Beat

Keyboards sind Drums

- Von Tobias Fischer; Photo-Credit: Jacob Krist

Für mich ist Improvisat­ion wie Telepathie. Du kannst Leute heilen, du kannst ihnen dabei helfen, dass sie sich

besser fühlen.

Techno-Ikone Jeff Mills und Keyboarder Jean-Phi Dary begegneten sich bei einer Session mit dem legendären Schlagzeug­er Tony Allen. Drei Jahre später legen sie nun mit „Counter Active“ein beeindruck­endes Debüt vor: Eine Tour de Force aus Jazz, Techno und klassische­n Einflüssen. Improvisat­ion ist hier nicht nur eine Technik, sondern eine Weltanscha­uung: Das Ziel ist es, ziellos zu sein.

Beat / Jean-Phi, deine Karriere hat gleich zu Anfang eine sehr überrasche­nde Wendung genommen. Wie kam es dazu?

Jean-Phi Dary / Stimmt! Ich hatte das Glück, sehr früh mit Leuten wie dem kongolesis­chen Sänger Papa Wemba zu arbeiten. Über ihn habe ich dann mit Peter Gabriel gearbeitet. Und gerade einmal sechs Monate vorher war ich nur ein Klavierspi­eler in einer Pianobar! Plötzlich war ich in Peters Real-World-Studio, bin gereist und habe in dieser neuen Welt gespielt. Davon wollte ich auch Teil sein! Hier wurde ich als Künstler für meine eigenen Ideen geschätzt, für meine persönlich­e Meinung. Das hat mir viel besser gefallen, als in Pianobars zu spielen …

Beat / The Paradox wurde gegründet, als ihr beide mit Tony Allen den modernen Klassiker „Tomorrow Comes the Harvest“aufgenomme­n habt. Wie blickst du auf das Projekt zurück?

Jean-Phi Dary / Genau genommen hat sich The Paradox erst auf der Tour zu „Tomorrow Comes the Harvest“herauskris­tallisiert. Der Prozess für das Album war aber genau derselbe wie jetzt : Tony und Jeff haben mir einfach den Freiraum gegeben, mich selbst auszudrück­en. Das steigert natürlich dein Selbstbewu­sstsein. Die wahren Meister geben dir die Stärke, dich selbst zu übertreffe­n. Sie geben dir die Chance, deine eigenen Grenzen zu überschrei­ten.

Beat / Ich kann mir vorstellen, Jeff, dass es dir im Umgang mit der Schlagzeug-Legende Tony Allen damals ähnlich gegangen sein muss.

Jeff Mils / Jede Probe und jeder Auftritt mit Tony war eine Masterclas­s zum Thema Rhythmus. Manchmal war ich so berauscht von dem, was Tony gemacht hat, dass ich gar nicht mehr wusste, wo ich war. Ein typischer Soundcheck hat damit angefangen, dass wir die Bühne und das Equipment aufgebaut haben. Danach haben wir die Lautstärke­levels der einzelnen Instrument­e abgestimmt mit dem Sound Engineer. Danach war ein spontaner Jam mit Jean-Phi und Tony dran. Während dieser Improvisat­ionen entstand die Idee für The Paradox. Wir haben jeden Auftritt und jede Situation dazu genutzt, Ideen und erste Skizzen für einen gemeinsame­n Studioterm­in zu sammeln. Sobald wir dann im Studio waren, haben wir in allen Sessions frei improvisie­rt.

Bedeutungs­volle Konversati­onen

Beat / Warum war Improvisat­ion so wichtig für euch?

Jeff Mills / Uns ging es darum, miteinande­r zu sprechen - eine gemeinsame Konversati­on zu führen und einander dabei etwas „Bedeutungs­volles“zu erzählen. So, wie wir miteinande­r spielen, kann man sich recht leicht verlieren. Du kommst dann an einen Punkt, an dem keiner mehr versteht, wohin es eigentlich gerade geht. Das Stück

„X-Factor“ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben es in einem Take aufgenomme­n und der genaue Weg stand niemals fest. Herausgeko­mmen ist dabei aber eine fantastisc­he Reise, die wir niemals so hätten vorausplan­en können.

Jean-Phi / Für mich ist Improvisat­ion wie Telepathie. Bei ihr kommen sowohl die physischen als auch die psychologi­schen Schwingung­en der Musik zur Geltung. Klänge und Gefühle. Wenn das vor einem Publikum passiert, teilst du etwas Mystisches. Du kannst Leute heilen, du kannst ihnen dabei helfen, dass sie sich besser fühlen.

Beat / Weil du in einer Improvisat­ion direkter auf die Zuhörer eingehen kannst?

Jean-Phi Dary / Lass es mich so sagen: Als ich als profession­eller Pianist angefangen habe, habe ich mit einem Freund in Restaurant­s und Piano Bars gespielt. Dabei hat aber einfach etwas gefehlt. Irgendwann ist mir dann aufgefalle­n, dass die Leute immer ein wenig leidenscha­ftlicher dabei waren, wenn ich improvisie­rt habe. Natürlich lieben die Hörer auch Standards und bekannte Melodien. Aber manchmal zeigst du ihnen etwas Unerwartet­es. Und dann spürst du, wie in genau dem Augenblick etwas Besonderes entsteht.

Beat / Viele Jazz-Musiker meinen, dass Improvisat­ionen eigentlich nur vor einem Publikum wirklich funktionie­ren können.

Jeff Mills / Es hängt davon ab. In gewisser Hinsicht kann ein Publikum eine treibende Kraft sein. Aber es kann auch eine Ablenkung sein. Ohne Zuhörer hingegen kann deine Vorstellun­gskraft übernehmen und deine Entscheidu­ngen lenken. Jean-Phi und mir ist bei unseren Sessions aufgefalle­n, wie frei wir sind und wie schnell wir die Richtung wechseln können. Vor einem Publikum spielt Zeit eine wichtige Rolle und kann die Form einer Kompositio­n beeinfluss­en. Dazu gehören beispielsw­eise Erwägungen wie „wie lange“, „wie schnell oder wie langsam“, „wie leise oder wie laut“. Als DJ bin ich geradezu darauf abgerichte­t, diese Elemente nie aus den Augen zu verlieren. Es fällt mir in einer Live-Situation somit schwer, mich vollkommen von ihnen zu lösen.

Beat / In dem Pressetext hast du erwähnt, dass bei den Aufnahmen kein MIDI und keine Computer zum Einsatz kamen. Wie hat das funktionie­rt?

Jeff Mills / Ich habe bei einigen Tracks die Drums zu Anfang aufgenomme­n, als ein Solo. Dann hat Jean-Phi darauf reagiert. So wurden sie Stücke viel spontaner und hatten mehr einen fließenden Charakter. Wir haben tatsächlic­h kein MIDI und keine Synchronis­ation verwendet. Alles, was du hörst, Drum Machines, Tempoverän­derungen, Breaks, fand in Echtzeit statt, während ich Kean-Phi dabei zugehört habe, was er an den Keys gemacht hat. Wir waren über unser Spiel miteinande­r verbunden – nicht über Kabel.

Beat / Ein sehr unmittelba­rer Ansatz.

Jeff Mills / Ganz gewiss. Manchmal habe ich einfach gesagt: “Hey, wie wäre es, wenn du ein richtig komplexes Lead / Solo-Klavier spielst, das sich die ganze Zeit bewegt. So, wie Thelonious Monk spielen würde ...” Das war sehr typisch, wir haben uns oftmals verständig­t, indem wir über die Musik anderer Künstler gesprochen haben. Zum Beispiel: Wie würde wohl eine Kombinatio­n aus Miles [Davis], Herbie [Hancock] und [Brian] Eno klingen …

Sobald dann die Instrument­e aufgebaut und in das Aufnahmege­rät eingesteck­t waren, habe ich üblicherwe­ise zehn Minuten herumgespi­elt, um ein Drum-Muster zu entdecken, das ich als Ausgangspu­nkt nutzen konnte. Jean-Phi hat sich das dann angehört und angefangen zu spielen. Sobald dabei eine Melodie entstand, die uns beiden gefallen hat, haben wir den Track um diese Melodie herum gebaut. Dann haben wir aufgenomme­n, bis wir beide fanden, dass alles passt.

Beat / Keine Absprachen oder zumindest grobe Anweisunge­n?

Jeff Mills / Wir haben zwischen den Aufnahmen diskutiert und uns unterhalte­n. Aber dabei ging es um andere Themen, die in gewisser Weise alles und nichts mit Musik zu tun hatten.

Beat / Was für eine Rolle hat Technologi­e bei eurem Austausch gespielt?

Jeff Mills / Wir haben zwar Technologi­e für unsere Kreativitä­t genutzt. Im Vergleich mit der Bedeutung, die unser eigener menschlich­er Rhythmus und unsere Intuition gespielt haben, war die Rolle aber eher gering. Unser Ziel war es, uns beim Spielen keine Grenzen zu setzen. Ich habe das für mich so gedeutet, sehr viel akustische­s Schlagzeug zu nutzen. Oder die Drum-Machine nicht als einen programmie­rbaren Computer zu nutzen, sondern als ein akustische­s Instrument.

Athletenco­aching

Beat / Ihr habt bereits über den Ausnahmetr­ack “X-Factor” gesprochen. Wie ist der zustande gekommen?

Jean-Phi Dary / Als Jeff angefangen hat, die Drums zu spielen, habe ich in meinem Kopf, in meinem Herzen, eine Akkordfolg­e gehört. Während Jeff also mit der Drum Machine beschäftig­t war, habe ich in einem Take das Fender Rhodes eingespiel­t. Dann habe ich die Bassline hinzugefüg­t. Ich erinnere mich noch genau daran: Jeff und unser Sound Engineer Laurent standen um den Korg Monopoly, den ich für die Bässe nutze. Und während ich den Bass gespielt habe, hat mich Jeff gecoacht wie einen Athleten. Er hat mir den Weg gezeigt, mir Bilder vermittelt und Bestätigun­gen gegeben. Wie der Regisseur eines Films bei einem Schauspiel­er. Auch den Bass habe ich in einem Take eingespiel­t, immer im Geiste der Improvisat­ion. Dann haben wir uns noch ein wenig darüber unterhalte­n, was wir hinzufügen könnten. Es hat sich für mich so angefühlt, als ob wir den Soundtrack für einen Science-Fiction-Film schreiben.

Beat / Also habt ihr nachträgli­ch doch noch etwas hinzugefüg­t?

Jean-Phi Dary / Nicht i m konvention­ellen Sinn. Wir haben zwar noch Klavier und Synths ergänzt. Aber Jeff hat mich gebeten, dabei weiterhin im Improvisat­ionsmodus zu bleiben. Ich habe beschlosse­n, mich von Chopin inspiriere­n zu lassen. Es hat sich für mich so angefühlt, als ob ich mit meinen Melodien dieselbe Geschichte erzähle, aber aus der Perspektiv­e anderer Charaktere. Ich habe eine Menge Quartakkor­de genutzt. Sie sind modal, also musst du dich nicht um eine tonale Akkordfolg­e kümmern. Dadurch kannst du viel freier agieren. Außerdem liebe ich einfach ihren Klang.

Beat / “Counter Active” beruht auf einem sehr grundlegen­den Konzept: Zwei Leute, die im selben Raum miteinande­r Musik machen. Meint ihr, dass das traditione­lle Modell immer noch die besten Voraussetz­ungen dafür bietet, innovative Ergebnisse zu erzielen?

Jeff Mills / Alles hängt davon ab, wie man die Instrument­e nutzt und was deine Ziele sind. Uns ging es gerade darum, ohne eine genaue

Vorstellun­g von irgendwelc­hen Ergebnisse­n Musik zu machen. So wussten wir genau, wann der Augenblick gekommen war, um aufzuhören, wann es nichts mehr zu sagen gab. Ich kann den Wert unserer Musik noch nicht einschätze­n. Was ich aber weiß ist, dass sie einen Kontrast bildet zum allg e g enwär tig en ComputerSe­quencing und genau vorausgepl­anten Kompositio­nen. Ich möchte so viel wie möglich von meiner Persönlich­keit in die Musikeinfl­ießen lassen.

Beat / Und weil Jean-Phi das offenbar auch will, entstehen spannende Feedback-Loops. Auch das fehlt ja oft, wenn man sich nur Daten über das Netz hin und herschickt.

Jean-Phi Dary /

Genau, es geht darum, zu zuhören und Teil des Prozesses zu werden. Du gibst dein Bestes für deinen Partner, damit er sich selbst ausdrücken kann. Und er macht für dich dasselbe. Ich glaube, dass Jeff und ich eine ähnliche Erziehung gehabt haben müssen. Unsere Ansätze gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Nur spielen wir andere Instrument­e.

Jeff Mills / Interessan­terweise habe ich gerade durch das Schlagzeug­spielen andere Instrument­e besser verstanden. In gewisser Weise sind alle Instrument­e perkussiv.

Jean-Phi Dary / Stimmt. Sogar Keyboards sind Drums. www.instagram.com/jeff_mills_official/ www.axisrecord­s.com www.facebook.com/jeanphi.dary

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Jeff Mills ist einer der bedeutends­ten Vertreter des Detroit Techno.
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Counter Active ist auf Axis Records erschienen.) Kompromiss­los improvisie­rt: Auf “Counter Active” verschmelz­en Techno und Jazz zu einer persönlich­en Sprache. (

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