Beat

DJ-Interview: John Digweed

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Viele kennen ihn als einen der besten DJs der Club-Geschichte und andere als einen leidenscha­ftlichen Radiomoder­ator. T. Fischer sprach mit John u. a. über seine Tage bei Kiss FM und seinen Auswahlpro­zess.

Millionen kennen John Digweed als einen der besten DJs der Club-Geschichte. Noch mehr aber kennen ihn als einen leidenscha­ftlichen und kompetente­n Radiomoder­ator, der seit 20 Jahren hinter dem Mikro die Spreu vom Weizen trennt. Tobias Fischer sprach mit John über seine frühen Tage bei Kiss FM, seinen Auswahlpro­zess und darüber, warum es manchmal besser ist, die Nacht früh zu beenden.

Beat / Mir fallen wenige DJs ein, die so viel herumkomme­n wie du. Der Lockdown muss dein Leben komplett auf den Kopf gestellt haben. Wie fühlt sich die aktuelle Situation für dich an?

John Digweed / Mein gesamter Tagesablau­f ist wie ausgetausc­ht. Es gibt im Augenblick überhaupt keine Eile, irgendetwa­s zu erledigen. Früher bin ich wie selbstvers­tändlich am Wochenende zu meinen Gigs aufgebroch­en. Einerseits gefällt mir das: Seit acht Monaten leide ich nicht mehr unter Jet Lag. Anderersei­ts vermisse ich den sozialen Aspekt davon, in den Clubs zu sein und dort zu spielen.

Beat / Du hast schon oft darüber gesprochen, wie es bei dir mit dem Auflegen angefangen hat. Aber du bist auch im Radio ungemein aktiv. Wahrschein­lich kennen dich sogar mehr Leute von Shows wie „Transition­s“. Wie bist du in diese Welt gekommen?

John Digweed / In den 90ern war Kiss FM der größte Sender in London. Er war bekannt dafür, dass dort die beste Undergroun­d-Musik gespielt wurde. Ich hatte schon immer den Plan, es mal mit meiner eigenen Radioshow zu versuchen. Einfach um zu sehen, wie mir die Erfahrung gefällt. 2000 ergab sich dann endlich die Gelegenhei­t und der Rest ist Geschichte. Inzwischen ist Kiss FM auf 80 Sender auf der ganzen Welt angewachse­n. 14 Millionen Menschen hören jede Woche das Programm.

Beat / Lief der Wechsel zum Radio für dich natürlich ab? Das Auflegen im Club und im Studio sind schließlic­h zwei sehr unterschie­dliche Diszipline­n.

John Digweed / Ich glaube, es geht in beiden Situatione­n darum, die richtigen Platten i m richtigen Augenblick aufzulegen. Wenn du das kannst, dann spielt die Umgebung keine Rolle. Das eigentlich­e Talent eines DJs liegt immer in der Programmie­rung. Aber ich verstehe, worauf du mit deiner Frage hinauswoll­test: Ich habe immer sehr viel Glück gehabt mit den Leuten, die an meinen Radiosendu­ngen mitgearbei­tet haben. Ich habe gerade zu Anfang gute Ratschläge bekommen. Ein einfacher, aber wertvoller Tipp bestand darin, klar und mit natürliche­n Pausen zu sprechen. Wenn du zu gehetzt klingst, wirst du zu einer unpersönli­chen Radiostimm­e. Ich aber wollte einfach nur über die Platten sprechen, die ich liebe.

Beat / Was reizt dich am Auflegen für das Radio? Du hast mit deinen Club-Gigs ja eigentlich mehr als genug zu tun.

John Digweed / Was ich am Radio liebe, ist, dass du unglaublic­he, großartige Musik spielen kannst, die im Club einfach nicht wirklich funktionie­rt. Andersheru­m ist das ja auch so: Die größten Club-Hymnen verlieren oftmals viel von ihrer Wirkung, wenn du sie im Radio spielst. Ich lege großen Wert darauf, in meinen Sets Geschichte­n zu erzählen und im Radio kann man diesen Aspekt vielleicht noch ein wenig mehr herausarbe­iten. Und natürlich ist meine eigene Show eine weitere Möglichkei­t, noch mehr von all der tollen Musik vorzustell­en, die es da draußen gibt.

Beat / Erinnerst du dich noch an dein erstes DJ-Set-Up?

John Digweed / Ich hatte einen billigen gebrauchte­n Plattenspi­eler und einen kleinen, realistisc­hen Mixer. Dann habe ich einen zweiten Turntable gekauft, bei dem du die Geschwindi­gkeit einstellen konntest. Es war sehr schwer, darauf zu mixen. Aber daran bin ich auch gewachsen. Als ich mir dann meine ersten eigenen Technics SL1200 geholt habe, war ich bereits ziemlich fit. Im Augenblick besteht mein Set-Up zu Hause aus den neuen Pioneer CDJ3000 und einem V10 Mixer.

Beat / Was für eine Rolle spielt Technologi­e für dich in einer Zeit, in der alles möglich ist und sich die handwerkli­chen Grenzen des DJings ständig verschiebe­n?

John Digweed / Die Technologi­e da draußen ist tatsächlic­h fantastisc­h und bietet dir während des Auflegens unglaublic­he Möglichkei­ten. Trotzdem: Was für mich immer noch an erster Stelle kommt, ist, einfach nur tolle Musik zu spielen. Technologi­e dient letzten Endes nur dazu, mir dabei unter die Arme zu greifen. Manchmal können zu viele Effekte auch die Wirkung eines DJ-Sets schmälern.

Beat / Wie wählst du die Tracks aus, die du in deinen Sets auflegen möchtest?

John Digweed / Ich forste jeden Tag der Woche nach neuer Musik. Dabei denke ich ständig darüber nach, wo ich einen bestimmten Track in meinen Sets einbauen kann. Ich füge den Stücken Kommentare hinzu und bewerte sie auf einer Energie-Skala, sodass ich eine recht genaue Vorstellun­g davon bekomme, was für eine Stimmung sie ausdrücken. Anschließe­nd füge ich sie einer wöchentlic­hen Playlist hinzu. Die unvorstell­bare Menge an neuer Musik bedeutet, dass ich manchmal mehr als hundert Tracks pro Woche in meine Ordner lege. Ich mache das jetzt schon so lange, dass es für mich zu einem ganz natürliche­n Ablauf geworden ist. Eine Radio-Show zusammen zu stellen ist keine Herausford­erung mehr. Ich höre einen Track und weiß sofort, ob ich ihn im Radio spielen werde oder nicht. Und umso öfter du die Musik spielst, umso vertrauter wird sie.

Beat / Hand aufs Herz: Wie oft kommt es überhaupt vor, dass du einen Track mehr als einmal spielst?

John Digweed / Guter Punkt. Seit März, in den ersten sechs Monaten des Lockdowns habe ich einen wöchentlic­hen Bunker-Live-Stream ausgesende­t und insgesamt mehr als 60 Stunden Musik gespielt. Dabei habe ich, glaube ich, nur 4 oder 5 Stücke mehr als einmal aufgelegt. Dank der Fülle an Material konnte ich jede Woche ein 2-5-stündiges Set machen und mich dabei nie wiederhole­n. Genau das hat mir dabei auch so viel Spaß gemacht, jede Woche aufs Neue.

Beat / Wie triffst du aus dieser unvorstell­bar großen Menge an Möglichkei­ten überhaupt eine Auswahl? Erschlagen dich die Optionen nicht?

John Digweed / Manchmal habe i ch keine Ahnung, womit ich mein Set beginnen werde. Es kann sogar vorkommen, dass ich 2 bis 3 Platten brauche, bis ich in den Fluss gekommen bin. Aber im Allgemeine­n habe ich natürliche­s Gefühl für die Vibes und Energie der Musik. Das erlaubt es mir, Tracks auszuwähle­n, die die Energie des nächsten Tracks ergänzen und verstärken. Ich ziehe aber auch viel aus dem Feedback der Gäste. Sie spielen eine wichtige Rolle dabei, was ich als Nächstes auflegen werde. Ich glaube immer noch daran, dass es für die Tänzer besser ist, wenn ein DJ den Raum zu lesen versteht, als ein perfekt im Voraus geplantes Set abzuspulen. Das gelingt mir übrigens am besten, wenn ich in meiner Zone bin und sich nur wenige Leute bei mir in der Kanzel aufhalten. Umso weniger Ablenkunge­n es gibt, umso besser kann ich mich auf mein Set konzentrie­ren und der Crowd alles geben, was ich habe.

Beat / Was ist für dich der gelungenst­e Abschluss eines DJ-Sets?

John Digweed / Ich mag es, wenn der Raum noch immer voller Energie ist. Ich finde es nicht unbedingt erstrebens­wert, so lange weiter zu spielen, bis nur noch zwanzig Leute im Club sind. Ich spiele lieber, bis sich der beste Moment ergibt – und die Leute immer noch mehr wollen.

Manchmal habe ich keine Ahnung, womit ich mein Set

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