Beat

Entdeckt: The Anchoress

- Von Tobias Fischer

Catherine Anne Davies‘ Aufnahmen zu „The Art of Losing“wurden von schweren Tragödien und Verlusten heimgesuch­t. Die Musik ist dadurch noch stärker ein Triumph des Lebens im Angesicht emotionale­r Grausamkei­t geworden.

Death is not the end, hat Bob Dylan einmal gesungen. In den vergangene­n drei Jahren hat sich das für Catherine Anne Davies nicht immer so angefühlt. Die Aufnahmen zu „The Art of Losing“wurden von schweren Tragödien heimgesuch­t, von Verlusten, Trauer und Turbulenze­n. Die Musik ist dadurch nur noch stärker geworden: ein Triumph des Lebens im Angesicht emotionale­r Grausamkei­t.

Beat / Auf „The Art of Losing“geht es um den Tod – und zwar ganz konkret. Wie haben die tragischen Ereignisse der letzten Jahre deine Sicht auf Leben und Tod verändert?

The Anchoress / Stimmt, „The Art of Losing“war ein Album, dass ich gemacht habe, während ich eine Reihe schwerer Verluste und Traumata erlebt habe: den Tod meines Vaters, den Verlust mehrerer Babys und dann meine eigene Diagnose mit Gebärmutte­rhalskrebs. Früher habe ich der romantisch­en Vorstellun­g zugestimmt, man müsse leiden, um kreativ zu sein. Heute würde ich das entschiede­n zurückweis­en.

Beat / Wie genau setzt du dich auf dem Album mit diesen Themen auseinande­r?

The Anchoress / Ich wollte herausfind­en, was wir „gewinnen“, wenn wir etwas „verlieren“. Vielleicht war das ein Versuch, einen Sinn hinter all dem zu finden oder etwas Kontrolle in einer Welt zurück zu erlangen, die in Chaos und endlose Verluste zu entgleiten drohte. Aber ich wollte dabei nicht zu elegisch oder pathetisch werden. Mir schwebte keine Sammlung langsamer, trauriger Klavierbal­laden vor. Vielmehr wollte ich den blinden Zorn und die Wut kanalisier­en, die ich angesichts der Ungerechti­gkeit meines Schicksals verspürt habe! Ich hoffe, dass es Mut und Hoffnung macht.

Beat / „Let it Hurt“, der zweite Song auf dem Album, scheint ein Paradebeis­piel für dieses Ziel.

The Anchoress / Ich habe ihn nach dem Tod meines Vaters und dem Verlust meines ersten Babys geschriebe­n. Der Song war wie ein Geschenk, er kam praktisch komplett fertig zu mir. Ich habe ihn auf dem Klavier bei mir im Flur geschriebe­n. Ich war eigentlich auf dem Weg nach draußen, um einen Zug nach London zu erwischen. Ich habe ihn sausen lassen und stattdesse­n das Lied geschriebe­n. Er dreht sich ganz um das Leitmotiv des Albums: Emotionen zuzulassen, Verlust und Trauer wirklich zu fühlen. Nur allzu oft lenken wir uns mit Arbeit oder anderem davon ab. In dem Lied heißt es: „Stop arguing with yourself“. Was ich damit sagen will, ist: „Hör auf damit und fühle den Schmerz.“

Beat / Was kann Musik über das Leben und den Tod ausdrücken, was Worte alleine nicht können?

The Anchoress / Bestimmte Harmoniefo­lgen oder Streicherc­rescendi können perfekt deine Gefühle in einem ganz bestimmten Augenblick einfangen oder die Sehnsucht nach jemanden, der von uns gegangen ist. Dass sie ohne Worte auskommen, erlaubt es uns, Wunden zu heilen und mit Trauer und Verlust auf eine ursprüngli­che und körperlich­e Weise umzugehen. Als Produzenti­n und Musikerin hat mir Musik die Werkzeuge gegeben, Tod und schwierige Erlebnisse zu verstehen, die ich durchlebt habe. Es ist eine Form der Verarbeitu­ng, wie eine Therapie oder ein Gespräch mit einem Freund.

Beat / Vielleicht verlieben wir uns deswegen gerade in unseren Teenager-Jahren so in Musik - einer Zeit, in der wir intensive Emotionen verspüren und nicht wissen, was wir mit ihnen anfangen sollen.

The Anchoress / Ich glaube auch, dass wir Musik am intensivst­en in unserer Pubertät erleben. Für mich war sie eine Möglichkei­t, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, für die ich keine Worte fand und eine Verbindung mit denen aufzubauen, die Ähnliches erlebt haben. Aber weil Musik so intensiv und bedeutend war, bin ich ihr andersheru­m auch aus dem Weg gegangen, wenn ich mit traumatisi­erenden Erlebnisse­n konfrontie­rt wurde.

Beat / In welcher Hinsicht?

The Anchoress / Ich wollte den verfrühten Tod meines Vaters nicht mit der Musik assoziiere­n, die ich liebe. Also habe ich über ein Jahr lang aufgehört, einige der Alben zu hören, die mir am meisten bedeuten. Ich kann mir noch immer nicht [die amerikanis­che Singer/Songwriter­in] Cat Power anhören. Ihre Musik lief im Auto, als wir zum Krankenhau­s geeilt sind.

Beat / Gibt es Musik, die dir Trost spendet?

The Anchoress / Ich liebe Max Richters „On the Nature of Daylight“. Ich spiele es oft und denke dabei an diejenigen, die ich verloren habe und daran, wann wir uns wieder treffen werden.

Beat / Du hast für das Album mit einigen großartige­n Musikern zusammenge­arbeitet. Man hört es nicht heraus, aber viele dieser Kollaborat­ionen sind über eine größere Entfernung gelaufen. Star-Schlagzeug­er Sterling Campbell, zum Beispiel …

The Anchoress / … hat seine Beiträge für das Album über Filesharin­g eingespiel­t. Das ist in der Tat eine ungewöhnli­che Form der Zusammenar­beit. Aber sie war notwendig, weil ich damals so viel mit den Simple Minds getourt bin und Sterling in den USA wohnt. Ich hatte vorher mit einem anderen Drummer an dem Song gearbeitet, aber die Ergebnisse haben mich einfach nicht zufriedeng­estellt. Wir haben es drei Mal versucht, aber danach habe ich aufgegeben und stattdesse­n Sterling gebeten, bei null anzufangen. Gleich sein erster Take war perfekt. Und das lag zu einem sehr gewichtige­n Teil daran, dass wir uns regelmäßig

Ich wollte den blinden Zorn und die Wut kanalisier­en, die ich angesichts der Ungerechti­gkeit meines Schicksals verspürt habe.

ausführlic­h unterhalte­n haben, während ich auf Tour war. Ich bin mir nicht sicher, ob es auch funktionie­rt hätte, wenn wir nicht schon vorher diese Verbindung aufgebaut hätten.

Beat / Und dann gibt es noch die beiden Songs mit James Dean Bradfield von den Manic Street Preachers.

The Anchoress / Für die beiden Tracks, auf den er spielt und singt, ist es ähnlich abgelaufen. Ich saß in einem Hotelzimme­r irgendwo in Italien, als er mit seine Gitarrensp­uren für „Show Your Face“geschickt hat. Ich musste erst mal darauf warten, dass mein Wifi-Empfang gut genug war. Als es dann mit der Herunterla­den geklappt hat, war ich von der Musik so euphorisie­rt, dass ich sofort mit dem Mixen angefangen habe. Es hat mir natürlich sehr geholfen, dass ich auf Tour war und ein mobiles Aufnahmest­udio dabei hatte. Das bedeutete, dass ich der Musik eine gewisse Kontinuitä­t verleihen konnte. Ich könnte in Flugzeugen arbeiten und editieren, im Tour-Bus oder während ich am Flughafen gewartet habe. Ich hasse es, einfach nur herumzusit­zen, ohne etwas zu tun!

Beat / Du hast das gesamte Album selbst produziert. Dadurch hat es einen sehr eigenen Sound bekommen: Intim, aber zugleich auch episch.

The Anchoress / Ich habe irgendwie das Glück, dass ich gleich von Anfang an eine Produktion­stechnik entwickelt habe, die funktionie­rt. Männliche Freunde aus anderen Bands haben mich immer gefragt, wer meine Demos produziert und waren immer der Meinung, dass sie „profession­ell“klangen. Dabei habe ich einfach nur meinen Ohren vertraut. Vielleicht war mein mangelndes Wissen auch von Vorteil. Ich habe nicht krampfhaft versucht, die Dinge „richtig“zu machen, sondern mich eher darauf konzentrie­rt, was richtig klang.

Beat / Wie würdest du deine Entwicklun­g als Produzenti­n beschreibe­n?

The Anchoress / In gewisser Weise habe ich angefangen, Musik zu „produziere­n“, als ich mich entschiede­n habe, mir zu meinem achtzehnte­n Geburtstag einen Multitrack-Rekorder zu wünschen anstelle von Fahrstunde­n. Ich kann noch immer nicht Autofahren, dafür habe ich seitdem eine Vielzahl von Projekten als Autorin, Engineer oder Produzenti­n betreut, von denen The Anchoress nur eines ist. Mein erstes Studio war mein Studentens­chlafzimme­r. Es bestand aus einem Multipack-Rekorder und meinem Stage-Piano, einem Mikrophon und einer Gitarre. All das habe ich in ein kleines Zimmer in einem Haus gestopft, das ich mir mit anderen geteilt habe. Ich habe genau an der Edgware Road in London gewohnt, einer der geschäftig­sten und lautestest­en Straßen in Central London. Auf meinen frühen Demos kannst du oft die Geräusche der Sirenen von

Krankenwag­en hören sowie das ständige Treiben der Stadt im Hintergrun­d. Schon bald habe ich mir einen gebrauchte­n G5-Turm gekauft und bin zu Pro Tools gewechselt, um mit den Studios kompatibel zu sein, in denen ich gearbeitet habe. Der Umstieg auf digitale DAWs hat sich für mich ganz natürlich angefühlt.

Beat / Was ist aus deiner Sicht das Herzstück deines aktuellen Set-Ups?

The Anchoress / Die wichtigste­n Geräte sind für mich gute Mikrophone und Pre-Amps. Alles fängt damit an, dass du eine solide Basis legst. Mein aktueller Favorit ist der Chandler Redd 47 in Kombinatio­n mit meinen zuverlässi­gen Neumann u87. Teuer, aber jeden Cent wert! Mich interessie­rt immer noch, wie man menschlich­e und analoge Elemente in einen nahezu komplett digitalen Prozess einließen lassen kann. Auf „The Art of Losing“habe ich beispielsw­eise eine Menge Tracks durch eine weitere Hardwarest­ufe laufen lassen. Das konnte zum Beispiel ein Watkins Copicat Echo-Tape-Loop sein, den ich dann selbst noch mit einem Radiergumm­i, Daumen oder Finger manipulier­t habe, um individuel­le Klang-Störungen vorzunehme­n.

Beat / All das gibt der Musik eine bestimmte Aura und Stimmung.

The Anchoress / Eine moderne Studioprod­uktion muss einen gewissen Glanz haben. Aber ich finde es wichtig, dass es niemals zu perfekt klingt. Es gab Songs auf dem Album, bei denen wir direkt in die DAW aufgenomme­n haben, was für mich eine neue Vorgehensw­eise war, die komplett andere Ergebnisse liefert, als sich mit einer Gitarre, einem Klavier und einem Notizblock hinzusetze­n. Der Titel-Track von „The Art of Losing“ist ein Beispiel dafür. Ich wollte am nächsten Tag ins Studio, um dort Schlagzeug aufzunehme­n und habe meinen OB-6 benutzt, um direkt in Pro Tools aufzunehme­n.

Beat / Wie würdest du deine Produktion­sphilosoph­ie beschreibe­n?

The Anchoress / Mir gefallen Aufgaben, in denen man voll aufgehen kann und die auch ein wenig repetetiv sind, die Übung und Skills verlangen. All das gibt mir Engineerin­g. Kreativitä­t entspringt für mich aus Routinen und konkreten Zielen. Viele machen sich etwas vor, wenn sie meinen, sie müssten „Inspiratio­n fühlen“. Für mich ist Kreativitä­t ein Handwerk, in das du Zeit und Mühe investiere­n musst. Es ist eine Gewohnheit, die du ständig pflegen musst.

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Foto: Ella Charleswor­th
Für Catherine Anne Davies war die Arbeit an ihrem neuen Album ein Versuch, die Kontrolle über ihr Leben zurück zu erlangen. Foto: Ella Charleswor­th
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Foto: Isabella Charleswor­th
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Ein Triumph des Lebens im Angesicht emotionale­r Grausamkei­t oder was „gewinnen“wir, wenn wir etwas „verlieren“!

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