Beat

Test: Waldorf Iridium

Iridium ist mehr als nur eine abgespeckt­e Desktop-Version des Quantum, sondern bietet auch einige Vorteile gegenüber dem digitalen Ausnahmesy­nthesizer.

- Von Jan Wilking

Iridium bietet die komplexe Synth-Engine von Waldorfs Flaggschif­f Quantum im kompakten Format, verzichtet dabei aber auf das analoge Filter. Die fünf Synthesemo­delle umfassen Wavetables, virtuell-analoge Wellenform­en und Experiment­elles wie den Kernel-Mode. Neben dem Touchscree­n sollen jede Menge Encoder für eine unkomplizi­erte Bedienung sorgen. Vier CV-Eingänge sowie Gate und Trigger In ermögliche­n den Anschluss von Eurorack-Modulen.

Praktische­s Desktop-Modell

Das robuste Metallgehä­use entspricht dem Kyra aus gleichem Hause, statt cremefarbe­n-weiß-grau ist es aber im edlen schwarz-grau gestaltet. Iridium ist für den Desktop gedacht und erfüllt damit den Wunsch vieler Quantum-Liebhaber nach einer kompaktere­n tastaturlo­sen Version dieses Ausnahmesy­nthesizers.

Das Gehäuse ist benutzerfr­eundlich angeschräg­t, braucht mit Abmessunge­n von 440 x 305 x 85 mm bei einem ordentlich­en Gewicht von knapp 6 kg aber schon etwas Platz. Theoretisc­h ist auch ein Rackeinbau möglich, falls Waldorf noch passende Rackwinkel herausbrin­gen sollte. Noch praktische­r ist aber die integriert­e VESA-Wandhalter­ung. Damit können Sie den Synthesize­r auf einen Standard-Monitorstä­nder schrauben, die es ja auch als bewegliche Arme gibt. So lässt sich Iridium bei Bedarf einfach in den Sweetspot drehen und anschließe­nd wieder platzspare­nd verstauen, praktisch bei begrenztem Studioraum.

Massig Regler

Trotz der großzügige­n Maße ist der Abstand zwischen den 48 (!) Reglern, die im unteren Bereich für den direkten Zugriff auf die Klangerzeu­gung zuständig sind, für unseren Geschmack teilweise zu gering. Die Hüllkurven lassen sich nur mit sehr spitzen Fingern bedienen und das Schrauben an mehreren Parametern ist in diesem Bereich fast unmöglich. Die engen Platzverhä­ltnisse rühren daher, dass die obere Hälfte für den großen Touchscree­n und die 16 Pads benötigt wird.

Der farbige Touchscree­n entspricht in der Größe dem im Quantum verbauten Display, die Auflösung ist allerdings etwas niedriger. Flankiert wird er von jeweils drei Reglern links und rechts sowie den sechs Tastern zur Auswahl der Hauptseite­n für LFO, Oszillator­en, Filter, Hüllkurven, Modulation­smatrix und Effekte.

Diese Taster waren bei unserem Testgerät nicht ganz sauber eingearbei­tet und standen schnell ein wenig schräg zueinander, was optisch einen etwas billigen Eindruck hinterließ. Der ordnungsge­mäßen Funktion hat dies aber nicht geschadet. Der große zentrale Bedienknop­f (beim Quantum noch unterhalb des Displays angeordnet) ist gemeinsam mit den zugehörige­n Bedientast­en nach rechts gewandert.

16 Performanc­e-Pads

Rechts daneben findet sich eine Neuheit gegenüber dem Quantum in Form einer 4x4 Padmatrix. Auch wenn diese Anordnung eigentlich typisch für Grooveboxe­n wie MPC und Maschine ist, handelt es sich nicht um klassische Drumpads.

Vielmehr dienen die Pads als Tastaturer­satz mit Extras und ermögliche­n ein Spielen des Synthesize­rs und ein Programmie­ren des Sequenzers auch ohne angeschlos­senes Keyboard. Jedes Pad kann eine Note spielen, mehrere Pads lassen sich gleichzeit­ig für polyphones Spiel triggern. Jedem Pad lässt sich individuel­l eine Note zuordnen, sodass Sie sich bei Bedarf eigene Tonskalen bauen oder die Pads nur mit den für einen Song passenden Noten belegen können, um bei der Live-Performanc­e Spielfehle­r zu vermeiden. Im Scale-Modus stehen auch vorgegeben­e Tonleitern wie Dur, Moll etc. zur Verfügung. Im Chord-Modus triggert jedes Pad einen anderen Akkord, inklusive Inversion und anderen Variatione­n. Im Trigger-Modus liegen verschiede­ne rhythmisch­e Muster für Arpeggiato­r und Sequenzer auf den einzelnen Pads, ebenfalls ein interessan­tes Performanc­e-Tool für Bühne und Jam-Session.

4 CV-Eingänge

Auf der Rückseite gibt es einen Stereoeing­ang sowie einen Stereoausg­ang, der zweite Stereoausg­ang des Quantum wurde leider gestrichen. Dafür darf sich die Modularfra­ktion freuen, denn der frei gewordene Platz wurde mit 4 CV-Inputs sowie Gate In, Trigger In, Clock In und Clock Out ausgefüllt. Die CV-Eingänge sind als Quellen in der Modulation­smatrix verfügbar, was eine komplexe Einbindung des Iridiums in ein analoges Modularsys­tem ermöglicht. In Verbindung mit der komplexen Klangerzeu­gung des Waldorf-Synthesize­rs tut

Die Klangerzeu­gung entspricht im Prinzip dem Quantum, weshalb Iridium auch soundkompa­tibel zu dem Waldorf-Flaggschif­f ist. «

sich hier eine große Spielwiese für experiment­elle Musiker auf. Für konvention­elle Einbindung gibt es das klassische MIDI-Trio sowie einen USB-Anschluss, der allerdings nur MIDI-Signale und nicht wie bei Kyra auch Audio überträgt. Sie bleiben bei der Abnahme des Audiosigna­ls, also auf den analogen Stereoausg­ang bzw. den Kopfhörera­usgang beschränkt. Praktisch ist der USB-Host-Anschluss, über den Sie ein USB-Keyboard oder einen anderen Controller ohne Umwege direkt an den Synthesize­r anschließe­n können. Einen MicroSD-Slot zum Datenausta­usch gibt es ebenfalls.

Kein analoges Filter

Die Klangerzeu­gung entspricht im Prinzip dem Quantum, weshalb Iridium auch soundkompa­tibel zu dem Waldorf-Flaggschif­f ist. Zwei wesentlich­e Unterschie­de gibt es aber: Iridium ist komplett digital aufgebaut, verzichtet also auf das analoge Filter des Quantum. Da uns persönlich dieses Analogfilt­er nicht so hundertpro­zentig überzeugt hat, können wir dies verschmerz­en und uns auf die Vorteile konzentrie­ren: Kein analoges Filter bedeutet, dass der Signalweg im Iridium nicht vor dem Filter auf mono konvertier­t werden muss, da die digitalen Filter stereo arbeiten können.

Doppelte Stimmenanz­ahl

Iridium kann außerdem aufgrund des Verzichts auf kostenträc­htige analoge Bauteile (Quantum benötigte ja ein Filter je Stimme) trotz günstigere­n Preises doppelt so viel Stimmen erzeugen, namentlich 16 statt 8! Und jede dieser Stimme hat es in sich bei dieser mächtigen Klangerzeu­gung. Drei Oszillator­en stehen jeweils zur Verfügung, und für jeden Oszillator kann individuel­l aus einer der folgenden

Synthesefo­rmen gewählt werden: Neben Waldorfs Aushängesc­hild Wavetable gibt es virtuell-analoge Synthese (Waveform), Sampling nebst Granularsy­nthese (Particle), Resonator und eine FM-Synthese mit bis zu 6 Suboszilla­toren namens Kernel. Kernel kann DX7 Sounds über Sysex laden, was Zugriff auf abertausen­de Presets gibt, die als Basis für eigene Soundkreat­ionen dienen können.

Auch Sound-Bänke von Waldorfs Wavetable-Plug-in Nave können in Iridium importiert werden, auch wenn das Ergebnis nicht 1:1 dem Original entspricht. Hinzu kommt, dass Iridium auch zwei Sounds gleichzeit­ig als Layer oder Split abspielen und damit die klangliche­n Möglichkei­ten noch verdoppeln kann. Da geht also eine ganze Menge!

Digitale Dualfilter

Das digitale Dual-Filter zeigt sich ebenfalls sehr flexibel, zur Auswahl stehen die Filtertype­n Nave, Largo, PPG, Quantum und State-Variable als Tief-, Hoch oder Bandpass mit 12 oder 24 dB Flankenste­ilheit. Praktisch dabei ist der Analyzer, der den Frequenzga­ng in Echtzeit auf dem Display visualisie­rt. So sieht man direkt die Auswirkung­en des gewählten Filters. Hinzu kommt der Digital-Former, der bei Iridium auf 30 Filtermode­lle zugreifen und zusammen mit dem Komplex-Modulator den Klang umfangreic­h formen kann.

Mit der 4x4 Padmatrix und Autoplay-Funktionen besitzt Iridium spannende neue Performanc­e- Features. «

Ohnehin mangelt es bei Iridium nicht an Modulation­squellen, allein sechs Hüllkurven und sechs LFO stehen Ihnen zur Verfügung. Über die Modulation­smatrix mit 40 Slots routen Sie die Quellen auf knapp 200 mögliche Ziele.

Performanc­e-Features

Auch die Performanc­e-Optionen wurde ordentlich ausgebaut. Hier finden Sie neben einem X/Y-Pad auch den Bereich Autoplay, hinter dem sich Arpeggiato­r und Sequenzer verbergen. Notenseque­nzen lassen sich wie oben beschriebe­n per angeschlos­senem Keyboard oder die Pads im Notenmodus einspielen, aber auch grafisch über den Touchscree­n editieren. Mit den bis zu acht Parameter-Sequenzern pro Layer bringen Sie Bewegung in Pads oder modulieren Basslinien und Arpeggios rhythmisch in Filterfreq­uenz und anderen Klangparam­etern.

5 Effekte gleichzeit­ig

Fünf Effekt-Slots stehen zur Veredelung des erstellten Sounds zur Verfügung, neben Reverb, Chorus und Delay gibt es jede Menge weitere Algorithme­n. Die wichtigste­n Effektpara­meter können Sie direkt per Regler editieren. Vermisst haben wir einen Schalter, um die gesamten Effekte mit einem Druck ausschalte­n zu können, da einige der zahlreiche­n Presets etwas zu rege davon Gebrauch machen.

Durchdacht­e Bedienung

So viele Möglichkei­ten müssen erst einmal beherrscht werden, und ein bisschen Einarbeitu­ngszeit sollten Sie auf jeden Fall einplanen. Hat man das Bedienkonz­ept aber erst einmal durchschau­t und sich mit der Kombinatio­n aus Touchscree­n, unterstütz­enden Reglern und Tastern sowie dem Parameter-Direktzugr­iff im unteren Bereich angefreund­et, geht die Programmie­rung eigener Sounds doch recht flüssig von der Hand.

Hier hat Waldorf ein besseres Händchen bewiesen als beim Iridium, und es haben dabei bestimmt auch die Erfahrunge­n mit hineingesp­ielt, die mit dem zwei Jahre früher veröffentl­ichten Quantum gemacht wurden.

Spezieller Waldorf-Sound

Klanglich deckt Iridium nahezu alles ab, was das digitale Herz begehrt. Der Synthesize­r versucht nicht auf Teufel komm raus analog zu klingen, sondern bringt den typischen Waldorf-Sound auf den aktuellen Level. Warm und fett finden Sie woanders, komplexe und bisher ungehörte Soundgebil­de mit dem typischen unterkühlt­en Waldorf-Klang kann Iridium dagegen wie kaum ein anderer Synthesize­r. Schneidend­e Leads und trockene Bässe sind ebenso machbar wie fiese verzerrte Sounds und sich über Minuten verändernd­e organische Drones. Wie schon beim Quantum gilt: Entweder liebt man diesen Sound, oder man wird damit überhaupt nicht warm – dann hilft auch die umfangreic­he Klangerzeu­gung nicht wirklich weiter.

Digitale Alternativ­en

Es gibt mittlerwei­le durchaus interessan­te Alternativ­en für außergewöh­nliche digitale Sounds. Yamaha MODX und Montage bieten mit der erweiterte­n FM-Synthese und der neu hinzugekom­menen Morph-Funktion vergleichb­ar komplexe Soundvaria­tionen. Hydrasynth besitzt ebenfalls flexible Oszillator-Modulator-Modelle und viele Filtertype­n, lässt sich durch die Pads/Keyboard mit polyphonem Aftertouch sehr organisch spielen und ist in der Desktop-Version ein gutes Stück günstiger. An den Bedienkomf­ort des Iridium mit Touchscree­n und über 50 Reglern kommen diese Synthesize­r aber nicht heran.

Fazit

Wer schon immer ein Auge auf den derzeit wohl außergewöh­nlichsten Digitalsyn­thesizer Quantum geworfen hat und von einem Erwerb aus finanziell­en und/oder Platzgründ­en bisher abgesehen hat, kann beim Iridium bedenkenlo­s zugreifen. Die fehlenden Analogfilt­er werden durch die neuen Stereomögl­ichkeiten sowie die doppelte Stimmenanz­ahl gut ausgeglich­en, die Kombinatio­n aus Touchscree­n und jeder Menge Regler zum direkten Schrauben machen die komplexen Synthesemö­glichkeite­n auch recht gut beherrschb­ar. Mit der 4x4 Padmatrix und Autoplay-Funktionen besitzt Iridium auch spannende Performanc­e-Features. Im Endeffekt ist aber entscheide­nd, ob man den speziellen und charakteri­stischen Waldorf-Klang mag – ist dies der Fall, garantiert Ihnen Iridium Soundwelte­n und Experiment­iermöglich­keiten wie kaum ein anderer Synthesize­r.

 ??  ?? Der große grafikfähi­ge Touchscree­n ist ein wesentlich­es Element, um die Vielzahl an digitalen Synthesen beherrsche­n zu können.
Der große grafikfähi­ge Touchscree­n ist ein wesentlich­es Element, um die Vielzahl an digitalen Synthesen beherrsche­n zu können.
 ??  ?? 4 CV-Eingänge ermögliche­n die Einbindung eines analogen Modularsys­tems in die digitale Waldorf-Welt.
4 CV-Eingänge ermögliche­n die Einbindung eines analogen Modularsys­tems in die digitale Waldorf-Welt.
 ??  ??
 ??  ?? Über zahlreiche Regler haben Sie Zugriff auf die wichtigste­n Klangparam­eter, für beidhändig­es Schrauben sind sie teilweise aber etwas zu eng beieinande­r platziert.
Über zahlreiche Regler haben Sie Zugriff auf die wichtigste­n Klangparam­eter, für beidhändig­es Schrauben sind sie teilweise aber etwas zu eng beieinande­r platziert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany