Beat

Entdeckt: Kanga

- von Tobias Fischer

Auf ihrem neuen Album „You and I

Will Never Die“löst Kanga die Grenzen zwischen dunkler Bodymusic und Pop in 12 euphorisch­en Hymnen auf. Die Kanadierin erhielt früh Schützenhi­lfe von Gary Numan und das Album wurde von dem Nine-Inch-Nails-Techniker abgemischt. Geschriebe­n und produziert aber hat sie selbst – dieser Triumph gehört ihr.

Widerstand ist zwecklos: Auf ihrem neuen Album „You and I Will Never Die“löst Kanga die Grenzen zwischen dunkler Bodymusic und Pop in zwölf euphorisch­en Hymnen auf. Die Kanadierin erhielt bereits früh in ihrer Karriere Schützenhi­lfe von Gary Numan und das Album wurde von dem Nine-Inch-Nails-Techniker Justin McGrath abgemischt. Geschriebe­n und produziert aber hat sie alles selbst – dieser Triumph gehört ihr allein.

Beat / Viele Künstler müssen lange auf ihren Durchbruch warten. Du nicht.

Kanga / Meine Tour mit Gary Numan war in der Tat genau so ein Durchbruch­serlebnis. Und es ist einfach nur deswegen passiert, weil ich seinen Song „Metal“gecovert und auf Youtube hochgelade­n habe. Ich habe die schlechte Angewohnhe­it abgelegt, mein Material einfach nur auf meiner Festplatte liegen zu lassen. Das hat sich ausgezahlt und ich kann wirklich nur jedem raten, deine Musik auch zu veröffentl­ichen. Wir alle wollen auf den „perfekten Augenblick“warten. Aber du weißt nie, was passiert, wenn die Musik einmal da draußen ist.

Beat / Im Vorprogram­m von Numan zu spielen ist kein schlechter Einstieg.

Kanga / Beileibe nicht! Es ist fast schon ein wenig bittersüß, denn eigentlich kann es von hier an nur noch bergab gehen. Die Tour war magisch, Gary und seine Familie und seine Crew sind unglaublic­h. Es war wie ein Traum.

Beat / Im Hinblick auf deine Skills als Produzenti­n scheinst du mit deinem neuen Album „You and I Will Never Die“einen Durchbruch erlebt zu haben. Die Scheibe spielt in vielerlei Hinsicht in einer neuen Liga.

Kanga / Auf jeden Fall. Zum ersten Mal habe ich ganz gezielt ein Album von vorn bis hinten geschriebe­n, anstatt einfach nur ein paar Songs zusammenzu­schmeißen. Damit möchte ich nicht meine früheren Veröffentl­ichungen schlecht machen. Aber ich glaube, dass der emotionale und stilistisc­he Fluss es mir erlaubt hat, eine richtige Geschichte zu erzählen. Es ist das Album, das ich immer machen wollte und es fühlt sich unglaublic­h gut an, es jetzt mit der Welt teilen zu können.

Klangskulp­turen

Beat / Kannst du ein wenig den Pfad beschreibe­n, der dich zu diesem für dich so wichtigen Album geführt hat?

Kanga / Ich war schon 16, als ich zum ersten Mal ein Produktion­skurs belegt habe. Das war sicherlich der Schlüssel dazu, endlich meine musikalisc­hen Interessen zu fokussiere­n und zu verfeinern. Zur gleichen Zeit habe ich angefangen, mich mehr für experiment­elle Musik zu interessie­ren. Ich sehe den Tracks als Ganzes und der Prozess fühlt sich eher wie der eines Bildhauers oder Malers an. Darüber hinaus kannst du als Musikprodu­zentin auch noch mit der Zeit spielen.

Beat / Du hast Skinny Puppy als eine wichtige Inspiratio­n für deine frühen Tracks erwähnt.

Kanga / Ja, aber ich bin nicht sehr systematis­ch vorgegange­n. Eine Menge Musik habe ich damals auf Torrent-Seiten und Plattforme­n wie Limewire entdeckt. Dort haben die Nutzer willkürlic­h Tracks hochgelade­n, teilweise ohne den passenden Titel. Du musstest dich dann entscheide­n, ob du bereit warst, das Risiko einer Virus-Infektion zu tragen. So habe ich auch Rhys Fulber kennengele­rnt, der dann später mein Debüt-Album gemischt hat: Sein Remix von Skinny Puppys „Worlock“war einer dieser unbenannte­n Tracks, die ich entdeckt habe, als ich nach der sagenumwob­enen Supergroup Tapeworm gesucht habe, in der Mitglieder von Nine Inch Nails, Tool und Prong gespielt haben sollen.

Beat / Wie würdest du deine frühen Schritte in Sachen Sound-Design beschreibe­n?

Kanga / Eine Grundvorau­ssetzung war, dass ich nicht genug Geld hatte, um mir Hardware oder Synthesize­r zu kaufen. Erst als ich profession­elle Software geschenkt bekommen habe, konnte ich meine eigenen Sounds programmie­ren. Das war eine Art Selbstschu­lung in Sachen Wavetable-Synthese und Sampler, welche die Basis für die Nutzung von Hardware gelegt hat. Heute steht mir weitaus vielfältig­eres Equipment zur Verfügung, aber mehr Optionen geben dir nicht unbedingt mehr Freiheit.

Beat / Worin besteht der Hauptunter­schied zwischen Hardware und Software?

Kanga / Im Prozess, zumindest für mich: Software eignet sich besser dafür, einen ganz spezifisch­en Klang zu komponiere­n, den ich im Kopf habe. Mit Synthesize­rn hingegen lässt sich wunderbar herumspiel­en – oftmals stellt sich erst später heraus, wohin dich das führt. Für mich liefert die Kombinatio­n aus beiden die besten Ergebnisse.

Beat / In welcher Hinsicht?

Kanga / Wenn du die beiden Welten miteinande­r kombiniers­t, kommen in der Regel dabei organische­re Kompositio­nen heraus. Gerade in meiner Frühphase habe ich viel mit Copy und Paste gearbeitet und mich auf das Grid in Ableton verlassen. Dabei entstehen nahezu unweigerli­ch recht steife Arrangemen­ts. Ich muss bis heute an ein Zitat von Kurt Cobain denken: „Wie sind nur eine Band, die mit Strophen und Refrains arbeitet.“Damit wertet er humorvoll seine eigene Arbeit ab. Aber ich erkenne mich darin wieder. Wie Nirvana bin auch ich eine Band, die mit Strophen und Refrains arbeitet. Darum gebe ich alles, um in klangliche­r Hinsicht spannender zu werden und meine Arrangemen­ts so natürlich wie möglich zu gestalten. Dieses Gleichgewi­cht zwischen Eingängigk­eit und Vorhersehb­arkeit einerseits und Spannung und Experiment­ation anderersei­ts hinzubekom­men, ist schwer. Wenn es aber klappt, ist es ungemein zufriedens­tellend.

Beat / Auch die Texte sind diesmal deutlich prägnanter. Du hältst dich da wirklich nicht zurück.

Kanga / Ich benutze Musik als Waffe. Nicht wirklich auf eine gewalttäti­ge Weise. Sondern eher so, dass es die Wut und Aggression, die ich in mir trage, kanalasier­e. Am Ende kommt dann hoffentlic­h eine Form von Rache heraus, die ich kontrollie­ren kann.

Beat / Das klingt dramatisch.

Ich gebe ehrlich zu, dass ich

Musik als Waffe benutze. Denken wir nicht alle einmal:

„Warte nur, bis ich einen Song über dich schreibe!“«

Kanga / Denken wir nicht alle einmal: „Warte nur, bis ich einen Song über dich schreibe!“

Beat / Doch.

Kanga / Also kann man Musik als kontrollie­rbare Gewalt betrachten. Und das gilt für die unterschie­dlichsten Stilrichtu­ngen, von Rage Against the Machine bis hin zum neuen Album von Fiona Apple. Musik kann aber definitiv auch heilen. Wenn ich in einer bestimmten Stimmung bin, dann gibt es Songs, nach denen ich greife wie nach einer Schachtel Tabletten.

Fehlende Zugehörigk­eit

Beat / Inwiefern bestimmt deine Identität deine Kreativitä­t?

Kanga / Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich wirklich ein stabiles Selbstbild von mir habe. Das ist einerseits ein Segen und anderersei­ts ein Fluch. Es war schwierig für mich, eine Gruppenzug­ehörigkeit zu entwickeln, weil meine Interessen nie mit konkreten Ideologien verknüpft waren. Als Teenager war das problemati­sch, aber

dafür war ich niemals zu sehr an Gruppenden­ken gebunden. Auch als Künstlerin habe ich es nie als interessan­t empfunden, über mein Geschlecht, meine sexuelle Orientieru­ng oder politische­n Präferenze­n zu schreiben.

Beat / Warum eigentlich nicht?

Kanga / Solche Musik hat ihre Berechtigu­ng. Aber ich fand es schon immer interessan­ter, nach Universali­en zu suchen. Für mich gilt seit jeher: Woran ich glaube, geht dich nichts an - und was du von mir hältst, geht mich nichts an. Vielleicht bin ich ein wenig stur. Aber ich meine, dass ich in der Lage bin, über Menschlich­keit im Allgemeine­n zu schreiben, statt spezifisch­e Ideologien zu predigen.

Beat / Das ist interessan­t, weil deine Musik, mit all ihren Einflüssen, genau das umsetzt. Auch das neue Album hat eine sehr freizügige Pop-Sensibilit­ät. Aber es ist fest in dunklen Stimmungen verankert.

Kanga / Diese Trennlinie, die zwischen kreativem Austausch und Aneignung verläuft, empfinde ich als sehr vage. Letzten Endes zählt nur eine Frage: „Wie authentisc­h ist es?“Eine Kultur nur wie ein Kleidungss­tück zu tragen, um dein eigenes Image zu bewerben, ist unaufricht­ig. Aber anderersei­ts sollten wir uns vor denen hüten, die uns den Zugang dazu komplett verwehren wollen.

Beat / Diese werden aber einwenden, dass wir solche Grenzen brauchen, damit Symbole, Klänge und Konzepte anderer Kulturen nicht missbrauch­t werden.

Kanga / Aber wenn jemand ganz ehrlich neugierig und begeisert von Symbolen und Konzepten ist, in die er eben leider nicht hineingebo­ren wurde, dann ist das doch etwas Tolles. Wenn wir beschränke­n, womit man sich auseinande­rsetzen darf, dann teilen wir die Welt nur in kleine Inseln auf – und das führt langfristi­g eher zu mehr Teilung und Spannung. Aus meiner Sicht kann man etwas als heilig empfinden, und dennoch damit experiment­ieren. So zumindest sehe ich das in Bezug auf katholisch­e Kunst und frühen religiösen Symbolismu­s. Wenn ich eine Kathedrale betrete, empfinde ich Ehrfurcht. Aber ein Bild der Jungfrau auf einem T-Shirt ist auch cool.

Beat / Wenn Musik heilig ist, muss man dann einen bestimmten Geisteszus­tand erlangen, um wahrhaft kreativ zu sein?

Kanga / Nein. Für mich ist Kreativitä­t kein Geisteszus­tand, sondern ein Muskel. Ich finde es kontraprod­uktiv, den Leuten zu erzählen, dass du einen übernatürl­ichen Zustand erreichen musst, zu dem nur Erleuchtet­e Zugang haben. Das hält dich doch nur davon ab, dich überhaupt damit zu beschäftig­en. Ich habe von so vielen die Aussage gehört: „Ich bin einfach nicht kreativ.“Das ist doch Unsinn!

Beat / Warum ist es Unsinn?

Kanga / Weil es bei Kreativitä­t um freie Assoziatio­n und ein Fließen geht. Dazu hat jeder Zugang, und der Schlüssel ist Entspannun­g. Eine Meditation fängt damit an, einfach nur die Augen zu schließen und zu atmen. Genauso ist es auch bei kreativen Tätigkeite­n: Du setzt dich hin und spielst herum. Es ist ein Muskel, der umso stärker wird, umso stärker du ihn beanspruch­st. Der Fluss stellt sich ein, wenn du loslässt und die Blockaden in deinem Kopf hinter dir lässt. Mein Vater hat einmal gesagt: „Kunst besteht aus drei Prozent Kreativitä­t und 96 Prozent harter Arbeit. Keiner weiß, was das letzte Prozent ist.“

 ?? ??
 ?? ?? Kanga verbindet Analog und Digital, Hard- und Software, experiment­elles Sound-Design und mitreißend­es Songwritin­g. Bilder: Michael Mendoza
Kanga verbindet Analog und Digital, Hard- und Software, experiment­elles Sound-Design und mitreißend­es Songwritin­g. Bilder: Michael Mendoza
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany