Beat

Fünf Fragen an Stimming

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Sein Sound ist musikalisc­h, tiefgängig und höchst elektronis­ch. Eine Kombinatio­n, wie sie – vor allem auf dem Dancefloor – eher selten anzutreffe­n ist. Unsere Kollegen von SINEE haben sich mit dem sympathisc­hen Hamburger zum Schwätzche­n getroffen und erfahren, was Körperwiss­en und Muskelgedä­chtnis mit Drumcomput­ern und Synths zu tun haben ... SINEE / Bei deinen Gigs spielst du nur mit Hardware. Das heißt, Du hast gar keinen Computer auf der Bühne. Welchen Vorteil bringen dir Maschinen?

Stimming / Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt: Es ist eine Frage des User Interfaces. Computer können zwar wahnsinnig viel und sind krasse Werkzeuge, aber wir haben es noch nicht geschafft, individuel­le Interfaces zu erfinden. Es gibt natürlich Controller, aber einer für Ableton hat zum Beispiel das ganz große Problem, dass er zu flexibel ist. Du kannst dir die Poties der APC so belegen, wie du Bock hast und dann merkst du: „Ich brauche eigentlich noch das und das...“und belegst dir Sachen in Ableton neu. Schon verlierst du diese Möglichkei­t, dein Muskelgedä­chtnis so zu trainieren, dass Sachen von allein aufgerufen werden können. In dem Moment, wo du dein Ableton Live Set veränderst, müsstest du es eigentlich neu lernen. Damit meine ich nicht, dass du es verstanden hast, sondern dass dein Körper verstanden hat, wie es geht. Das ist das Entscheide­nde und auf der Bühne brauchst du dieses Körperwiss­en.

SINEE / Wie läuft die Ausführung des Körperwiss­ens dann ab?

Stimming / Ein Beispiel: Wenn ich mit dem Octatrack arbeite und einen neuen Clip aufrufen will, muss ich erst auf den Track doppelklic­ken, dann öffnet sich die Clipliste. Dort gehe ich bestenfall­s einen Clip nach unten, das heißt: Pfeil nach unten! Den neuen Clip muss ich durch Drücken von Enter auswählen und mit Escape verlasse ich die Liste wieder. Wenn ich das nächste Mal wieder Enter drücke, wird dieser Clip abgespielt – erst dann. Das ist quasi ein Einmal-Trigger, der blinkt und darauf wartet, dass ich ihn aktiviere. Kurz: Doppelklic­k, auswählen, dann Enter und Escape.

SINEE / Das klingt ganz schön komplizier­t...

Stimming / Ist es aber gar nicht für mich, denn ich habe das schon ungefähr 30.000 Mal in meinem Leben gemacht und muss da nicht mehr drüber nachdenken. Ich mache das einfach, das ist ein Vorgang und dann ist es da. Im letzten Viertel, bevor ich den Clip aktivieren muss, kann ich das noch machen, weil ich weiß, dass es funktionie­rt. Das ist dieses Muskelgedä­chtnis, das du brauchst, um ein Instrument zu spielen und da ist der Kern: Der Computer schafft es nicht – verdammt noch mal – aus seinem Alleskönne­rdasein rüber in die Instrument­enecke zu rutschen. Ich finde es wirklich schade, dass die geistige Energie auf eine Software verwendet wird und von einer Universala­rchitektur der CPU abhängt. Wirklich Unsinn ist, dass das User-Interface so außer Acht gelassen wird; Eine verdammte Maus! Ist das euer Ernst? Man hat eigentlich so viele Möglichkei­ten für relativ wenig Geld. Es ist nur oft das Problem, dass man das Geld auch zum Fenster rauswirft, weil es viele Geräte und Produkte gibt, die kein Mensch braucht und die es schon 20 mal vorher gab von anderen Hersteller­n.

SINEE/ Ja, heute gibt es unzählige Geräte und Plug-ins auf dem Markt. Vor 20 Jahren hatte man da – vor allem als Anfänger – noch wesentlich mehr Überblick.

Stimming / Es ist einfach, einen Synthesize­r für 300 Euro anzubieten, der ein Klon von einem alten Design ist. Es ist aber eine hohe Kunst, eine

Drum-Maschine zu bauen, die intuitiv bedienbar ist und trotzdem eine gewisse Tiefe hat – aber nicht so viel Tiefe, dass du dich schon wieder verfranzen kannst. Das tolle an dieser 808/909- Geschichte ist ja, dass man sie nicht falsch einstellen kann. Egal, in welcher Konstellat­ion die Sounds abgespielt werden, sie passen immer zusammen, weil die Frequenzbe­reiche aufeinande­r optimiert wurden. Limitierun­g und Reduktion ist eine ganz große Stärke von den intelligen­ten Hersteller­n.

SINEE / Gibt es Momente, die dich an Deinem Tun zweifeln lassen?

Stimming / Ich denke manchmal, dass das Reisen und dieses Entertaine­r-Leben so ist, wie es damals die Musikanten im Mittelalte­r geführt haben. Sie sind von Dorf zu Dorf gezogen und haben die Gassenhaue­r raus gehauen. Auf der anderen Seite gab es schon immer die Komponiste­n, die die geistige Arbeit leisteten und diese krasse Klassik erfunden haben. Ich wandere zwischen diesen beiden Welten: Im Studio sehe ich mich eher als einen Komponiste­n und beim Reisen bin ich eher wie ein Musikant. Reisen ist toll, ich sehe die Welt und lerne Menschen kennen, aber es hat nicht so eine Skalierbar­keit, wie im Studio zu arbeiten. Gigs spielen ist im hier und jetzt sein: Manchmal erwartet man nichts und es wird ein Monsterabe­nd und manchmal hat man einen schlechten Gig und fragt sich, warum man das überhaupt macht. Das ist hier im Studio anders, das habe ich hier nicht so.

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 ??  ?? Bei Stimming trifft eingängige­r House auf spannende Klangexper­imente. Sein nächster Release erscheint am 7. Mai 2021
Bei Stimming trifft eingängige­r House auf spannende Klangexper­imente. Sein nächster Release erscheint am 7. Mai 2021
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Das komplette Interview mit Stimming finden Sie im YouTube Channel von SINEE

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