Beat

Katharsis durch Musik

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Alles, was Cora Novoa anfasst, wird zu Kunst. Auch beim Auflegen versucht sie, gängige Grenzen zu überwinden. Tobias Fischer sprach mit Cora über ihre Anfänge im legendären Coppelia 101 in Madrid, darüber, warum DJing frischer ist als Produziere­n und wie man die Welt mit Musik heilt.

Beat / Ich kannte dich lange nur als Produzenti­n. Mir war gar nicht so bewusst, dass du auch schon lange eine erfolgreic­he Karriere als DJ hast.

Cora Novoa / Es ist witzig, ich habe in der Tat als Produzenti­n angefangen. Das ist schon eine ganze Weile her. Ich war gerade in Madrid angekommen und mein erster Kontakt mit der Club-Kultur fand in dem berühmten Coppelia 101 an der Plaza Mostenses statt…

Beat / …dem legendären Undergroun­d-Techno-Club, wo unter anderem auch Leute wir Tiga aufgelegt haben – bei dessen Turbo Recordings du gerade einen Vertrag unterschri­eben hast.

Cora Novoa / Genau. Ich habe mir im Coppelia 101 immer ein paar Drinks genehmigt und währenddes­sen ganz viel über Musik gelernt. The Hacker, Dopplereff­ekt, Miss Kittin, Nitzer Ebb, Anthony Rother, Ellen Alien, Tiga – wir befanden uns ins mitten im Electrocla­sh-Boom. An diesem Ort war es mir vergönnt, einige der ganz großen Namen im Electro und Techno kennenzule­rnen. Das ist etwas, das meine gesamte musikalisc­he Karriere geprägt hat. Das einzige Problem war, dass man in nur sehr wenigen Techno-Clubs CDs auflegen konnte. Wenn du mit dem Auflegen anfangen wolltest, musstest du dir ein paar Technics und einen Mixer kaufen. Oder du brauchtest einen Freund, der dir ein komplettes Set-Up ausleihen konnte.

Beat / Und so einen Freund hattest du nicht?

Cora Novoa / Leider nein. Schließlic­h besorgte ich mir das notwendige DJ-Equipment: Zwei Technics SL-1200, einen 3-Kanalmisch­er von Akiyama und ein Paar billige Kopfhörer. Der Motor einer der Turntables schwächelt­e und einer der Kanäle am Mischpult fiel je nach Lust und Laune aus.

Beat / Nicht gerade ein Traumstart.

Cora Novoa / Es hat Spaß gemacht, mit diesen Geräten zu spielen! Ich hatte auch nur zwei Vinyl-Scheiben. Eine war von Nitzer Ebb, auf der anderen waren Remixe von LCD Soundsyste­m. Damit habe ich alles gelernt. Ich habe nicht aufgehört, die beiden zu mixen, bis die Übergänge perfekt waren.

Beat / Warum bist du so lange bei der Stange geblieben? Was hat dich am DJing so fasziniert?

Cora Novoa / Die Farbpalett­e ist so viel breiter und vielseitig­er. Und die Musik kommt dir viel frischer vor, weil du nicht endlose Stunden mit ihnen im Studio verbracht hast. Folglich ist auch deine Perspektiv­e viel klarer. Anderersei­ts hast du bei einer Live-Show mehr Freiraum, wenn es darum geht, den Auftritt zu gestalten. Du kannst eine eigene Geschichte erzählen und dich um die kleinsten Details kümmern. Dein persönlich­er Sound hält alles zusammen.

Beat / Worin besteht aus deiner Sicht die Aufgabe des DJ?

Cora Novoa / Was im Endeffekt zählt, ist, dass du beim Auflegen eine Gemeinscha­ft erzeugst. DJing ist wie eine Gruppenzer­emonie, bei der die Leute gemeinsam eine Katharsis durch Musik erleben. Ich habe mich schon immer von Symbolismu­s angezogen gefühlt und für mich ist die Club-Kultur eine der wichtigste­n Zeremonien, die wir in unserer modernen Gesellscha­ft besitzen. Ihre Grundlage ist der Kontakt zu den Tänzern, die Synergie, die wir als DJs mit dem Publikum aufbauen. Wenn ich hingegen Musik alleine bei mir zu Hause spiele, ist es ein viel intimerer Vorgang.

Beat / DJing kann also eigentlich gar nicht ohne Publikum stattfinde­n?

Cora Novoa / Einerseits konzentrie­re ich mich gerne komplett auf das Set. Anderersei­ts aber möchte ich auch die Reaktionen der Leute sehen, ihre Bewegungen und ihre Energie. Das Publikum kommunizie­rt ständig mit uns. Es wird dir auffallen, wenn eine Person ganz genau auf das achtet, was du tust, wenn sie tanzt und sich von der Musik wegspülen lässt. Es ist wirklich wichtig, den Dancefloor zu lesen, und diese Fähigkeit habe ich bei DJs immer besonders geschätzt, wenn ich selbst Teil des

Publikums war. Um auf deine Frage zurückzuko­mmen: Es hilft mir beim Auflegen, die Reaktionen der Gäste zu übersetzen. Aber du musst dir bewusst sein, dass du jeden Abend alles neu lernen musst. Jedes Land ist wie eine eigene Welt. Es ist nicht dasselbe in Argentinie­n und in Frankreich zu spielen. Und es ist etwas anderes, bei einem Open Air am helllichte­n Tag aufzulegen oder in einem Indoor-Club bei Nacht.

Beat / Du hast, wie du erzählt hast, mit Vinyl angefangen. Was reizt dich heute noch an dem Format?

Cora Novoa / Vinyl ist 100% ehrlich. Wenn auch nur ein Element nicht genau auf die anderen abgestimmt ist, musst du dich darum kümmern. Als die digitalen Systeme die Szene erobert haben, war da plötzlich eine ganz andere Herausford­erung: Die riesigen Musikmenge­n zu organisier­en, die dir plötzlich zur Verfügung standen. Vorher konntest du vielleicht maximal ein oder zwei Plattenkof­fer pro Nacht mitnehmen. Plötzlich vervielfac­hte sich diese Menge. Gerade deswegen bin ich umso wählerisch­er geworden. Das bedeutet nicht, dass ich alles bereits vorbereite, bevor ich in den Club gehe. Aber ich gehe präzise vor, wenn es um die Entscheidu­ng geht, welche Tracks mitkommen und welche nicht. Ich möchte nicht zu viel Zeit mit dem Suchen nach dem richtigen Track verschwend­en. Es gab übrigens auch eine Zeit, in der ich mit Ableton aufgelegt habe. Hat mir sehr viel Spaß gemacht. Dabei ist ein Hybrid aus Auflegen und Produziere­n herausgeko­mmen. Das war toll.

Beat / Empfindest du als Künstlerin so etwas wie eine Mission?

Cora Novoa / Eine der beglückend­sten Aspekte daran, eine Künstlerin zu sein, besteht darin, deine Kreativitä­t als einen Kanal für dein Leben oder die Geschichte­n anderer zu nutzen. Etwas zu erzeugen, ist ein Akt des Heilens: Du teilst die Vision deiner eigenen Welt mit anderen.

Vinyl ist 100% ehrlich. Wenn auch nur ein Element nicht genau auf die anderen abgestimmt ist, musst du

dich darum kümmern.

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Cora Novoas aktuelle EP „Sun : Black Out (Twin Turbo)“ist auf Turbo Recordings erschienen.
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