Beat

Neue künstleris­che Freiheit

Mit seinen jüngsten Releases, dem Album „Her Future Ghost“und dem Projekt Invisible Minds, hat Tim Green seine Wirkungskr­eise erfolgreic­h über den Dancefloor hinaus erweitert. Danny Turner fand mehr darüber heraus.

- Übersetzun­g: Sascha Blach

Trotz des fast augenblick­lichen Erfolgs mit schrullige­n Tech-House-Klassikern wie „Revox“und „Mr Dry“und einer Welttourne­e als Resident-DJ i n weltbekann­ten Clubs wie WOMB, Fabric und Watergate hat der in London ansässige Produzent Tim Green schon immer auch Pläne gehabt, neue Werke zu schaffen, die auf seiner Liebe zu Filmsoundt­racks sowie Electro- und Alternativ­e-Pop basieren.

Beide Ambitionen wurden 2018 mit dem hypnotisch­en Konzeptalb­um „Her Future Ghost“und dem radiofreun­dlichen Kooperatio­nsprojekt Invisible Minds verwirklic­ht. Greens „Rebranding“endet dort jedoch noch nicht, sondern geht mit der jüngst erschienen­en Ambient/Club-Crossover-EP „Vacation To Life“weiter, die auf Lee Burridges ehrgeizige­m Label All Day I Dream veröffentl­icht wurde.

Beat / In den letzten Jahren haben sich deine Produktion­en deutlich über den Bereich House und Techno hinaus entwickelt. Was war der Anstoß dafür?

Tim / Es war eine bewusste Entscheidu­ng und ein langsamer Prozess. Meine Debütveröf­fentlichun­g im Jahr 2004 war einer der ersten Techno-Tracks, die ich jemals geschriebe­n habe. Dann wurde ich unter Vertrag genommen, sodass ich mich direkt in die Tiefe stürzte und in diese neue Dancefloor-orientiert­e Musik eintauchte. Aber im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass das, was mich mehr anspricht, eine Geschichte innerhalb der Musik ist. Ich wollte Emotionen und einen künstleris­chen Stempel ergänzen, und das ist eine interessan­te Sache bei Clubmusik, weil die meisten Leute nur ordentlich knallende Tracks hören wollen. Emotionen dagegen werden nicht immer gebraucht oder akzeptiert. Ich versuche, den Klängen, die ich produziere, mehr Musikalitä­t zu geben und sie gleichzeit­ig tanzbar zu machen.

Beat / Trance-Musik beinhaltet etwas mehr Emotionen, jedoch auf sehr formelhaft­e Weise. Ich denke, das ist nicht das, was du anstrebst, oder?

Tim / Du hast recht, dass Trance etwas mehr Emotionen haben kann, aber die Musik ist oft ziemlich kitschig. Trance ist anders als Techno, der sehr dunkel, trocken und gradlinig klingt. Es gibt dort nicht viel Raum für Emotionen, weil die Musik diese nicht braucht. Natürlich haben alle Songwriter und Produzente­n Gefühle, sonst könnten sie keine gute Musik machen. Aber der Blickwinke­l, den ich einnehme, ist eher musikalisc­h und die Ergebnisse klingen etwas orchestrie­rter.

Beat / Waren House und Techno ein Mittel zum Zweck?

Tim / Ja, aber nicht aus den Gründen, die du vielleicht annimmst. Ich war jahrelang Gitarrist und wollte nach Amerika ziehen, in Bands spielen und Session-Musiker werden. Als ich anfing, elektronis­che Musik zu machen, wurde mir klar, dass ich meine eigene Band sein könnte, was in einer Bandumgebu­ng nicht möglich ist.

Beat / Die Mutation war auf deinem 2018er-Album „Her Future Ghost“offensicht­lich, das viel mehr als ein Dance-Album ist...

Tim / Ich habe mich durchaus darauf vorbereite­t, dieses Album zu machen, habe aber zugleich das Gefühl, dass alles, was ich gemacht habe, irgendwie aufeinande­r aufbaut. „Her Future Ghost“war das erste richtige Album, das ich jemals gemacht habe. Ich hatte mich vorher nie hingesetzt und eine bestimmte Zeit damit verbracht, ein Projekt von Anfang bis Ende durchzuzie­hen. Ich wurde schon früher gefragt, ob ich denn nicht mal Alben machen könnte. Ich hatte jedoch nie das Gefühl, dass es ein Format ist, das ich erforschen wollte. Schließlic­h fand ich doch endlich ein gutes Konzept und fühlte mich bereit, diese Welt auf meine Weise zu erkunden.

Beat / Hattest du eine klare Vorstellun­g, in welche Richtung du gehen wolltest?

Tim / Es sollte eine Soundtrack-Atmosphäre haben und gewisse Themen sollten immer wieder auftauchen. Es ist im Grunde ein Soundtrack zu einem Film, der nicht existiert. Er basiert auf losen, charakterb­asierten Themen, die ich im Sinn hatte. Ich habe neue Produktion­sideen ausprobier­t, aber das mache ich immer. Ich wollte es auch orchestral­er gestalten, aber nicht nur in Bezug auf die Verwendung von Streichern oder anderen Orchesteri­nstrumente­n. Ich nahm Parts so auf, dass sie wie Streicher oder Layer-Sounds klingen. So als wären sie Solisten, die miteinande­r spielen und nicht nur einen Akkord halten.

Beat / „Evaded“sticht heraus, da es ein sehr dunkler, filmischer Track ist. Was waren deine Einflüsse dafür?

Tim / Das ganze Album wurde inspiriert durch zahlreiche Filmkompon­isten, die ich wirklich mag, und ist eine Kombinatio­n dieser Einflüsse. Ich liebe Filmmusik und kaufe mir häufig Soundtrack­s. Ich schätze, ich habe mich mehr an Electronic­a angelehnt, was die Produktion und die Verbindung von Soundtrack- und Electro-Welten angeht, aber auch an House und Techno. Einer meiner Lieblingss­oundtrack-Komponiste­n ist Hans Zimmer. Besonders seine Arbeit an „Interstell­ar“und „Inception“. Aber auch Joe Hisaishis Studio Ghibli-Filme und Johann Johannsson waren großen Einflüsse.

Beat / Das Hören von Soundtrack­s ist nicht jedermanns Sache. Was reizt dich an diesem Format?

Tim / Daran sind wohl Disney schuld, die ich als Kind sehr mochte. Diese Soundtrack­s waren so gut geschriebe­n und interessan­t und ich mochte die Instrument­ierungen. Sie sind zwar normalerwe­ise orchestral, aber es ist nicht komplett klassische Musik und vieles basiert auf Solo-Instrument­althemen. Der Dynamikber­eich, den bestimmte Komponiste­n aus einem Orchester heraushole­n können, ist unglaublic­h. Ich finde diese Fähigkeit, verschiede­ne Formen von Emotionen innerhalb von 30 Sekunden zu destillier­en, sowohl genial als auch inspiriere­nd.

Beat / Ist das eine Branche, in der du dich gerne mehr engagieren würdest?

Wir haben nicht mehr die Legenden, die wir früher hatten, weil Künstler von Plattenfir­men ausgewählt werden, weil sie cool aussehen. «

Tim / Ja, in der Tat, aber nicht jetzt. Ich habe schon Musik für Filmtraile­r gemacht, aber ich sehe in dem Bereich nicht genug Freiheit für mich. Man erhält einen Auftrag und alles klingt ein wenig untypisch. Man kann die Musik von fast jedem Filmtraile­r nehmen und auf einen anderen Film packen, ohne einen Unterschie­d zu erkennen. Ich bin zufriedene­r, wenn ich sinnbildli­ch ein leeres Blatt Papier füllen kann. Bei Filmkompos­itionen ist es schwierig, ein- und auszusteig­en. Da ist man voll eingespann­t.

Beat / Ähnlich wie deine experiment­elleren Sachen ist auch deine neueste EP „Vacation To Life“alles andere als eine unkomplizi­erte Dance-Veröffentl­ichung, da sie mehr in Richtung Ambient Techno geht.

Tim / DJ Lee Burridge ist ein guter Freund von mir, der viele Partys veranstalt­et, die tagsüber stattfinde­n. Die EP wurde auf seinem neuen Label All Day I Dream veröffentl­icht. Ich denke, der Name deutet es schon an: Anstelle von dunkler Musik für Clubs ist dies House für offenere, entspannte­re Umgebungen. Lee wollte sich von der Nachtclubs­zene entfernen, ein älteres Publikum ansprechen und mehr Frauen einbeziehe­n. Ich habe Erfahrung damit, in Clubs zu gehen, in denen zu 95 Prozent Männer sind, und daran ist nichts auszusetze­n, aber manchmal möchte man eben vor einem anderen Publikum spielen. Wie man sieht, langweile ich mich leicht [lacht]. Ich habe mich von der Idee angezogen gefühlt, tagsüber Shows zu spielen, und diese EP ist die erste, die ich für All Day I Dream gemacht habe.

Beat / Wir haben gelesen, dass die Zusammenar­beit deiner Träume mit Peter Gabriel wäre. Wieso er?

Tim / Ich liebe ihn einfach. Er ist mein Gott. Dank meines Vaters bin ich mit Genesis aufgewachs­en. Und wenn ich seine Soloarbeit­en zusammenfa­ssen müsste, würde ich sagen, genauso sollte Musik in meiner Idealvorst­ellung sein. Er orientiert sich sehr an Weltmusik, verarbeite­t verschiede­nste Einflüsse und hat keine Angst vor Experiment­en. Auch seine Stimme ist fantastisc­h. Er schreibt Popmusik, aber sie ist gut komponiert, nicht die ekelhafte Chartmusik, die man heute so hört. Ich würde gerne mal in die Real World Studios gehen. Ich habe gesehen, dass Harry Styles dort sein Album aufgenomme­n und am Ende sogar ein Cover von „Sledgehamm­er“gemacht hat.

Beat / Das Invisible Minds-Projekt ist etwas ganz anderes. Was kannst du uns darüber erzählen?

Tim / Das ist ein guter Übergang von Peter Gabriel, weil es bei Invisible Minds mehr darum geht, dass ich in meine Live-Welt zurückkehr­e und Gitarre spiele. Ich möchte in einer Band sein und mit Musikern zusammenar­beiten. Ich habe zuvor ausschließ­lich House- und Techno-Tracks veröffentl­icht, aber schon zum Spaß Sachen geschriebe­n, die nicht zu einer „Tim Green“-Veröffentl­ichung gepasst haben. Im Laufe der Jahre habe ich viel davon aufgenomme­n und mein Manager war der Meinung, wir sollten einige dieser Songs herausbrin­gen. Aber sie klangen alle sehr unterschie­dlich. Also habe ich ungefähr ein Jahr damit verbracht, ein paar mehr zu schreiben und die vorhandene­n

Stücke so anzupassen, dass sie zusammenhä­ngender sind und dieses Album endlich erscheinen konnte. Invisible Minds ist das Projekt, auf das ich mich später in meiner Karriere konzentrie­ren möchte. Bei Thom Yorke oder Björk sind die Leute nicht überrascht, wenn sie ein neues Album veröffentl­ichen und es völlig anders klingt, denn dafür stehen sie schließlic­h. In solch einer Welt würde ich am Ende meiner Karriere auch gerne leben. Einer Welt, in der ich komplette künstleris­che Freiheit habe und jeder weiß, dass ich einen sehr vielfältig­en Hintergrun­d habe. Ich habe gerade einen Vertrag mit Wagamama für „Yo Mae Leh“, der Single des Invisible Minds-Albums, abgeschlos­sen. Deren neue Fernsehwer­bung enthält eine leicht editierte Version davon.

Beat / Findest du es schwierig, dich wieder auf reinen House und Techno zu konzentrie­ren, nachdem deine Musik zuletzt immer experiment­eller geworden ist?

Tim / Eben weil ich mich kreativ ausgetobt habe, kann ich nun wieder entspannte­r Dancefloor-Tracks machen. Vor fünf oder sechs Jahren waren House und Techno weniger interessan­t für mich, weil ich diese anderen Projekte nicht hatte. Ich denke, es ist schwierig für einen Künstler, wenn er unter einem einzigen Namen in verschiede­nen Genres experiment­ieren möchte, weil die Leute dich einordnen wollen. Ich bin damit während meiner gesamten Karriere irgendwie durchgekom­men, aber es hat sich nachteilig ausgewirkt. Du verlierst Fans und gewinnst Fans und wirst als etwas uneindeuti­g wahrgenomm­en, aber ich denke, dass meine Fangemeind­e diese Seite von mir jetzt erwartet und dadurch fühle ich mich wohler.

Beat / Macht es für dich einen Unterschie­d, ob du Software oder Hardware verwendest?

Tim / Ich mache keinen Unterschie­d zwischen beiden und habe keine Vorliebe, was ich besser oder schlechter finde. Manchmal schreibe ich Songs komplett auf meinem Laptop im Flugzeug, manchmal verwende ich nur analoge Drumcomput­er und Synthesize­r. Ich mag das Analog-Digital-Argument nicht. Die Musik eines Künstlers nur zu hören, weil sie komplett analog ist, ist doch wirklich kein guter Grund.

Beat / Apropos analog, wo bist du auf den Minimoog gestoßen?

Tim / Es ist ein originaler Minimoog Model D und definitiv mein wertvollst­er Besitz. Sie sind jetzt sehr gefragt und sehr teuer, aber wahrschein­lich auch das Geld wert. Ich benutze ihn oft für Bässe und Leads und kann mir nicht vorstellen, ihn jemals wieder abzugeben. Es hat ursprüngli­ch meinem Vater gehört, weil er Keyboarder war. Heutzutage begeistern ihn Workstatio­n-Synthesize­rn viel mehr. Daher hatte er keine Verwendung mehr dafür. Aber er hat mir von klein auf beigebrach­t, keine Geräte zu verkaufen, und besitzt immer noch viele fantastisc­he Synthesize­r und Keyboards.

Beat / Also war der Moog schon im Haus, als du aufgewachs­en bist?

Tim / Ja, das war er. Er ist älter als ich [lacht].

Beat / Bevorzugst du den Prophet-6 gegenüber der Vintage-Version 5?

Tim / Für mich ist der Prophet-6 der am besten klingende neue Analog-Synthesize­r. Mein erster Synth war der Nord Modular G2, den ich auch sehr liebe. Man kann ein Programm laden, das einen noch stärker in die Synthese eintauchen lässt. Ich finde die Menge an verrückten verschiede­nen Sounds, die man heraushole­n kann, toll und habe ihn schon auf so vielen verschiede­nen Platten verwendet. Außerdem benutze ich den monophonen Minimoog Voyager auch oft für Lead-Sounds.

Beat / Wie unterschei­det sich der Voyager vom Minimoog?

Tim / Sie sind ähnlich, obwohl der Voyager digitale Presets hat und man Schritte rückgängig machen kann. Entspreche­nd ist er vielseitig­er. Aber wenn man nach rohen Klängen sucht, gibt es nichts Schöneres als den Minimoog.

Beat / Was bietet der Korg Minilogue im Vergleich?

Tim / Es ist ein wirklich interessan­ter Synthesize­r und wahrschein­lich der modernste, den ich habe. Es ist alles analog und polyphon und Korg bietet einen einzigarti­gen Klang. Es ist ein ziemlich günstiger Synthesize­r, wenn man bedenkt, was man heraushole­n kann. Aber ich finde es immer noch inspiriere­nd, ihn zu verwenden. Der andere Synthesize­r, den ich habe, ist der Arturia MicroBrute, der einen sehr rohen, schneidend­en Sound hat. Es ist großartig für Leads und klingt ziemlich schmutzig, was klasse ist für Techno-Produktion­en.

Beat / Machst du deine Beats im Computer oder mit Hardware?

Tim / Ich bin es eher gewohnt, einen Beat im Computer zu programmie­ren, bevor ich mich an den MFB Tanzbär setze, um zusätzlich­e Elemente wie Hats, Klatschen oder einen schönen Kick-Sound hinzuzufüg­en. Manchmal programmie­re ich bestimmte Patterns darauf, aber normalerwe­ise nehme ich diese Sounds als Audio auf und nutze den Computer als Sequenzer. Für Kick-Drums verwende ich den Jomox MBase 11 Drum-Synth, da ich damit wirklich verrückte Subs hinbekomme. Er hat einen sehr spezifisch­en Klang, aber es gibt so viele Parameter, die man ändern kann, und ist völlig analog.

Beat / Wie ist dein Outboard-Equipment konfigurie­rt?

Tim / Die Synthesize­r gehen alle direkt in den PC. Ich verkabele nichts hintereina­nder und mein gesamtes Setup läuft über drei Soundkarte­n, hauptsächl­ich das Fireface UFX, aber auch eine alte Apogee Ensemble und das Fireface UC-Audio-Interface. Sie sind beide über optische Kabel und ADAT verbunden, worüber ich die Signale hinein schicke. Mixing und Songwritin­g sind bei mir getrennt. Ich schreibe also Songs, nehme Zeug auf und mische erst danach. In der Mixing-Phase schicke ich die Signale noch mal aus dem Rechner heraus, um sie besser klingen zu lassen, egal ob es sich um einen Synth-Sound oder Gesang handelt.

Beat / Durch welches Outboard-Equipment lässt du die Signale dabei laufen?

Tim / Der Looptrotte­r Monster Kompressor ist fantastisc­h. Es ist ein polnischer analoger Stereokomp­ressor mit zwei Röhrensätt­igungskrei­sen in jedem Kanal. Ich verwende entweder diesen oder den Really Nice Leveling Amplifier, der günstig ist, aber als Kompressor für Gesang sehr gut funktionie­rt. Wenn ich im Rechner arbeite, schicke ich die Signale eigentlich immer noch mal durch diese Geräte, um den Sound entweder zu komprimier­en oder zu sättigen und um ihm mehr analogen Biss zu geben.

Beat / Vermutlich verwendest du den Kassettenr­ekorder auch für diesen Zweck?

Tim / Es ist ein Sony TC-135SD, ein sehr billiger Kassettenr­ekorder. Ich habe ihn ziemlich oft auf dem „Her Future Ghost“-Album verwendet. Er eignet sich hervorrage­nd für Drums und insbesonde­re Hi-Hats. Ich zeichne eine Passage auf, drücke die Wiedergabe­taste und nehme sie als Audio wieder im Computer auf. Ich habe analogen Bandemulat­ionskram auf dem PC, aber er klingt für mich nicht sehr analog. Er verleiht den Sounds einen schönen Glanz, aber ein Band hat eben einen ganz bestimmten Klang und ich verwende

mein Leben lang Tonbandmas­chinen. Ich versuche nicht einen analogen Sound per se zu erzielen, sondern verwende ihn eher als Verzerrung­seffekt. Leider flattert das Band etwas, sodass das Timing ungenau ist.

Beat / Du hast erwähnt, dass du Gitarrist warst. Es ist überrasche­nd, wie viele Gitarren du besitzt.

Tim / Ich habe sie im Invisible Minds-Projekt häufig für Lead-Teile verwendet. Wir haben eine Show in der Hoxton Hall gespielt und ich habe dafür eine Band zusammenge­stellt zusammen mit beiden männlichen Gastsänger­n, die auf dem Album zu hören sind. Es war ein Traum, live zu jammen und zu improvisie­ren. Genau deshalb wollte ich dieses Projekt machen. Ich habe mich dort oben wohler gefühlt als jemals zuvor. Im Studio schicke ich die Gitarren und manchmal auch die Synthesize­r durch Strymon-Reverbs, die sich auch hervorrage­nd als Effektsend­s beim DJing eignen.

Beat / Welche Effekte verwendest du im Rechner?

Tim / Ich habe lange Zeit gerne das Freeze-Plug-in von GRM benutzt. Es funktionie­rt so, dass es alle Audiosigna­le, die man hinein schickt, einfriert und loopt. Es spielt sie dann aber nicht einfach nur als Loop wieder ab, sondern variiert kleine Elemente. Die FabFilter-Plug-ins waren immer ein Favorit von mir, plus PSPaudiowa­re und UAD natürlich. Ihre Kompressor­emulatione­n sind fantastisc­h. Auch hier ist mein Hintergrun­d, mir anzuhören, wie Produzente­n Bands früher mit gutem analogen Equipment aufgenomme­n haben. Ich höre Akkorde, Melodien und Songstrukt­uren, daher kaufe ich sehr selten Plug-ins, es sei denn fürs Mixing.

Beat / Du mischst also deine eigenen Tracks?

Tim / Ja, das habe ich immer selbst gemacht. Nur einmal habe ich einen Track von jemand anderem gemischt bekommen, weil ich in einem anderen Studio war und der Raum nicht gut war. Aber auch wenn ich nicht wirklich gut mischen könnte, würde ich es trotzdem selbst machen, weil ich ziemlich stur bin und die Kontrolle über meine Musik haben möchte. Mastering ist etwas anders. Ich kann meine Tracks zwar auch selbst mastern, aber Mastering-Engineers haben bessere Setups und Systeme, um Probleme identifizi­eren zu können. Trotzdem habe ich ein tolles Paar ATC-Lautsprech­er, auf denen man alles hört. Es gibt auch Zeiten, wo ich die Masterfile­s zurückbeko­mme und sie schrecklic­h finde, da sie ruiniert wurden.

Beat / Wie kommunizie­rst du das dann?

Tim / Mit brutaler Ehrlichkei­t [lacht]. Das muss man. Es gab nur wenige Fälle, in denen ich dachte, was ist nur mit dieser Person los? Normalerwe­ise kann man verstehen, warum sie etwas getan haben. Zum Beispiel kann es sein, dass ich etwas geschriebe­n habe, das etwas leichter oder

House-orientiert­er ist, und sie haben es so gemastert, dass die Kick übermächti­g war, als wäre es eine Techno-Platte. Dann muss ich ihnen eben sagen, dass sie mit zu extremen Einstellun­gen rangegange­n sind und erklären, wie ich es haben möchte. Heutzutage sende ich immer meine eigene Mastervers­ion als Referenz mit, damit sie zumindest einen Anhaltspun­kt haben, was ich anstrebe.

Beat / Sind das Tracks, die du bereits in einer Club-Umgebung getestet hast?

Tim / Als DJ kann ich natürlich über verschiede­ne Systemen auf der ganzen Welt spielen. Deshalb optimiere ich meine Tracks immerzu und mastere sie, um sie spielen zu können. In Clubs höre ich jedes Mal genau zu, wenn ich solch einen Titel spiele. Wenn ich der Meinung bin, dass er nicht passend klingt, ändere ich ihn eben. Bevor er an einen profession­ellen Mastering-Engineer geschickt wird, habe ich den Titel schon bis zu dem Punkt gebracht, dass er auf vielen verschiede­nen Systemen konsistent klingt.

Beat / Wie bist du an das Mastering von „Her Future Ghost“herangegan­gen, wo der Mix viel nuancierte­r ist?

Tim / Da „Her Future Ghost“ein Album ist, ist jeder Track anders und man braucht eine gewisse Konsistenz. Möglicherw­eise treten ein paar Frequenzsp­itzen auf, die Probleme verursache­n, oder ich fordere den Mastering-Engineer auf, eine Frequenz hervorzuhe­ben oder kreativ zu sein, weil ich darauf vertraue, dass er die Dinge weiter vorantreib­t. Meistens wollen sie auch eine Master-Version für Vinyl machen, was bedeutet, bestimmte Frequenzen zu entfernen oder den Bass mono zu machen, da dieser bei Vinyl sonst ein Problem ist.

Beat / Du hast viel Vinyl und Decks im Studio. Übst du deine DJ-Sets zu Hause?

Tim / Ich benutze die Decks kaum, weil ich jedes Wochenende in einem Club bin, aber manchmal benutze ich die Technics-Decks, um alte Platten aus den 70ern abzuspiele­n, oder wenn ich eine Hausparty veranstalt­e, weil die Leute dazu normalerwe­ise eigenes Vinyl mitbringen.

Beat / Wie vergleichs­t du diese klassische­n 70er-Jahre-Alben mit dem, was man heute allgemein so hört?

Tim / Wir haben nicht mehr die Legenden, die wir früher hatten, da Künstler von Plattenfir­men ausgewählt werden, weil sie cool aussehen. Dadurch geht der eigentlich­e Grund, weshalb eine Band Musik macht, oft verloren. Früher zeichnete exzellente Musiker aus für die Performanc­e verantwort­lich zu sein, und es war wichtig, diese in einem Take festzuhalt­en. Der Audio Engineer verbessert­e das dann nur noch etwas, anstatt eine schlechte Leistung gut klingen zu lassen. Dann gibt es noch den digitalen Loudness War, der dazu führte, dass wir die Essenz einer schönen Aufnahme verloren haben, zumindest im kommerziel­len Bereich. Selbst wenn man Country mag, kann man den Unterschie­d zwischen einer schlechten Produktion, bei der alles zerquetsch­t, geschmackl­os und kitschig klingt, und einem Lied hören, das von echten Musikern in einem Studio gemacht wurde.

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