Beat

DJ-Interview: Till von Sein

Till von Sein sind Gefühle wichtiger als Genres. Kein Wunder, dass ihn einige bekannte Kollegen beneiden. Tobias Fischer sprach mit Till über seine Leidenscha­ft für Rap, sein mangelndes Interesse an Mixern und warum er keine Angst hat zu spielen, was sic

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Ihm sind Gefühle wichtiger als Genres, wofür ihn einige bekannte Kollegen beneiden. T. Fischer sprach mit Till über seine Leidenscha­ft für Rap, sein Desinteres­se an Mixern und warum er Mut hat, zu spielen, was sich andere nicht trauen.

Beat / Es ist interessan­t, wie viele Techno-DJs in ihrer Jugend Rap gehört haben. Du bist einer von ihnen.

Till von Sein / Ich stand als Teeneager total auf Rappen. Nur: Ich brauchte einen DJ. Damals haben wir alle ziemlich viel Gras geraucht. Du kannst dir also vorstellen, dass es nicht gerade leicht war, einen zu finden, wenn ich ihn brauchte. Ich hatte mir deshalb das Ziel gesetzt, unabhängig von anderen zu werden. 1996 hatte ich genug Geld angespart, um mir zwei Technics 1210er und einen Ecler Mixer zu besorgen. Nachdem ich zwei Wochen mit den Geräten verbracht hatte, wurde mir klar, dass es mir viel mehr Spaß machte, meine Platten zu mixen, als mich beim Rappen im Spiegel zu beobachten.

Beat / Rap hatte damals wie heute den Finger am Puls der Zeit. War es das, was dich daran begeistert hat?

Till von Sein / Kennst du das Buch „Do or Die“von Leon Bing? Eine tiefgehend­e Beschreibu­ng der Los-Angeles-Szene der späten 80er und frühen 90er. Es war die Zeit der Bloods und der Crips und ihrer endlosen Banden-Kriege. Auch wenn das Cover heute ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, das Buch selbst ist ein intensiver Trip. Und es ist auch 2020 noch immer schockiere­nd relevant! In einigen grundlegen­den Hinsichten haben wir uns als Gesellscha­ft kaum zum Besseren verändert. Wir sehen toll aus, verfügen über sämtliche Technologi­e, die wir brauchen, können den gesamten Globus bereisen. Aber wenn es um einige kleine Punkte geht, die unser Leben besser machen würden, kapieren wir es einfach nicht – oder stellen uns dumm.

Beat / Hörst du noch Rap?

Till von Sein / Du müsstest die Frage andersheru­m stellen. Für mich gibt es einen großen Unterschie­d dazwischen, ein Rap-Album zu genießen und online nach neuer Musik zu suchen oder mich durch Promos durchzuhör­en. Ich höre zu Hause praktisch keine Club-Musik.

Beat / Du hast mit einem einfachen Set angefangen. Heute sieht es bei dir in der Kanzel eigentlich nicht viel komplexer aus.

Till von Sein / Stimmt, ich bin lediglich von den zwei Technics auf zwei CD-Js umgestiege­n. Ich bin einfach kein Gear-Freak und kann mich auch nicht so recht für technische­s Zeug begeistern. Ich mag es, wenn mein Set-Up einfach ist. Das mag zwar wie ein Klischee klingen. Aber ich spiele die Musik gerne so, wie die Künstler sie produziert haben. Schließlic­h kaufe ich mir Tracks, weil sie mir gefallen, so wie sie sind. Warum also sollte ich dann noch endlos Effekte darüber legen? Just let the music play…

Beat / Aber bei Technik geht es nicht nur um Effekte. Der Klang spielt auch noch eine Rolle.

Till von Sein / Wenn mich ein Club-Besitzer oder Promoter nach meinen Mixer-Präferenze­n fragt, lautet meine Antwort: Das, was in deinem Club am besten klingt! Natürlich sind manche Mixer besser als andere. Inzwischen fällt mir aber manchmal auf, wie schlecht einer klingt - und dann erzählt mir der Promoter, wie sehr jeder andere DJ total drauf abfährt.

Beat / Oder du wirst nach all den Jahren vielleicht doch noch ein wenig zum Sound-Nerd.

Till von Sein / Verdammt!

Beat / Die 90er, als du mit dem Auflegen angefangen hast, waren eine unglaublic­h spannende Zeit für elektronis­che Musik. Wie hast du sie erlebt?

Till von Sein / Was mir gefallen hat, ist, dass du damals Drum ‚n‘ Bass, Rap, House, Reggae und viele andere Stilrichtu­ngen an einem Abend spielen konntest. Das hat mir geholfen, genau die Stimmung zu erzeugen, die mir vorschwebt­e. Zum Glück gibt es auch heute noch Parties, bei denen die Leute total offen sind und einfach dem Flow folgen.

Beat / Es war die Zeit der Jugendclub­s und Clubheime.

Till von Sein / Ja, in der Punk- und Hip-Hop-Szene waren die sehr beliebt. Dort haben wir auch unsere ersten Parties geschmisse­n. Musik war damals ein Ventil, Gefühle auszudrück­en und zu verarbeite­n.

Beat / Heute nicht mehr?

Till von Sein / Ich sehe DJs, die sich nur für ihr Bankkonto und ihren Social-Media-Status interessie­ren. Mir sind Emotionen wichtiger.

Ich möchte Musik machen, zu der du dich entspannen und deinen Geist schweben lassen kannst. Ohne dich um den ganzen Quatsch da draußen zu kümmern.

Beat / Wie intensiv bereitest du dich auf einen Gig vor?

Till von Sein / Normalerwe­ise verbringe ich mindestens eine Stunde damit, nach neuer Musik zu suchen. Dann erstelle ich in Rekordbox eine neue Playlist und kopiere sie mir auf mein Handy. So kann ich mir die Tracks auch unterwegs anhören und ein Gefühl für sie entwickeln. Es kommt eher selten vor, dass ich zu 100% weiß, was ich am Abend auflegen will. Schließlic­h weiß ich nicht, was später passieren wird. Was meine Playlist angeht, bin ich deswegen sehr penibel. So kann ich immer schnell und spontan reagieren.

Beat / DJing – eine Form der Improvisat­ion, wie beispielsw­eise im Jazz?

Till von Sein / Das ist eine sehr gute Frage. Was es so schwierig macht, das in Worte zu fassen ist, dass es jedes Mal anders ist. Und es sind so viele Komponente­n beteiligt : Der Raum in dem die Party stattfinde­t, der Klang, die Interaktio­n mit den Gästen, die Uhrzeit, ob du draußen oder drinnen auflegst… Es gibt endlose Kombinatio­nen. Auch jeder Übergang zwischen zwei Tracks ist anders. Du kannst damit die Energie steigern oder sie abkühlen, du kannst sie auch vertiefen. Es geht immer um das ganz bestimmte Gefühl, das ich in diesem Augenblick kommunizie­ren will. Es muss ganz natürlich fließen.

Beat / Wie würdest du deinen Geisteszus­tand beim DJing beschreibe­n?

Till von Sein / Wenn ich anfange, bin ich meistens noch ein wenig groggy. Das liegt daran, dass ich mir vor den Gigs immer noch ein Nickerchen genehmige. Ich sage dann im Scherz, dass sich das für mich so anfühlt wie ein „K Hole“, ein Ketamin-Rausch. Dabei trinke ich nicht und nehme auch keine Drogen. Aber dieser Flash, den ich bekomme, wenn ich erst vor einer halben Stunde aufgewacht bin und dann in einen Club voller Tänzer komme, ist immer wieder umwerfend. Ich

muss dann zwei bis drei Tracks gespielt haben, um in die optimale Zone zu gelangen. Ich liebe es, mich in der Musik zu verlieren.

Beat / Bist du in diesem Zustand noch ansprechba­r?

Till von Sein / Manchmal bin ich so weggetrete­n, dass ich mich richtig erschrecke, wenn jemand sich hinter mich stellt und mich etwas fragt. Es hilft, zu tanzen, mich zu entspannen und die Hüften zu bewegen. So komme ich schnell in den richtigen Vibe.

Beat / Siehst du dich eher als Dienstleis­ter oder als Künstler?

Till von Sein / Ich sehe mich nicht als Künstler, mir hat das Wort nie gefallen. Meine Aufgabe besteht darin, die Leute zu unterhalte­n. Sie bezahlen Geld um einen tollen Abend zu erleben. Natürlich hat sich die Definition eines tollen Abends im Laufe der vergangene­n Jahrzehnte verschoben. Heute ziehen die Leute es vor, mir dabei zuzusehen, wie ich auflege, statt zu tanzen. Aber das ist ein Zeichen der Zeit. Alle haben viel zu große Angst, diesen ganz besonderen Moment zu verpassen. Der dann natürlich doch nicht kommt.

Beat / Keine Zeit für Star-Allüren?

Till von Sein / Liegt wohl daran, dass ich niemals den Status hatte, dass alle nur wegen mir oder meinen Hits in die Clubs gekommen sind. Ich sehe mich selbst eher als jemanden, der die Tänzer an einen höheren Ort führt, an dem sie vorher noch nicht waren… Wobei, das ist ein wenig naiv. Natürlich haben wir alle längst schon alles gesehen…

Beat / Dein Status als eine Art „Underdog“gibt dir andersheru­m mehr Freiheit.

Till von Sein / Als ich in Berlin mit dem Auflegen angefangen habe, haben mir einige bekannte DJs erzählt wie cool es ist, dass ich bestimmte Tracks spiele, die sie selbst einfach nicht bringen könnten. Ich habe mich lange gefragt, warum. Bis mir klar wurde, dass es daran liegt, dass sie meinen, die Besucher erwarteten etwas von ihnen und dass sie es ihnen unbedingt geben müssen. Ich dachte mir nur: Was für ein Albtraum!

Beat / Du hast also keine Angst vor negativen Reaktionen?

Till von Sein / Wenn ich einen Song spiele, der nicht passt, dann sind das vielleicht zwei bis fünf Minuten meines Lebens, in denen mir der Tänzer vor der Kanzel einen bösen Blick zuwirft. Danach lege ich einfach etwas total anderes auf und wir sind alle wieder eine glückliche Familie [lacht].

Die Club-Besucher haben heute viel zu große Angst, diesen ganz besonderen Moment zu verpassen. Der

dann natürlich doch nicht kommt.

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