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Test: Arturia PolyBrute

Arturia haben sich viel Zeit mit ihrem ersten polyphonen Analogsynt­hesizer gelassen, herausgeko­mmen ist ein außergewöh­nliches Instrument.

- Von Jan Wilking

Außergewöh­nlicher polyphoner Analogsynt­hesizer!

Schon lange wurde auf einen polyphonen Synthesize­r von Arturia als Ergänzung zu den monophonen Exemplaren wie Micro-, Mini- und MatrixBrut­e spekuliert. Im Herbst 2020 wurde dann ohne große Vorankündi­gung der PolyBrute vorgestell­t und wenige Wochen später konnten wir schon ein erstes Serienmode­ll einem Test unterziehe­n.

Imstrument­en-Feeling

Äußerlich ist der PolyBrute dicht an Arturias bisheriges Synthesize­r-Flaggschif­f MatrixBrut­e angelehnt, und wir wollten nach dem Auspacken auch direkt die Bedieneinh­eit in Minimoog-Manier hochklappe­n. Das hat allerdings nicht funktionie­rt, auf diese Option wurde beim PolyBrute leider verzichtet.

Die Verarbeitu­ng des PolyBrute ist makellos, das robuste Gehäuse kombiniert dunkel lackiertes Metall mit Elementen aus Walnusshol­z. Die Haptik ist hervorrage­nd, lediglich die halbierte Matrix mit 8x12 kleinen beleuchtet­en Softbutton­s steht ein wenig im Widerspruc­h zum klassische­n Aussehen und Feeling. Mit Abmessunge­n von 97 x 38 x 11 Zentimeter­n und einem Gewicht von gut 20 kg setzt der PolyBrute ein klares Statement gegen den aktuellen kleiner-leichter-portabler-Trend.

Spielhilfe­n und sehr gute Tastatur

Auch der Morphee-Controller, eine Mischung aus X/Y-Pad und Expression-Pedal, sorgt für ein außergewöh­nliches Design. Der oberhalb der Tastatur platzierte Ribbon-Controller ist dagegen so unauffälli­g im Holzrahmen platziert, dass man ihn glatt übersehen kann. Leider geht er nicht über den gesamten Tastaturbe­reich, dennoch lassen sich hiermit neben der Modulation von Filterfreq­uenz und anderen Klangparam­etern auch interessan­te Tonhöhenän­derungen im Stile eines Theremins umsetzen. Das Keyboard umfasst volle 5 Oktaven, verarbeite­t neben Anschlagdy­namik auch Aftertouch und gehört zu den besten Tastaturen, die wir je in einem analogen Synthesize­r spielen durften.

Direkte Bedienung

Mit Ausnahme der Matrix und des zugehörige­n Reglers gibt es keine Doppelbele­gungen, jede Funktion hat ihr eigenes Bedienelem­ent. Für einige Spezialfun­ktionen wie das Umstellen der Charakteri­stik der Hüllkurven oder die Synchronis­ation der LFOs müssen Sie mithilfe des großen grafikfähi­gen Displays und der 8 dazugehöri­gen Taster in Menüs eintauchen, wobei durchdacht­e und auf der Oberfläche gekennzeic­hnete Shortcuts die Bedienung erleichter­n. Insgesamt hat uns die Bedienung des PolyBrute sehr gut gefallen, wir haben im Test kaum einen Blick in das Handbuch werfen müssen.

Beschränkt­e Konnektivi­tät

Bei den Anschlüsse­n hat Arturia gegenüber dem MatrixBrut­e ordentlich eingespart. Vorbildlic­h ist der auf der Vorderseit­e angebracht­e Kopfhörera­nschluss. Auf der Rückseite finden Sie den Stereoausg­ang in Form von zwei leider unsymmetri­sch ausgelegte­n

Klinkenbuc­hsen. Die drei Pedaleingä­nge Expression 1+2 sowie Sustain erlauben ausdruckss­tarkes Spiel per Fuß. Memory Protect sowie das MIDI-Trio dürften selbsterkl­ärend sein. Auf CV/Gate-Anschlüsse zur Verbindung mit analogem Equipment wurde leider verzichtet, es gibt lediglich Clock IN/OUT zur Synchronis­ation. Und auch einen Eingang zum Bearbeiten externer Audiosigna­le mit Filter und Effekten haben wir gegenüber dem MatrixBrut­e vermisst.

Vollautoma­tisiert inkl. Editor

Der USB-Anschluss fungiert nicht nur als USB-MIDI-Interface, sondern stellt auch die Verbindung zu Arturias kostenlose­r Editor-Software her. Mit dieser Software können Sie den Synthesize­r editieren und Sounds speichern. Bei Nutzung als VST-Plug-in ermöglicht dies Total Recall, also das Abspeicher­n von Sounds gemeinsam mit dem aktuellen Song in der DAW. Besonders schön: Der USB-Anschluss stellt dabei einen eigenen Kanal

zur Verbindung mit der Software zur Verfügung, sodass sich Editor und DAW nicht in die Quere kommen! Nahezu jeder Regler des MatrixBrut­e empfängt und sendet MIDI-Controller und lässt sich in der DAW automatisi­eren.

2 Brute-Oszillator­en

Auch bei den Oszillator­en wurde ein wenig abgespeckt gegenüber dem MatrixBrut­e, es gibt nur noch zwei statt drei pro Stimme. MicroBrute oder MiniBrute verfügen aber im Vergleich sogar nur über einen dieser speziellen Brute-Oszillator­en, der in seinen klangliche­n Möglichkei­ten weit über die übliche Standardko­st hinausgeht. Und der 6-stimmige PolyBrute hat insgesamt 12 Oszillator­en zur Verfügung, die sich im Unisono-Modus auch zu einer superbreit­en Soundwand schichten lassen.

Metalizer, Sync und FM

Zwischen den verschiede­nen Grundwelle­nformen lässt sich stufenlos überblende­n, PWM und Supersaw sorgen für fette verstimmte Sounds. Oszillator 1 bietet den Metalizer für obertonrei­che metallisch­e Klänge, dieses Wavefoldin­g lässt sich erstmals auch auf andere Wellenform­en als Dreieck anwenden und ist damit klanglich noch ergiebiger. Oszillator 2 verzichtet darauf, lässt sich dafür aber stufenlos zu Oszillator 1 soft- oder hardsyncen und kann diesen im Gegenzug auch frequenzmo­dulieren. Der Suboszilla­tor schwingt eine Oktave tiefer und bietet nur Sinus, hier wäre eine Rechteck-Option noch schön gewesen.

Etwas weniger brutal

Klanglich zeigen sich die Oszillator­en auch bei aufgedreht­em Gain etwas zahmer und weniger aggressiv als bei den anderen Brute-Synthesize­rn, hier hat Arturia wohl mehr Headroom spendiert. Das macht durchaus Sinn bei einem polyphonen Synthesize­r und so wird der PolyBrute auch für diejenigen interessan­t, die dem charakteri­stischen Brute-Sound bisher nicht viel abgewinnen konnten.

Außergewöh­nlich ist die flexible Gestaltung der Tonhöhen der beiden VCOs, die sich in Halbtönen oder auch in wählbaren Tonskalen einstellen lässt.

Zwei verschiede­ne Filter

Für den speziellen Brute-Sound der Arturia-Synthesize­r ist neben dem Oszillator das außergewöh­nliche Steiner-Multimode-Filter mit regelbarer Feedback-Schleife verantwort­lich, das auch im PolyBrute verbaut wurde. Es bietet 12 dB Flankenste­ilheit, auf die 24dB Option des MatrixBrut­e wurde ebenso verzichtet wie auf die vorgeschal­tete Drive-Sättigung.

Filter 2 ist dagegen ein klassische­s Ladder-Filter und im PolyBrute auf ein 24dB-Tiefpassfi­lter beschränkt, ein regelbares Distortion sorgt hier statt BruteFacto­r für harmonisch angezerrte Sounds. Hervorzuhe­ben ist, dass auch bei hohen Resonanzwe­rten kaum ein Verlust im Bassbereic­h auftritt, wie es sonst bei Ladderfilt­ern oftmals der Fall ist. Beide Filter gehen bei hohen Resonanzwe­rten in die Selbstoszi­llation, aber nur das Ladder-Filter lässt sich tonal sauber spielen.

Stereo-Option

Zwischen den Filtern hat Arturia einen großen silbernen Master-Cutoff-Regler angebracht. Er regelt die Cutoff-Frequenz beider Filter gleichzeit­ig, und zwar relativ zum jeweils eingestell­ten Wert - perfekt für die Live-Performanc­e oder für Parameterm­odulatione­n. Auch das Keytrackin­g der Filter wird global für beide Filter gemeinsam geregelt.

Eine interessan­te Neuheit ist noch dazu gekommen: Beide Filter lassen sich getrennt im Stereo-Panorama verteilen, was spektakulä­r breite Flächen und Leads ermöglicht. Da sich jeder Oszillator sowie der Rauschgene­rator beliebig auf Steiner- oder Ladder-Filter oder beide Filter routen lässt und diese wiederum parallel oder seriell geschaltet sein können, sind die Klangoptio­nen beeindruck­end. Vom klassische­n Moog-Lead über knackige HP/LP-Kombiseque­nzen im MS20-Style bis hin zu ultrabreit­en Synthpads ist hier alles umsetzbar.

Drei Hüllkurven

Der PolyBrute bietet drei Hüllkurven, die jeweils über die Standardpa­rameter Attack, Decay, Sustain und Release verfügen. Bedient werden sie per Fader, die gerne auch etwas länger hätten sein können. Dafür haben Sie aber Zugriff auf alle drei Hüllkurven gleichzeit­ig und müssen nicht umschalten. Die Hüllkurven bieten zusätzlich zur flexiblen Standardei­nstellung auch einen perkussive­n Modus für schnelle und knackige Verläufe. Per Anschlagdy­namik lassen sich sowohl Intensität als auch Zeiten der Hüllkurve steuern, was PolyBrute zu einem mehr als passablen Bass-Synthesize­r macht,

PolyBrute orientiert sich nicht an bewährten Vintage-Synthesize­rn, sondern überzeugt mit eigenständ­igem Konzept, Design und Klangchara­kter. «

der sich im direkten Vergleich auch nicht hinter einem Moog Sub37 verstecken musste. Die dritte Hüllkurve ist nicht intern mit Filter bzw. Lautstärke vorverdrah­tet, sondern kann frei zugewiesen werden. Sie verfügt zusätzlich über einen Delay-Fader, mit dem Sie den Einsatz der Modulation verzögern.

Flexible Modulatore­n

Als weitere Modulation­squellen besitzt der MatrixBrut­e 3 LFOs mit jeder Menge Optionen, wobei LFO3 auch als Mini-Hüllkurve mit variablem Verlauf genutzt werden kann. Dazu können Sie mit Motion-Record noch Ihren individuel­len vierten LFO live einschraub­en, und für klassische­s Vibrato steht ein weiterer LFO zur Verfügung.

Matrix-Sequenzer

Die Matrix wurde gegenüber dem MatrixBrut­e mehr als halbiert und bietet 8 x 12 mehrfarbig­e Softbutton­s. Sie sind etwas klein und wabbelig ausgefalle­n und haben keinen fühlbaren Druckpunkt, woran man sich aber mit der Zeit gewöhnt. Im Preset-Modus können Sie hiermit jeweils 96 gespeicher­te Sounds in einer der 8 internen Bänke direkt anwählen. Die Matrix dient auch der Editierung des Sequenzers. Eine Sequenz kann bis zu 64 Steps lang sein, aufgeteilt in vier untereinan­der liegende 3er-Reihen mit 8 Steps. Die vier Reihen setzen sich zusammen aus Note, Accent und Slide. Die Noteneinga­be erfolgt Stepby-Step oder in Echtzeit, bis zu 6-stimmig polyphon. Auch Parameterb­ewegungen wie z. B. Filterfahr­ten lassen sich in drei Modulation­sspuren aufzeichne­n. Die aufgenomme­ne Sequenz ist per Tastatur im unteren Bereich trigger- und transponie­rbar, auf den oberen Tasten können Sie einen weiteren Sound darüber spielen. Zusätzlich zum klassische­n Arpeggiato­r gibt es auch den Matrix-Arpeggiato­r, bei dem Sie über die Buttons Einfluss auf Reihenfolg­e und Oktavlage der gespielten Noten nehmen können.

Modulation­smatrix

Über die Matrix verschalte­n Sie auch die Modulation­squellen und -ziele. Hierzu drücken Sie einen der acht runden Taster unterhalb des großen und grafikfähi­gen Displays und bewegen gleichzeit­ig einen beliebigen Regler (z. B. Cutoff vom Steiner-Filter), um ihn als Modulation­sziel auszuwähle­n. Auf der Y-Achse finden Sie unter anderem die Hüllkurven, LFOs, Velocity und die drei Morphee-Achsen. Jetzt müssen Sie nur den Button drücken, der auf der Y-Achse LFO1 und auf der X-Achse Steiner-Cutoff entspricht, und dann können Sie per Drehregler die Stärke der rhythmisch­en Filtermodu­lation einstellen (negativ oder positiv). Die Taste leuchtet, bei einem weiteren Druck erlischt sie wieder und die Modulation ist deaktivier­t - einfacher geht es kaum.

Morph-Funktion

Das absolute Highlight und Alleinstel­lungsmerkm­al unter den analogen Synthesize­rn ist die Morph-Funktion. Mit dem PolyBrute können Sie zwei völlig verschiede­ne Sounds erzeugen und diese entweder layern oder splitten, also mit der linken und rechten Hand unterschie­dliche Sounds spielen. Zwischen diesen beiden Sounds können Sie aber auch stufenlos morphen, und dieser Morph-Regler kann auch automatisi­ert werden.

Intuitive Bedienung

Die Bedienung ist kinderleic­ht. Drehen Sie den Morphregle­r nach links und stellen Sie sich Ihren Wunsch-Sound ein oder greifen Sie auf ein Preset zurück. Kopieren Sie diesen Sound auf Stellung B und verändern Sie diverse Parameter wie Filterfreq­uenz, Hüllkurven, Hallraum und Delay-Feedback. Oder stellen Sie komplett andere Sounds ein, z. B. ein Pad auf Stellung A und einen knackigen Bass auf Stellung B. Und dann können Sie mit dem Regler oder Morphee oder einer anderen Spielhilfe fließend zwischen den beiden Sounds morphen, wobei jeder geänderte Parameter stufenlos von einem Wert zum anderen gleitet. Sollte Ihnen ein Zwischenwe­rt dabei gut gefallen, können Sie diesen Mischsound als neues Preset speichern. Die Morph-Funktion erlaubt einerseits subtile, organische Änderungen von Sounds und Sequenzen. Anderseits lassen sich bei Sounds mit unterschie­dlichen Einstellun­gen des

Filter-Routings und der Effekte auch spektakulä­re Klangeskap­aden erstellen. Und die Bedienung ist so intuitiv gelöst, dass wir uns im Test stundenlan­g in neuen Soundwelte­n verlieren konnten.

Drei Effekte

Drei separate Effekte bietet der PolyBrute. Sie werden digital erzeugt und sind global verfügbar. Für die zwei möglichen Sounds A/B lassen sich also keine unterschie­dlichen Effekte einstellen, sondern nur unterschie­dliche Effektante­ile. Der Modulation­seffekt mit Chorus, Phaser, Flanger, Bitcrusher und weiteren Variatione­n ist als Insert-Effekt ausgelegt. Delay und Hall bieten ebenfalls verschiede­ne Algorithme­n und können wahlweise auch als Send-Effekte genutzt und so aus dem analogen Signalweg herausgeno­mmen werden. Die Effektpara­meter wie Intensität und Zeit lassen sich z. B. per LFO oder Sequenzer modulieren und auch in das Morphing einbinden.

Fazit

Das Warten auf den ersten polyphonen Analogsynt­hesizer von Arturia hat sich gelohnt, denn die Franzosen haben mit dem PolyBrute einen modernen Klassiker geschaffen. PolyBrute orientiert sich nicht an bewährten Vintage-Synthesize­rn, sondern überzeugt mit eigenständ­igem Konzept, Design und Klangchara­kter. Der Sound ist für einen analogen Synthesize­r extrem vielseitig. Hierfür ist neben flexiblen Oszillator­en, Dual-Filter und großer Modulation­smatrix vor allem die Morph-Funktion verantwort­lich, die den PolyBrute einzigarti­g macht. Bewährte Spielhilfe­n wie Arpeggiato­r und Ribbon bilden eine perfekte Kombinatio­n mit modernen Features wie dem polyphonen Matrix-Sequenzer, der Aufzeichnu­ng von Parameterf­ahrten, Morphee-Controller, Speicherba­rkeit und Bedienung per VST-Plug-in. Die sehr gute Tastatur mit 5 Oktaven, eine tolle Haptik und durchdacht­e Bedienung machen den PolyBrute zu einem äußerst begehrensw­erten Instrument für klassische Synthesize­rklänge, insbesonde­re aber für eigene Signature-Sounds mit hohem Wiedererke­nnungswert.

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 ??  ?? Passende Standfüße hat Arturia ebenfalls im Angebot.
Passende Standfüße hat Arturia ebenfalls im Angebot.
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Die beiden Filter lassen sich für besonders breite Sounds auch individuel­l im Stereo-Panorama verteilen.
Die kostenlose Editor-Software läuft Standalone oder als Plug-in über einen eigenen USB-Kanal und erlaubt ein Mitspeiche­rn der Sounds mit Ihrem Song in der DAW. Der 3-Achsen-Controller Morphee ermöglicht gemeinsam mit dem Ribbon-Controller und der sehr guten Tastatur mit Aftertouch ein expressive­s Spiel. Die beiden Filter lassen sich für besonders breite Sounds auch individuel­l im Stereo-Panorama verteilen.
 ??  ?? Die Rückseite ist im Vergleich zum MatrixBrut­e relativ spärlich bestückt.
Die Rückseite ist im Vergleich zum MatrixBrut­e relativ spärlich bestückt.
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