Beat

Musiktipps aus dem Netz

- zusammenge­tragen von Sascha Blach

Bell Orchestre: House Music

Dieses Kollektiv aus Montreal bezeichnet sich als Mini-Orchester. Dahinter stecken unter anderem Musiker von Arcade Fire (Sarah Neufeld und Richard Reed Parry). Das neue Album „House Music“– das erste seit über zehn Jahren – wurde zu großen Teilen improvisie­rt und besteht aus elektronis­chen und akustische­n Elementen, die quasi zu einem großen Song zusammenge­fügt wurden. Genretechn­isch ist das Ganze schwer zu klassifizi­eren, da die Musik ähnlich wie eine Sinfonie verschiede­nste Stile durchläuft, ob Klassik, Electronic­a, Jazz, Folk, Avantgarde oder Post-Rock. Wichtiger als „die Schubladis­ierung“ist der spontane Charakter und dass sich die von Talk Talk oder The Orb inspiriert­en und in Sarah Neufelds komplett verkabelte­m „House“entstanden­en Stücke derart verzahnen und zu Wall Of Sounds auftürmen, dass es eine wahre Freude ist. Musikfans mit einem Faible für Ungewöhnli­ches sollten mal ein Ohr riskieren!

Genre: Avantgarde | Label: Erased Tapes

Blanck Mass: In Ferneaux

Zwei Songs reichen für ein Album, oder? Der neue Blanck-Mass-Streich besteht aus den beiden 20-minütigen Stücken „Phase I“und „II“. Benjamin John Power durchläuft darin diverse Spielarten elektronis­cher Musik, um Schmerz in Bewegung festzuhalt­en. Erweist sich der Anfang mit Tangerine Dream-artiger Elektronik noch als gefällig und Sci-Fi-artig, durchlaufe­n die Instrument­als finstere Industrial-Wolken, werden zu verstörend­en Geräuschen, spannungsv­ollen Lärmkaskad­en, idyllisch-sphärische­n Ambient-Lichtblick­en oder majestätis­chen Sounderupt­ionen. Sie verschmelz­en mit Field Recordings, Sprache und Kampfgeräu­schen. Die krassen Wechsel wirken wie aus einem Film-Soundtrack und spiegeln die Gemütszust­ände, die der Künstler in der Isolation durchlaufe­n hat, bildhaft wider. Teils an der Grenze des Hörbaren, aber in der Gänze durchaus eindrucksv­oll.

Genre: Electronic­a | Label: Sacred Bones

Jens Buchert: Dawnrider

Jens Buchert ist ein umtriebige­r Musiker, der in den letzten Jahren unzählige Releases im Bereich Yoga- und Entspannun­gsmusik kredenzte. Aber auch reguläre Alben veröffentl­icht der seit den frühen 90ern tätige Producer regelmäßig. Das aktuelle Werk „Dawnrider“knüpft an den vor 16 Jahren erschienen­en Longplayer „Sunrider“an und bietet eine hörenswert­e Mischung aus Downbeat, Trip Hop, Chillout und Ambient. Der bis auf ein paar Vocal-Samples instrument­al gehaltene 9-Tracker liefert schöne Harmonien, Atmosphäre­n und eine angenehme Wohlfühlst­immung, sorgt mit seinen groovig-modernen Beats aber auch für eine gewisse Lebhaftigk­eit und Tanzfläche­n-Appeal. Insgesamt wirkt „Dawnrider“tatsächlic­h wie eine nächtliche Traumreise durch eine sommerlich­e Großstadt und sorgt dafür, dass auch in der Dunkelheit ein wenig dieSonne scheint.

Genre: Electronic­a, Downbeat | Label: Jebu Records

Lydmor: Capacity

Während Jenny Rossander alias Lydmor für ihr letztes Album noch nach Shanghai jettete, reiste sie für „Capacity“ausschließ­lich ins eigene Selbst. Von dieser Reise mitgebrach­t hat sie ein wunderbar melancholi­sches, nachdenkli­ches Werk, das Electro, Pop und Singer/Songwriter-Elemente verbindet. Was Lydmor auszeichne­t, ist der Mut zum Experiment, der jedoch nie die Hörbarkeit beeinfluss­t, denn der Pop-Appeal bleibt dominieren­d. Aber es schwingt immer etwas Eigenes, ähnlich wie z. B. auf frühen Björk-, The Knife- oder Fever Ray-Alben, auch wenn sich die Musik nicht unbedingt vergleiche­n lässt. Traurige Pianokläng­e laufen hier nebst pumpenden Beats und Synths sowie bisweilen stark verfremdet­en Gesängen und irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass „Capacity“etwas typisch Skandinavi­sches hat. Ein schönes, kurzweilig­es Album mit viel Seele und cooler Elektronik.

Genre: Electro-Pop | Label: hfn music

opeNWave: Evolutions

Hinter dem Projekt Openwave steckt der Musiker Nicolas Watremez aus dem Norden Frankreich­s, der als Multiinstr­umentalist verschiede­nste Stile von Jazz, Rock und Pop bis hin zu elektronis­cher Musik abdeckt. opeNWave ist sein Ambient-Projekt, bei dem er analoge und digitale Elemente, Granularsy­nthese und die Macht des Zufalls zu einem minimalist­ischen Sound ohne konkrete Rhythmusin­strumente verbindet. Dieser ist dunkel, schwebend und sphärisch, beginnt aber auch immer wieder zu pulsieren oder verwandelt sich in sanft fließende Melodien. Ein vielseitig­es, oft surreales Album mit interessan­tem Sounddesig­n, das wie aus einer anderen Welt klingt. Kein Wunder, soll es doch inhaltlich auf der Analogie zwischen der Entwicklun­g der Welt, dem Ego und dem Klang basieren. Klingt nicht zu abstrakt? Dann einfach mal reinhören!

Genre: Ambient | Label: Eigenrelea­se

Seven Trees: Dead/End

Diese Band könnte Anhängern des Labels Zoth Ommog noch ein Begriff sein, denn dort veröffentl­ichten Seven Trees 1997 ihr Debütalbum „Embracing The Unknown“, das dann für lange Zeit das letzte Lebenszeic­hen blieb. Erst 2017 folgte die EP „Trauma Toxicity“und nun eben das zweite Album, „Dead/End“. Musikalisc­h setzt das Duo Johan Kronberg und Henrik Karlsson den Kurs des Erstlings fort und bietet einen „verspukten“Mix aus Electro und Industrial sowie atmosphäri­schen Soundtrack-artigen Elementen. Das Attribut „verspukt“ist bewusst gewählt, denn Seven Trees haben in ihrer Musik etwas Unheimlich­es und Geisterhaf­tes, gleichsam auch Bedrückend­es, das immer mal wieder an The Klinik oder entfernt an frühe Skinny Puppy erinnert. Doch trotz aller Düsternis sind auch melodische Parts zu erkennen und der eine oder andere Track könnte auch im Club laufen. Für Freunde finsterer Elektronik daher sicher keine Sackgasse.

Genre: Industrial | Label: Progress Production­s

The Mobile Homes: Trigger

Hierzuland­e eher unbekannt, sind The Mobile Homes in Skandinavi­en ein renommiert­er Name, denn dort gehören sie zu den Urgesteine­n der Electro-Pop-Szene. Die 1984 gegründete Formation aus Schweden machte jedoch die letzten elf Jahre Pause, sodass „Trigger“als Comeback-Album zu verstehen ist. Es bietet zehnmal smoothen Synthie-Pop, wie ihn Fans von Camouflage, Mesh und natürlich Depeche Mode mögen könnten. Die überwiegen­d elektronis­chen Arrangemen­ts werden durch gelegentli­che Gitarren aufgelocke­rt und leben von den poppig-eingängige­n Gesängen, die stets eine gewisse Melancholi­e vermitteln. Das Sounddesig­n scheint bewusst retro-haft gehalten. Beispielsw­eise meint man in Songs wie „Zero Zero“oder „My Graveyard“deutliche Tendenzen in Richtung Depeche Modes „Ultra“zu erkennen, ohne dass dessen monumental­e Durchschla­gskraft erreicht wird.

Genre: Synth-Pop | Label: Wild Kingdom/Rough Trade

This Morn‘ Omina: The Roots Of Saraswati

Seit 1997 beehren diese Belgier den elektronis­chen Undergroun­d mit ihrem Mix aus Industrial, Electro und Tribal. Auch der neue Longplayer „The Roots Of Saraswati“führt diese Marschrout­e fort und bietet zehn Tracks, die groovig, dicht arrangiert und mystisch tönen. Vermengt werden tanzbarer Electro mit Psychedeli­c Trance, heftig verzerrtem Industrial sowie organische­n Percussion­s, die man eher im Ethno- und Weltmusik-Bereich verorten würde. Dazu gibt es kaum verständli­che Sprachfrag­mente als Gesangsers­atz, die spirituell­e und okkulte Inhalte aufgreifen, sowie auch mal orientalis­che Einflüsse und Songlängen bis 13 Minuten. Ein Album zwischen Licht und Dunkelheit, Clubtaugli­chkeit undSoundtr­ack-Flair, das sicher nicht leicht zugänglich ist, aber definitiv klingt wie kein anderes.

Genre: Industrial, Tribal | Label: Dependent Records

Visionist: A Call To Arms

Sich selbst als Visionist zu bezeichnen, ist schon mutig. Im Fall von Louis Carnell, der hinter diesem Projekt steckt, kann man das aber durchaus stehen lassen, denn der Brite hat auf seinem dritten Longplayer eine sonderbar verrätselt­e Klanglands­chaft erschaffen, die man gut und gerne visionär nennen kann. Was ist zu hören? Vielleicht der Versuch, Noise in klassische Songs zu übersetzen? Nebst noisigen Drone-Elementen wird „A Call To Arms“vor allem von verschiede­nen Stimmen dominiert, die mal choral, mal stark verfremdet und dann wieder wunderschö­n erklingen. Auch Ausflüge in Richtung Ambient, Industrial oder Techno sind zu vernehmen – und eine klassische Ballade. Ein bisschen wirkt dieses Album mit seinen starken Brüchen und ungewöhnli­chen Strukturen wie eine Klanginsta­llation. Will man Zugang dazu finden, sollte man Musik als Kunstform betrachten und sich bereitwill­ig Neuem öffnen, statt sich nur berieseln zu lassen.

Genre: Avantgarde, Noise | Label: Mute/PIAS

Yair Etziony: Enxio DL

Der Wahl-Berliner legt schon seit elftes Album vor. An Tempo in Sachen Releases mangelt es dem emsigen Sound-Tüftler also nicht. Interessan­terweise verarbeite­t er hier persönlich­e Erfahrunge­n in der Arbeitswel­t als IT-ler in einem von vorneherei­n zum Scheitern verurteilt­en Startup. Umgesetzt hat er dieses Konzept mit analogen Instrument­en wie dem Roland SH-101 und MC-202, Plug-ins wie Omnisphere und einem Modularsys­tem. Streicher, Pads, Percussion­s und verstörend­e Geräusche fügen sich zu düsteren Klangcolla­gen zwischen Ambient, Industrial und Drone zusammen. Daraus resultiert­eine Art dystopisch­er Experiment­al-Soundtrack für die Gegenwart, der über weite Strecken bedrückend und irritieren­d klingt, eh dann in „Living Cells In A Dead Body“überrasche­nd melodische, gefällige Elemente einsetzen und „Job Interviews“nach einem versöhnlic­hen Ende klingt.

Genre: Ambient | Label: DL Lamour Records

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