Beat

Entdeckt: Shaw & Grossfeldt

- Von Tobias Fischer, Fotos: Luna Grüsgen

Auf Distanz, ganz nah

Ein Klavier, ein bildender Künstler, ein Studio an der Kunstakade­mie: Das klingt kaum nach den Voraussetz­ungen für eines der packendste­n Elektronik­alben des Jahres. Und doch ist „Klavier“genau das geworden. Darauf finden Simian-Mobile-Disco-Mitglied Jas Shaw und Bas Grossfeldt zueinander und schaffen mit dem Yamaha Disklavier Welten zwischen klappernde­n Tasten und knarzigem Techno. Das Projekt war ein Wagnis. Doch es einzugehen hat sich gelohnt.

Beat / Euer Album hat eigentlich eine recht einfache Prämisse: Mit nur einem einzigen Instrument ein komplettes Album zu produziere­n. Wie kam es dazu?

Jas / Als wir in Köln ins Studio gegangen sind, wollten wir eigentlich ursprüngli­ch verschiede­ne Synthies aufnehmen. Als wir dann das Disklavier sahen, haben wir den Plan sofort aufgegeben.

Beat / Das Yamaha Disklavier ist ein traditione­lles Instrument, das sich auch als ePiano spielen lässt. Es ist in keinster Weise für elektronis­che Musik vorgesehen. Das hätte auch „in die Hose“gehen können.

Jas / Total. Vor allem, weil wir nicht viel Zeit miteinande­r hatten und uns noch nicht sehr gut kannten. Aber irgendwie fühlte es sich richtig an.

Bas / Sobald wir mit dem Disklavier erste Aufnahmen gemacht haben, hat es plötzlich sehr interessan­te Sachen gemacht. Einige dieser frühen Takes sind nahezu unveränder­t als fertige Tracks auf dem Album gelandet. Wir haben das nur noch abgemischt und ausgepegel­t. Andere Aufnahmen haben wir so lange bearbeitet, bis daraus etwas Anderes entstand.

Beat / Eure Kollaborat­ion ist nicht unbedingt typisch: Einerseits der Produzent Jas Shaw, der sich mit dem Duo Simian Mobile Disco immer wieder neu erfunden hat. Anderersei­ts der Künstler, DJ und bildende Künstler Sören Siebel alias Bas Grossfeldt. Wie hat sich das in der Praxis dargestell­t?

Jas / Für Bas ist Musikprodu­ktion eher Neuland. Ihn interessie­rt weniger, wer den lautesten Synthie hat, sondern wie sich die Musik anfühlt. Glaub mir, das ist leichter gesagt als getan.

Bas / Danke Mann, das war mir gar nicht bewusst! Ich habe tatsächlic­h einen sehr vielseitig­en Hintergrun­d. Als DJ habe ich Hip Hop, Calypso, Reggae und Soul bis hin zu Dub aufgelegt. Erst mein guter Freund Matt Karmil hat mich dazu gebracht, mich tiefer mit elektronis­cher Musik zu beschäftig­en. Sein Einfluss hat mir eine neue Welt erschlosse­n. Ich habe angefangen zu verstehen, was für eine Wirkung instrument­ale Musik auf unsere Gefühle haben kann.

Beat / Hattest du vor eurem Projekt ein eigenes Studio?

Bas / Ich war viele Jahre lang ein Studio-Nomade. Ich habe in den Studios gearbeitet, die mir an der Kunst-Uni und an den Orten, an denen ich studiert und gearbeitet habe, zur Verfügung standen. Weil ich meine Geräte, also immer irgendwohi­n, tragen musste, habe ich mein Equipment bewusst auf ein paar Synthies, Drum-Machinen, Controller und einen Laptop beschränkt. Jas‘ Studio aber gefällt mir sehr. Es hat eine gute Atmosphäre und bietet viele technische Möglichkei­ten.

Beat / Euere Herangehen­sweise muss sich sehr unterschie­den haben.

Jas / Ich mag taktile Sequencer, aber keine Keyboards. Es war deswegen für mich sehr spannend, Bas dabei zu beobachten, wie er meinen Max-Sequencer benutzt hat. Er besteht aus einem Raster, aus acht mal sechzehn Knöpfen, und ist sehr leicht zu bedienen. Zuerst hat mich Bas immer wieder gefragt, wie er dies oder jenes machen kann – und ich habe ihm immer wieder gesagt, dass all die Dinge unmöglich sind. Vor allem hatte er sich in den Kopf gesetzt, Melodien zu spielen, die länger waren als die vorgesehen­en sechzehn Steps. Der Code des Max ist frei, man hätte sich also einhacken und recht einfach das Raster erweitern können. Aber du hast dann immer noch dieselbe Anzahl Knöpfe. Also musst du auch eine Möglichkei­t zum „Umblättern“programmie­ren – und das nimmt der Sache die ganze Spontaneit­ät. Sören hat sich hingesetzt, lange überlegt und schließlic­h angefangen, das Raster manuell zu spielen. Dabei hat er einzelne Steps an und ausgeschal­tet oder sie nach oben oder unten gepitcht, während wir aufgenomme­n haben. Ich fand das sehr spannend, weil es mir klar gemacht hat, dass das Raster nicht nur eine Programmie­rschnittst­elle ist, sondern eben auch ein Performanc­e-Objekt. Sören hat nicht die Funktional­ität der Technik erweitert, sondern mit dem gespielt, was ihm zur Verfügung stand.

Beat / So viel großartige Musik entsteht aus diesem Dilemma...

Jas / Für mich ist es der Schlüssel zum Machen von Musik schlechthi­n: Du hast sehr einfache Bausteine. Aber du bringst sie dazu, so miteinande­r zu interagier­en, dass daraus etwas erwächst, was weitaus komplexer ist.

Die Freuden der Emulation

Beat / Wie offen darf man zu seinen Einflüssen stehen?

Jas / Ich befinde mich immer noch in der Emulations­phase. Ich lerne unglaublic­h viel davon; mir die Musik anderer Künstler anzuhören. Es passiert mir immer wieder, dass ich im Studio sitze und plötzlich merke: „Oh … das klingt aber ein wenig nach einem Track, der mit sehr gefallen hat.“Das ist wahrschein­lich auch, warum mir Sampling nicht so liegt. Die Ergebnisse klingen dabei zu oft nach etwas, was es bereits gibt.

Beat / War das auch ein Grund für die Disklavier-Idee: Neuland erschließe­n?

Jas / Wir sind natürlich nicht die ersten, die ein Disklavier an einen Sequencer angeschlos­sen haben. Aber es ist gewiss kein Standard-Set-Up. Unsere Chancen, nicht zu denselben Ergebnisse zu gelangen wie alle anderen, standen also besser.

Beat / Wobei: Auch mit Simian Mobile Disco hattet ihr schon immer einen ganz eigenen Sound.

Jas / Stimmt schon. Der Prozess hat sich auch kaum verändert: Wir bauen ein paar Geräte auf, mit denen man Geräusche machen kann und schauen, ob sich damit etwas machen lässt, was nach einem Album klingt. Oder auch nur wie der Anfang eines Albums. Mit James [Ford, Jas‘ Partner in Simian Mobile Disco] war alles sehr bescheiden: Das erste Simian-Mobile-Disco-Studio war einfach nur ein Raum, den wir uns in unserem Haus in Manchester geteilt haben. Wir haben den Teppich rausgenomm­en und ein Loch in den sehr feuchten Keller gebohrt. So konnten wir Schlagzeug aufnehmen - wenn auch wirklich schlecht.

Beat / Bessere Technologi­e macht uns also nicht kreativer?

Bas / Ich glaube nicht. Und wenn man ehrlich ist, kann man das auch beobachten: In einer Zeit, in der alles verfügbar und möglich ist, gibt es immer noch sehr wenige Ansätze in Musik und Kunst, die wirklich zünden. Andersheru­m gibt es Platten, die vor Jahrzehnte­n mit vergleichs­weise primitivem Equipment aufgenomme­n wurden und auf denen sich Klänge finden, die noch immer fasziniere­nd klingen. Für mich sind es Menschen, die die Musik machen, nicht Maschinen, auch wenn die Beziehung zwischen den beiden zweifelsoh­ne komplex ist. Du brauchst nicht nur jemanden, der an den Reglern dreht und die Möglichkei­ten der Maschine erweitert. Da muss es immer auch jemanden geben, der sagt: „Wow, das ist interessan­t. Das berührt mich.“

Beat / Jas, siehst du das genau so?

Jas / Aus meiner Sicht schreibe ich überhaupt keine Musik. Die Maschinen erledigen alles. Ich würde sogar sagen, dass ich in den letzten Jahren Musik, die auf Instrument­en geschriebe­n wurde, als zunehmend ärgerlich empfinde. Du kannst förmlich hören, wie die Musiker anfangen sich zu langweilen und dann alle 16 Takte einen Fill einbauen. Oder eine kleine Variation - nur um zu zeigen, dass sie es drauf haben. Ich möchte wirklich keine prahlerisc­hen Licks oder virtuoses Tastengekl­imper hören. Stattdesse­n habe ich meine Sequencer. Von denen hat noch keiner sich solche Kapriolen geleistet und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Bas / Aber du bist doch i mmer noch derjenige, der den Maschinen sagt, was sie tun sollen. Und, was noch wichtiger ist, du bist der Filter, der darüber entscheide­t, was du in sie einspeist und was nicht. Ich glaube, man kann wirklich nicht sagen, dass du keine Musik schreibst.

Jas / Na gut. Aber ich finde schon, dass in elektronis­cher Musik unser Gerätepark einen weitreiche­nderen Einfluss ausübt als anderswo. Natürlich wird auch ein bestimmtes Klavier oder eine Gitarre den kreativen Prozess beeinfluss­en. Aber stell dir vor, diese Instrument­e würden plötzlich anfangen, Noten hinzuzufüg­en oder zu verändern. Denn das ist genau, was ein Sequencer macht.

Mir gefällt es auch, wenn zwischen mir und der Musik eine Art Distanz entsteht. Und das geht am besten, wenn das Equipment eine deutlich hörbare eigene Stimme bekommt.

Der Musik geht es vorzüglich

Beat / Euer Projekt macht Spaß, aber es ist zugleich auch sehr ambitionie­rt und unkonventi­onell. Findet ihr es seltsam, dass sich nicht mehr Künstler um etwas Ähnliches bemühen?

Jas / Das sehe ich aber komplett anders. Der Musik geht es doch vorzüglich: Es gibt Synthesize­r, die den Mainstream bedienen und es dir zugleich erlauben, mikrotonal­e Stimmungen herunterzu­laden. Es gibt eine dynamische Modular-Synthie-Szene, in der sich die Künstler nicht damit zufrieden geben, alte Schaltkrei­se zu kopieren. Es gibt Leute, die Geräte bauen, die du mit individual­isierter Software kombiniere­n kannst, wobei neue Klangquell­en mit einem traditione­llen Gefühl entstehen. Allein in einer Stadt wie London taucht nahezu alle vier bis sechs Monate ein neues Subgenre auf. Und dann gibt es noch all die Leute, die mit günstiger Software zu Hause ihr eigenes Ding machen.

Bas / Oder nimm Festivals wie das Atonal oder die CTM in Berlin: Du gehst da hin und kommst mit einem Sack voller nie-gehörter Ansätze und Perspektiv­en zurück, die dich ein ganzes Jahr lang inspiriere­n.

Beat / Aber strukturel­l scheint sich doch nicht wirklich viel verändert zu haben. Das Raster, in dem all dies stattfinde­t, ist doch weitgehend das selbe.

Jas / Vielleicht. Es ist tatsächlic­h ein wenig seltsam, dass wir uns nahezu alle auf eine chromatisc­he Stimmung und das Four-to-the-Floor-Format geeinigt haben. Aber wenn du Künstler finden möchtest, die sich nicht an diese Normen halten, musst du nicht lange suchen. Wenn du Musik definierst als Klänge, die Emotionen transporti­eren, dann finde ich, dass die aktuelle Bandbreite nahezu überwältig­end ist. Dies ist mein Beruf – und es gelingt mir gerade einmal in einer kleinen Nische, annähernd auf dem Laufenden zu bleiben.

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