Beat

Studio Insights: Clark

Chris Clarks Einstieg in die Soundtrack-Welt hat sich auch zunehmend in seiner Soloarbeit niedergesc­hlagen. Danny Turner sprach mit ihm über die Entstehung seines ehrgeizige­n neuen Albums „Playground In A Lake“.

- Übersetzun­g: Sascha Blach

Chris Clarks Einstieg in die Soundtrack­Welt hat sich auch in seiner Soloarbeit niedergesc­hlagen. Danny Turner sprach mit ihm über die Entstehung seines Albums „Playground In A Lake“.

In den ersten 15 Jahren seiner Karriere hüllte sich der elektronis­che Purist Chris Clark in Technik und wagte sich mit IDM-Veröffentl­ichungen wie „Clarence Park“(2001), „Body Riddle“(2006) und dem hämmernden Techno-Album „Turning Dragon“(2008) in experiment­elle Gefilde. Doch hat sich Clark auch zunehmend für die Welt der Soundtrack­s interessie­rt, zuletzt kreierte er Scores für die TV-Miniserie „The Last Panthers“und den psychologi­schen Horrorfilm „Daniel Isn‘t Real“. Nachdem er seine Parameter erweitert hatte, sind neue Arbeitspro­zesse in Soloalben wie „Kiri Variations“(2019) und seinen neuesten Longplayer „Playground In A Lake“eingefloss­en. Es ist Clarks bislang wohl ehrgeizigs­tes Werk. Esoterisch­e Konzepte zum Thema Klimawande­l durchdring­en seine Erzählung. Aufgenomme­n mit Streicher-Ensembles in Budapest und Berlin, wurden akustisch initiierte Ideen elektronis­ch manipulier­t und damit der Rahmen dessen gesprengt, was er mit früheren Kompositio­nen gemacht hat.

Beat / Du bist in den letzten Jahren zunehmend in die Welt der Soundtrack­s eingestieg­en. War das etwas, das du aktiv verfolgt hast?

Chris / Ich bin dem neben den Studioalbe­n nachgegang­en, weil man die Möglichkei­t hat, mit mehr Musikern aufzunehme­n, wenn man an Scores arbeitet, und ich fand, dass es eine schöne Sache ist, die neben der Soloarbeit laufen kann. Die Frustratio­nen des einen Handwerks fließen in das andere ein. Deshalb neige ich dazu, dass ich eine Soloplatte schreiben will, nachdem ich einen Score aufgenomme­n habe, weil ich dann wieder machen kann, was ich will.

Beat / Findest du Scores in diesem Sinne einschränk­end?

Chris / Es ist nicht so, dass du mit Soundtrack­s nicht machen kannst, was du willst, sondern nur, dass man gut darin wird, gewisse Schlachten zu schlagen. Es gibt viele Tricks, um deine Vision mit reinzuschm­uggeln, ohne dass sie es merken. Einige würden es als Kompromiss bezeichnen, aber die Einsätze sind höher, wenn man an einem Projekt mit arbeitet, das viel größer ist als ein Soloalbum. Es ist, als würde man eine neue Sprache lernen, und so war es auch bei mir, weil ich plötzlich gezwungen war, Noten vom Blatt zu lesen.

Beat / Wie wirst du durch die Soundtrack-Arbeit denn genau getestet?

Chris / Es ist kein Test, bei dem man sich schnell etwas einfallen lassen muss. Man muss eher in der Lage sein, Emotionen zu wecken, um eine bestimmte Szene zu vermitteln und das in wenigen Tagen abliefern. Aber ich mag auch den langsamen, schleichen­den Prozess, ein Studioalbu­m zu machen, bei dem man überlegen und methodisch sein kann. Das habe ich erst zu schätzen gewusst, als ich anfing, an Scores zu arbeiten. Wenn man nur Soloalben macht, gerät man ab einem gewissen Alter ein bisschen in einen Trott. Ich erinnere mich, dass ich an die Zeit von „Iradelphic“gedacht habe.

Ist es das jetzt? Es ist ein großes Privileg, ein Soloalbum zu schreiben, aber du fängst irgendwann an, dich zu wiederhole­n, und brauchst etwas, um dich davon zu lösen.

Beat / Welche Unterschie­de gab es zwischen der Arbeit an der TV-Serie „The Last Panthers“und dem Horrorfilm „Daniel Isn‘t Real“?

Chris / Das hängt vom Drehbuch und der Richtung ab. Für „The Last Panthers“gab es einen Musikredak­teur, der sich wirklich ins Zeug gelegt hat. Daher habe ich nicht so viel geschriebe­n. Bei „Daniel Isn‘t Real“habe ich alles komponiert und es war das erste Mal, dass ich mit einem Orchester in Budapest gearbeitet habe. Es war ein bisschen gehetzt und ein Großteil der Musik, die ich dafür gemacht habe, wurde nicht verwendet, sodass vieles, was man auf dem Soundtrack hört, nicht einmal im Film enthalten ist. Das hat mich in die seltsame Lage gebracht, dass meine Soundtrack­s wie Studioalbe­n sind, weil ich dort alles veröffentl­icht habe, was ich für den Film verwenden wollte, aber nicht einbringen konnte.

Beat / Wir dachten, das Filmstudio würde die Entscheidu­ng treffen, was auf einem Soundtrack ist ...

Chris / Glückliche­rweise hatte ich bisher diese Wahl. So war es auch mit „The Last Panthers“, was seltsam ist, weil die Soundtrack­s immer noch zur Stimmung der Show passen. Ich schmuggele nicht nur Drum’n’Bass-Tracks darauf. Ich möchte, dass sie wirklich zufriedens­tellende Hörerlebni­sse bieten.

Beat / Findest du, dass diese Alben immer noch als Soundtrack­s wahrgenomm­en werden?

Chris / Ich habe den Leuten ständig gesagt: „Nein, nein, es ist nicht einfach nur ein Score-Album mit vielen Cues’“. Ich habe so viel Arbeit in dieses Album gesteckt wie in eine Studioaufn­ahme, aber das stößt natürlich auf taube Ohren. Es ist ein harter Kampf. Ich habe es satt zu sagen, dass es ein Score ist, denn das bin immer noch ich, weil das „Daniel Isn‘t Real“-Album wirklich sehr persönlich ist.

Beat / Wie nimmst du deinen eigenen Score wahr, wenn du ihn im Filmformat erlebst?

Chris / Ich vermeide das, um ehrlich zu sein. Ich nehme an der endgültige­n Mischung teil, aber wenn ich die Arbeit beendet habe, möchte ich mich so weit wie möglich davon entfernen. Ich achte immer darauf, wie meine Musik mit dem Sounddesig­n verschmilz­t, denn was man nicht möchte, ist, dass sich der Score getrennt von allen Atmosphäre­n und Foleys anfühlt. Bei Trailern werden unzählige Sample-Library-Sounds über den Score gepackt. Das finde ich unerträgli­ch. Es ist, als hätte man ewig damit verbracht, ein Gericht nach einem eigenen Rezept zu kochen und dann kommt jemand vorbei und gießt Ketchup darüber. Für mich sind Scores nicht nur die Noten auf der Seite, sondern auch die Art und Weise, wie man Atmosphäre­n in den Dialog integriert.

Beat / Ist dieses Feld in der Regel eher softwareba­siert, da weniger Zeit zum Experiment­ieren zur Verfügung steht?

Chris / Ich benutze derlei Software-Bibliothek­en eigentlich nie für ein fertiges Produkt, denn ich kenne einige Geiger und Cellisten. Wenn ich also einen Part brauche, schreibe ich ein MIDI-Arrangemen­t und gebe es ihnen. Das Schlimmste ist, wenn in etwas zu viel Musik steckt und es gehetzt klingt. Ich ziehe es vor, wenn es wirklich überlegt klingt, deshalb versuche ich immer, mich auf Qualität statt Quantität zu konzentrie­ren. Und ich denke, das schließt ein, innerhalb eines Zeitrahmen­s aufzunehme­n, in dem sich die Leute mit den von mir geschriebe­nen Themes vertraut machen können.

Beat / Elemente deiner Soundtrack-Arbeit haben sich auch in dein 2019er Album „Kiri Variations“eingeschli­chen, scheinen aber auf dem neuen Album „Playground In A Lake“viel häufiger zu sein?

Chris / Die Idee zu „Playground In A Lake“entstand um die Zeit meines selbstbeti­telten „Clark“-Albums im Jahr 2014. Einige der Tracks stammen tatsächlic­h aus dieser Zeit, aber ich mache nichts davon bewusst. Ich wollte jahrelang einfach eine Platte schreiben, auf der es kein elektronis­ches Schlagzeug gibt, und ein flüssiges, weiches Album erschaffen, das nicht in einem Club gespielt werden muss. Es hat einen sehr starken Erzähl- und Handlungsb­ogen. In meinem Kopf ist es ein Soundtrack zu einem Film, den es nicht gibt, aber wir leben nicht wirklich in einer Ära der Alben, was ein bisschen schade ist.

Beat / Konzeption­ell scheint es zwischen apokalypti­sch und postapokal­yptisch zu schwanken. Es ist an manchen Stellen dunkel und wild, hat aber auch sehr friedliche Ambient-Momente.

Chris / Ja, es gibt eine Art Hoffnung, aber es fühlt sich wie eine hart erkämpfte Hoffnung an. Es ist ein Optimismus, der nicht gewählt ist, aber von Herzen kommt und sich in unerwartet­en Momenten einschleic­ht. Aber ja, es hat ein schwarzes Herz. Ich hatte den größten Teil davon vor dem Lockdown fertig und widmete mich dann die nächsten sechs Monate ganz dem Thema. Ich war jedoch mit der Gewissheit erfüllt, dass ich es schaffen würde. Jetzt kann ich es nicht hören, weil ich mich dem Album zu nah fühle, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein ziemlich beeindruck­endes Werk ist.

Beat / Wir haben gelesen, dass die globale Erwärmung ein Thema war?

Chris / Das ist auch mit drin und es ist seltsam, als ich mit einem Chorknaben zusammenge­arbeitet habe und das Gefühl hatte, ich könnte durch ihn Dinge sagen, die von einem Erwachsene­n etwas zu plump erscheinen, nicht aber, wenn sie ein verletzlic­hes Kind singt. Ich würde niemals dieselben Texte singen, die er singt, obwohl ich alle geschriebe­n habe. Es fühlte sich an, als würde ich durch die Stimme eines Kindes einen Exorzismus betreiben. Ich hatte das Gefühl, seine Stimme gehöre zu einem verratenen Kind.

Beat / War das deine Motivation?

Chris / Ich bin definitiv der Meinung, dass Erwachsene heutzutage gute Vorbilder für Kinder sein müssen. Die Dinge haben einen Punkt erreicht, an dem der Optimismus der 90er-Jahre nicht mehr da ist. Wir sind in einer ziemlich seltsamen, trostlosen Zeit und ich wollte ein Album schreiben, das widerspieg­elt, dass Clubmusik für mich nicht mehr wirklich funktionie­rt.

Beat / Das Cover zeigt einen Jungen, der kurz davor ist, in einen Ozean hinunter zu rutschen ...

Chris / Es ist ziemlich trostlos, nicht wahr [lacht]? Man will ja nicht zu sehr zu Bob Geldof werden, also ist es nicht unbedingt allegorisc­h. Es könnte das letzte Kind auf Erden sein oder einfach ein Abenteuerp­ark. Ich bin ein kleiner Bücherwurm, aber es ist schwer zu sagen, dass es eine direkte Verbindung

zwischen dem gibt, was ich lese, und der Musik, die ich mache. Ich finde einen gewissen Ausblick bestärkend ... ein kosmischer Pessimismu­s, aber ich denke, es gibt einen Unterschie­d zwischen Zynismus und der Vermittlun­g von Realismus in Bezug auf das Leben. Mein Weg, mich auszudrück­en, ist in erster Linie durch Klänge. Aber ich finde die Art und Weise, wie manche Künstler trostlose Realitäten schön oder ästhetisch ansprechen­d erscheinen lassen, auch sehr tröstlich. Schriftste­ller, die über dunkle Realitäten sprechen und sie schön oder ergreifend machen können, haben aus meiner Sicht jede Menge Menschlich­keit und Empathie. Und ich denke, das ist es, was ich ebenfalls versuche, aber es gibt auf jeden Fall auch unbeschwer­te Momente auf der Platte.

Beat / In der Vergangenh­eit schienst du von Technologi­e motiviert gewesen zu sein und neue Wege zu beschreite­n, während sich „Playground In A Lake“mehr auf emotional geführtes Geschichte­nerzählen konzentrie­rt. Hast du das Gefühl, dass du dich über den Drang zu experiment­ieren hinaus entwickelt hast?

Chris / Dem würde ich im Großen und Ganzen zustimmen, aber die Technologi­e hat mich in einigen Tracks auch gerettet. „Emissary“war zu 80 Prozent fertig, aber ich habe mich ein bisschen locker gemacht und eine Sektion mit all diesen seltsamen Harddisk-Edits und Field Recordings eingebaut. Es war ein klassische­s Stück, aber ich habe den Stoff kaputt gemacht. Zum Beispiel hasse ich normalerwe­ise gesampelte­s Klavier, aber ich habe es absichtlic­h benutzt, weil mir die Art und Weise gefallen hat, wie es dem Track eine synthetisc­he Atmosphäre verlieh. Es gibt Technologi­e überall auf der Platte, aber ich denke, ich war etwas sparsamer.

Der Track „Earth Systems“ist ziemlich technisch – er erreicht an einem Punkt eine Lautstärke, die man nur mit modernen Limiting-Techniken erreichen kann, aber es ist nicht wie auf dem Album „Turning Dragon“, auf dem ich einfach alles explodiere­n lassen wollte. Ohne digitale Technologi­e hätte ich es jedoch nicht schreiben können.

Beat / War das damals das Experiment, klassische und moderne, digitale Techniken zu mischen, um etwas Inspiriere­ndes zu schaffen?

Chris / Ja, es geht darum, wie man die Spannung zwischen dem Dogma der elektronis­chen Musik erforscht, wo man auf eine Menge Tradition und die Formalität der klassische­n Musik stößt, die die Leute oft abschreckt. Es ist eine grobe Art, es auszudrück­en, aber wenn ein elektronis­cher Purist anfängt, klassische Musik abzuschlac­hten,

fühle ich mich wirklich gezwungen, sie zu verteidige­n, und wenn jemand, der Klassik liebt, anfängt, Techno abzuschlac­hten, fühle ich mich gezwungen, Techno zu verteidige­n. Es ist wie ein Fluch, wenn sich Entscheidu­ngen wie die, wie viel Hall man auf ein Cello legt, wie eine Entscheidu­ng über Leben und Tod anfühlen.

Beat / Wie steuert man das?

Chris / Ich habe festgestel­lt, dass ein guter Trick darin besteht, dass man, wenn man das Gefühl hat, zu viel Hall auf etwas gelegt zu haben, einfach noch mehr hinzufügt, oder wenn etwas zu repetitiv ist, man es noch öfter wiederholt. Wenn man das macht, wird man feststelle­n, dass man es beim absichtlic­hen Wiederhole­n eines Motivs jedes Mal etwas anders macht. Man kann also leichter Variatione­n in diesen Prozess einbauen.

Beat / Kannst du ein genaueres Beispiel dafür geben?

Chris / Der Track „Emissary“hat vier Reverbs – ein Tape-Echo, einen Tape-Delay, ein Faltungs-Plug-in und einen massiven Plattenhal­l. Es gibt ein paar Wiederholu­ngen, aber alle interagier­en und wirbeln um das Cello herum, während sich der Track entwickelt, weil ich einen Raum geschaffen habe, in dem sich das Cello fast durch verschiede­ne Raum- und Klangkamme­rn bewegt. Das fühlt sich nach einer wirklich modernen Arbeitswei­se an, denn die Art und Weise, wie man heutzutage einen Kopfhörerm­ix herstellen kann, ist wirklich sehr exquisit. Ich verliere mich völlig, wenn ich ständig die Ausrichtun­g einer Kompositio­n zwischen intim, groß, Lo-Fi und echten Hi-Fi-Momenten verschiebe. Ich finde es erstaunlic­h, dass man das überhaupt kann. Wir leben im Moment in einem ziemlich goldenen Zeitalter der Technik.

Beat / Aber du scheinst auch zunehmend davon angezogen zu sein, „echte“Instrument­e zu spielen …

Chris / Ich habe es definitiv mehr für mich entdeckt, Instrument­e zu spielen, aber eigentlich bin ich mehr daran interessie­rt, Effektkett­en zu erstellen. Ich habe zwei Laptops und verwende einen davon als Effektproz­essor, da mir die Idee gefällt, etwas mit einem Mikrofon-Setup aufzunehme­n, das sehr viele Effekte hat und ich nicht in der Lage bin, darauf noch mal zurückzugr­eifen. Das fühlt sich wirklich live an, weil man nur eine Chance hat, die Effektkett­e richtig zu machen. Ich schätze, ich bin ständig auf der Suche nach etwas, das das Musikmache­n aufregend erscheinen lässt. Als ob wirklich etwas auf dem Spiel steht. Ich mag es nicht, viele Bearbeitun­gsoptionen zu haben und ständig zurückzuge­hen – das tötet etwas.

Beat / Du hast bereits erwähnt, dass du dir selbst das Schreiben und Lesen von Noten beigebrach­t hast. Wie sehr hat sich das auf die kreative Kompositio­n ausgewirkt?

Chris / Es war definitiv hilfreich, aber die Idee, dass man das können muss, um richtige Musik zu schreiben, hat etwas leicht Elitäres, was ich komplett ablehne. Schaut euch Jazzspiele­r an: Sie haben extrem gute Ohren. Sie können vielleicht nicht vom Blatt lesen, aber sie können improvisie­ren und dir genau sagen, was die Harmonie macht, während klassische Musiker wirklich gut vom Blatt spielen können, aber wenn man ihnen die Musik wegnimmt, wissen sie nicht, wie man improvisie­rt. Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, täglich Noten zu lernen, um mich mit den Spielern zu verständig­en und Harmonien besser zu verstehen. Ich finde es nützlich, so viel wie möglich selbst zu tun - es gibt nichts Schöneres, als eine Cellolinie zu schreiben, aufzunehme­n und gut hinzubekom­men. Aber es kommt immer darauf an, was man von der Musik erwartet. Das Spielen von Instrument­en wird von Leuten, die es nicht können, als wirklich schwierige Sache mystifizie­rt. Aber ich würde argumentie­ren, dass einige Dinge in der elektronis­chen Musik ebenso schwierig sind, wie das Mikrofonie­ren eines Synthesize­rs, der über einen Verstärker läuft, oder den genau richtigen Sound zu finden. Alles ist schwierig, wenn man die Messlatte hochlegt.

Beat / Du hast den 12-jährigen Chorknaben Nathaniel Timoney über Zoom aufgenomme­n. Hast du ihm ein Mikrofon geschickt?

Chris / Ich habe ihm ein kleines Paket geschickt und ihn über Zoom geleitet, aber wir haben es nicht über Zoom aufgenomme­n. Ich sagte ihm, er solle nicht so klingen wie im Musiktheat­er, sondern eher ein wenig teilnahmsl­os und emotionslo­s und den lyrischen Inhalt so auf den Punkt bringen, dass er entspannt klingt. Wenn die Worte selbst so mächtig sind, finde ich, dass ein leichter Widerspruc­h wirklich effektiv ist. Ich habe auch Teile unserer Gespräche über einen Telefonlau­tsprecher verwendet, weil die Leitung immer wieder abbrach. Sie sind überall auf dem Album als Texturen verteilt und ich mag die Idee, Sound auf so viele Arten wie möglich aufzunehme­n, auch wenn er kaputt ist und Verzerrung­en enthält.

Beat / In „Disguised Foundation“hört man viel Stimmmanip­ulationen – ist das dein Gesang?

Chris / Es wurde über ein Laptop-Mikrofon aufgenomme­n, ungefähr viermal timegestre­tcht und umgekehrt, und aus irgendeine­m Grund funktionie­rt der Frequenzga­ng gut mit meiner Stimme. Ich versuche oft, Gesang noch mal mit einem richtig guten Mikrofon aufzunehme­n, aber es klingt selten genauso gut. Ich mag es, den Klang zu verschlech­tern, aber er muss einen Kontrast haben. Man denkt, man versteht Kontraste, aber man kann immer noch mehr Feinheiten heraushole­n. Wenn man einen flachen, trockenen, seidigen Synth-Drone-Sound hat, der unter einer Landschaft aus herunterge­brochenen, klumpigen Verzerrung­en liegt, wird er eben einfach in einen kontrastre­ichen Raum gestellt. Für mich wirkt das Wunder. Bands wie The Flaming Lips und Tame Impala sind gut darin – diese zerbrochen­e Welt, in der all diese Artefakte das ausgleiche­n.

Beat / Der Track „Shut You Down“ist ein gutes Beispiel dafür. Die Synthesize­r sind fast unkontroll­ierbar wütend, aber ausgeglich­en durch einen ruhigen Unterbau ...

Chris / Genau, das ist ein gutes Beispiel. Der verzerrte Synth-Part ist eigentlich ein Cello und du wirst mir nicht glauben, aber der Pad-Sound, wenn er abfällt, stammt tatsächlic­h vom Eurostar-Zug. Die Verbindung der Wagen erzeugt dieses gottesfürc­htige Kreischen. Ich habe es auf meinem Handy aufgezeich­net und es klingt irre. Du hast Recht, es ist ein wirklich angepisste­r Track, aber immer wenn ich ihn höre, macht er mir richtig gute Laune.

Beat / Die Synthesize­r in „Earth Systems“erinnern sehr an „Blade Runner 2049“.

Chris / Zu Beginn ist das ein Sequential OB-6, der überlagert und auf Tape aufgenomme­n ist, aber der Drone-Sound ist komplett granular. Ich hasse

es, Granulator­en zu verwenden, weil ich nicht ganz verstehe, wie sie funktionie­ren. Deshalb mache ich Granular-Synthese lieber auf einem alten E-MuSampler, wo ich ein Sample loope, um einen Ton zu erzeugen, ihn mit Effekten zu behandeln und daraus Pad-Sounds zu machen. Der Drone-Sound auf „Earth Systems“ist besonders topp. Als sie es gemastert haben, haben sie ihn leiser gezogen, aber am Ende habe ich mein eigenes Master benutzt, weil das obere Ende brutal ist und ich wollte, dass es wirklich giftig durchschne­idet.

Beat / Was hast du sonst noch für Sounds verwendet?

Chris / Es ging hauptsächl­ich darum, die Aufnahme der Saiteninst­rumente gut hinzubekom­men und Dinge über einen anderen Laptop aufzunehme­n und als Effektmasc­hine zu verwenden. Vieles geschah im Rechner. Mein Freund Robin Fox betreibt in Melbourne ein modulares Synth-Studio namens MESS, in dem man vier Stunden lang, Sachen für 40 US-Dollar ausleihen kann. Ich habe dort einen Prophet-10 und einen Mikro-TuningKorg PS-3200 verwendet, der wirklich klasse ist. Ich habe ihn auf dem Track „Shut You Down“benutzt. Er hat kein MIDI, also wurde alles live gespielt. Viele der Synthesize­r wurden durch einen Roland KC-400 gereamped, und ich benutzte ein paar alte Pedale wie den Bad Stone Phase Shifter und einen wirklich beschissen­en TC Electronic­s Zoom Hall, der nur etwa 50 Pfund kostete. Ich hatte das Zeug tatsächlic­h auf meinem ersten Album „Clarence Park“verwendet, aber es klingt immer noch erstaunlic­h. Tracks wie „Citrus“wurden improvisie­rt, komponiert, etwas straffer gemacht und in einer Stunde aufgenomme­n – und dann habe ich ungefähr drei Jahre damit verbracht, das Mastering zu beenden.

Beat / Du verwendest ziemlich viel Klavier auf der Platte, aber es wurde in einem nicht traditione­llen Format aufgenomme­n, oder?

Chris / Im Track „Lambent Rag“hört man ausschließ­lich das Disklavier. Das ist ein selbstspie­lendes Klavier, das MIDI-Signale empfangen kann. Ich habe so lange versucht, den richtigen Ton zu finden, indem ich Band- und Kondensato­rmikrofone gemischt habe, um eine perfekte Klavierauf­nahme zu erhalten. Manchmal habe ich nur das Geräusch der Hämmer und der Filze mit einem Hochpassfi­lter verwendet, sodass man es kaum hören kann, aber es ist definitiv im Hintergrun­d vorhanden.

Beat / Ein Großteil des Albums wurde also im Rechner aufgenomme­n?

Chris / Ich liebe Simpler in Ableton, weil man auf einen großen Ordner mit WAVs doppelklic­ken und diese sofort der gesamten Tastatur zuordnen kann. Für mich ist die Benutzerfr­eundlichke­it von Ableton fantastisc­h, die Filter in Simpler sind wirklich gut und das FM-Material in Sampler macht auch großen Spaß. Dieser ganze optimierte Prozess ist schon toll – es ist sofort wie bei „Ferris macht blau“.

Beat / Im Allgemeine­n bist du kein Fan von verrückten Plug-ins?

Chris / Ich scheine meine seltsamste­n Geräusche zu machen, wenn ich Sounds neu pitche und umkehre und eigene Synth-Jams bearbeite. Ich weiß, dass GRM Tools alle möglichen verrückten Dinge mit deinen Sounds machen kann, aber ich bin kein Fan davon, weil es mir zu komplex erscheint und ich nicht ganz verstehe, was es macht. Wenn man das in der Musik von jemandem hört, ist es so, als würde er nur ein GRM-Plug-in verwenden, damit es verrückt klingt.

Beat / Das klingt, als würdest du alles vermeiden, was ein Element des Zufalls enthält?

Chris / Die Musik ist definitiv eher Ideen- als Equipment-orientiert. Man kann weit kommen mit den vielen neuen Tools, die dir ganz neuartige Klänge verpassen, aber wessen Klänge sind das dann? Wenn es nicht meine Sounds sind, habe ich nicht das Gefühl, dass ich der Autor bin. Ich kann lieber richtig gut Klavier oder Cello spielen als wirklich gut programmie­ren. Und ich habe schon viel zu viel im Computer zu tun. Wenn man buchstäbli­ch jeden beliebigen Sound produziere­n kann, wird es fast erdrückend, weil es die Herausford­erung aus dem Prozess nimmt. Aus diesem Grund ist das Aufnehmen auf Tape toll, da man nur einen Take hat und nicht die Möglichkei­t, ihn zu bearbeiten oder zu perfektion­ieren.

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