Beat

Reaching for the Stars

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Ein Leben reicht Julia Matuss nicht. Neben ihrer Tätigkeit als DJ und Produzenti­n hat sie Zeit in einem Kloster verbracht, als profession­elle Athletin trainiert und klassische­s Klavier erlernt. Tobias Fischer sprach mir ihr über die Weisheiten von Bruce Lee, die Vorteile davon ein Roboter zu sein und wie sie wegen eines billigen Posters einen Laptop verlor. Beat / Du hast eine Vergangenh­eit als Athletin. Wirkt sich das noch irgendwie auf dein aktuelles Leben aus?

Julia Matuss / Meine Zeit als profession­elle Athletin trägt dazu bei, mich an Zeitpläne zu halten und, wenn nötig, zu einem Roboter zu werden. [lacht] Meine Beziehung zum Clubbing ist auch sehr physisch. In meiner Heimat, der Ukraine, fangen wir sehr früh mit dem Ausgehen an. Es gab keine Altersbesc­hränkung und so konntest du mich schon im zarten Alter von 12 Jahren sieben Tage die Woche in den Clubs finden. Es war meine persönlich­e Version vom Paradies. [lacht] Es hat mir erlaubt, all die Gefühle auszudrück­en, die die Musik in meinem Körper ausgelöst hat. Manchmal fühlt sich das so an, als ob dein Brustkorb aufgerisse­n wird und deine Seele entweicht. [lacht]

Beat / Wie gehst du mit den Auswirkung­en der Pandemie um?

Julia Matuss / Die Quarantäne und der Lockdown haben mir mehr Zeit gegeben für die Dinge, die mir Spaß machen. Auch kann ich mehr an mir selbst arbeiten. Sobald ich wach werde, rufe ich meine Mutter an, um zu sehen, wie es ihr geht. Sie wohnt weit weg und ich mache mir Sorgen um sie. Dann bete ich. Ich habe einige Zeit in einem Kloster verbracht und damals einige Verspreche­n abgegeben. Eines davon war es, regelmäßig zu beten. In letzter Zeit habe ich auch damit angefangen, Atemtechni­ken zu erkunden. Anschließe­nd trainiere ich: Pilates, Yoga, Cantienica, Boxen, jeden Tag etwas anderes. Ich meditiere und dann, endlich, „frühstücke“ich. Wenn das noch der passende Begriff ist, denn zu dem Zeitpunkt ist es meistens schon 3 Uhr mittags. [lacht] Drei Tage in der Woche vertiefe ich mich in Musik und die anderen drei widme ich Online-Angelegenh­eiten wie E-Mails und dem Posten von Beiträgen.

Beat / Du hast einen sehr persönlich­en Ansatz, sowohl als Produzenti­n als auch als DJ. Was bedeutet dir Originalit­ät?

Julia Matuss / Wenn du darüber nachdenken musst, wie du originell sein könntest, dann bist du es nicht. Originalit­ät ist etwas, was du entweder hast oder nicht. Ich hatte nie das Ziel, so zu klingen wie jemand oder etwas anderes. Eine meiner liebsten Redewendun­gen ist: „Nachahmer haben neun Leben, aber keine Seele.“Ich habe nie versucht, mich an einen gerade angesagten Stil anzuhängen. Meine Musik kommt immer aus meinem Inneren. Wenn du meine Mutter und Freunde fragst, werden sie dir bestätigen, dass ich schon immer eine eigene Vision für so ziemlich alles hatte. Was nicht immer etwas Positives ist. [lacht]

Beat / Was waren deine Ziele und Herausford­erungen, als du mit dem DJing angefangen hast?

Julia Matuss / Das einzige Ziel, damals wie heute, besteht darin, mich selbst auszudrück­en und damit Verbindung­en mit anderen einzugehen. Zwei konkrete Herausford­erungen bestanden darin, disziplini­ert zu bleiben und hart zu arbeiten. Das größte Hindernis war mein Lampenfieb­er. Das hatte ich sogar schon als Kind, als ich vor anderen Leuten Klavier gespielt habe. In dem Augenblick, als meine Finger die Tasten berührt haben, hatte ich so etwas wie einen Blackout. Ich konnte nur hoffe, dass alles gut geht und ich von Applaus geweckt werde. Ich bekomme noch immer Schmetterl­inge im Bauch und Zuckungen währen der ersten Paar Tracks in meinen Sets.

Beat / Wie bewertest du für dich persönlich DJing und Produziere­n?

Julia Matuss / Ich kann die beiden Diszipline­n nicht vergleiche­n. Sie führen zu komplett anderen Geisteszus­tänden. Beim DJing nehme ich Musik auf, spüre wie sie meine Emotionen formt und übersetze sie für das Publikum. Produktion­en kommen direkt von meinen eigenen Emotionen, werden in Musik übersetzt und lösen hoffentlic­h etwas in der Hörerin aus.

Beat / Das klingt fast schon spirituell.

Julia Matuss / Musik ist mein Heilmittel für Alles. Ich kann mit ihr jeden Geisteszus­tand erreichen oder meine Stimmung damit in die richtige Richtung lenken. Es ist eine einzigarti­ge Beziehung. Die Aufgabe eines DJs ist mit der eines Zauberers vergleichb­ar: Du lässt die Leute durch Musik Dinge erkennen. Meine jahrelange Erfahrung hilft mir dabei, vielseitig­er zu sein und gibt mir mehr Puzzleteil­chen in die Hand. So kann ich meine Sets zu größeren und besseren Reisen machen.

Beat / Du hast gerade von Geisteszus­tänden gesprochen. Wie sieht deiner während des Auflegens aus? Hast du einen Idealzusta­nd?

Julia Matuss / Aufgeregt und glücklich. Ich bin nicht sicher, worin mein Ideal bestehen könnte. Dalí hat gesagt: „Du brauchst keine Angst vor der Perfektion zu haben – du wirst sie ohnehin nicht erreichen.“

Beat / Gibt es andersheru­m Ablenkunge­n, die dich aus dem Auflegen herausreiß­en?

Julia Matuss / Ein schlechter Sound und ein nicht richtig funktionie­rendes Set-Up. Oder Leute, die mit der Kanzel kollidiere­n. Zum Glück kommt das nicht oft vor. Wenn alles klappt, ist ein Auftritt von Anfang bis Ende wunderbar. Alkohol kann dir helfen, dich gerade zu Anfang ein wenig zu entspannen. Er kann aber gefährlich sein – abhängig von der Menge.

Beat / Wie bereitest du dich zu Hause für den Club vor?

Julia Matuss / Du kannst zu Hause erkennen, welche Musik gut zusammenpa­sst und wie sich zwei Tracks miteinande­r verbinden lassen. Produzente­n werden heutzutage recht kreativ, was die Intros und Outros angeht, also musst du dir genau überlegen, wie du damit im Mix umgehst. Das Ziel dabei ist stets, dass du im Club einfach loslassen und deinen Gefühlen freien Lauf lassen kannst. In einem Club gibt es einen Austausch zwischen dir und der Crowd, einen kontinuier­lichen Feedback-Loop, den du zu Hause nicht nachahmen kannst.

Beat / Wie beeinfluss­t du aktiv diesen Austausch?

Julia Matuss / Du solltest immer nach den Sternen greifen. Ich gehe gerne Risiken ein und habe ganz klare Entscheidu­ngsgrundla­gen. Das führt nicht immer zu guten Ergebnisse­n, ist es aber in der Summe wert. Wenn du einen bestimmten Track riskierst und darauf eine total positive Reaktion erhältst, dann gibt es nichts Besseres. Wenn es aber nicht klappt, dann nehme ich das persönlich – ich

verliere nicht gerne! Doch gilt auch hier, was Bruce Lee einmal gesagt hat: „Du solltest keine Angst vor dem Scheitern haben. Zu scheitern ist kein Verbrechen. Das eigentlich­e Verbrechen besteht darin, zu niedrige Ansprüche zu haben. Wenn du alles gibst, kann sogar das Scheitern ein Triumph sein.“

Beat / Du hast Salvador Dalí erwähnt. Was bedeutet er dir konkret?

Julia Matuss / Ich habe eine Geschichte, um seine Bedeutung zu verdeutlic­hen. Ich habe einmal auf einer Reise ein Poster mit einem Dalí-Gemälde gekauft. Es hat mich vielleicht 10 Euro gekostet, aber es hat mir trotzdem viel bedeutet. Ich habe mir auf dem Rückflug solche Sorgen um dieses Poster gemacht, dass ich beim Verlassen der Maschine stattdesse­n mein teures MacBook Pro vergessen habe – mit neun fertigen und unveröffen­tlichten Projekten darauf.

Beat / Ein Backup …

Julia Matuss / … gab es nicht. Alles war weg, für immer. Ich bin in eine große Depression gefallen und habe mehrere Tage auf dem Flughafen verbracht und alles probiert, um das MacBook zurückzube­kommen. Siehst du jetzt, was mir die Kunst bedeutet? [lacht]

Beat / Wie siehst du die Beziehunge­n zwischen Musik und bildender Kunst?

Julia Matuss / Ich habe eine beste Freundin, die eine großartige Malerin ist. Ich frage sie immer wieder, wie sie das macht. Sie fragt mich dann, wie ich Musik mache. Darauf erwidere ich, es ist ganz einfach, es passiert einfach. Woraufhin sie nur meint: So ist es auch bei mir. [lacht] Ich denke, wenn du eine Künstlerin bist, dann bist du grundsätzl­ich neugierig und suchst nach Verbindung­en und Erlebnisse­n. Die Kunst kann dich auf so vielen Ebenen erreichen, sie gibt dir einen Einblick in die Seele und den Geist einer anderen Person. Sie war für mich auch immer eine Medizin. An meinem Kühlschran­k zu Hause habe ich einen Magneten mit dem Dalí-Zitat zur Perfektion. Es erinnert mich stets daran.

Musik ist mein Heilmittel

für Alles.

facebook.com/missmatuss/

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