Substantia
Es gibt sie doch noch: Trotz schier endlos optimierter Synthesizer, die schon von Werk aus auf individuelle Stile getrimmt werden, damit per Tastendruck der nächste Hit aus den Speakern schallt, gibt es die kleinen Schatzkisten aus dem Untergrund, die nicht vorrangig um die Gunst des Nutzers buhlen, sondern ihren ganz eigenen Zwecken folgen. Der ausschließlich für Mac erhältliche Substantia ist ein Physical-Modelling-Synth in Form einer Standalone-App. Innerhalb einer DAW lässt sich Substantia also nur über Umwege nutzen oder ganz oldschool per Audioexport über den internen Rekorder.
Wie üblich beim Physical Modelling beruht die Klangerzeugung auf wählbaren Materialien, die durch einen Impuls angestoßen und mit einem Gegenstand in Schwingung gehalten werden, etwa wie ein Gong, den man initial anschlägt und dann mit anderen Gegenständen bearbeitet. Oder eine Gitarrensaite, deren Klang nach dem Zupfen im Hohlkörper der Gitarre schwingt bzw. resoniert. Das Resultat sind oft perkussive Sounds, Glockenklänge, metallisch kratzende Texturen oder auch wabernde Drones.
Substantia bietet insgesamt 17 verschiedene Schallkörperformen, wie etwa eine Schüssel, Pyramide, ein Rohr oder eine Schachtel, sowie extrem ungewöhnliche Gebilde, die in ihrer Form kaum zu beschreiben sind, aber bildlich dargestellt werden. Die Körper können aus 23 verschiedenen Materialien bestehen, von Blech über Kupfer bis Gold, was sich auch wieder auf den Sound auswirkt. Als wäre das noch nicht genug zum Experimentieren, lässt sich der Grundklang, mit dem der Körper in Schwingung versetzt wird, intern aufnehmen oder als Sample per Drag & Drop importieren. Mal eine Bassdrum durch ein Eisenrohr schicken, ein kräftiges „Buh“durch eine große Metallfeder oder einfach permanent in ein Prisma aus Glas singen? Alles kein Problem. Die Samples lassen sich übrigens bis zu zehnfach doppeln, verstimmen und im Panorama verteilen. Satte Sounds sind also ein Kinderspiel.
Da die verschiedenen Materialien nicht zwangsläufig auf der gleichen Frequenz schwingen, lässt sich die Tonhöhe per Frequency-Regler korrigieren. Hier wäre ein interner Tuner praktisch, um die aktuelle Tonhöhe direkt ablesen zu können. In Sachen Sounddesign ist die Ausstattung eher mau, denn mit Einstellungen für die Resonanz und zwei sehr braven EQs ist das Repertoire schon erschöpft. Allerdings lässt sich ein beliebiges VST-Plug-in laden, um den Sound zu verfeinern.
Möchte man nicht immer nur auf der Tastatur klimpern, sorgt der euklidische Sequenzer für Kurzweil. Dieser will erst mit einigen Noten gefüttert werden und spielt ab dann entweder stur die Sequenz nach oder nutzt auf Wunsch diverse Zufallsfunktionen, damit das Pattern dauerhaft interessant bleibt. Mehr als nur ein netter Bonus! Wie einleitend erwähnt enthält Substantia auch einen Rekorder, mit dem sich AIFF-Dateien aufnehmen lassen.
Fazit
Substantia ist kein einfacher Synth, sondern zum Experimentieren gemacht. Man sollte sich erst eine Weile damit beschäftigen und an seine Eigenheiten gewöhnen. Doch der Lohn kommt in Form von absolut einzigartigen Klängen, Sphären und Texturen, die sich mit normalen Synthesizern einfach nicht erzeugen lassen. Abgesehen davon bringt es einen riesigen Spaß, beliebige Sounds durch die verschiedenen Materialien zu schicken.
Klar, man muss sich darauf einlassen und für den nächsten Popsong ist das vermutlich eher unbrauchbar, für das gewisse Etwas in elektronischen Produktionen aber definitiv eine lohnende Quelle. Vor allem zu einem Preis von nicht mal 15 Euro.