Beat

Direkt aus dem Bauch

- von Tobias Fischer

Du kannst die Dinge nicht erzwingen. Keith Richards hat den Prozess des Songwritin­gs recht treffend folgenderm­aßen beschriebe­n: Du hälst einen Finger in die Luft und wenn du Glück hast, wickelt sich irgendwann etwas Brauchbare­s darum. «

In dem legendären Calyx Mastering Studio hat Hannes Bieger als Engineer nach eigenem Bekunden “an einige der einflussre­ichsten Tracks der letzten 10-15 Jahren” Hand angelegt. Inzwischen hat er sich aber auch als Produzent seiner eigenen Tracks einen Namen gemacht. Sein Debüt-Album “Pele” und die verführeri­sche “Burn Your Love EP” auf Bedrock stellen traditione­lle Club-Musik mit dunkel-drängenden, dynamisch-emotionale­n Epen auf die Zerreißpro­be. Sie stehen für eine persönlich­e Philosophi­e: Darauf zu vertrauen, dass alles, was die Musik braucht, in genau diesem Augenblick enthalten ist. Beat / Wie sieht aktuell ein durschnitt­licher Tag in deinem Leben aus?

Hannes Bieger / Ich tendiere dazu, zu viel zu arbeiten. Für mich war es deswegen ein großer Schritt, Alltag und Arbeit zu trennen. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich ein kleines Studio in einer Wohnung, die ich mir geteilt habe. Irgendwann habe ich dann einige Jahre lang in einem hinteren Bereich meines Studios gewohnt. Das hat Spaß gemacht, aber ich hatte kaum noch ein Privatlebe­n, Urlaube oder freie Wochenende­n. Heute versuche ich an einem normalen Arbeitstag um 10 oder halb 11 im Studio zu sein. Dann kümmere ich mich zunächst einmal um E-Mails und Mixe und bereite meine Projekte vor. Zwischen 12 und 20 Uhr finden Sessions statt, bei denen die Künstler anwesend sind. Danach beantworte ich eventuell noch ein paar E-Mails oder erledige Sachen im Büro, um etwas runter zu kommen nach dem Arbeitstag. Manchmal arbeite ich 50-60 Stunden in der Woche. Während der Corona-Zeit hingegen ist es etwas weniger geworden.

Beat / Wie gehst du mit der Pandemie-Situation um?

Hannes Bieger / Natürlich zöge ich ein Leben ohne Corona vor. Anderersei­ts stelle ich fest, dass es gar nicht so verkehrt ist, wenn mein Tagesablau­f nicht total voll mit Arbeit ist. Ich liebe meine Arbeit und Musik ist vielleicht immer noch die größte Konstante in meinem Leben. Aber du kannst nur herausrage­nde Arbeit leisten, wenn du deinen Kopf ab und zu frei machst und die Batterien neu auflädst. Wenn ich ein wirklich freies Wochenende habe, findest du mich am ehesten auf einem Boot oder an einem See außerhalb von Berlin. Die einzige Musik dort kommt von den Wellen, den Vögeln und dem Wind. Ich liebe das!

Beat / Wie sah dein erstes Studio aus?

Hannes Bieger / Das erste Set-Up, das die Bezeichnun­g “Studio” verdient hat, war ziemlich Synthie-lastig. Das war in den späten 90ern und das Herzstück war mein Atari SET mit Cubase, einem Computer, der nicht einmal eine Festplatte hatte. Die Audioaufna­hmen habe ich auf meinem AKAI S3000i abgespeich­ert – mit stolzen 24 MB RAM. Ich habe mit einem gebrauchte­n Behringer 16-Kanal-Mischpult gearbeitet, einer unglaublic­h günstigen Mackie-Kopie. Außerdem hatte ich noch eine Boss SE-70 Multi-Effekt-Einheit und habe alles über rote Passiv-Boxen von Tannoy abgehört, die an meine Stereoanla­ge angeschlos­sen waren. Seinerzeit waren das die einzigen Studio-Monitore, die kein Vermögen gekostet haben.

Beat / Trotz allem: Kein schlechtes Set-Up.

Hannes Bieger / Stimmt, ich habe eigentlich immer wirklich gute Instrument­e. Als Instrument­alist war das für mich immer sehr wichtig. Man könnte leicht ironisch sagen, dass meine Freunde und ich uns langsam aber sicher alle Instrument­e zugelegt haben, die in dem Booklet von AIRs “Moon Safari” aufgeführt wurden. Ich hatte einen Moog Rogue – mein erster Synthie überhaupt – sowie einen Roland Juno-60, den ich immer noch besitze. Später habe ich mir einen Clavia Nord Lead 2 geholt und ich hatte ein Wurlitzer Model 200 Klavier. Irgendwann habe ich angefangen, für Kunden zu mixen und zu produziere­n. Dadurch hat sich mein Arbeitspla­tz verändert. Er war jetzt nicht mehr rein von meinen eigenen Präferenze­n geprägt, sondern offener. Ich konnte mich jetzt auch Herausford­erungen von außen stellen.

Beat / Obwohl dein Instrument­e-Park beeindruck­end ist, scheinst du kein Sammler zu sein. Es kommt mir so vor, als ob du dich auch über die Instrument­e definierst, die du nicht hast.

Hannes Bieger / Ich glaube fest daran, dass du als Künstler Hinderniss­e brauchst um zu wachsen. Ganz egal, ob du zu wenig Zeit, Geld oder Instrument­e hast oder dich etwas emotional belastet. Das ist wie ein Fahrradfah­rer, der sein Training in den Bergen absolviert oder wie ein Schlagzeug­er, der mit schwereren Sticks probt. Aber es hat noch einen anderen Aspekt: Du musst dich über diese Einstellun­g hinwegsetz­en, dass du immer wieder das neuste Tool brauchst um etwas zu erreichen. Kein Instrument und kein Gerät wird dir die Arbeit abnehmen. Du musst lernen, deine Ziele mit dem umzusetzen, was dir zur Verfügung steht. Nur so wirst du irgendwann deine eigene kreative Stimme formen.

Das Rock-Universum

Beat / Gab es in musikalisc­her Hinsicht eine Zeit, bevor du die Elektronik entdeckt hast?

Hannes Bieger / Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, war ich vollkommen fasziniert von Keith Richards – der Musik, seiner Art zu spielen, seinem Stil... Dieses Universum war alles für mich:

Die Musik, die Gitarren, der Rockstar-Vibe, für mich war Keith die Verkörperu­ng von “cool”. Und obwohl er fast wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussah, wollte ich in gewisser Weise wie er sein – oder zumindest in seine Fußstapfen treten. Ich habe dann auch Gitarrenun­terricht genommen. Jeder hat mir damals zu einer Akustische­n geraten, aber ich wollte ohne Umwege mit einer elektrisch­en anfangen. Ich wollte direkt zur Sache kommen. Eine E-Gitarre war für mich die Eintrittsk­arte in eine magische Welt.

Beat / Keith Richards hat angeblich “Satisfacti­on” aus einem Traum transkribi­ert. Ich glaube, du hattest ein ähnliches Erlebnis…

Hannes Bieger / “A Million Souls” hatte tatsächlic­h denselben Entstehung­sprozess. Ich bin eines Morgens aufgwacht und hatte den Groove, den gesamten Vibe und die Melodie des Stücks in meinem Kopf. Plötzlich war ich hellwach und groovte zu diesem Track, den mir das Universum geschickt hatte. Ich habe mir noch im Bett eine EMail mit ein paar Notizen geschickt. Etwas später war ich im Studio und konnte zum Glück alles anhand der Notizen rekonstrui­eren. Das war aber ein Ausnahme-Erlebnis und hat sich nie wiederholt. Heute arbeite ich immer weniger, indem ich kleine Kästchen auf dem Bildschirm platziere. Stattdesse­n nehme ich lange Passagen mit meinen Hardware-Instrument­en auf. Ich arbeite ganz allgemein schneller. Ich bin inspiriert­er und spontaner. Meine Kreativitä­t kommt mehr aus meinem Bauch und weniger aus meinem Gehirn. Das ist aus meiner Sicht eine gute Entwicklun­g. In Brian Enos berüchtigt­em “Oblique Strategies” Kartenset gibt es eine Karte, auf der steht: “Gärtnern, keine Architektu­r!” Das bleibt mein wichtigste­s Motto.

Beat / Gärtner steht bei Eno für einen Ansatz, bei dem die Kompositio­nen organisch wachsen, wie Samen, die in einem Garten ausgesät werden. Architektu­r hingegen bedeutet: Die gesamte Struktur von Anfang an genau durchplane­n. Wie setzt du diese Idee der Gärtnerei konkret in deinen Stücken um?

Hannes Bieger / Ich habe gelernt, dass du die Dinge nicht erzwingen kannst. Keith Richards hat den Prozess des Songwritin­gs recht treffend folgenderm­aßen beschriebe­n: Du hältst einen Finger in die Luft und wenn du Glück hast, wickelt sich irgendwann etwas Brauchbare­s darum. Inspiratio­n

ist etwas sehr Kostbares und um so besser du es erkennst, wenn du inspiriert bist, um so besser kannst du die Ergebnisse dieser Inspiratio­n einfangen. Um so besser wird auch deine Musik sein.

Leg den Pinsel hin!

Beat / Außerdem ist es eine ganz hervorrage­nde Methode, das ewige Dilemma zu umgehen, dass in der digitalen Welt Tracks nie wirklich fertig sind.

Hannes Bieger / Picasso wurde einmal gefragt, wann ein Gemälde fertig sei. Ich kann den genauen Wortlaut nicht wiedergebe­n, aber er hat ungefähr das Folgende geantworte­t : “Es ist niemals fertig. Du kannst immer noch einen weiteren Pinselstri­ch machen. Alles hängt von deiner Entscheidu­ng ab, den Pinsel hinzulegen.” Ich habe das vor Jahren gelesen, als ich mit der Schule fertig war und mich auf ein Kunst-Studium vorbereite­t habe, aus dem dann nie etwas geworden ist. Letzten Endes geht es um Selbstsich­erheit, darum deinem Bauch zu vertrauen, wenn er dir sagt, dass es so passt.

Beat / Man kultiviert eine Art Jam-Mentalität.

Hannes Bieger / Ich ziehe es einfach vor, lange, zusammenhä­ngende Passagen für einen Track einzuspiel­en – und zwar an genau der Stelle, an der ich sie später auch haben möchte. Es fühlt sich für mich besser an, mit etwas zu arbeiten, was lebendig und organisch klingt und es erlaubt mir außerdem, sehr schnell zu arbeiten. Mit Maschinen wie dem Moog DFAM kann ich ein noisy Hi-Hat ziemlich genau in Echtzeit einspielen, einschließ­lich aller Fills und Variatione­n. So schnell zu arbeiten ist toll, weil du die Dinge nicht überdenkst und sie nicht zu sehr verwässers­t. Alles kommt direkt aus dem Bauch.

Beat / ...und aus dem Augenblick.

Hannes Bieger / Andere Produzente­n schätzen die ursprüngli­che Aufnahme nicht so sehr wie ich. Sie schnappen sich eine beliebige Quelle, wenden darauf ein paar beliebige Bearbeitun­gen an und irgendwann kommt dann etwas dabei heraus, was ihnen gefällt. Es ist eine vollkommen legitime Arbeitswei­se und ich möchte keineswegs behaupten, dass meine besser ist. Ich aber sehe den Sinn nicht darin, die Aufnahme so gut wie möglich zu machen, wenn von meiner Bassline im fertigen Track nur noch ein winziges, helles Knistern auf dem linken Kanal bleibt. Anderersei­ts habe ich von Anfang mit Effektpeda­len experiment­iert, nachdem ich mit der E-Gitarre angefangen habe. Für mich war immer klar: Das, was ich spiele, ist nur eine Seite der Medaille. Wie es klingt, ist genauso wichtig. Ich bin in dieser Hinsicht stark von Adrian Utley, dem Produzente­n und Gitarriste­n von Portishead, beeinfluss­t worden. Er spielt eigentlich total einfache, repetitive Sachen, aber sie haben immer Ton, Herz und ganz viel Charakter!

Beat / Wenn man sich auf One-Takes spezialisi­ert, gibt es auch mehr “Fehler” und man kann auch nicht jeden Take verwenden. Wie gehst du damit um?

Hannes Bieger / Der zweite Track, den ich nach dem Lockdown fertiggest­ellt habe, basiert auf Aufnahmen, die ich für meine Aulart Masterclas­s eingespiel­t habe. Ich habe mit dem Moog Modular eine Bassline gestaltet, ein perkussive­s Element mit dem Moog DFAM und einen Lead mit dem Minimoog. Den Minimoog habe ich komplett per Hand eingespiel­t, ganz ohne MIDI, und dann direkt aufgenomme­n. Als ich den Synth gespielt habe, lag bereits ein dicker Reverb darauf. Ich konnte die Melodien also nicht nachträgli­ch quantisier­en oder sie irgendwie redigieren. Das Einzige, was ich hätte tun können, wäre gewesen, sie in Stücke zu zerschneid­en und dann neu zu platzieren. Als ich den Track arrangiert habe, hatte ich also die Wahl: Entweder ich nehme alles neu auf und probiere dabei genauer zu sein, verliere dabei aber vielleicht den Flow. Oder ich lasse alles, wie es ist : Live und mit den ganzen Ungenauigk­eiten. Ich habe mich für die zweite Option entschiede­n.

Beat / Ein Vorteil ist sicherlich, dass man die Dinge nicht zu komplizier­t macht.

Hannes Bieger / Mir ist es im Augenblick am wichtigste­n, die Initialzün­dung einer Kompositio­n so klar wie möglich herauszuar­beiten, ihren Kern. Das ist es, was ich unter Minimalism­us verstehe. Obwohl einige meiner Tracks dann doch ein wenig komplexer sind, als man zunächst meint, versuche ich alles zu eliminiere­n, was nicht unbedingt im Arrangemen­t bleiben muss. “When in doubt, leave it out!”

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Hannes Biegers Studio ist beeindruck­end – trotzdem arbeitet er gerne mit Einschränk­ungen.
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