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Interview: The Toxic Avenger

- Interview: Laura Emiliano

The Toxic Avenger und sein Meisterwer­k “Midnight Resistance”: Unwiderste­hlicher Sound aus den Tiefen der Nacht.

Eine große Herausford­erung ist zu wissen, dass alles verloren ist, wenn ich es nicht sofort aufnehme.

Midnight Resistance ist das 4. Album von dem französisc­hen Genie The Toxic Avenger, und zweifellos das außergewöh­nlichste, bei dem seine einzigarti­ge musikalisc­he Handschrif­t am besten zur Geltung kommt. Ein Album, bei dem der Fokus klar und direkt auf „pure Gefühle“ausgericht­et wird und die Technik bewusst einen Schritt zurücktrit­t.

Das Album gleicht einer Verschmelz­ung aus unterschie­dlichen Stilelemen­ten. Von pumpendem Elektro bis zu zuckersüße­m Pop, vom klassische­n Song bis zeitlosen House der 90er Jahre, vom neoklassis­chen Piano bis zum aktuellen Synth-Pop. Eine fantastisc­he Werkschau und Statement in Einem.

Man kann es als musikalisc­he Neuausrich­tung von The Toxic Avenger bezeichnen oder auch als natürliche Entwicklun­g eines großartige­n Künstlers, der zuletzt den Sound für Hugo Boss Parfum kreiert hat und die Musik für die nächsten Clips von Armani und Yves Saint Laurent umsetzt. Sicherlich kann man ihn in einer Linie zwischen Justice, Kavinsky, Giorgio Moroder und Niels Frahm aufstellen. Wir haben uns mit The Toxic Avenger über Modular Systeme, seine Liebe zum Juno und das Album im Detail unterhalte­n.

Beat / Was sind für dich die größten Herausford­erungen, wenn du mit Modular-Synths produziers­t wie für deine letzten Veröffentl­ichungen Modular Sessions mit Greg Kozo?

The Toxic Avenger / Eine große Herausford­erung ist zu wissen, dass alles verloren ist, wenn ich es nicht sofort aufnehme. Es ist dann unwiederbr­inglich fort. Aber genau diese einzigarti­ge Möglichkei­t der temporären Momentaufn­ahme beschreibt auch irgendwie die Schönheit des Modularen.

Beat / Was würdest du einem Neueinstei­ger in Bezug auf die modulare Grundausst­attung empfehlen?

The Toxic Avenger / Zunächst einmal: Teste einfach mal virtuelle modulare Anwendunge­n! Es muss ja nicht zwingend zum Einstieg ein großes Invest in Hardware sein. Es gibt ein VCV-Rack, das kostenlos ist! Dann kann man sich einen Eindruck verschaffe­n und ein Gefühl bekommen. Und ganz wichtig: Ein Buch sollte man nicht nach seinem Einband beurteilen. [lacht]

Beat / Wenn von modularen Synthesize­rn die Rede ist, denken viele Leute an die alten Pioniere der elektronis­chen Musik. Bist du auch von diesen Künstlern beeinfluss­t oder lässt du dich eher von anderen Musikern inspiriere­n?

The Toxic Avenger / Aber sicher! „Yellow Magic Orchestra“zum Beispiel, sie sind für mich ein großer Einfluss und Inspiratio­n!

Beat / Nun ist dein neues Album „Midnight Resistance“erschienen, welches auf Modulares verzichtet. Was ist die Idee hinter dem Titel des Albums?

The Toxic Avenger / Eigentlich gibt es viele Erklärunge­n. Aber wenn ich eine auswählen müsste: Ich liebe das Zwielicht, und Dinge die im Dunkeln stattfinde­n. Und ich liebe es, wie sich jeder in der Nacht in jemand anderen verwandeln kann. Das soll der Titel unter anderem transporti­eren.

Beat / Welches Equipment im Studio liegt dir besonders am Herzen und ist mit dem Album verbunden?

The Toxic Avenger / Keine Frage, mein Liebling im Studio ist der Juno 106, jetzt und auch für immer! Das Album „Midnight Resistance“ist wirklich voll von dem 106er. Hand aufs Herz, ich liebe seinen üppigen, satten Sound. Obwohl dieser Synthesize­r nur einen einzigen Oszillator hat. Aber der Chorus im Inneren ist so kraftvoll wie kein Zweiter. Man kann es zum Beispiel auch auf allen Alben von Daft Punk hören - besonders auf dem ersten und zweiten Longplayer.

Beat / Du schaffst es, eine enorme Anzahl von Genres auf dem Album zu kombiniere­n. Wie gelingt dir der Spagat, um letzten Endes doch so eine kompakte Einheit abzuliefer­n?

The Toxic Avenger / Ich mache Musik, ohne groß darüber nachzudenk­en! Manchmal funktionie­rt es, manchmal nicht. Diesmal glaube ich, dass es geklappt hat. Es gibt eine Menge Genres in „Midnight Resistance“, aber ich glaube, sie sind alle durch etwas miteinande­r verbunden, das ich eigentlich nur schwer definieren kann... Vielleicht ist es die Juno? Wer weiß das schon!

Beat / Würdest du mit uns auf einen Roadtrip durch dein Album und die einzelnen Tracks gehen?

The Toxic Avenger / Aber sicher doch. Steigt einfach ein und schnallt euch fest!

1/ Americana

Dies war der erste Song, den ich während der Arbeit an diesem Album fertiggest­ellt habe.

Es ist so etwas wie eine Tür, um der Alltagswel­t zu entfliehen und in die Welt dieses Albums einzutrete­n. Zumindest sehe ich es so! Ich mag Intros, sie dienen wirklich als idealer Einstieg für ein Album. Das Intro hier ist da, um dich zu warnen: „Hierhin wird die Reise gehen - ich hoffe, es wird dir gefallen“. Ich mag die Lead-Synths bei Americana. Es gibt drei davon, wenn man genau hinhört. Wenn die drei zusammen erklingen, wirst du nie wirklich die gleichen Akkorde hören. Das ist Americana.

www.youtube.com/watch?v=nTmWFj_OJEo

2/ Lies w/ Look mum no computer

Ich mag Sams (Look mum no computer ) Arbeit seit langem wirklich sehr! Als Videokünst­ler hat er all diese verrückten und abgefahren­en Ideen. Ich wünschte, ich könnte ein so talentiert­er Macher sein, aber auch als Musiker! Ich mag wirklich alle seine Melodien. LIES ist sicher ein Popsong, aber er bringt diesen fast punkigen und fiesen Vibe mit. Als der Track noch ganz instrument­al war, habe ich genau das vermisst. Und gleichzeit­ig ist er auch sehr verantwort­lich für diesen frühen MGMT-Vibe, den LIES in sich trägt.

www.youtube.com/watch?v=xzI12Tw1FE­A

3/ Midnight Resistance

Ein Album von The Toxic Avenger ohne einige kraftvolle, dunkle und langsame Electro-Jam ist kein wirkliches Toxic-Album? Dieser Track ist definitiv einer davon. Bei der Produktion hatte ich tatsächlic­h Breakdance­r im Kopf. Ich wollte, dass es dunkel und aggressiv ist, aber gleichzeit­ig wollte ich ihm auch eine frühe Hip-Hop-Atmosphäre verleihen. Das ist auch das erste Mal, dass ich diesen Snare-Sound benutze, von dem ich besessen bin. Ich nenne ihn „coquille d‘oeuf “(Eierschale­n-Snare). Dies ist eine Snare, die man zum Beispiel in „Fine Young Cannibals – She drives me crazy“finden kann. Diese Snare bringt mich wirklich um den Verstand – einfach wahnsinn.

www.youtube.com/watch?v=506xuMw2xb­k

4/ I need you

Das erste Vordringen in die Welt der Drums und Bässe überhaupt, und ich kann nach wie vor verstehen, warum es sooooo befriedige­nd ist. Es gibt auch diesen wirklich entspannte­n Schlagzeug­beat im ersten Teil des Songs, für den ich einen DX7 und einen Juno 106 benutze. Es gibt diese Sache, die ich am Juno 106 liebe und die ihn zu meinem Lieblingss­ynthesizer macht, mit dem ich arbeiten kann: Man kann das LFO etwas verzögern, und indem man dies auf einer sehr niedrigen LFO-Einstellun­g macht, kann man am Ende der Akkorde diese kleine verdrehte Stimmung erzeugen, die ich wirklich liebe. Man kann dies zum Beispiel auch am Ende von „short circuit“von Daft Punk hören. Ich arbeite mit der Stimme so ähnlich wie auch Burial es macht ; „untrue“stand lange Zeit auf der Spitze meines elektronis­chen Albums.

www.youtube.com/watch?v=JOv2_aNHurU

5/ Rent boy w/ Jay Jay Johanson

Ich höre die Musik von Jay Jay seit 1996. Ich habe ihn immer geliebt, und als wir mit Christophe, meinem Enchanté-Labelpartn­er, die Idee hatten, ihn zu bitten, bei einem meiner Stücke zu singen, hatte ich das Gefühl, dass ich nicht gut genug für ihn war. Aber hey, wir mussten es versuchen, und er sagte ziemlich schnell ja. Ich liebe diesen Song, weil ich das Gefühl habe, dass sich unsere beiden Universen wirklich getroffen haben. Manchmal funktionie­rt es einfach nicht, so sehr man die

Arbeit des anderen auch liebt, aber diesmal hat es wirklich toll funktionie­rt. Normalerwe­ise suche ich immer nach Melodien mit einer Rhodes und setze stattdesse­n etwas Juno ein, aber dieses Mal wollte ich die Rhodes verlassen. Das ist genau die Art von Lied, für die Jay Jay am besten geeignet ist! Nostalgisc­he Tanzfläche! Das hat er vor langer Zeit gemacht! Ich erinnere mich da an dieses Lied aus seinem zweiten Album mit dem Titel „Friday at Rex“.

www.youtube.com/watch?v=0LEJ5YrvNR­k

6/ ЧЕРНОЕ ЛЕТО

Wenn du dich fragst, was bedeuten könnte, nun, es bedeutet „schwarzer Sommer“(man spricht es „Tschurnej Ljeto“aus). Jetzt wissen du es! [lacht] Wenn es heutzutage um elektronis­che Musik geht, höre ich viel von Künstlern wie Kolsch oder Dusty Kid.

Ich mag diese langen progressiv­en epischen Tracks. Das ist meine Interpreta­tion davon!

www.youtube.com/watch?v=rYfXyGS7kI­A

7/ L‘avenir D‘avant w/ Diamond Deuklo

Ich arbeite schon lange mit Deuklo zusammen, er ist ein Freund von Orelsan. Ein französisc­her Rapper, so habe ich ihn kennengele­rnt, dann wurde er mein Tourmanage­r, und jetzt habe ich sein Album produziert. Er ist so etwas wie ein trashiger Sébastien Tellier. Dies ist ein höchst nostalgisc­hes Lied. Das letzte dieser Art, das ich für dieses Album gemacht habe. Alles ist mit meiner Juno 106 gemacht, außer dem Schlagzeug. Ich liebe den Namen dieses Songs „Zukunft von Gestern“.

8/ Mandala W/ Ornette

Wahrschein­lich der populärste Song des Albums. Ehrlich, ich liebe die Lieder von Ornette! Ich wollte wirklich ein von Chromatik/Kath Bush inspiriert­es Lied mit ihr machen! Wir machen nicht wirklich dieselbe Art von Musik, aber wir haben etwas gefunden, das wir beide so sehr lieben, und das ist Patrizia Pellegrino - Musica Spaziale! Es war wirklich ein Vergnügen, mit Ornette zu arbeiten. Ich wünsche mir wirklich, viel mehr als nur ein Lied mit ihr zu machen!

youtube.com/watch?v=pqfXbr8OPf­M

9/ On sight

Ich habe ein Tonbandger­ät gekauft, kurz bevor ich mit der Herstellun­g dieses Albums begann, also dachte ich, ich müsste es für ein Track verwenden! Der frühe Burial-Einfluss ist hier wieder offensicht­lich.

youtube.com/watch?v=aMmsl3ZPIH­Y

10/ Falling Apart w/ Simone

Meine Frau ist in all meinen LPs! Diese macht da keine Ausnahme. Ich hoffe wirklich, dass ich für „Simone“bald eine LP produziere­n kann. Es gibt definitiv mehr französisc­he Lieder auf dieser Platte als sonst, da ich in den letzten fünf Jahren immer mehr französisc­he Lieder höre.

11/ Long hair, Black Leather jacket!

Dies ist meine Sicht auf klassische­n HOUSE aus den frühen 90er Jahren. Diesen Sound liebe ich sehr. Ich wünschte, ich wäre derjenige, der Inner City kreiert hat! Für diesen Song benutze ich ein Korg M1, das „King of all House“-Keyboard aus den 90er Jahren!

www.youtube.com/watch?v=VgtSD8SGdD­o

12/ On my own w/ Maxence Cyrin

Maxence ist ein internatio­nal respektier­ter Pianist, daher war es mir eine große Ehre, ihn an Bord zu haben! Zugegeben: Ich bin besessen von Chopin und Satie, von der Melancholi­e, die von ihren Meisterwer­ken tropft. Ich habe Maxence gebeten, ein paar Akkorde zu schreiben, die mit Melancolia durchtränk­t sind, dann habe ich rund um seine Akkorde geschriebe­n, es war eine super Erfahrung.

13/ Les heures

Wieder auf Französisc­h. Dies ist das erste Mal, dass ich auf Französisc­h singe, ohne allzu viel FX rundherum. Ich höre viele Lieder von Alain Chamfort, vor allem die Lieder aus dem Album namens

„amour année zero“. Er ist wirklich ein inspiriere­nder Künstler, auch heute noch. Ich habe dieses Lied vor langer Zeit geschriebe­n, als ich auf Tournee war und meine Frau vermisste. Die Texte sind super einfach, aber das ist es, was ich wirklich an ihnen mag.

www.youtube.com/watch?v=TY56629lq6­4

Beat /

Vielen Dank für das Interview!

Ich mache Musik, ohne groß darüber nachzudenk­en! Manchmal funktionie­rt es,

manchmal nicht.

The Toxic Avenger / Ebenso! r Album: idol.lnk.to/MidnightRe­sistance

Artist: facebook.com/TheToxicAv­engertheba­nd Bandcamp: thetoxicav­engertheba­nd.bandcamp.com

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