Filesharing – Musiktipps aus dem Netz
Everything Is Recorded: Friday Forever
Der Mann hinter diesem Projekt ist XL Recordings Label-Chef Richard Russell, der für Everything Is Recorded einen Haufen Kollaborateure ins Studio lud, um mit ihnen frei von der Leber weg zu experimentieren. Ursprünglich als Jam-Sessions angelegt, entstand am Ende doch mehr daraus und mit „Friday Forever“erschien jüngst das zweite Album. Im Gegensatz zum Debüt sind hier eher unbekannte Künstler wie Aitch, Flohio, Maria Somerville, Kean Kavanagh, A.K. Paul u.a.; nebst bekannteren Namen wie Ghostface Killah (Wu-Tang Clans) oder Penny Rimbaud (Crass). Sie sorgen dafür, dass sich „Friday Forever“wie eine bunte Compilation anfühlt. Ob Dub, Hip-Hop, Soul, Gospel, RnB oder Jazz, die zwölf Sample-basierten Songs sind kaum greifbar, aber was sie vereint, ist eine wichtige Sache: Sie zeugen von unmittelbarem kreativen Ausdruck und sind fern von kommerziellem Kalkül – das hat Russell zwar auch nicht mehr nötig, es macht das Projekt aber irgendwie auch sympathisch.
Genre: Dub, Hip-Hop, Soul | Label: XL Recordings
Baauer: Planet’s Mad
Der US-amerikanische Producer Baauer hat aus deutscher Sicht nicht den coolsten Namen, der Coolness seiner Musik tut dies keinen Abbruch. Nach seinem Hip-Hop-lastigen Debütalbum „Aa“(2016) passt er nun in keine gängige Schublade mehr und vermengt Trap, Big Beat, Rave, House und Tribal zu einem stilistisch schwer greifbaren, gleichzeitig aber mitreißenden Sound. Man stelle sich vor, Fat Boy Slim, The Prodigy und die Gorillaz würden zusammen ein überlebensgroßes Album produzieren und dabei jegliche Scheuklappen ignorieren. Zurückhaltung ist dabei nicht die Maxime, denn Baauer trägt dick auf und fährt die Regler gefühlt ständig bis zum Anschlag. Das Ergebnis ist ein fett produziertes Album mit einer gehörigen Portion Wahnsinn und dem Potenzial, die Welt aus den Angeln zu heben – na gut, oder zumindest den nächsten Club!
Genre: Electro, Big Beat, Trap | Label: Lucky Me/Rough Trade
Die Robo Sapiens: Fanfanfanatisch – The Düsseldorf EP
EBM-Insider wissen, dass Die Krupps in den 80ern als lupenreine Electro-Band begannen, eh sie dann in den 90ern mit Industrial-Metal-Hits wie „To The Hilt“große Erfolge feierten. Mitte der 2000er bekamen Die Krupps plötzlich wieder Lust auf elektronische Sounds und warfen die Gitarren über Bord, eh es in jüngster Vergangenheit mit Alben wie „Vision 2020 Vision“wieder zurück gen gitarrenlastiger Sounds ging. Machen wir es kurz: Hinter Die Robo Sapiens stecken Die Krupps, und das in elektronischer Form, denn offenbar soll die Hauptband künftig eher gitarren- und Rock-orientiert bleiben. Auf der „FanfanFanatisch – The Düsseldorf EP“gibt es die beiden Songs „FanFanFanatisch“und „Düsseldorf“in mehreren Versionen, sodass man insgesamt auf sieben Tracks kommt. Der Sound klingt klar nach frühen Krupps, heißt es gibt stampfenden 80er-Jahre EBM im entsprechenden Produktionsgewand, sodass neben Krupps-Anhängern auch Fans von DAF, Front 242 oder Nitzer Ebb auf ihre Kosten kommen.
Genre: EBM | Label: Alfa Matrix
André Hommen: More Than This
Ein smoothes Album, das in Dance, House und Electronica wildert und daraus im wahrsten Sinne des Wortes „More Than This“zaubert. Die warmen Bässe, die klassischen Drummachine-Techno-Drums und die atmosphärischen Synths schaffen eine Atmosphäre, die clubbig, schwebend und sehr verträumt zugleich ist. Der aus dem beschaulichen Nettetal stammende DJ war in den letzten Jahren viel unterwegs und hat die Erfahrungen auf den Clubbühnen der Welt augenscheinlich in diese neun Tracks verpackt hat. „More Than This“ist nach unzähligen EPs, Singles und Remixen in den letzten elf Jahren tatsächlich sein erstes komplettes Album. Es überzeugt mit sehr melodischer Electronica, die trotz aller Tanzbarkeit auch etwas Entspanntes an sich hat.
Genre: House, Electro | Label:These Eyes/Rough Trade
JPattersson: Mood
Eigentlich ist er Trompeter, mit seinem Soloprojekt hat JPattersson jedoch eine interessante Klangwelt erschaffen, in der die Trompete nur ein Bestandteil von vielen ist. Die Musik auf dem 3. Album, „Mood“, bewegt sich zwischen Downbeat, Electronica, Reggae und Dub. Die Downtempo-Songs bestechen durch unwiderstehliche Grooves auf der Basis von Synth-Bässen und Drummachines, die immer wieder Reggae-typische Offbeat-Akzente setzen. Dazu kommen hypnotische Synths, eben jene Trompete und die Stimme in vielfältiger Weise, was eine elektronisch-organische Melange ergibt, die im Club ebenso funktionieren sollte wie bei einer Strandparty. In „Zippelonika“und „Soul Soundsystem“kommen die Gastsänger Lore und Guacáyo zum Einsatz und sorgen für Abwechslung in einem gelungenen Album, das einen in die passende „Mood“zur sommerlichen Jahreszeit bringt.
Genre: Downbeat, Electronica | Label: 3000Grad
Nicolas Bougaïeff: The Upward Spiral
Monotonie statt Melodie: könnte das Motto des Musikers Nicolas Bougaïeff lauten. Auf seinem Debütalbum greift er Elemente aus Genres wie Techno, Electro, Gabber oder Drum’n’Bass auf und köchelt daraus seine eigene Form von IDM. Düster, beklemmend und repetetiv sind die instrumentalen Tracks. Bei genauem Zuhören gibt es jedoch im Detail viel zu entdecken. Kleine polyrythmische Verschiebungen, interessante Filter- und Effekteinsätze, metrische Modulationen, harmonische Eigenheiten. So wundert es nicht, dass zu lesen ist, dass Bougaïeff auf einen zwanzigjährigen musikalischen Erfahrungshorizont blickt, ein Studium am Conservatoire de musique du Québec à Montréal inklusive. Auch einen philosophischen Horizont beinhaltet das – wohlgemerkt textfreie – Album: Es basiert auf den Theorien des französischen Philosophen Jacques Attali und dieser schrieb musikalischen Strukturen eine prophetische Rolle bei der Gestaltung sozialer und politischer Strukturen zu.
Genre: Electro | Label: Mute/PIAS
PC Nackt: Plunderphonia
„Plunderphonia“von PC Nackt ist der erste Teil einer Serie, in deren Rahmen verschiedene Künstler klassische Stücke in elektronische Musik übersetzen. PC Nackt – alias Patrick Christensen – ist ein Grammy-nominierter Künstler, der auch hinter den Projekten The String Theory und Warren Suicide steckt. Er greift die Vision von 7K!-Labelgründer gemäß des Titels „Plunderphonia“auf und „plündert“Klavier- und Kammerorchesterstücke von klassischen Komponisten wie Bach, Mozart u.a. und erschafft daraus mit Hilfe von Sampling, Loops, Neuanordung oder Klangmanipulation ein eigenes Sounduniversum. Basis dafür sind Auszüge aus den Originalen, die vom Pianisten Antonis Anissegos via MIDI eingespielt wurden. Das Ergebnis erinnert mal an die irren Klangeskapaden von Brandt Brauer Frick, dann wieder an ein idyllisches Ambient-Stück und immer mal wieder auch an Filmmusik.
Genre: Neo-Klassik, Electronica | Label: 7K!
Rival Consoles: Articulation
Wie nah Musik und Zeichnen in der digitalen Welt zusammenhängen können, zeigt der Brite Ryan Lee West auf seinem neuen Rival Consoles-Album „Articulation“. So waren neben den grafischen Partituren des Avantgarde-Komponisten György Ligeti vor allem eigene Zeichnungen – ohne Computer entstanden – Inspiration für die Stücke. Nachdem er zuletzt im Januar eine Orchestershow in London gespielt hat, ist das vorliegende Album aber eher puristisch. Es enthält instrumentale elektronische Musik, die sich grob unter das Etikett Electronica fassen lässt, wobei Tendenzen in Richtung Ambient gehen und mitunter abstrakte Rhythmen von mathematischer Genauigkeit zeugen. Oft hat man das Gefühl, dass sich hier unterschiedliche vibrierende Moleküle zu einem großen Ganzen zusammenfügen und jedem Partikel kunstvoll ein passender Platz zugewiesen wurde. Ein Album, das nach viel Liebe zum Detail klingt und auch mit einer angenehm warmen Produktion punkten kann. Kopfkino mit wissenschaftlicher Finesse quasi.
Genre: Electronica | Label: Erased Tapes/Indigo
TMPLT: The Verge
Hinter dem Namen TMPLT verbirgt sich ein DJ/Produzent aus Berlin. Auf seinem Debüt „The Verge“erschafft der Künstler (Pseudonym: Distale) eine finstere, bassreiche Klangwelt, die sich zwischen Industrial, Drum’n’Bass, Breakbeat, Dub und Techno bewegt und sich TMPLT zufolge von Artists wie The Prodigy oder Martyn sowie den Label-Releases von Finger Lickin’ Records inspiriert zeigt. Zum Einsatz kamen dabei Geräte wie der analoge Drumsynth Jomox Xbase 999, der Analogsynth Roland SH101 oder der polyphone Analogsynth Korg Minilogue. Das Ergebnis klingt düster, cineastisch und bisweilen beklemmend, aber zumeist gut tanzbar – ganz so, als wäre es die ideale Musik für einen kaum beleuchteten Kellerclub am Rande einer Industriemetropole. Cool auch der häufige Einsatz von Sprachsamples, der der ansonsten rein instrumentellen Musik noch mehr Vielfalt verleiht.
Genre: Industrial, Drum’n’Bass, Techno | Label: [TMPLT Records]
Tridact: Unknown Planes
Aus dem Rogue Valley im US-amerikanischen Bundesstaat Oregon stammt das Projekt Tridact, hinter dem der Kalifornier Brandon Johnson steckt. Nach einer etwas längeren Pause präsentiert er mit „Unknown Planes“sein zweites Album, das mit einem Mix aus analogem und digitalem Equipment produziert wurde, dabei aber – ob gewollt oder nicht – einen deutlichen Retro-Charme aufweist, denn das Sounddesign wirkt eher wie aus den 90ern. Grob zwischen Electronic, Nu Disco und House sind die acht Instrumentals angesiedelt. Sie klingen fluffig, heiter und verspielt und haben einen recht hohen Melodieanteil. Sicher keine Musik, die ein großes Publikum finden wird, aber ein kurzweiliges, angenehmes Electronic-Album für zwischendurch, das etwas Sonnenschein ins Büro bringt und mitunter auch gut in ein Computerspiel passen würde.
Genre: Electronic, Nu Disco, House | Label: Raydiata Music