Was tun in der Not?
Die Corona-Krise hat für viele Musiker dramatische Folgen: DJs erhalten keine Aufträge, Bands können nicht live performen und auch Remixer und Produzenten sind zum Teil stark betroffen. Doch wie sehen die Folge für Kreative aus und welche Möglichkeiten gibt es, in dieser Zeit dennoch mit musikalischen Inhalten Geld zu verdienen? Am runden Tisch lassen wir Christian Baczyk, seines Zeichens Komponist und Gründer der Trailer Music Academy und Produzent, Remixer und DJ Sascha Kloeber zu Wort kommen, ebenso wie Musikproduzent, YouTuber und Beat-Autor Paul Marx sowie Komponist und Sounddesigner Alex Pfeffer.
Beat / Die Auswirkungen der Corona-Krise hat Musiker hart getroffen. Habt ihr Tipps, wie man trotz der Krise mit Musik Geld verdienen kann?
Paul / Zahlreiche Branchen mussten in diesem Jahr auf die Krise reagieren, indem Treffen, Events und Arbeitsabläufe in die Digitalwelt bewegt wurden. Auch in der Kunst- und Kulturwelt gibt es zahlreiche Beispiele, in denen diese Neuorientierung als Chance genutzt werden konnte und sich aus der Not heraus viele neue Möglichkeiten ergeben haben. Ich glaube, dass in vielen Fällen ein Festhalten an den bisherigen Realwelt-Formaten in der aktuellen Situation nicht funktionieren kann. Wir alle sind zum Umdenken angespornt und erhalten gerade die Möglichkeit, unsere Kreativität dafür einzusetzen, unsere Kunst und Kultur auch in der Digitalwelt möglich zu machen. Dafür gibt es zahlreiche Plattformen und Angebote, die wir nutzen können. Wir erleben Online-Konzerte auf Plattformen wie beispielsweise YouTube, Facebook, Reddit oder Sofar Sounds. Zahlreiche Künstler bieten ihre Dienstleistungen über die eigene Website oder über Plattformen wie Fiverr an. Wir können unsere Professionen nutzen, um uns online mit Menschen zu vernetzen und einen Mehrwert zu generieren. Vielleicht ist 2020 oder 2021 ja das Jahr, in dem man sein erstes Buch über seine Profession schreibt und online verkauft, besondere Merchandise-Artikel gestaltet oder selbst einen Videokurs produziert und beispielsweise über Udemy Menschen dabei hilft, selbst künstlerisch aktiv zu werden. Ich denke, es gibt für viele Künstler digitale Wege zum Geld verdienen, wenn man den Mut findet, sich auf neue Möglichkeiten einzulassen.
Sascha / Die Krise trifft Ghost Producer und Remixer fast genauso hart wie DJs, denn gut verdienende DJs waren die großen Auftraggeber für Ghost-Produktionen und Remixe. Es gibt noch einen kleinen Markt am Rande, wenn Hobby-DJs (mit festem Job) sich einen Traum eines eigenen Release erfüllen möchten. Da gibt es immer noch Anfragen, von bekannten DJs nicht - auch nicht bei Kollegen. Ich sehe in der Krise eine große Chance für Newcomer und auch eine Reinigung eines kaputten Marktes! Bislang wurde mit viel Geld künstlich Musik in die Charts gepusht. Das Geld dazu fehlt jetzt. In meinen Augen entsteht jetzt ein sehr großes Vakuum und der Markt ist ehrlich unverfälscht wie seit Jahren nicht mehr. Kaum jemand will jetzt releasen oder Geld investieren, weil seit dem Lockdown wirklich sehr wenig elektronische Musik gekauft und gesucht wird. Ich sehe da Chancen, jetzt Fuß zu fassen und auf die Zeit hinzuarbeiten, bis sich die ganze Branche wieder neu aufstellt. Der Markt ist gerade klein, aber sehr clean und offen.
Ansonsten geht der Trend gefühlt weg von elektronischer und vor allem Club-Musik. Wer jetzt mit Verkäufen und Streams Geld verdienen möchte, könnte höchstens darauf hoffen, von Spotify in eine große Playlist aufgenommen zu werden, oder sollte sich überlegen, in andere Musikrichtungen umzuschwenken. Pop oder Rap usw. sind womöglich weniger betroffen. Ansonsten werden auch immer mal wieder elektronische Tracks für Hintergrundmusik im TV benutzt. Ich habe schon öfter Clubmusik von mir in Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gehört, wo ich mir das gar nicht hätte vorstellen können. Solche Sendungen werden häufig auch meistens mehrmals wiederholt und auf anderen Sendern ausgestrahlt. Finanziell ist das viel lukrativer, als Musik zu verkaufen. Allerdings sollte man sich erst bei der GEMA anmelden, wenn es wirklich schon im TV ausgestrahlt wurde. Wie man seine Musik ins TV bekommt? Auch hier glaube ich daran, dass sich gute Musik immer durchsetzt. Man muss nur genug heiße Eisen, also interessante Songs im Feuer haben. Der Rest folgt dann, ob Anfragen zum Ghost Producing oder Lizenzierung der Musik. Und wenn sich noch nichts abzeichnet, mein persönlicher Tipp: besser werden, üben, mehr Feedbacks einholen, fleißig sein, nicht aufgeben und seinem Herzen folgen.
Alex / Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir out of the box denken müssen. Es gibt so viele verschiedene Ansätze. Hier ein kleines Beispiel: Musiker denken vorwiegend, dass man erst Geld mit Musik verdient, sobald der Track fertig ist und auf einer Plattform veröffentlicht wurde. Warum aber nicht schon während des Komponierens Geld verdienen, indem man seinen Schaffensprozess live auf Twitch mit anderen teilt? Sicherlich wird man
Es gibt für viele Künstler digitale Wege zum Geld verdienen, wenn man den Mut findet, sich auf neue Möglichkeiten einzulassen.
[ Paul Marx ]
da nicht über Nacht zum Millionär, aber nach ein paar Monaten können bereits schon unterstützende Summen zusammen kommen.
Christian / Spätestens jetzt ist die Digitalisierung des eigenen Geschäfts unvermeidbar. Das Internet bietet einige neue Möglichkeiten, mit Musik Geld zu verdienen. Es gibt beispielsweise virtuelle Märkte, auf denen man ohne großen technischen Aufwand Royalty-Free-Music weltweit vertreiben kann. Die Nutzung eines Content-ID-Systems dagegen ermöglicht, sich eine passive Einkommensquelle aufzubauen. Zudem ist es heutzutage sehr leicht, über die sozialen Medien zahlungskräftige Kunden zu erreichen und die eigene Dienstleistung zu verkaufen.
Beat / Paul und Alex, ihr habt gleich mehrere Standbeine, wie Komposition, Musikproduktion sowie erfolgreiche YouTube-Kanäle. Wie wichtig ist es heutzutage für Musikschaffende, mehrere Einnahmequellen zu haben? Und wie bleibt man auch mit mehreren beruflichen Standbeinen fokussiert und produktiv?
Paul / Manche künstlerische Tätigkeiten sind keine stabilen Einkommensquellen, sondern weisen eine starke Fluktuation zwischen den Monaten auf. Beispielsweise erlebe ich auf YouTube stets sehr aktive Wintermonate und im Gegenzug ein Sommerloch. Um finanziell dennoch mehr Sicherheit zu erreichen, lohnt es sich aus meiner Sicht, verschiedene Standbeine aufzubauen, die diese Schwankungen in der Summe ausgleichen. Ich habe für unser Unternehmen in den letzten fünf Jahren eine breite Verteilung aufgebaut, beispielsweise durch unsere Plattform MeinHomestudio.de, die Videokurse, Bücher, virtuellen Instrumente und Effekte, Dienstleistungen in der Musikproduktion, Schulungen, den YouTube-Kanal und Kooperationen. Selbst wenn es in einem oder zwei dieser Bereiche einmal Komplettausfälle geben sollte, können die anderen das abfedern. Das gibt uns langfristig finanzielle Sicherheit. Für wen sich eine solche Streuung lohnt, hängt jedoch stark davon ab, wie stabil die eigenen Einkommensquellen sind.
Mit vielen Standbeinen gibt es auch entsprechend viel Verwaltungsaufwand und Potenzial für Fehlerquellen. Für mich ist dabei wichtig, die Dinge dennoch einzeln und in Ruhe anzugehen und mich stets nur auf einen Bereich zu konzentrieren. Ich versuche, klare und messbare Ziele zu definieren und Tätigkeiten zu priorisieren, die mich diesen Zielen wirklich näher bringen. Manchmal holt mich das aus meiner eigenen Komfortzone heraus, beispielsweise wenn ich dafür eine neue Programmiersprache lernen muss oder nervige Copy-Paste-Arbeiten der notwendige nächste Schritt sind. Dennoch ist das ein geringer Preis für das Erreichen der eigentlichen Ziele. Im Alltag versuche ich, komplexe Prozesse in möglichst kleine, überschaubare Einheiten herunterzubrechen. Das funktioniert in jedem Bereich und gibt mir die Möglichkeit, meine Tagesziele erreichbar zu gestalten. Dabei versuche ich auf Pausen zu achten und mich nicht zu überladen. Viele Standbeine sind auf Dauer eher ein Marathon, kein Sprint.
Alex / Es ist meiner Meinung nach lebenswichtig für einen Komponist bzw. Musiker, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Ich habe in fast jeder Branche Einbrüche erlebt. Mal gehen die Lizenzeinnahmen zurück, dann macht ein Game-Entwickler pleite oder verschwindet einfach von der Bildfläche. Verlässt man sich auf eine einzige Einnahmequelle, kann dies das sichere Aus bedeuten. Zuerst sollte man den Kopf ausschalten. Denken ist zwar hilfreich, aber wenn es um die Planung bzw. den Schaffensprozess geht, sollte man schlicht und einfach zur Tat schreiten, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, ob jemandem während eines Livestreams oder YouTube-Videos meine Stimme nicht gefällt oder ob es überhaupt jemanden interessiert. Dies sollte man den Leuten überlassen. Man sollte Dinge durchaus durchkonzipieren, aber anschließend einfach machen und anschließend zurückblicken und analysieren, was funktioniert hat und was nicht. Nichts hat mehr Träume und potenzielle Karrieren zerstört als unnötiger Selbstzweifel.
Beat / Welche Rolle spielen Aspekte wie Mindset, Produktivität und auch der Umgang mit Stress, wenn man langfristig als selbstständiger Musiker erfolgreich sein möchte?
Christian / Die Qualität deiner Gedanken bestimmt die Qualität deines Lebens. Durch Mindset-Training lässt sich diese Qualität immens steigern, gerade wenn man sich im Alltag oft aufregt oder sorgt. Wird Stress chronisch, manifestiert er sich früher oder später im Körper als Krankheit und man wird schleichend leistungsschwächer. Mit einem gesunden Körper und Geist steht und fällt die Selbstständigkeit. Der richtige Umgang mit Stress ist daher aus meiner Sicht ausschlaggebend für eine langfristig erfolgreiche Karriere. Mein Kurs „Trailer Music Basics“zeigt, wie man mit der bereits vorhandenen Expertise das Fundament für eine erfolgreiche Karriere in der Trailer-Musik Branche legt. Dabei verfolge ich einen holistischen Ansatz, denn Gesundheit ist die wichtigste Ressource des Menschen. Darum zeige ich meinen Kunden nicht nur, wie sie innerhalb kürzester Zeit lizenzierbare Trailer-Musik produzieren und diese anschließend vermarkten, sondern auch, wie sie langfristig leistungsfähig bleiben. Ich empfehle in erster Linie spezielle Atemübungen und Kältetraining, denn beides verbessert nachweislich die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress, stärkt die Immunkräfte und steigert das Energielevel deutlich. Auch adressiere ich die häufigsten Mindset-Probleme, wie z. B. die Angst vor der Sichtbarkeit im Internet oder die Angst vor Ablehnung. Um andere Ergebnisse in unserem Leben zu erzielen, müssen wir zuerst unser Verhalten gemäß unserer Absicht anpassen. Für den ein oder anderen kann es schwierig sein, neue Gewohnheiten erfolgreich in seinem Alltag zu etablieren, darum gebe ich auch an dieser Stelle meinen Kunden das richtige Wissen mit.
Paul / Als Künstler kann man sich bis zum Burnout arbeiten, wenn man die eigene Kunst nicht als „richtige Arbeit“betrachtet. Der Glaubenssatz, dass die künstlerische Arbeit nicht belastend sein könnte, weil sie einem Spaß macht, kann aus diesem Grund gefährlich werden. Ich habe viele Jahre gebraucht, um ein Pensum zu finden, mit dem ich mich langfristig nicht überlaste. Unter Druck ist man nicht unbedingt produktiver. Manchmal sind es genau die Pausen, die man braucht, um eine bessere Perspektive auf das Problem zu bekommen und um die richtigen Schritte für dessen Lösung zu identifizieren. Das macht aus meiner Sicht den Unterschied zwischen „geschäftig sein“und „die richtigen Dinge tun“aus. Vielleicht kostet es etwas Mut, außerhalb der eigenen Blase zu denken und zu handeln, aber das lohnt sich dafür doppelt. Daher ist auch hier manchmal weniger mehr.