Test: Waldorf Kyra
Die Ausstattung mit 128 Stimmen, 8 Parts und 72 Effekten gleichzeitig liest sich beeindruckend, aber kann Kyra bewährten VA-Synthesizern wie dem Virus TI wirklich Konkurrenz machen?
Als der Engländer Manuel Caballero auf der Superbooth 2018 seinen selbst entwickelten virtuell-analogen Debütsynthesizer Exodus Valkyrie vorstellte, gelang ihm ein echter Überraschungs-Coup. Die Klangerzeugung und auch das Design erinnerten stark an den beliebten VA-Synthesizer der ersten Generation namens Access Virus, selbst Virus-Entwickler Christoph Kemper stufte ihn als Hommage an seinen Synthesizer ein.
Im weiteren Verlauf übernahm dann Waldorf die Unterstützung des ambitionierten Projekts und optimierte vor allem die Hardware. Ist Kyra tatsächlich der legitime Nachfolger des seit Jahren nicht mehr weiterentwickelten Access Virus, der sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut und dessen Gebrauchtmarktpreise in letzter Zeit sogar immer weiter steigen?
Robust und schick
Das robuste Metallgehäuse erinnert mit seiner cremefarben-weiß-grauen Farbgebung und den braunen Holzseiten ohne Frage an die Polar- und Snow-Versionen des Access Virus TI. Wenig verwunderlich, schließlich ist auch bei Kyra für das gute Aussehen Axel Hartmann verantwortlich, der neben diversen Waldorf-Synthesizern auch den Virus TI designt hat. Kyra ist für den Desktop gedacht und benutzerfreundlich angeschrägt, braucht mit Abmessungen von 440 x 305 x 85 mm bei einem ordentlichen Gewicht von knapp 6 kg aber schon etwas Platz. Die großzügigen Maße sorgen für ausreichend Abstand zwischen den vielen silberfarbenen Reglern, dem großen schwarzen Cutoff-Poti und den vielen Tastern. Für visuelles Feedback ist neben diversen weißen LEDs vor allem das 256x64 Pixel große OLED-Display verantwortlich, auf einen Touchscreen wurde verzichtet.
Mehrkanal-Audiointerface
Auf der Rückseite strahlen uns satte acht analoge Einzelausgänge an, verteilt auf vier Stereopärchen. Hinzu kommt der Kopfhörerausgang, Netzteilanschluss, MIDI-Trio sowie USB-Buchse. Über das USB-Kabel werden nicht nur MIDI-Signale zwischen Computer und Synthesizer übertragen, sondern Kyra wird auch als 16/2-Audiointerface erkannt. So lassen sich alle acht Parts im Multimode jeweils in Stereo in die DAW übertragen und dort separat bearbeiten; gleichzeitig können Sie die beiden Main-Ausgänge des Kyra als Audioausgänge der DAW zuweisen. Das macht Kyra vor allem in Verbindung mit einem Laptop interessant, dessen CPU der potente Hardware-Synthesizer mit 8 Parts und bis zu 128 Stimmen extrem entlasten und gleichzeitig als Mehrkanal-Soundkarte dienen kann. Voraussetzung ist zumindest unter Windows aber, dass Kyra als Soundkarte ausgewählt wird. Ein Einbinden der Audiospuren des Synthesizers unter gleichzeitiger Nutzung einer anderen Soundkarte, wie es der Virus TI ermöglicht, ist mit Kyra nicht stabil umsetzbar. Leider hatten wir auch an zwei verschiedenen Rechnern mit kräftigem USB-Noise zu kämpfen, was sich durch Wechseln der Anschlüsse und Kabel aber reduzieren ließ.
Potenter FPGA-Chip
Die Berechnung der Klänge übernimmt in Kyra ein FPGA-Chip. Dieser Chip ist bei virtuell-analogen Synthesizern so beliebt, weil er hochspezialisiert programmiert werden kann und dabei dem tatsächlichen Verhalten echter analoger Hardware-Schaltungen näher kommt als andere DSP-Lösungen. Während Roland in der Boutique-Serie oder zuletzt Udo mit dem Super Wave dabei die gesamte Rechenleistung für möglichst originalgetreuen Sound nutzen und entsprechend nur vier bzw. sechs Stimmen liefern können, berechnet der FPGA-Chip in Kyra nicht weniger als 128 Stimmen, die auf acht eigenständige Parts verteilt werden. Hinzu kommen bis zu 72 Effekte (neu pro Part), die ebenfalls parallel zur Verfügung stehen.
Bis zu zehn Oszillatoren stehen pro Stimme zur Verfügung.
Bis zu zehn Oszillatoren
Auch beim tieferen Eintauchen in die Klangerzeugung sind die Zahlen beeindruckend: Bis zu 10 Oszillatoren stehen pro Stimme zur Verfügung! Aufgeteilt ist diese virtuell-analoge Power in zwei Gruppen mit jeweils bis zu vier gleichzeitig aktivierbaren Oszillatoren. Es gibt neben den Klassikern Sägezahn, Rechteck mit variabler Pulsweite und Suboszillator mit ebenfalls Sägezahn, Rechteck und Dreieck auch einen Wave-Oszillator, der nähere Betrachtung verdient.
Eingeschränkte Wavetables
Hierüber binden Sie Wavetables ein, von denen 4.096 Stück zur Verfügung stehen – zwecks leichterer Auffindbarkeit unterteilt in verschiedene Kategorien. Wer aufgrund der Waldorf ‘schen Vergangenheit spannende Fahrten durch die einzelnen Wavetables machen will, wird enttäuscht. Es handelt sich um schlichte Single-Cycle-Waveforms, die dem Klang beispielsweise eine digitale Variante hinzufügen oder den analogen Pianoklang mit dem Attack eines echten Klaviers ergänzen.
Breite Dual-Sounds
Die beiden Oszillatorgruppen können untereinander agieren und sich frequenz- und ringmodulieren; auch Hard-Sync ist möglich. Zusätzlich gibt es zwei Aux-Oszillatoren, die wahlweise Rauschen oder Ringmodulation liefern. Hypersaw (aka Supersaw) mit bis zu sechs geschichteten Sägezähnen darf bei einem VA-Synthesizer natürlich auch nicht fehlen. Und der Dual-Modus verteilt die beiden Oszillatorgruppen links und rechts im Stereofeld, bei entsprechender Verstimmung erhalten Sie auf diese Weise sehr breite und fette Pads und Leads.
Doppeltes Filter
Das duale Multimodefilter zeigt sich von der Kaskadenschaltung analoger Klassiker inspiriert. Es bietet neben Tiefpass auch Band- und Hochpass mit wahlweise 12 dB (für unauffälligere weiche Eingriffe bei Flächen etc.) oder 24 dB (für Bässe und Percussion). Beide Filter lassen sich passend zum dualen Oszillator-Modus rechts und links verteilen.
Modulationsquellen
Zur Modulation stehen drei ADSR-Hüllkurven mit zusätzlichem Slope-Parameter zur Verfügung, von denen zwei fest dem Lautstärke- und Filterverlauf zugeordnet sind. Bass Delay verhindert einen Verlust des Punches eines perkussiven Sounds aufgrund des internen Algorithmus zur Vermeidung unerwünschter Klicks.
LFO gibt es ebenfalls drei Stück, einstellbar in Wellenform, Geschwindigkeit und Phase. Natürlich ist jeder LFO auch zur MIDI-Clock synchronisierbar, wobei sich praktischerweise der Teiler noch ändern lässt. Die LFO bieten umfangreiche Optionen zur Bestimmung des Startpunkts, was für viel Bewegung im Sound sorgen kann. Sie können frei laufen, mit jedem Tastenschlag zurückgesetzt werden, zufällig oder phasengedreht starten und sich sogar gegenseitig in der Geschwindigkeit modulieren.
Modulationsmatrix
Über die sechsfache Modulationsmatrix verknüpfen Sie die Modulationsquellen mit diversen zur Auswahl stehenden Zielen, wobei Kyra sowohl monophone als auch polyphone Quellen verarbeitet. Diese Verknüpfungen können statisch sein oder dynamisch durch Velocity, Modwheel etc. gesteuert werden. Als Spielhilfe steht ein Arpeggiator mit 128 voreingestellten Patterns und den Modi Up, Down, Random und Chords zur Verfügung.
Neun Effekte pro Part
Veredelt (oder verzerrt, je nach Bedarf ) wird der Sound mit bis zu neun Effekten. Die Effektmodule sind dabei seriell in fest vorgegebener Reihenfolge angeordnet und reichen von 3-Band-Equalizer über Formantfilter und Distortion hin zu den bewährten Effekten wie Chorus, Hall und Delay. Eingangsund Ausgangslimiter verhindern unerwünschte Verzerrungen. Vor allem die Modulationseffekte wie Phaser und Chorus haben uns gut gefallen, der Rest ist ordentliches Mittelmaß und die Verzerrer und Bitcrusher eher als netter Zusatz anzusehen.
Großer Soundspeicher
Nach dem Einschalten (wie beim Virus-TI durch gleichzeitigen Druck auf die beiden Transpose-Taster) benötigten wir erst einmal ein wenig
Orientierungszeit, bis wir die Navigation über die zahlreichen Tastenpaare verinnerlicht hatten. Ein Endlosregler mit Push-Funktion oder eine vergleichbare Lösung hätte uns persönlich deutlich besser gefallen. So hatten wir aber schon beim ersten Versuch, die Presets methodisch durchzuschalten, unsere ersten Fehltritte. Soundspeicher gibt es jede Menge, genauer gesagt 26 Bänke mit je 128 Sound und damit 3.328 in Summe. Alle Bänke lassen sich frei mit eigenen Sounds beschreiben, die hinteren ROM-Bänke allerdings immer nur komplett. Einzelne Sound können Sie also in einer der RAM-Bänke sichern und die fertige Bank dann später in den ROM-Bereich auslagern.
Unspektakuläre Presets
Beim ersten Durchhören der Presets stellte sich bei uns ein wenig Ernüchterung ein. Natürlich sind die Sounds sehr vielseitig, viele sehr breite und dick geschichtete Klänge sind dabei, teilweise mit etwas zu viel Effekten beladen. Aber es fehlen irgendwie der Biss, Dreck und Druck, salopp gesagt „die Eier“eines Access Virus. Kyra klingt weniger infizierend, sondern eher nüchtern-analytisch, brav und septisch, um beim Wortspiel zu bleiben. Dabei fehlt Kyra aber irgendwie das edle und transparente Klangbild, das die Clavia-Synthesizer der Nord-Serie auszeichnen. Und mit Virus TI2 und auch Nord Wave 2, die zusammen mit Rolands Jupiter X in unserem Teststudio zum Vergleich antreten durften, muss sich der Kyra bei einem Verkaufspreis von 1.800 Euro ebenso messen lassen wie mit Rolands Zenology-Klangerzeugung.
Der Klang von Kyra fällt eher nüchtern-analytisch aus.
Umständliche Navigation
Aber vielleicht geht ja mehr, wenn man den Synthesizer von Grund auf selbst programmiert? Leider gestaltet sich dies trotz der vielen Regler komplizierter als beim Virus TI und der Nord Wave 2 mit seiner One-Knob-Per-Function-Philosophie ist in Bezug auf die intuitive Bedienung ohnehin kaum zu schlagen. Zwar hat Kyra jede Menge Regler und Taster zu bieten, dennoch mussten wir öfter als gehofft in das Menü eintauchen und haderten dabei immer wieder mit der nicht immer logischen Navigation. Aufgrund der Vielzahl von Optionen müssen teils lange Listen per Taster durchgescrollt werden, und Menüs fanden sich nicht immer an der Stelle, wo wir sie erwartet hätten. Die Doppelbelegungen sorgten gerade in der Anfangsphase in Verbindung mit Shift-Lock gerne einmal für Fehlbedienungen. Workflow ist immer auch Geschmackssache, wir persönlich fanden die Bedienung, für tiefergehende Funktionen, wenig intuitiv.
Direkter Zugriff
Das Modifizieren von Presets geht dagegen mit den zahlreichen Reglern relativ schnell von der Hand, ebenso die Aufzeichnung von Parameterfahrten in der DAW. Da der Virus bekanntermaßen über eine hervorragende Preset-Library verfügt, geht Kyra nach unserer rein subjektiven Einschätzung aber auch hier als klarer Verlierer durch. Besser gefallen als beim Virus hat uns die Umsetzung des Multimodes, die acht Parts sind quasi immer aktiv und es lässt sich direkt per Taster zwischen ihnen umschalten.
Eher brav und charakterlos
Die umfangreichen Optionen im Oszillatorbereich ermöglichen bereits auf dieser Ebene komplexe obertonreiche Klangstrukturen, wobei der Grundklang aber eben immer relativ brav und charakterlos bleibt. Gleiches gilt für das Filter. Während man einen Virus eigentlich immer direkt heraushört, ist das Filter im Kyra eher von der unauffälligen Sorte und klingt bei hohen Resonanzwerten eher unschön digital. In Verbindung mit den guten, aber nicht herausragenden Effekten blieben wir beim Schrauben am Kyra immer ein wenig im Mittelmaß hängen. Das soll jetzt nicht heißen, dass Kyra schlecht klingt, aber eben auch nicht besser als viele aktuelle Synthesizer-Plug-ins und oder eben der gerne als Vorbild genannte Access Virus - obwohl dieser insgesamt schon 20 Jahre auf dem Buckel hat und die letzte TI2-Version seit Jahren nicht mehr weiterentwickelt wird.
Fazit
Kyra hinterlässt bei uns einen zwiespältigen Eindruck. Die robuste Verarbeitung, die Vielzahl an Reglern sowie die umfangreiche Ausstattung mit 128 Stimmen mit jeweils 10 Oszillatoren, verteilt auf 8 Parts mit je 9 Effekten gleichzeitig wecken hohe Erwartungen. Da Kyra auch als USB-Audiointerface arbeitet und dabei 16 Audiospuren in der DAW zur Verfügung stellt, lässt sich mit dem virtuell-analogen Synthesizer auch ein CPU-schwacher Rechner zu einer kompletten Produktionsmaschine aufrüsten.
Klanglich konnte uns Kyra aber trotz der vielen Möglichkeiten nicht ganz überzeugen, der Synthesizer klingt irgendwie immer ein wenig altbacken und charakterlos. Am ehesten gefielen uns die breiten, atmosphärischen Flächenklänge. Auch die Bedienung ging trotz der vielen Regler nicht so leicht von der Hand, und für den Einsatz als reine Presetschleuder fehlt es an der Qualität der derzeit verfügbaren vorgefertigten Sounds. Da Workflow und Klangcharakter aber Geschmackssache sind, empfiehlt sich ein individuelles Antesten, denn die Ausstattung des Kyra als Arbeitstier ist schon außergewöhnlich gut und wir würden dem ambitionierten Projekt durchaus den Erfolg gönnen.
Kyra bietet eine beeindruckende Ausstattung und viele Regler.