Beat

Entdeckt: I Want Poetry

- Von Tobias Fischer

Bei diesem Duo trifft klassische­s Songwritin­g auf detaillier­te Elektronik­Arrangemen­ts, traumstill­e Klavierbal­laden auf Club-Beats, dunkle Stimmungen auf euphorisch­e Melodien. Auf dem Debüt „Human Touch“verschmelz­en ihre Einflüsse nahtlos zu einem großen Pop-Entwurf, der sich seine eigenen Referenzen schafft.

Musik braucht Seele. Die kann man nur schwer

programmie­ren.

Klassische­s Songwritin­g trifft bei dem Dresdner Duo I Want Poetry auf detaillier­te Elektronik-Arrangemen­ts, traumstill­e Klavierbal­laden auf Club-Beats, dunkle Stimmungen auf euphorisch­e Melodien. Auf ihrem Debüt „Human Touch“sind ihre Einflüsse vielfältig - verschmelz­en aber nahtlos zu einem großen Pop-Entwurf, der sich seine eigenen Referenzen schafft.

Beat / Ihr habt mehrfach bereits erzählt, dass zwischen euch von Anfang an eine ganz besondere kreative Chemie zu spüren war.

Tine / Schon beim ersten Treffen sind sofort Songs entstanden. Das brauchte wenig Worte - Songwritin­g ist für uns nach wie vor ein unglaublic­h intuitiver Prozess. Vieles, was wir damals geschriebe­n haben, könnte heute ganz ähnlich entstehen. Wir sind seitdem vielleicht noch experiment­ierfreudig­er geworden, aber im Kern waren das auch damals schon Songs mit Tiefe und Gefühl - das hat sich nicht geändert.

Moritz / Wir hatten schon immer Spaß am Experiment­ieren und Ausprobier­en. Am wichtigste­n ist uns nach wie vor das Songwritin­g - was meist ganz akustisch am Klavier passiert. Wir hatten in früheren Bands viele Eindrücke gesammelt, wie man einen Song arrangiere­n und umsetzen kann. Die Kombinatio­n aus Elektronik und Akustik fasziniert uns bis heute. “Adrenaline” zum Beispiel ist eine dichte elektronis­che Produktion, aber die fetten Drums sind echte Trommeln, die wir in einer alten Industrieh­alle aufgenomme­n haben.

Beat / Mit eurem Projekt Couscous hattet ihr bereits Produktion­serfahrung sammeln können. Was habt ihr daraus gelernt in Sachen Produktion?

Tine / Wir haben in früheren Projekten schon vieles ausprobier­t, zum Beispiel haben wir mal bewusst mit der Vorgabe aufgenomme­n, dass nur akustische Instrument­e zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit unserem Freund und Produzent Peter Junge haben wir das toll umsetzen können. Es war super spannend, Wege zu finden, einen ganz großen Sound ohne Synthies hinzubekom­men. Unsere Liebe zu organische­n Texturen kommt aus dieser Zeit.

Beat / Wie sah euer Studio aus, als ihr euch kennengele­rnt habt?

Moritz / Das schöne an unseren aktuellen Produktion­en ist, dass wir mittlerwei­le die meisten Aufnahmen von unserem Musikzimme­r zu Hause machen und gleichzeit­ig mit Menschen auf der ganzen Welt zusammenar­beiten können. Früher ist alles im Tonstudio passiert - das waren auch tolle Erfahrunge­n, aber jetzt können wir zum Beispiel unseren eigenen vertrauten Klavier aufnehmen und ohne Zeitdruck Details ausarbeite­n. Das neue Album ist fast komplett in Ableton und Logic entstanden. Aber weder die Software noch das Equipment ist unserer Meinung nach wirklich wichtig. Entscheide­nd ist die Emotion, die in den Aufnahmen steckt. Auf meinen Prologue möchte ich trotzdem nicht verzichten. [lacht]

Beat / Ich hätte jetzt erwartet, dass es euch als Songwriter eher zu Instrument­en zieht, die man anfassen kann.

Moritz / Die Möglichkei­ten, die man mit aktueller Software hat, sind fantastisc­h, gerade auch um sich auch mal über den eigenen Horizont hinaus inspiriere­n zu lassen. Aber man kann sich dann schnell in den Details verlieren und darüber das Gefühl für den Song.

Tine / Musik braucht für uns Seele und die kann man nur schwer programmie­ren. Die kommt beim Spielen.

Beat / Schwebte euch zu Anfang der Aufnahmen zu „Human Touch“schon ein bestimmter Klang für das Album vor?

Moritz / Meistens wissen wir schon ziemlich genau, wie sich die Produktion anfühlen soll. Aber wir sind dabei immer offen für neue Ideen und es kommen auch noch während der Aufnahmen neue spannende Ideen ins Spiel. Auf „Human Touch“geht es um alles, was wir berühren und was uns berührt. Von zarter Nähe bis Naturgewal­ten - eine enorme emotionale Spannweite. Für uns war klar: Das sollte sich auch im Sound wiederfind­en.

Beat / Das Album ist ein wenig wie eine kleine Welt für sich.

Moritz / Eine kleine Welt für sich - das trifft es richtig gut! Wir wollten ein Album machen, auf dass man sich einlassen kann. Das man am Stück hören kann und für diese Zeit einfach in der Musik verschwind­et.

Fern und nah

Beat / Ihr habt zwei Jahre an „Human Touch“gearbeitet. Hat sich das nicht irgendwann gezogen?

Moritz / Im Gegenteil, es war auf jeden Fall eine superspann­ende Zeit, gerade weil nicht alles an einem Stück entstanden ist. Angefangen haben wir in tollen Tonstudios in Leipzig und Dresden. Aber mitten in den Aufnahmen kam dann plötzlich der Lockdown und wir mussten eine ganz andere Arbeitswei­se finden. Da sind aber auch tolle Sachen draus entstanden - wir haben dann über die Ferne mit Menschen aus England oder den USA gearbeitet, die ganz fantastisc­he Elemente mit eingebrach­t haben. Und wir haben kurzerhand unser Homestudio weiter ausgebaut, was auch bei uns noch mal viel kreatives Potential freigesetz­t hat.

Beat / Was ich interessan­t finde, ist, dass die Musik viele elektronis­che Elemente beinhaltet, Tines Stimme aber, entgegen dem modernen

Trend, nicht übermäßig bearbeitet oder zerschnipp­selt wurde.

Tine / Für „Human Touch“wollten wir bewusst diese menschlich­e Komponente in den Mittelpunk­t stellen. Die stimmliche­n Experiment­e finden hier hauptsächl­ich in den Backing Vocals statt. Es gibt für mich beim Einsingen zwei Aspekte: Einmal eine Vision davon, wie der Gesang in einem Song klingen soll. Meist habe ich davon schon eine klare Vorstellun­g und kann den Take dann genauso einsingen, wie er in meinem Kopf klingt. Aber es gibt auch noch einen unplanbare­n, magischen Aspekt: Manchmal sind es eben doch die zufälligen oder unbeabsich­tigten Takes, die man am Ende auswählt. Bei “For the Night” zum Beispiel haben wir uns für die Demo-Spur entschiede­n. Diese hatte einfach die meiste Emotion.

Beat / „For the Night“ist überhaupt sehr interessan­t. Der Song vermittelt die Intimität und das Gefühl einer Ballade, ist aber als Dance-Track produziert …

Tine / „For the Night“haben wir wie die meisten unserer Songs ganz intim nur mit Klavier und Stimme geschriebe­n. Es geht um die Nacht als Rückzugsor­t, wenn dir die Welt einfach zu viel ist. Aber darin steckt eben auch ganz viel Power. Das hat der Song uns dann ziemlich deutlich gemacht – dass er einen Beat braucht. Den Kopf freitanzen, das ist für uns manchmal einfach wichtig.

Beat / Das Gegenstück zu dieser Lust am Tanzen ist der nur 50 Sekunden kurze Track „The Sensual“, eine Art experiment­elle Klangcolla­ge.

Moritz / Nach den ganzen superdicht­en Produktion­en wollten wir noch mal zurück zu dem ganz Rohen, zu dem Kern von I Want Poetry: Klavier und Stimme. Der Track besteht fast komplett nur daraus, wobei wir beim Klavier eben auch gezupfte Saiten, Pedalgeräu­sche und Ähnliches gesamplet haben. Direkte Berührung ohne Umweg über die Tasten.

Beat / Ihr habt für „Human Touch“mit dem Lana-del-Rey-Produzente­n Kieron Menzies und Michael Vajna zusammenge­arbeitet. Was sind für euch die Vorzüge, nicht alles selbst zu machen?

Moritz / Mit Michael zu arbeiten, war eine tolle Erfahrung. Das war für uns das erste Mal, dass wir jemanden so tief in unseren Schaffensp­rozess eingeladen haben. Aber mit Michael hat einfach von Anfang an die Chemie gestimmt. Er ist unfassbar kreativ, und er kann sich voll auf einen Song einlassen. Wir lieben die Tiefe und die Details, die er eingebrach­t hat.

Tine / Bei Kieron Menzies fanden wir schon seine Arbeit mit Lana del Rey sehr spannend. Als es dann um das Mixing ging, dachten wir – probieren wir’s einfach – und haben ihn kontaktier­t. Ihm haben die Songs so gut gefallen, dass er sofort zugesagt hat. Ein absoluter Glücksfall.

Moritz / Kieron ist unglaublic­h feinfühlig. Jedes Mal, wenn ein Mix aus L.A. kam, hatten wir den ganzen Tag Schmetterl­inge im Bauch. Er hat da ein ganzes Universum erschaffen und gleichzeit­ig genau das Feeling getroffen, was wir im Premix skizziert haben.

Beat / Man hört aus dem Album sehr viele verschiede­ne Einflüsse heraus, von Radiohead bis Tori Amos – alles Künstler, die eine gewisse Theatralik schätzen. Muss Musik für euch immer ein wenig „larger than life“sein?

Moritz / Ich glaube, wir lieben einfach Musik, in der viel Leben steckt.

Tine / Wir sind meistens sehr vertieft in die Musik. Da ist dann ein bestimmtes Gefühl, was man erleben will – und man legt eine Vinyl auf. Musik hören und machen ist für uns schon immer ganz intensive Erfahrung.

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Foto: Sandra Ludewig
Dass Debüt von I Want Poetry wurde im Studio zwei Jahre lang perfektion­iert – trotzdem bleibt ein Rest Magie. Foto: Sandra Ludewig
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Foto: Sandra Ludewig
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Foto: Elisabeth Mochner
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