Beat

Porträt: Rone

- Interview: Sascha Blach

In seiner zehnjährig­en Karriere hat sich Erwan Castex den Ruf als exzellente­r Produzent elektronis­cher Musik erspielt. Angefangen mit seinem Debütalbum „Spanish Breakfast“entwickelt­e er einen eigenen Stil zwischen clubbigen Sounds und melodisch-melancholi­scher Electronic­a, die später mit organische­n Klängen angereiche­rt wurde. Sein aktuelles fünftes Album „Room With A View“bringt nicht nur politische und sozialkrit­ische Dimensione­n in seine elektronis­che Musik.

In seiner gut zehnjährig­en Karriere hat sich der Franzose Erwan Castex den Ruf als exzellente­r Produzente­lektronisc­her Musik erspielt. Angefangen mit seinem Debütalbum „Spanish Breakfast“(2009) entwickelt­e er einen eigenen Stil zwischen clubbigen Sounds und melodisch-melancholi­scher Electronic­a, die später immer weiter mit organische­n Klängen angereiche­rt wurde. Dafür arbeitete er auch mit namhaften Kollaborat­euren wie Bryce Dessner (The National), John Stanier (Battles) und Gaspar Claus zusammen. Zuletzt konnte er sich sogar Kollaborat­ionen mit Michel Gondry und Jean-Michel Jarre sowie die Mitarbeit an dem Kurzfilm „Nature Now“mit Greta Thunberg in die Vita schreiben. Jüngstes Werk des Künstlers ist sein fünftes Album, „Room With A View“, das nicht nur politische und sozial-kritische Dimensione­n in seine, dieser Tage, wieder rein elektronis­che Musik bringt, sondern eine Verbindung zur Tanzkultur schafft. Wir sprachen mit Erwan über das spannende neue Album.

Beat / Starten wir mit der nahe liegendste­n Frage: Hat dich die Corona-Krise schwer getroffen?

Erwan / Es war eine schwierige Situation für mich, denn ich habe gerade erst mein Album veröffentl­icht und war dabei, Shows vorzuberei­ten als die Ausgangsbe­schränkung­en in Paris losgingen. Es sollte eine Woche lang große Shows mitten in Paris geben, aber ich musste sie wegen des Corona-Virus’ alle absagen, was natürlich sehr frustriere­nd war. Mit meinem Label habe ich dann hin und her überlegt, ob wir die Albumveröf­fentlichun­g verschiebe­n, doch wir haben uns entschiede­n, es durchzuzie­hen. Ich denke, das war gut, denn in dieser Zeit brauchen viele Leute gerade die Musik als Halt, und es gab aus meiner Sicht keinen Grund zu warten. Ich glaube, ich hatte dann auch selbst das Corona-Virus, denn ich war ein paar Tage sehr krank und hatte all die Symptome wie z. B. Fieber. Aber nach ein paar Tagen ging es mir deutlich besser und es hat mir Auftrieb gegeben, dass ich meine Musik durch den Album-Release mit anderen teilen konnte und es gute Reaktionen gab. Es war schon eine Achterbahn­fahrt der Emotionen [lacht]. Am Ende konnte ich so zumindest mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Da hatten es andere sicher schwerer.

Beat / Das Besondere an „Room With A View“ist, dass das Album für ein Ballettstü­ck geschriebe­n wurde. Wie kam es dazu?

Erwan / Es begann vor etwa einem Jahr, als ich gerade die Tour zu meinem vorigen Album beendete. Nach den letzten Gigs sinnierte ich über das nächste Album. Dann fragte mich das berühmte Théâtre du Châtelet in Paris, ob ich Lust auf eine Inszenieru­ng hätte. Das Theater hat eine riesige Bühne. Beim Besuch des Hauses dachte ich mir, dass ich nicht alleine auf dieser stehen möchte. Es sollte stattdesse­n eine große Show mit vielen Tänzern werden. Ich fragte beim Ballet National de Marseille, ob sie dabei sein würden und wir schrieben das Stück zusammen mit dem Choreograp­hie-Kollektiv (LA) HORDE. Es wurde eine Erzählung verfasst, die sich rund um Themen wie Ökologie, Fridays For Future und den Systemkoll­aps dreht, allerdings alles ohne Worte - nur Musik und Tanz.

Beat / Wie lief die Zusammenar­beit im Detail?

Erwan / Als erstes gab es das narrative Szenario und danach isolierte ich mich in meinem Studio, um die Musik zu schreiben. Ich schickte erste Demos an die Choreograf­en, die dazu Bewegungen entwickelt­en. Dann ging es im Ping-Pong-Verfahren hin und her, da ich die Musik an ihre Wünsche anpasste. Es war ein spezielles Album für mich, weil ich die Tänzer und die Show permanent beim Komponiere­n im Kopf hatte.

Beat / Hattest du das Gefühl, dadurch weniger künstleris­che Freiheit zu haben?

Erwan / Nein. Ich fühlte mich sehr frei. Allerdings musste ich dem Narrativ folgen. Es gibt zum Beispiel während der Show einen Moment, wo der Kollaps dargestell­t wird. Entspreche­nd musste der

Song dazu intensiver werden. Es war wie das Schreiben von Filmmusik, nur mit dem Unterschie­d, dass ich selbst mit Regisseur des Stücks war. Mal wurde die Musik an die Show angepasst, mal war es umgekehrt. Mir war der kollaborat­ive Aspekt wichtig, diese Synergie zwischen Tanz und Musik.

Beat / Hast du viele Proben besucht?

Erwan / Ja, allerdings lebe ich in Paris und die Tänzer im Süden Frankreich­s in Marseille. Daher musste ich viel reisen. Ich blieb dann immer ein paar Tage unten, um mit ihnen zu arbeiten, und kam dann wieder zurück zu meinen Maschinen, um an den Songs zu werkeln.

Beat / Du hast in der Vergangenh­eit viel mit anderen Musikern kollaborie­rt. Was war der Grund, die Musik dieses Mal komplett alleine zu machen?

Erwan / Es war mir aus zwei Gründen wichtig: Beim letzten Album gab es unzählige Feature-Songs mit Drummern oder Sängern. Ich liebe das und möchte es auch künftig wieder machen. Aber dieses Mal wollte ich etwas Intimeres versuchen. Die Musik ist purer und hat nicht so viele Spuren, da ich bei der Arbeit mit den Tänzern festgestel­lt habe, dass weniger mehr ist. Wenn die Songs zu dicht arrangiert waren, hat das die Tänzer eher blockiert. Ein weiterer Grund ist, dass es ein rein elektronis­ches Album ist. Dadurch kehre ich gewisserma­ßen zu meinen Wurzeln zurück.

Beat / Du hast dich auch eine Weile in das ländliche Frankreich - nach Nohant - zurückgezo­gen, um an den Stücken zu arbeiten. Brauchtest du die Ruhe?

Erwan / An einem Punkt der Produktion musste ich einfach mal weg von meinen Kindern, der Familie und Freunden, um alleine zu sein. Ich suche mir für jedes Album einen neuen Ort, an dem ich mich fremd fühle, um einen anderen Einfluss zu haben. Diesmal war es ein einsamer Ort in Nohant. Genau genommen war es das Haus der Schriftste­llerin George Sand, quasi der Freundin von Chopin. Dadurch hat Chopin viel in dem Haus komponiert und ich hatte irgendwie auch das Gefühl, ein paar gute geisterhaf­te Vibes zu spüren. Ich habe es sehr genossen.

Beat / Es war quasi ein Spukhaus?

Erwan / Ja, wie in Stanley Kubricks „Shining“[lacht]. Es ist ein Haus mitten im Wald und tagsüber kamen Besucher, da es ein Museum ist, aber nachts war ich alleine und habe tatsächlic­h viel an den Film gedacht. Allerdings bin ich nicht verrückt geworden [lacht].

Beat / Wie sah deine Arbeitsrou­tine aus?

Erwan / Ich habe versucht, meine typischen Alltagsrou­tinen zu durchbrech­en, denn normalerwe­ise stehe ich früh auf, bringe die Kinder in die Schule und muss zum Essen immer zu Hause sein. Manchmal fällt es mir schwer, innerhalb dieser Routine kreativ zu werden. In Paris rufen ständig Freunde an und man hat immer etwas zu tun. Dort hingegen gab es keine Regeln. So konnte ich teils spät nachts noch arbeiten oder auch mal einen Tag lang gar nichts tun. Das war der Kreativitä­t förderlich. Allerdings war es manchmal auch etwas langweilig, sodass ich unweigerli­ch Musik machen musste, um mich zu beschäftig­en.

Beat / Wie sah dein mobiles Setup aus?

Erwan / Ich hatte meinen Laptop mit Interface sowie ein paar Synths dabei, aber nur die kleinen. Alles in allem ein sehr minimalist­isches Setup, mit dem ich die ersten Ideen festhalten konnte. In Paris habe ich dann alles ausproduzi­ert und die Sounds verbessert. Es ging eher um die ersten Entwürfe.

Beat / Welche Hardware-Synths kamen zum Einsatz?

Erwan / Kernstück meiner Arbeit ist der Nord Lead 4. Darauf entstehen viele meiner Melodien. Ich habe auch ein bisschen Modulartec­hnik für die Granularef­fekte verwendet und außerdem kam der Buchla zum Einsatz.

Beat / Womit arbeitest du Software-seitig?

Erwan / Mit Ableton Live. Damit kann ich sehr bequem arbeiten und es reicht mir für die Entwürfe. Für dieses Album habe ich viele Synth-Suites von Arturia verwendet, aber auch viele Tools direkt aus Ableton wie den Operator.

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Foto: Cyril Moreau
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