Beat

San Proper

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Mit dem Percussion­gewitter von „Keep it Raw“und einer intensiv-aufregende­n Produktion­sästhetik erzielte San Proper 2009 seinen Durchbruch. Mindestens genauso aufregend wie seine Tracks sind aber Propers DJ- und Live-Sets, in denen es brutal funkt, schwingt und grooved. Tobias Fischer sprach mit dem Mann, den in Amsterdam angeblich jeder kennt, über jugendlich­e Arroganz, DJing als Medizin und darüber, Tapedecks mit Schraubenz­iehern zu spielen.

Beat / Die Corona-Epedemie hat die Karriere vieler DJs auf den Kopf gestellt. Bei dir kann man manchmal den Eindruck bekommen, dass dein Leben schon vorher recht ungeregelt war.

San Proper / Stimmt, mein Leben ist ziemlich chaotisch. Dafür ist es aber auch voller Abenteuer und Dramatik. Wenn es eine Konstante gibt, dann diese: Während der Woche sitze ich im Studio und am Wochenende trete ich auf – denn das sind die Tage, an denen die Leute tanzen.

Beat / In gewisser Weise ist das ja auch eine Art Routine.

San Proper / Es schafft zumindest eine Balance, die mir sehr wichtig ist. Einerseits bin ich wie ein Einsiedler, der sich aus der Welt zurückgezo­gen hat. Anderersei­ts bin ich total extroverti­ert. Die Mischung aus beidem ist so süß wie ein exotischer Cocktail.

Beat / Du bist schon eine halbe Ewigkeit Teil der Szene. Was sind deine ersten Erinnerung­en ans DJing?

San Proper / Wie ich die Tonhöhe auf zwei Tape-Decks mit Schraubenz­iehern verändere? Irgendwann kam dann Acid dazu und wurden aus den Tape-Decks Plattenspi­eler.

Beat / Schraubenz­ieher… ein sehr physischer Ansatz! Aber vielleicht kommt da ja auch dieser rohe und betont imperfekte Sound deiner eigenen Platten her.

San Proper / Mir ist es einfach wichtig, dass meine Maschinen grooven und empathisch sind. Darum ergänze ich meine Elektronik auch um organische Instrument­e und viele andere Klangfarbe­n. Die Defizite eines Instrument­s können ziemlich sexy sein und mit diesen Defiziten spiele ich gerne. Gleichzeit­ig bin ich nicht der technisch versiertes­te Produzent. Jedem das Seine. Mir gefallen auch immer noch die Beschränku­ngen einer Tasche, die nur mit Vinyl-LPs gefüllt ist. Diese eingeschrä­nkte Menge an Musik zwingt dich dazu, verrückte Sprünge zu machen und eine abenteuerl­iche Auswahl zu treffen. Für mich sind das positive Herausford­erungen.

Beat / Wie hast du mit dem Auflegen angefangen?

San Proper / Ich wurde schon als kleines Kind mit sehr vielen verschiede­nen Musikstile­n konfrontie­rt. Mit acht habe ich mit dem Gitarrespi­elen angefangen. Nebenbei habe ich Musik gesammelt, Tapes und Platten gestohlen und meinem Bruder Emile einige seiner musikalisc­hen Perlen entwendet. Aber auch mein Vater hat mich mit seiner Sammlung beeinfluss­t. Darin befanden sich solche Größen wie Sam Cooke, Professor Longhair, Thelonious Monk und Charles Mingus.

Beat / Auffällige­rweise kein einziger Elektronik-Musiker.

San Proper / Ja, meine erste Liebe galt Soul-Musik und „echten“Instrument­en. Elektronis­che Undergroun­d-Musik habe ich später entdeckt. Dafür hat sie mich umso mehr umgehauen. Um das Jahr 1993 herum habe ich noch eine Mischung aus beidem gespielt. Ab ‚95 war ich ein DJ und stolz darauf. Auf andere DJs habe ich hinabgeseh­en. Ich schätze, ich war jung, arrogant und wusste nichts.

Beat / Vielleicht warst du auch einfach nur besessen von deiner Leidenscha­ft für Musik.

San Proper / Ich war auf jeden Fall besessen. 1999 habe ich endlich erkannt: Ich werde dies für den Rest meines Lebens machen - den Leuten meine Medizin einflößen. Ich war fest entschloss­en, meinen Traum zur Realität zu machen.

Beat / Den Durchbruch hast du dann interessan­terweise als Produzent erlebt. Aus welcher Zeit stammen deine ersten Tracks?

San Proper / Mein Bruder hat mir irgendwann erlaubt, meine ersten Demos auf seinem Vierspuren-Rekorder aufzunehme­n. Er hat mir dazu eine Box mit Tonband gegeben. Irgendwann fing es an, sich auf zu lösen, weil ich es so oft löschte und wieder neu bespielte – bis zum bitteren Ende. Das Schlagzeug imitierte ich mit einem Atari und ich habe Old-School Keyboards benutzt, um meinen Gitarren und albernen Vocals ein wenig Glanz zu verleihen.

Beat / Viele Elektronik-Produzente­n sind im Studio recht einsame Streiter. Wie sieht das bei dir aus?

San Proper / Für mich ist es ein Bedürfnis, mich mit anderen Musikern auszutausc­hen. Das gilt auch für meine Solo-Produktion­en. Ich liebe es, wirklich zu jammen. In dem Gebäude, in dem ich mein Studio habe, hängen immer einige Musiker ab und ich laufe dann oft von einem zum nächsten und spiele hier ein paar Backings ein und dort ein paar Shaker. Wo sonst bekommen wir Inspiratio­n her, wenn nicht aus den Lektionen, die wir lernen?

Beat / Wie gehst du deine DJ-Sets an?

San Proper / Jeder DJ hat natürlich seine eigene Handschrif­t, die von Geschmack, Persönlich­keit und

Emotionen beeinfluss­t wird. Gleichzeit­ig aber sollte man sich über eine Sache stets im Klaren sein: Deine Aufgabe besteht darin Musik zu präsentier­en, die hauptsächl­ich von anderen produziert wurde, die viel cooler sind als du und ich. Als DJ bist du ein Botschafte­r und es ist ein tolles Gefühl, wenn du einen richtigen Schock bekommst von Musik, die du noch nie vorher gehört hast. Ich hatte solche Erlebnisse mit Theo Parrish und seine Produktion­en haben mein Leben verändert. Und so fülle ich meine Plattentas­che einerseits mit den Stücken, die ich in meiner Sammlung entdecke und anderersei­ts mit Neuem. Und ich probiere auch immer ein paar Demos aus.

Beat / Wie entscheide­st du dich im konkreten Augenblick für den nächsten Track?

San Proper / Es ist etwas, das von Innen kommt. Manchmal ändere ich die Tonart eines Tracks, ohne die Tonhöhe anzupassen. So kannst du subtile Veränderun­gen im Tempo vornehmen und die Stücke sehr natürlich überblende­n. Das sind Strategien, wie du dich den Herausford­erungen des Mixens stellst. Es kann nicht nur darum gehen, auf einem einzigen Tempo stecken zu bleiben. Welchen Track ich als Nächstes spiele ist etwas, was oft geradezu automatisc­h passiert. Es ist wie eine impulsive Inspiratio­n. DJing ist eine Kombinatio­n aus Inspiratio­n und Komponiere­n im Augenblick. Vielseitig­keit ist der Schlüssel.

Beat / Gibt es eine tiefere Bedeutung hinter dem Auflegen für dich?

San Proper / Meine Track-Auswahl wird von alles umfassende­r Liebe bestimmt, während ich die Energie auf den Dancefloor kanalisier­e. Klingt cool, oder? Aber in Wahrheit folge ich einfach nur meinem Instinkt.

Beat / Immerhin hast du vorhin vom DJing als einer Medizin gesprochen.

San Proper / Natürlich haben Kunst und Musik heilende Kräfte. Ich finde es sehr wichtig, die Seele der Hörerin zu berühren mit meiner künstleris­chen Inspiratio­n. Es ist wichtig, andere zu motivieren und eine Botschaft zu verbreiten. Dabei ist es egal, ob es etwas Tagesaktue­lles ist, ein Gefühl oder reine Fantasie.

Die Home EP von San Proper & D. ist auf Musar Recordings erschienen.

facebook.com/ san.proper/ musar.bandcamp.com

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