DJ-Interview: Richie Hawtin
Als DJ und Produzent hat er einen enormen Einfluss auf die heutige Musikwelt. Mit einem von ihm entworfenen Mixer ist ihm eine kleine Sensation gelungen. Nun kündigt Hawtin mit dem Model 1.4. eine kompaktere Version an.
Als DJ und Produzent lässt sich der Einfluss Richie Hawtins auf die elektronische Club-Musik kaum überschätzen. Als er somit 2016 mit einem von ihm entworfenen Mixer auf den Plan trat, war das verständlicherweise eine kleine Sensation. Nun kündigt Hawtin mit dem Model 1.4. eine kompaktere Version an. Tobias Fischer sprach mit Richie über das Mischpult als Kreativwerkzeug, den Entwicklungsprozess des MODEL 1 und darüber, welche Nutzer am meisten von ihm profitieren.
Bis in die späten 80er hinein war der Mixer das wahre Herz eines DJ-Set-Ups. Akustische Signale, aus den Rillen des hypnotisch rotierenden Vinyls extrahiert, wurden in sein Gehäuse geschossen, dort verarbeitet, transformiert und sublimiert. Als sie das Pult wieder durch die Lautsprecher verließen, hatten sich das Genie der Produzenten und die Vision des DJs zu etwas wahrhaft Einzigartigem verbunden. Es brauchte wenig mehr als einige wenige Handgriffe – das Schließen oder Öffnen eines Kanals, das Hinzufügen oder Herausnehmen einiger weniger grundlegender Effekte – um die Tracks bis zur Unerkenntlichkeit zu verändern. Alben wie Jeff Mills‘ „Mix-Up Vol. 2“waren Meilensteine dieses Ansatzes. Sie waren sowohl wegen ihrer Rohheit und Direktheit beeindruckend als auch wegen des klanglichen Reichtums, den Mills aus diesen doch recht einfachen Geräten ziehen konnte.
Wenn der Mixer seitdem einiges an Bedeutung eingebüßt hat, liegt es nahe, Richie Hawtin dafür mitverantwortlich zu machen. Mit „Decks, EFX & 909“veröffentlichte er 1999 noch ein nahezu klassisches Mix-Album. Doch schon kurz darauf begann er, die Möglichkeiten digitaler Klangbearbeitung zu erforschen. Die beiden daraus resultierenden „DE9 | Closer To The Edit“und „DE9 | Transitions“sowie seine Live-Sets in den frühen Jahren des neuen Jahrtausends schichteten Tracks auf Track auf Track, um undurchdringbare, damals unvorstellbar tiefe Klangstrukturen zu erzeugen. Plötzlich schienen sich die spannenden Prozesse im Laptop abzuspielen und nicht mehr im Mischpult. Die Musik, die dabei entstand, war in ihren besten Momenten faszinierend futuristisch. Immer wieder jedoch ließ sie das Unmittelbare und Instinktive der frühen Jahre vermissen. Als Hawtin somit seinen MODEL-1-Mixer der Öffentlichkeit präsentierte, fühlte sich das nicht nur wie ein technischer Schritt nach vorne an. Sondern auch als eine in die Form eines Instruments gegossene Erkenntnis: Dass DJing immer noch eine menschliche Kunstform ist.
Und dass es dieser Menschlichkeit wahrscheinlich am zuträglichsten ist, wenn der Mixer seine zentrale Rolle beim Auflegen zurückgewinnt.
Wir sprachen mit Richie zum Anlass der Veröffentlichung des Model 1.4. Der etwas kleinere Bruder des MODEL 1 verfügt über die komplette funktionale Bandbreite des Originals, eingedampft auf vier kompakte Spuren.
Beat / Als du deinen ersten Mixer vorgelegt hast, hat sich das ehrlich gesagt gar nicht wie eine Überraschung angefühlt. Waren Musik und Technologie bei dir schon immer eng miteinander verzahnt?
Richie Hawtin / Total. Mein Vater war sowohl ein Musikliebhaber als auch ein Ingenieur. Er hat oft HIFI-Geräte auseinandergenommen, um sie zu reparieren oder nach seinen persönlichen Wünschen zu modifizieren. Ich habe sehr genaue Erinnerungen daran, wie er vor seiner HIFI-Anlage saß und auf einem Plattenspieler Musik gehört hat – während sein Reel to Reel Rekorder in alle seine Bestandteile zerlegt war. Mein eigener Wunsch, Musik zu machen oder vor Leuten aufzutreten, entstand erst, als ich über meinen Vater mit elektronischer Musik in Kontakt kam, mit Kraftwerk, Tangerine Dream und ähnlichen Bands.
Beat / Welche Mixer hast du dir fürs Auflegen und deine Studio-Arbeit als Erstes zugelegt?
Richie Hawtin / Mein erster DJ-Mixer war ein Numark PPD 1975. Der war damals ziemlich fortschrittlich mit seinem 5-Band Equalizer und eingebauten Sampler. Von Anfang an habe ich den Sampler genutzt, um Platten zu editieren und den EQ, um meine Mixe über Frequenzmanipulationen neu aufzubauen. Im Studio habe ich für die meisten 1990er-Aufnahmen einen A&H GS3 verwendet. Dessen wichtigstes Merkmal war erneut der EQ. Er war voll parametrisch und das in einem sehr kleinen Gehäuse, dank seiner dualen konzentrischen Knöpfe. Genau die wollte ich auch für den
MODEL 1! Darüber hinaus hatte der GS3 auch vier Sends. Das hat mir in Bezug auf die Effekte sehr viel Flexibilität gegeben.
Beat / Der MODEL 1 war ein gutes Beispiel dafür, was herauskommen kann, wenn man Technologie aus einer kreativen Perspektive neu beleuchtet. Wo kam der ursprüngliche Funke her?
Richie Hawtin / Andy-Rigby Jones, der früher leitender Entwickler bei Allen&Heath war, und ich haben fast zehn Jahre über eine neue Mixergeneration nachgedacht. Eine Zeit der Träume und Diskussionen! Das Wichtigste an dem MODEL 1 ist aus meiner Sicht, dass wir beide das Projekt gemeinsam in Angriff genommen und durchzogen haben. Und weil wir schon so oft versucht hatten, etwas zusammen auf die Beine zu stellen, ging es dann recht schnell, sobald wir den Entschluss gefasst haben. Dass ich damals um die 120 Auftritte pro Jahr absolviert habe, hat uns geholfen, da ich dabei unsere Ideen sehr schnell in der Praxis prüfen konnte. Und natürlich konnte ich mich auch einfach mit anderen DJs über unsere Konzepte austauschen und ihre Einschätzungen einholen. Es gab nicht so etwas wie eine Testgruppe. Worum es Andy und mir ging, war ein Mischpult, das es mir erlauben sollte, anders aufzulegen, als es damals möglich war. Wir waren uns sicher, dass wenn uns das gelingen sollte, dass andere die gleiche Leidenschaft für das Produkt und seine Funktionen entwickeln würden.
Beat / Wie ist der Entwicklungsprozess konkret abgelaufen?
Richei Hawtin / Wir haben die wichtigste Entscheidung ziemlich zu Anfang getroffen: Dass wir den üblichen 3-4-Band EQ ersetzen würden mit einer Kombination aus parametrischem EQ – wie damals bei meinem A&H GS3 aus den 90ern – und Filtern. Die Welt braucht keinen weiteren DJ-Mixer, deswegen haben wir uns von Anfang an auf professionelle Musiker-DJs konzentriert, die dieses
Layout verstehen und es schätzen würden. Andy hat dann ein Gerät mit einem einzigen Kanal für mich konstruiert, damit ich es testen konnte. Danach haben wir über meine Eindrücke gesprochen und anschließend 6 überarbeitete Versionen des Mixers gemacht, anschließend den Master-Bus und Filter hinzugefügt. Danach hatten wir einen Prototypen.
Beat / Wie nah am fertigen Produkt war dieser Prototyp?
Richie Hawtin / Der Hauptunterschied bestand darin, dass der originale Prototyp 3 Sends hatte. Für mich persönlich war das eine Grundvoraussetzung. Aber wir haben schnell festgestellt, dass es nicht genug Platz im Gerät gab, damit sie auch wirklich funktional waren. Dann gab es noch eine andere „Innovation“. Die Idee einer Dual-Cue-Funktion habe ich bereits 2005 an Allen & Heath herangetragen, als Ricardo Villalobos und ich unsere legendären Back-to-Back-Sessions gemacht haben.
Beat / Dual Cue erlaubt es jedem DJ, einen eigenen Kanal für seinen Kopfhörer zu belegen. So kann einer auflegen und der andere gleichzeitig über seine Monitore eigene Tracks vorbereiten.
Richie Hawtin / Genau. Es ist eigentlich unfassbar, dass es zehn Jahre gebraucht hat, das endlich in einen Mixer zu bekommen. Und es ist zugleich witzig, wie schnell uns danach jeder kopiert hat, einschließlich A&H!
Beat / Ich habe den Eindruck, dass nur sehr wenige in der Industrie wirklich verstehen, wie wichtig der Mixer aus kreativer Sicht für einen DJ ist. Wie siehst du seine Bedeutung?
Richie Hawtin / Der Mixer ist der wichtigste Teil eines DJ-Set-Ups. Denk einmal darüber nach: Manche nutzen CDJs, andere Computer, Vinyl, eine Kombination aus allem oder sogar ein komplett digitales DJ-Set-Up. Aber sie alle verwenden einen Mixer! Für mich steht fest, dass die wahre Magie im Mischpult stattfindet. Dort werden Songs zu neuen Songs, dort entstehen die Sounds, die dich an einen anderen Ort führen. Darum ist es auch so wichtig, dass dein Mixer über kluge Tools verfügt, die es dir erlauben, die Signale, die durch ihn laufen, kreativ zu manipulieren.
Beat / Es ist ein wenig wie Produzieren in Echtzeit.
Richie Hawtin / Produzieren und Auflegen gehe ich tatsächlich nahezu identisch an. Alles passiert im Augenblick. Das gilt genauso für das EQen wie auch für das Mixen im Studio und in der Kanzel. Es ist alles sehr intuitiv. Ich folge meinem Gefühl und suche nach den Frequenzen, die dieses Gefühl oder eine bestimmte Atmosphäre nach vorne bringen.
Beat / Könntest du dir vorstellen, dass es Sinn macht, den MODEL 1 oder MODEL 1.4 auch im Studio einzusetzen?
Richie Hawtin / Wie ich gerade angedeutet habe, ist mein DJ-Stil ohnehin irgendwo in der Mitte zwischen klassichem Auflegen und Studio-Produktion angesiedelt. Ich suche stets nach Tools, die es mir erlauben, Klänge zu modifizieren und zu manipulieren und mit ihnen so zu interagieren, dass ich die Dinge in die von mir gewünschte Richtung lenken kann. Sowohl im Studio als auch im Club müssen EQ, Filter und Effekte so miteinander verschmelzen, dass sie mir genau diese kreative Freiheit bieten. Im Herzen des MODEL 1 wirst du all diese Attribute finden. Darum stößt er bei Musikern, die gerne über ihre eigenen Grenzen hinausgehen wollen, auf eine so positive Resonanz. Um auf deine Frage zurückzukommen: Absolut. Andy und ich wollten von Anfang an, dass der MODEL 1 in beiden Welten zu Hause ist. Egal ob auf einer Festival-Bühne oder beim Komponieren deiner Tracks!
Es ist eigentlich unfassbar, dass es zehn Jahre gebraucht hat, die DualCue-Funktion in einen Mixer zu bekommen. Und es ist zugleich witzig, wie schnell uns danach jeder kopiert hat! «