Beat

Bittere Pille

- Von Tobias Fischer

Digitale Kultur: Bittere Pille

Benzodiaze­pine und synthetisc­he Opioide sind die Drogen der Stunde – und Trap ist ihr offizielle­r Kanal. Auch in Deutschlan­d sind Mittel wie Tilidin immer beliebter. Bis jetzt wurde die Musik dafür nicht verurteilt, was leider keine gute Nachricht ist.

– Benzodiaze­pine und synthetisc­he Opioide sind die Drogen der Stunde und Trap ist ihr offizielle­rKanal. Über ihn besingt die Szene Exzesse und spricht Warnungen aus. Auch in Deutschlan­d gewinnen Mittel wie Tilidin an Beliebthei­t. Bis jetzt hat noch keiner die Musik verantwort­lich gemacht. Leider ist das gar keine gute Nachricht.

Der amerikanis­che Hip-Hop bleibt das Maß aller Dinge. Und so imitieren deutsche Rapper ihre amerikanis­chen Vorbilder nicht nur, wenn es um Beats, Texte und Sounds geht. Sondern genauso im Hinblick auf die Wahl ihrer liebsten Rauschmitt­el. Gerade schwappt eine Welle an Substanzen an unsere Ufer, die in den USA bereits seit langem als die neuen Sterne am Drogen-Himmel gelten. Sie werden unter so wohlklinge­nden Produktnam­en wie Xanax, Valium, Percocet und Halcion vertrieben und obwohl sie in Deutschlan­d gewiss keine Breitenbel­iebtheit erreicht haben, nimmt ihre Nutzung rapide zu. Die Wirkung dieser „Benzodiaze­pine“haben Capital Bra und Samra in ihrer Hymne „Tilidin“treffend beschriebe­n. Dort heißt es: „Paar Tropfen Tili, seh‘ den Film an mir vorbeifahr­en, lieber Gott, ich fühle mich so einsam / Gib mir Tilidin, ja, ich könnte was gebrauchen.“Die Wirkung von Tilidin – Angst zu nehmen, Einsamkeit zu lindern und Schmerzen zu mildern – kennt man bereits von „klassische­n“Substanzen wie Heroin.

Und doch: Diese Generation von Drogen ist anders. Tilidin nimmt eine ganz besondere Stellung ein. Und zwar insofern, als es sich hierbei um einen deutschen Sonderweg handelt. In den USA zum Beispiel spielt der Wirkstoff kaum eine Rolle. Im Grunde genommen aber unterschei­det er sich kaum von weitaus bekanntere­n Produkten. Tilidin ist, im Gegensatz zu Xanax & Co, kein „Benzo“, sondern ein s ynthetisch­es Opioid. Von ärztlicher Seite aus wird es aber gerne gegen ähnliche S ymptome v erschriebe­n: P anikattack­en, Beklemmung­szustände, Angststöru­ngen, innere Unruhe und S chmerzen. Auch, wenn man nicht jeden Tag in der Zeitung von ihnen liest, sind Benzos und Opioide l ängst kein Nischenphä­nomen mehr. In der U S-Serie „Homeland“spielt Claire Danes d ie C IA-Agentin C arrie M athison, d ie unter biopolarer Störung leidet und ihr e Symptome, mal mehr mal weniger erfolgreic­h, mit dem Benzodiaze­pin Clonazepam (Markenname: Klonopin) unter Kontrolle zu bekommen versucht. Dass sich über acht Staffeln hinweg so viele mit dieser s chwierigen H auptperson iden tifizieren konnten, spricht B ände darüber, wie sehr die unterliege­nden Symptome, wenngleich in abgeschwäc­hter Form, im Mainstream angekommen sind.

Musik als Frühwarnsy­stem

Wie so oft war es nicht Hollywood, sondern die Musikindus­trie, die als Fr ühwarnsyst­em fun - gierte. S chon s eit üb er zw ei Jahrzehnte­n s etzt sich H ip-Hop t extlich und pr aktisch mit B enzodiazep­inen und Opioiden a useinander und erreicht d amit e in r iesiges, j unges P ublikum. Samra und Capital Br a b eispielswe­ise s etzten von „Tilidin“fast eine halbe Million Einheiten ab und l andeten einen Tr ipple-Nummer-1-Hit in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Spätestens s eitdem is t die S ubstanz un ter Jugendlich­en kein Fremdwort mehr.

Doch b eginnt die G eschichte b ereits Mitte der 90er und in H ouston, Texas. Dort schraubte DJ S crew an einem ultim ativ en tschleunig­ten Musikstil n amens C hopped n S crewed, der s o träge und schleppend daherkommt, dass Vorreiter w ie Tr ip Hop im V ergleich w ie Speed Metal anmuten. Alles lief in Screws Tracks langsamer: Die Beats, die herunterge­pitchten Vocals, die Zeit an sich. Screw reduzierte das Tempo angesagter Rap-Tracks, bastelte an den L yrics und Ar rangements, fügte eigene Raps hinzu oder lud Freunde ins Studio ein. So dehnte er seine Remixe auf bis zu zehn hypnotisch­e Minuten. Es ist ein Konzept,

Der Umgang mit Benzos ist verspielt. Die ehemals

große Trap-Hoffnung Lil Peep schüttelte sich die Tabletten direkt aus dem Fläschchen in den Mund –

ganz so, als seien es Smarties.«

das zunächst krude klingt, einen aber schon bald immer tiefer hineinzie ht und von dem eini ge meinen, es habe nur hier in Houston entstehen können, einer S tadt, in der es neun M onate im Jahr S ommer is t. D och auch die R auschmitte­lkultur der Stadt hinterließ ihre Spuren.

Die Lieblingsd­roge der S zene war Lean, auch „ Purple“g enannt, e in h albflüssig­es, halbfestes G etränk aus hochdosier­tem, codeinhalt­igem Hustensaft, Sprite und B onbons. Lean wird tr aditionell in zw ei inein andergeste­ckten Styropor-Bechern ( „Double C up“) s erviert, d ie dafür sorgen, dass der süße Drink länger eiskalt bleibt und tr ansportier­t e in un glaublich en tspanntes und weiches Gefühl, so, als sei die Welt in Watte gekleidet. Schmerzen nimmt man kaum noch w ahr, S orgen w erden er träglich. D amit ähnelt es T ilidin, d as w eniger für „ Euphorie“oder „Entspannun­g“sorgt, sondern eher eine Art „Abseits“erzeugt.

Der Absturz

Nun k ommt n ach j edem H och not gedrungen auch ein Absturz. In manchen Fällen s ogar auf dem selben Album. Nach dem Charts-Erfolg mit „Tilidin“rappte Capital Bra auf dem Tr ack „Lieber Gott“: „Ich wache schweißgeb­adet auf, werd‘ von Alpträumen verfolgt / Para und Erfolg, Leute sagen, b ei mir l äuft, D och meine S inne s ind betäubt / „Tilidin“ist Gold, doch ich hasse dieses Zeug / Ich hab‘s genomm‘n und hab‘s bereut, lasst die Finger von dem scheiß sein.“Auch in der aktuellen Single von Bonez MC, „Tilidin Weg“, werden die dunklen Seite der Wirkungspa­lette beleuchtet. Im Video imitieren Bonez und seine Mit-Tänzer die Untoten aus Michael Jacksons „Thriller“und drücken damit das Zombie-Gefühl aus, was Viele bei der N utzung v on T ilidin er leben. B ei L ean war d er A bsturz b esonders s chmerzhaft. Ei ne der Wirkungsac­hsen von Codein ist die Atmung. Als H ustenunter­drücker en twickelt, s enkt der Stoff die Herz- und R espiration­sfrequenz, b ei sehr hohen Mengen oder einer Kombinatio­n mit ebenfalls kr eislaufsen­kenden S ubstanzen w ie Alkohol können sich daraus lebensbedr­ohliche Atemausset­zer e ntwickeln. B enzos wirken l etzten Endes identisch, weswegen Carrie Mathison in einer dr amatischen Episode von „Homeland“versucht, s ich mit einer K ombination a us Tabletten und W eißwein um z u br ingen. Während Mathison im Fernsehen überlebt, war das echte Leben weniger gnädig: DJ Screw verstarb 2000 an einer C odein-Überdosis. Es w ar eine W arnung, auf die k einer hören wollte. Chopped and Screwed alleine wurde nicht zum Massenphän­omen, doch beeinfluss­te es maßgeblich die Geburt von Trap, einer neuen Musikricht­ung, die den texanische­n U nderground-Sound m assentaugl­ich machte. Sie sollte das Codein-Lebensgefü­hl aus Houston in die ganzen Welt hinaustrag­en.

Vom Traum zum Alptraum

Chopped n S crewed stand für ein leic ht psychedeli­sches und verträumte­s Weltbild. Als ich vor knapp zehn Jahren mit dem Pionier DJ C am in Paris über diese Musik sprach, die ihm s ehr am Herzen lag, erzählte er mir l achend davon, dass seine Mutter einige DJ-Screw-Tracks liebte, weil sie so friedlich und schön seien – freilich, ohne die von „Bitches“und „Hoes“überladene­n Texte zu verstehen. Im Trap hingegen wurde aus der wohligen Lockerheit ein klanggewor­dener Alptraum. Einer der großen Hits des Genres, Futures „Mask Off “, geriet zur Blaupause: Ein zeitlupenh­aftes Flötensamp­le, tonnenschw­ere Bass-Schauer, müde rasselnde Hi-Hats und darüber Futures seltsam unbeteilig­te Stimme entwarfen ein Bild von einer apokalypti­schen Unterwelt. Der Refrain bestand passenderw­eise hauptsächl­ich aus den Worten „Molly Percocet“, was für die Kombinatio­n aus MDMA (auch als „Molly“bezeichnet) und dem Benzo Percocet steht. Der konsequent in jeder Textzeile eingesetzt­e Autone verstärkte das Element der Entmenschl­ichung noch. „Mask Off“und das zugehörige Album trafen den Nerv der Zeit - was dazu beitrug, das die Botschaft ein Massenpubl­ikum erreichte. Schon bald wurde das Schlucken von Benzos und Opioiden auf Parties zum Standard-Ritual, und eine ganze Generation an Rappern flirtete mit dem, was die Podcasteri­n Nadira vom Youtube-Kanal „Die Schnibis“als den „Trap-Lifestyle“und „die Schönheit des Kaputten“bezeichnet hat. [1]

Entziehen konnten sich dieser Schönheit nur wenige. Doch war sie nicht so glamourös wie zu den Hochzeiten von Kokain und Heroin. Der Umgang mit Benzos war vielmehr geradezu verspielt. Er war ehrlich und ungeschönt - vertuscht oder im Backstage-Bereich versteckt wurde hier nichts. In einem seiner bekanntest­en Videos versuchte die ehemals große Trap-Hoffnung Lil Peep, sich die Tabletten direkt aus dem Fläschchen in den Mund zu schütteln, ganz so, als seien es Smarties. Einige seiner Kollegen, wie Lil Xan (Xanax) oder Joey Purp (eine Anspielung auf die lila Farbe von Lean) benannten sich gleich nach ihren liebsten Benzos. Nur einmal gewährte Peep seinen Hörerinnen einen Blick auf die Dunkelheit hinter der Maske. „Ich brauche Hilfe“textete er, kurz nachdem er eine beängstige­nd hohe Dosis Alprazolam und Fentanyl geschluckt hatte. Wenige Stunden danach war er tot. Nur ein Jahr später folgte ihm Mac Miller, das mit fünf Top-5-Alben in knapp über einem Jahrzehnt vielleicht prominente­ste Benzo-Oper. Sie sollten nicht die einzigen bleiben. Die L iste der an einer Ü berdosis Verschiede­nen ist lang und reißt bis heut e nicht ab. Und auch, wenn Future sich nach der zunehmende­n Zahl an J ugendliche­n, die mit Opioid- Sucht zu kämpfen haben, öffentlich dazu bekannt hat, die Drogen nicht mehr in seinen Songs zu glorifizie­ren, bleibt er d amit die Ausnahme. Der Fluch der Beruhigung­smittel scheint nicht abbrechen zu wollen.

Benzos tun, was sie sollen

Dafür gibt es fr eilich einen einfac hen Gr und, den Vic Mensa in der D okumentati­on „Bars“, die sich spezifisch mit den F olgen des B enzo-Missbrauch­s a useinander­setzt ( das W ort „ Bars“is t ein Wortspiel, das sich ebenso auf die als „ Bars“bezeichnet­en Textblöcke im Rap bezieht als auch auf die Form von Xanax-Tabletten, die einer Tafel (bar) S chokolade ähneln) fol gendermaße­n a uf den Punkt bringt: „Die Drogen tun das, wozu sie entwickelt wu rden: S ie s tumpfen di ch a b u nd sie machen dich abhängig.“[2] U nd genau diese Stumpfheit s uchen der zeit V iele. Die Z ahl an Jugendlich­en mit An gststörung­en nimm t a uch in D eutschland er schreckend s chnell z u und in den U SA k ämpfen 20% der B evölkerung mit chronische­n Schmerzen. [3] Im Z weifelsfal­l ziehen die Betroffene­n Xanax einem Leben in Angst und Schmerzen vor. Wenn also in der S uchthilfe oder von offizielle­rSeite aus gewarnt wird, viele Jugendlich­e verstünden den Unterschie­d zw ischen Dr ogen und M edikamente­n nic ht, d ann gibt es dafür einen einfachen Grund: Es gibt gar keinen Unterschie­d. Letzten Endes verschreib­en sich Nutzer s elbst g enau die S ubstanz, die ihr e Sorgen und Schmerzen am effektivst­en lindert. In der Folge werden sie konsequent­erweise dann auch von genau den S ymptomen heimgesuch­t, die „r ichtige“P atienten pl agen: A bhängigkei­t, zunehmende Toleranz und teilweise ein verstärkte­s Auftreten genau der Symptome, weswegen sie ursprüngli­ch mit der Nutzung angefangen haben.

Es is t b emerkenswe­rt, d ass s ogar in den USA, w o immer w ieder g erne der M usik die Schuld für alle Ü bel der W elt in die S chuhe geschoben wird, bis heute keine Stimme laut geworden is t, die S anktionen g egen die Tr apSzene gefordert hat. Stattdesse­n müssen sich die Pharma-Konzerne d afür r echtfertig­en, p otentiell abhängigma­chende Medikament­e entwickelt und all zu freizügig in Umlauf gebracht zu haben. Sollten die Kläger erfolgreic­h sein, wird das Auswirkung­en a uf d ie g esamte P harma-Industrie haben. Das ist eine gute Nachricht für diejenigen, deren Leben durch ihre Abhängigke­it von Benzos oder Opioide zerstört wurde und weiterhin wird. Dahinter steckt aber auch eine traurige Einsicht: Es wäre schön zu glauben, dass wir unsere Dämonen alleine durch das Hören und Produziere­n von Musik austreiben könnten, dass Musik tatsächlic­h eine heilende Kraft besitzt. Darauf, so scheint es, will sich aktuell keiner mehr verlassen.

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