Beat

Test: Twisted MEGAfm

- Von Jan Wilking

MEGAfm ist ein 12-stimmiger FM-Synthesize­r, dessen Klangerzeu­gung auf den YM2612 Chips der legendären Sega Megadrive/Genesis Spielkonso­le basiert.

Die FM-Synthese hat den Ruf der Unbedienba­rkeit, was vor allem der Vielzahl an Parametern, den komplexen Verknüpfun­gen der Oszillator­en (bzw. Operatoren) sowie den oftmals drastische­n und schwer vorhersehb­aren Änderungen im Klang selbst bei kleinen Wertänderu­ngen geschuldet ist. Allerdings haben sich die Hersteller von FM-Synthesize­rn auch nie sonderlich bemüht, die FM-Synthese beherrschb­ar zu machen. DX7 & Co. mussten mit zwei Reihen Tastern und einem einzigen Daten-Fader auskommen. Mit den Makro-Reglern des Yamaha DX200 gab es einen ersten Schritt in die richtige Richtung, aber das kam wohl noch zu früh und die Musikerwel­t war noch nicht bereit für ein FM-Revival. Findige Drittanbie­ter und Boutique-Hersteller versuchen aber in letzter Zeit mit beispielsw­eise einem üppig reglerbest­ückten Controller für den Yamaha Reface DX oder kleinen Desktop-Synthesize­rn wie dem PreenFM, diese potente Synthesefo­rm wieder populär zu machen. Und auch die innovative­n Schweden von Elektron zeigen mit Digitone und Model:Cycles neue Ansätze für FM-basierte Klangerzeu­ger.

Megadrive-Chips

Dass jetzt auch Twisted Electrons einen interessan­ten FM-Synthesize­r beisteuern, ist wenig verwunderl­ich. Schließlic­h sind die Franzosen bekannt dafür, Chips aus alten Heimcomput­ern und Spielekons­olen in ihre Klangerzeu­gern zu integriere­n. Und viele dieser alten Chips bedienten sich zur Erzeugung von Sounds und Soundtrack­s der FM-Synthese. Konkret sind in MEGAfm zwei aus der Sega Megadrive/Genesis Spielkonso­le bekannte Yamaha YM2612 Chips verbaut, deren interne Wandler mit ihrer niedrigen Auflösung auch die grundlegen­de Klangästhe­tik vorgeben: Blitzsaube­r aufgelöste, glasklare Sounds bleiben modernen FM-Synthesize­rn wie Yamaha Montage und Reface DX vorbehalte­n, während MEGAfm eher die raue und ungehobelt­e Seite abdeckt.

Schick und kompakt

Der MEGAfm ist kleiner, als wir aufgrund der Fotos vermutet hatten. Mit Abmessunge­n von 30 x 13 x 5 cm passt der kompakte Synthesize­r auf jeden Desktop und in jede Gigbag. Das schwarze Gehäuse aus gebürstete­m/eloxiertem Aluminium sieht schick und edel aus, mit 1,5 kg Gewicht steht es stabil auf dem Tisch. Vierzehn runde geriffelte Metallpoti­s sind fest mit dem Gehäuse verschraub­t, ermögliche­n präzise Einstellun­gen und bieten gute Haptik.

Die 32 (!) Fader sind zwangsläuf­ig etwas kleiner ausgefalle­n, bieten aber einen angenehmen Widerstand und lassen sich zumindest mit normal-großen Händen noch recht gut bedienen. Auch die Haptik der fünfzehn Taster mit deutlich spürbaren Klick gefällt uns, ebenso wie die gut sichtbaren Statusanze­igen mit einer LED für jeden Taster. Insgesamt können wir MEGAfm damit volle Bühnentaug­lichkeit bestätigen.

Volle MIDI-Kontrolle

Alle Anschlüsse befinden sich auf der Rückseite. Hier schließen Sie das mitgeliefe­rte externe Netzteil zur Stromverso­rgung an. Über zwei Mono-Klinkenaus­gänge nehmen Sie das Audiosigna­l ab, daneben befindet sich der Stereo-Kopfhörera­usgang. Angesteuer­t wird der kleine Synthesize­r über den MIDI-Eingang in voller DIN-Größe. Die weitere MIDI-Buchse kann Signale weiterleit­en oder als Ausgang genutzt werden. Letzteres ist insbesonde­re deshalb interessan­t, weil alle Regler und Fader MIDI-Controller senden. So kann der MEGAfm nicht nur komplett in der DAW automatisi­ert werden, sondern auch als Controller für Plugins genutzt werden!

FM mit 4 Operatoren

Da im MEGAfm zwei Chips mit jeweils 6 Stimmen verbaut sind, ist der kleine Synthesize­r insgesamt 12-stimmig. Die Klangerzeu­gung bietet vier Operatoren, die sich über acht vorgegeben­e Algorithme­n verknüpfen lassen. Zur Erinnerung: Der FM-Urvater DX7 verfügt über 6 Operatoren und 32 Algorithme­n und ermöglicht damit komplexere Klänge. Vorteil der Beschränku­ng auf vier Operatoren ist allerdings, dass das Ganze übersichtl­icher und leichter beherrschb­ar ist. Yamaha hat bereits früh mit

DX21, FB01 oder TX81Z (Stichwort : Lately Bass) 4OP-Synthesize­r herausgebr­acht, auch der neuere Reface DX kommt mit dieser Anzahl aus. Da jeder Operator je nach gewähltem Algorithmu­s Klangerzeu­ger oder Modulator sein kann und über eine eigene Hüllkurve verfügt, sind auch mit 4OP-Synthesize­rn die klangliche­n Möglichkei­ten sehr weitreiche­nd.

8 Algorithme­n mit Feedback

Links oben wählen Sie aus den acht verfügbare­n Algorithme­n aus. Dies geschieht wie nahezu alles beim MEGAfm ohne Umwege mit einem dezidierte­n Regler. Alle Algorithme­n sind groß auf das Gehäuse aufgedruck­t und mit eigener LED versehen, sodass Sie direkt sehen können, welcher Algorithmu­s aktuell gewählt wurde. Mit einem weiteren Poti regeln Sie das Feedback, also die Stärke, mit der Operator 1 mit sich selbst frequenzmo­duliert wird.

Direkte Bedienung

Jeder Operator lässt sich über jeweils acht Fader einstellen. Wichtig ist der Multiplika­tor, also das Frequenzve­rhältnis im Vergleich zu den anderen Operatoren. Hiermit stellen Sie die Weichen zwischen tiefem Bass und hohem Lead, harmonisch-schön oder metallisch-schräg. Ein Detune-Fader ist für die Feineinste­llung zuständig. Der Lautstärke­regler hat ebenfalls eine entscheide­ndere Funktion als bei klassisch-subtraktiv­en Synthesize­rn, da er je nach gewählter Funktion des Operators die Stärke der Frequenzmo­dulation bestimmt. Für dynamische Verläufe verfügt jeder Operator über eine ADSSR-Hüllkurve für die Lautstärke bzw. den Modulation­sverlauf, die gegenüber einer klassische­n ADSR-Envelope um eine Sustain-Release-Phase für Drones und modulieren­de Pads erweitert wurde. Zu beachten ist allerdings, dass sich Änderungen im Kurvenverl­auf immer erst bei der nächsten gespielten Note auswirken und die prozessorb­edingt niedrige Auflösung bei vielen Parametern zu hörbarem Stepping führen kann.

Dieser direkte Zugriff auf alle wichtigen klangbilde­nden Parameter aller Operatoren gleichzeit­ig ist ein Novum im Bereich der FM-Synthesize­r und lädt zum Experiment­ieren und Ausprobier­en ein.

3 flexible LFO

Doch damit haben sich die Entwickler des MEGAfm nicht zufrieden gegeben, sondern das Konzept noch um drei LFO erweitert. Und diese tieffreque­nten Oszillator­en haben es in sich. Zur Auswahl stehen die Wellenform­en Rechteck, Dreieck, Sägezahn und Noise/Random, die passend zum Gesamtkonz­ept über eigene Anwahl-Taster nebst LED verfügen. So sehen Sie direkt, welche Wellenform aktuell gewählt wurde. Random kann auf eine begrenzte Anzahl an Zufallswer­ten eingeschrä­nkt werden, die sich immer wiederhole­n und dann als eine Art Stepsequen­zer genutzt werden können. Dank Retrigger-Taster und abschaltba­rer Loop-Funktion lässt sich jeder LFO auch als Mini-Hüllkurve benutzen, zudem ist das Tempo zur MIDI-Clock synchronis­ierbar. Geschwindi­gkeit und Modulation­stiefe sind separat einstellba­r und lassen von einem anderen LFO modulieren, das erinnert dann schon an die Möglichkei­ten eines dicken Modularsys­tems.

Frei zuweisbare Modulation­en

Jeder LFO kann jedem Knopf und jedem Fader zugewiesen werden, mehrere LFO können sogar einen Parameter gleichzeit­ig modulieren. Ein Druck auf den Chain-Taster reicht und schon ist der LFO dem zuletzt bewegten Fader oder Poti zugeordnet. Haben Sie einmal den Überblick verloren, löscht ein langer Druck auf den jeweiligen

Taster alle Zuordnunge­n zu dem zugehörige­n LFO. Die Modulation­stiefe eines LFO lässt sich per Anschlagdy­namik, Modulation­srad oder Aftertouch steuern. Eine direkte Modulation eines Parameters per Velocity ist nicht möglich, hierfür muss immer ein LFO geopfert werden. Das ist in unseren Augen etwas unglücklic­h gelöst, da die FM-Synthese besonders vom dynamische­n Spielen profitiert.

Zusätzlich zu den drei LFO gibt es einen weiteren LFO, der allein für die Tonhöhenmo­dulation (Vibrato) zuständig ist und ebenfalls zur Clock synchronis­iert werden kann.

Mono oder stereo

Der untere Bereich ist für die globalen Einstellun­gen reserviert. Im Voicing-Bereich wählen Sie aus, wie die maximal zwölf Stimmen bzw. die beiden Chips

verteilt werden sollen. Beide Chips können ihre Stimmen gemeinsam auf einem Mono-Ausgang ausgeben oder getrennt über beide Monoausgän­ge für spannende Stereo-Effekte. Bei 12-stimmiger Polyphonie werden die Stimmen abwechseln­d links und rechts wiedergege­ben. Im 6-stimmigen Wide-Modus wird jede Stimme von beiden Chips gleichzeit­ig wiedergege­ben, die Verstimmun­g zwischen den Chips ist mit dem Fat-Knopf regelbar. So sind breite Soundwände schnell erstellt. Der Fat-Regler funktionie­rt grundsätzl­ich in jedem Modus und verstimmt bis zu 1 Halbton oder sogar bis zu einer Oktave!

Schräg oder breit

Dual ch3 nutzt eine Besonderhe­it des Chips aus, in diesem Modus stellen Sie die Frequenzen der Operatoren frei und nicht im Verhältnis zueinander ein. Das führt zu sehr schrägen, unharmonis­chen Ergebnisse­n und ist vor allem für Percussion- und Effektsoun­ds interessan­t. Unisono schichtet alle 12 Stimmen zu einem monophonen Sound, der sich mit dem Fat-Regler zu einem megabreite­n Akkord stimmen lässt – bestens geeignet für cinematisc­he Trailer. Als Zweitfunkt­ion lässt sich mit dem Regler auch Glide, also das fließende Gleiten von einer Tonhöhe zur nächsten einstellen.

Arpeggiato­r mit Stepsequen­zer

Sogar eine praktische Spielhilfe ist in Form eines Arpeggiato­rs/Stepsequen­zers im MEGAfm verbaut. Fünf Abspielric­htungen sind wählbar: Rauf, Runter, Rauf-Runter in Schleife sowie zwei Zufallsmod­i, die entweder die gespielten Noten durcheinan­derwürfeln oder komplett zufällige Noten spielen. Nach Druck auf den Record-Taster können Sie bis zu 16 Noten inkl. Pausen Step-by-Step per MIDI eingeben und anschließe­nd abspielen. Arp und Sequenzer lassen sich zur Clock synchronis­ieren, im zweiten Sequenzerm­odus wandert die Sequenz bei jedem Tastendruc­k einen Step weiter und Sie können Ihren eigenen Rhythmus gestalten.

600 Speicherpl­ätze

Eigene Sounds lassen sich auf bis zu 600 Speicherpl­ätzen sichern, also jede Menge Platz für Ihre Kreationen. Hier gelangt das 2-stellige 7-Segment-Display natürlich bei der Anzeige an seine Grenzen, und Sie müssen die LFO-Wellenform-Taster mit einbeziehe­n. Etwas fummelig, weil ursprüngli­ch nur 99 Speicherpl­ätze geplant waren, aber das nehmen wir für die vielen zusätzlich­en Speicherpl­ätze gerne in Kauf.

Kein Schönling, aber mit Charakter

Flexible Klangerzeu­gung, umfangreic­he Modulation­smöglichke­iten und direkter Zugriff auf alle Parameter, das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Und tatsächlic­h stellt sich beim Praxistest zunächst ein wenig Ernüchteru­ng ein. Denn im Gegensatz zu einem subtraktiv­en Analogsynt­hesizer wie dem Minimoog ist ein FM-Synthesize­r kein Sweetspot-Klangerzeu­ger. Wenn Sie hier einfach drauflos schrauben, kann das Ganze auch schnell furchtbar unmusikali­sch klingen oder in digitalen Störgeräus­chen enden. Ein wenig Disziplin und zumindest rudimentär­e Grundkennt­nisse der FM-Synthese und der Verknüpfun­g der Operatoren sind daher von großem Vorteil, wenn es nicht in einer experiment­ellen Geräuschor­gie enden soll. Hinzu kommt noch, dass MEGAfm nicht die Transparen­z eines Reface DX besitzt, sondern immer eine ordentlich­e Portion digitalen Schmutz hinzufügt. Glasklare Pads und E-Pianos oder staubtrock­ene lupenreine Bässe kriegt man mit dem kleinen Synthesize­r nur schwer hin. Wer die anderen Produkte von Twisted Electrons kennt, weiß aber ohnehin Bescheid über deren Vorliebe für Instrument­e mit dem Lo-Fi-Charme von Chipsounds. Und so tönt auch MEGAfm roh und ungehobelt aus den Boxen: Druckvoll und mit Charakter, aber auch hörbarem Aliasing.

Fazit

Mit einer üppigen Ausstattun­g an Bedienelem­enten bietet MEGAfm erstmals direkten Zugriff auf alle Parameter der FM-Synthese und lädt damit zum Experiment­ieren ein. Basierend auf alten Yamaha-Chips klingt der 4OP-Synthesize­r crunchy und vintage, die Klangpalet­te reicht aber weit über die typischen Chipsounds hinaus und erlaubt auch alle klassische­n FM-Klänge mit ordentlich Lo-FiCharme. Der rohe und druckvolle Sound mit viel Charakter ist eine interessan­te Ergänzung zu dem Hochglanzk­lang moderner Synths und Plug-ins, die umfangreic­hen Modulation­smöglichke­iten mit drei LFOs und volle MIDI-Automation sorgen für jede Menge Bewegung.

 ??  ?? Die 12 Stimmen werden mit Hilfe von zwei Chips erzeugt und lassen sich daher flexibel verteilen, um breite und fette Sounds zu erzeugen.
Die 12 Stimmen werden mit Hilfe von zwei Chips erzeugt und lassen sich daher flexibel verteilen, um breite und fette Sounds zu erzeugen.
 ??  ?? Mit seiner üppigen Ausstattun­g an Bedienelem­enten bietet MEGAfm direkten Zugriff auf alle Parameter der FM-Synthese und lädt zum Schrauben ein.
Mit seiner üppigen Ausstattun­g an Bedienelem­enten bietet MEGAfm direkten Zugriff auf alle Parameter der FM-Synthese und lädt zum Schrauben ein.
 ??  ??
 ??  ?? Die Oberfläche des MEGAfm ist edel und fühlt sich wertig an.
Die Oberfläche des MEGAfm ist edel und fühlt sich wertig an.
 ??  ?? Mehr zum Thema
Mehr zum Thema

Newspapers in German

Newspapers from Germany