viel wichtiger als zig Kleinigkeiten.
Beat / Wir hatten die Botschaft von „Room With A View“ja schon kurz angeschnitten. Allerdings lässt sich diese nur durch das Hören des Albums nicht verstehen, oder?
Erwan / Ja, das ist vollkommen klar. Am Ende bin ich einfach nur ein Produzent von instrumentaler elektronischer Musik. Daher war es wichtig für mich, mit Tänzern zu arbeiten, um eine Message transportieren zu können, denn mit Bewegung und Zeichen lässt sich sehr viel sagen. Tanz kann regelrecht politisch sein. Ich hatte das Gefühl, angesichts der aktuellen Situation etwas tun zu wollen, daher war mir einfach nur ein schönes Tanzstück zu wenig. Aber mir ist klar, dass die Botschaft rein auf meinem Album nicht offensichtlich ist. Es ist auch okay für mich, wenn die Leute zu Tracks über den Kollaps und ökologische Probleme einfach Liebe machen [lacht].
Beat / Ein zentraler Begriff scheint die Kollapsologie zu sein. Was hat es damit auf sich?
Erwan / Es war ein französischer Wissenschaftler, der den Begriff prägte (Pablo Servigne - Anm. d. A.). Es geht darum, dass wir in einer merkwürdigen Zeit leben, die sich wie das Ende einer Zivilisation und der Anfang von etwas Neuem anfühlt. Auch schon vor der Coronakrise hatte ich das Gefühl, dass etwas in Bewegung ist, denn die neue Generation junger Menschen träumt von einer besseren Welt mit mehr
Gerechtigkeit. Ich bin optimistisch, was das angeht, und denke, ein Kollaps muss nicht automatisch schlecht sein, denn es kann etwas Gutes daraus entstehen. Es geht nicht um das Ende der Welt, sondern eher um das Ende einer alten Welt.
Beat / Wie wird die Welt in zehn bis zwanzig Jahren aussehen?
Erwan / Ich denke, wir können so nicht mehr zwanzig Jahre weitermachen, sonst gibt es mehr und mehr Viren und Krisen, die in einen großen Zusammenbruch führen. Oder es wird schon vorher viele Veränderungen geben und die Menschen kümmern sich mehr umeinander. Ich fand, die Corona-Zeiten bedeuteten für viele Leute, die sonst permanent im Stress leben, eine Entschleunigung. Dadurch hatten viele mehr Zeit, um nachzudenken und mehr Bewusstheit zu entwickeln. Vielleicht führt das ja schon zu Veränderungen. Wir werden sehen.
Beat / Und wie sehen deine persönlichen Zukunftsplanungen aus?
Erwan / Normal geht man ja auf Tour, wenn man ein neues Album veröffentlicht hat. Nachdem ich meine ganzen Konzerte wegen des Corona-Virus absagen musste, freue ich mich umso mehr, wenn es wieder losgeht. Aber es ist ein bisschen merkwürdig, da ich nicht weiß, ob die im September geplanten Shows tatsächlich stattfinden können. Bei dieser Tour werde ich alleine auf der Bühne stehen und das Album vorstellen, aber es ist auch eine Tour mit den Tänzern geplant, die ganz anders wird - eher cineastisch, wohingegen meine Soloshow energiereicher ist. Ich liebe beides. Und natürlich arbeite ich auch an verschiedenen neuen Projekten, darunter Musik für einen Film.
Beat / Wir danken dir für das interessante Gespräch.