Entdeckt: Shaw & Grossfeldt
Auf Distanz, ganz nah
Ein Klavier, ein bildender Künstler, ein Studio an der Kunstakademie: Das klingt kaum nach den Voraussetzungen für eines der packendsten Elektronikalben des Jahres. Und doch ist „Klavier“genau das geworden. Darauf finden Simian-Mobile-Disco-Mitglied Jas Shaw und Bas Grossfeldt zueinander und schaffen mit dem Yamaha Disklavier Welten zwischen klappernden Tasten und knarzigem Techno. Das Projekt war ein Wagnis. Doch es einzugehen hat sich gelohnt.
Beat / Euer Album hat eigentlich eine recht einfache Prämisse: Mit nur einem einzigen Instrument ein komplettes Album zu produzieren. Wie kam es dazu?
Jas / Als wir in Köln ins Studio gegangen sind, wollten wir eigentlich ursprünglich verschiedene Synthies aufnehmen. Als wir dann das Disklavier sahen, haben wir den Plan sofort aufgegeben.
Beat / Das Yamaha Disklavier ist ein traditionelles Instrument, das sich auch als ePiano spielen lässt. Es ist in keinster Weise für elektronische Musik vorgesehen. Das hätte auch „in die Hose“gehen können.
Jas / Total. Vor allem, weil wir nicht viel Zeit miteinander hatten und uns noch nicht sehr gut kannten. Aber irgendwie fühlte es sich richtig an.
Bas / Sobald wir mit dem Disklavier erste Aufnahmen gemacht haben, hat es plötzlich sehr interessante Sachen gemacht. Einige dieser frühen Takes sind nahezu unverändert als fertige Tracks auf dem Album gelandet. Wir haben das nur noch abgemischt und ausgepegelt. Andere Aufnahmen haben wir so lange bearbeitet, bis daraus etwas Anderes entstand.
Beat / Eure Kollaboration ist nicht unbedingt typisch: Einerseits der Produzent Jas Shaw, der sich mit dem Duo Simian Mobile Disco immer wieder neu erfunden hat. Andererseits der Künstler, DJ und bildende Künstler Sören Siebel alias Bas Grossfeldt. Wie hat sich das in der Praxis dargestellt?
Jas / Für Bas ist Musikproduktion eher Neuland. Ihn interessiert weniger, wer den lautesten Synthie hat, sondern wie sich die Musik anfühlt. Glaub mir, das ist leichter gesagt als getan.
Bas / Danke Mann, das war mir gar nicht bewusst! Ich habe tatsächlich einen sehr vielseitigen Hintergrund. Als DJ habe ich Hip Hop, Calypso, Reggae und Soul bis hin zu Dub aufgelegt. Erst mein guter Freund Matt Karmil hat mich dazu gebracht, mich tiefer mit elektronischer Musik zu beschäftigen. Sein Einfluss hat mir eine neue Welt erschlossen. Ich habe angefangen zu verstehen, was für eine Wirkung instrumentale Musik auf unsere Gefühle haben kann.
Beat / Hattest du vor eurem Projekt ein eigenes Studio?
Bas / Ich war viele Jahre lang ein Studio-Nomade. Ich habe in den Studios gearbeitet, die mir an der Kunst-Uni und an den Orten, an denen ich studiert und gearbeitet habe, zur Verfügung standen. Weil ich meine Geräte, also immer irgendwohin, tragen musste, habe ich mein Equipment bewusst auf ein paar Synthies, Drum-Machinen, Controller und einen Laptop beschränkt. Jas‘ Studio aber gefällt mir sehr. Es hat eine gute Atmosphäre und bietet viele technische Möglichkeiten.
Beat / Euere Herangehensweise muss sich sehr unterschieden haben.
Jas / Ich mag taktile Sequencer, aber keine Keyboards. Es war deswegen für mich sehr spannend, Bas dabei zu beobachten, wie er meinen Max-Sequencer benutzt hat. Er besteht aus einem Raster, aus acht mal sechzehn Knöpfen, und ist sehr leicht zu bedienen. Zuerst hat mich Bas immer wieder gefragt, wie er dies oder jenes machen kann – und ich habe ihm immer wieder gesagt, dass all die Dinge unmöglich sind. Vor allem hatte er sich in den Kopf gesetzt, Melodien zu spielen, die länger waren als die vorgesehenen sechzehn Steps. Der Code des Max ist frei, man hätte sich also einhacken und recht einfach das Raster erweitern können. Aber du hast dann immer noch dieselbe Anzahl Knöpfe. Also musst du auch eine Möglichkeit zum „Umblättern“programmieren – und das nimmt der Sache die ganze Spontaneität. Sören hat sich hingesetzt, lange überlegt und schließlich angefangen, das Raster manuell zu spielen. Dabei hat er einzelne Steps an und ausgeschaltet oder sie nach oben oder unten gepitcht, während wir aufgenommen haben. Ich fand das sehr spannend, weil es mir klar gemacht hat, dass das Raster nicht nur eine Programmierschnittstelle ist, sondern eben auch ein Performance-Objekt. Sören hat nicht die Funktionalität der Technik erweitert, sondern mit dem gespielt, was ihm zur Verfügung stand.
Beat / So viel großartige Musik entsteht aus diesem Dilemma...
Jas / Für mich ist es der Schlüssel zum Machen von Musik schlechthin: Du hast sehr einfache Bausteine. Aber du bringst sie dazu, so miteinander zu interagieren, dass daraus etwas erwächst, was weitaus komplexer ist.
Die Freuden der Emulation
Beat / Wie offen darf man zu seinen Einflüssen stehen?
Jas / Ich befinde mich immer noch in der Emulationsphase. Ich lerne unglaublich viel davon; mir die Musik anderer Künstler anzuhören. Es passiert mir immer wieder, dass ich im Studio sitze und plötzlich merke: „Oh … das klingt aber ein wenig nach einem Track, der mit sehr gefallen hat.“Das ist wahrscheinlich auch, warum mir Sampling nicht so liegt. Die Ergebnisse klingen dabei zu oft nach etwas, was es bereits gibt.
Beat / War das auch ein Grund für die Disklavier-Idee: Neuland erschließen?
Jas / Wir sind natürlich nicht die ersten, die ein Disklavier an einen Sequencer angeschlossen haben. Aber es ist gewiss kein Standard-Set-Up. Unsere Chancen, nicht zu denselben Ergebnisse zu gelangen wie alle anderen, standen also besser.
Beat / Wobei: Auch mit Simian Mobile Disco hattet ihr schon immer einen ganz eigenen Sound.
Jas / Stimmt schon. Der Prozess hat sich auch kaum verändert: Wir bauen ein paar Geräte auf, mit denen man Geräusche machen kann und schauen, ob sich damit etwas machen lässt, was nach einem Album klingt. Oder auch nur wie der Anfang eines Albums. Mit James [Ford, Jas‘ Partner in Simian Mobile Disco] war alles sehr bescheiden: Das erste Simian-Mobile-Disco-Studio war einfach nur ein Raum, den wir uns in unserem Haus in Manchester geteilt haben. Wir haben den Teppich rausgenommen und ein Loch in den sehr feuchten Keller gebohrt. So konnten wir Schlagzeug aufnehmen - wenn auch wirklich schlecht.
Beat / Bessere Technologie macht uns also nicht kreativer?
Bas / Ich glaube nicht. Und wenn man ehrlich ist, kann man das auch beobachten: In einer Zeit, in der alles verfügbar und möglich ist, gibt es immer noch sehr wenige Ansätze in Musik und Kunst, die wirklich zünden. Andersherum gibt es Platten, die vor Jahrzehnten mit vergleichsweise primitivem Equipment aufgenommen wurden und auf denen sich Klänge finden, die noch immer faszinierend klingen. Für mich sind es Menschen, die die Musik machen, nicht Maschinen, auch wenn die Beziehung zwischen den beiden zweifelsohne komplex ist. Du brauchst nicht nur jemanden, der an den Reglern dreht und die Möglichkeiten der Maschine erweitert. Da muss es immer auch jemanden geben, der sagt: „Wow, das ist interessant. Das berührt mich.“
Beat / Jas, siehst du das genau so?
Jas / Aus meiner Sicht schreibe ich überhaupt keine Musik. Die Maschinen erledigen alles. Ich würde sogar sagen, dass ich in den letzten Jahren Musik, die auf Instrumenten geschrieben wurde, als zunehmend ärgerlich empfinde. Du kannst förmlich hören, wie die Musiker anfangen sich zu langweilen und dann alle 16 Takte einen Fill einbauen. Oder eine kleine Variation - nur um zu zeigen, dass sie es drauf haben. Ich möchte wirklich keine prahlerischen Licks oder virtuoses Tastengeklimper hören. Stattdessen habe ich meine Sequencer. Von denen hat noch keiner sich solche Kapriolen geleistet und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Bas / Aber du bist doch i mmer noch derjenige, der den Maschinen sagt, was sie tun sollen. Und, was noch wichtiger ist, du bist der Filter, der darüber entscheidet, was du in sie einspeist und was nicht. Ich glaube, man kann wirklich nicht sagen, dass du keine Musik schreibst.
Jas / Na gut. Aber ich finde schon, dass in elektronischer Musik unser Gerätepark einen weitreichenderen Einfluss ausübt als anderswo. Natürlich wird auch ein bestimmtes Klavier oder eine Gitarre den kreativen Prozess beeinflussen. Aber stell dir vor, diese Instrumente würden plötzlich anfangen, Noten hinzuzufügen oder zu verändern. Denn das ist genau, was ein Sequencer macht.
Mir gefällt es auch, wenn zwischen mir und der Musik eine Art Distanz entsteht. Und das geht am besten, wenn das Equipment eine deutlich hörbare eigene Stimme bekommt.
Der Musik geht es vorzüglich
Beat / Euer Projekt macht Spaß, aber es ist zugleich auch sehr ambitioniert und unkonventionell. Findet ihr es seltsam, dass sich nicht mehr Künstler um etwas Ähnliches bemühen?
Jas / Das sehe ich aber komplett anders. Der Musik geht es doch vorzüglich: Es gibt Synthesizer, die den Mainstream bedienen und es dir zugleich erlauben, mikrotonale Stimmungen herunterzuladen. Es gibt eine dynamische Modular-Synthie-Szene, in der sich die Künstler nicht damit zufrieden geben, alte Schaltkreise zu kopieren. Es gibt Leute, die Geräte bauen, die du mit individualisierter Software kombinieren kannst, wobei neue Klangquellen mit einem traditionellen Gefühl entstehen. Allein in einer Stadt wie London taucht nahezu alle vier bis sechs Monate ein neues Subgenre auf. Und dann gibt es noch all die Leute, die mit günstiger Software zu Hause ihr eigenes Ding machen.
Bas / Oder nimm Festivals wie das Atonal oder die CTM in Berlin: Du gehst da hin und kommst mit einem Sack voller nie-gehörter Ansätze und Perspektiven zurück, die dich ein ganzes Jahr lang inspirieren.
Beat / Aber strukturell scheint sich doch nicht wirklich viel verändert zu haben. Das Raster, in dem all dies stattfindet, ist doch weitgehend das selbe.
Jas / Vielleicht. Es ist tatsächlich ein wenig seltsam, dass wir uns nahezu alle auf eine chromatische Stimmung und das Four-to-the-Floor-Format geeinigt haben. Aber wenn du Künstler finden möchtest, die sich nicht an diese Normen halten, musst du nicht lange suchen. Wenn du Musik definierst als Klänge, die Emotionen transportieren, dann finde ich, dass die aktuelle Bandbreite nahezu überwältigend ist. Dies ist mein Beruf – und es gelingt mir gerade einmal in einer kleinen Nische, annähernd auf dem Laufenden zu bleiben.