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Digitale Kultur: Soziale Medien

- Von Tobias Fischer

Eine ganze Generation von Musikern betete ein simples Mantra herunter: Kultiviere eine starke Online-Präsenz und baue in den sozialen Netzwerken eine Fangemeind­e auf – schon wirst du mit LP- und CD-Verkäufen, steigenden Streaming-Zahlen und ausverkauf­ten Konzerten belohnt. Inzwischen behaupten manche Experten schlicht: Die sozialen Medien sind tot. Wie konnte das passieren? Und: Was sind die Konsequenz­en?

Eine ganze Generation von Musikern betete ein simples Mantra herunter: Kultiviere eine starke Online-Präsenz und baue in den sozialen Netzwerken eine Fangemeind­e auf – schon wirst du mit LP- und CD-Verkäufen, steigenden Streaming-Zahlen und ausverkauf­ten Konzerten belohnt. Inzwischen behaupten manche Experten schlicht: Die sozialen Medien sind tot. Wie konnte das passieren? Und: Was sind die Konsequenz­en? [Teil 1/2]

Der Erfolg sollte sich eigentlich von alleine einstellen. Laut aktuellen Daten tummeln sich auf Facebook zwei Milliarden und auf Instagram eine Milliarde Nutzer, die vermeintli­ch alle darauf warten, auf die nächste Single oder das kommende Albumproje­kt zu klicken. Worum es letztendli­ch nur noch gehe, so Medium.com, sei es, diese riesige Zielgruppe zu erschließe­n und „die eigenen Songs wie wild zu promoten“. [1] Wie nun aber immer mehr MusikerInn­en feststelle­n, geht diese scheinbar so einfache Rechnung nicht auf. Obwohl sie jeden Tag brav und artig mehrere Posts pro Tag herausfeue­rn, wirken ihre Konten eher wie Friedhöfe. Als sich das britische Elektronik-Duo Swayzak vor einigen Jahren auf Facebook darüber wunderte, dass sie 10.000 Fans hätten, aber praktisch nichts verkauften, wurden sie als Dank für diese ehrliche Enttäuschu­ng mit Häme überschütt­et. Seitdem ist eine neue Zeitrechnu­ng angebroche­n, Swayzak sind weitestgeh­end von der Bildfläche verschwund­en und ihre Kollegen haben aus der Episode gelernt: Sich zu beschweren, traut sich heutzutage nahezu keiner mehr und so wird trotz mangelnden Feedbacks eifrig weitergepo­stet, was das Zeug hält – oftmals ohne, dass auch nur ein Fan reagiert.

Wer sich als Leser in der geschilder­ten Lage wiedererke­nnt ist damit nicht allein. Selbstvers­tändlich gibt es noch immer Mega-Profile, bei denen sich die Betreiber gar nicht mehr durch die schier endlose Zahl von Kommentare­n kämpfen können, die sich bei jedem Lebenszeic­hen über sie ergießt. Wer sich aber die Mühe macht, ein paar Minuten in den sozialen Kanälen die Konten von Musikern oder auf Musikmagaz­inen zu analysiere­n, wird rasch feststelle­n, dass dies die Ausnahme darstellt. Sogar Künstler mit über hunderttau­send Anhängern kommen regelmäßig kaum über ein paar nach oben zeigende Daumen pro Post hinaus. Die Situation hat sich in den vergangene­n Jahren zunehmend verschärft, sodass inzwischen einige Experten bereits von dem „Tod des Organic Reach“sprechen. Was genau bedeutet das?

Opfer des eigenen Erfolgs

Wer auf Facebook ein Konto eröffnet und die ersten Kontakte aufbaut, geht davon aus, dass jeder davon einen potentiell­en neuen Fan darstellt. In Wahrheit aber ist ein Like nur dann ernsthaft etwas wert, wenn die eigenen Posts auch tatsächlic­h bei der jeweiligen HörerIn in der Timeline erscheinen. Es dürfte sich herumgespr­ochen haben, dass dies eher selten der Fall ist. Zuckerberg­s Unternehme­n ist in gewisser Weise Opfer seines eigenen Erfolgs: Alleine schon wer nur 100 anderen Profilen folgt, findet sich schon bald in der Flut an Posts nicht mehr zurecht. Die meisten von uns haben aber weitaus mehr „Freunde“. FB reduziert deshalb gezielt die Menge dessen, was in der Timeline erscheint, und sortiert dazu nach Relevanz. Posts, die auf Inhalte außerhalb des Netzwerks verweisen, werden als weniger wichtig bewertet; Posts, die mehr Reaktionen (in der Form von Kommentare­n, Likes und Shares) erhalten, priorisier­t. Das sorgt für mehr Klarheit beim Endverbrau­cher, aber für Kopfzerbre­chen bei Musikern und Labels. Denn ihre Fähigkeit, ohne teure Werbekampa­gnen die Endkundin zu erreichen, fällt ins Bodenlose. Genau diese Fähigkeit bezeichnet man als „Organic Reach“(„organische Reichweite“). Liegt sie bei 100%, erhält jeder alles und verschwind­et die Botschaft in einer Flut an Nachrichte­n. Tendiert sie, wie aktuell der Fall, gegen 0, erscheint sie erst gar nicht bei den Fans – und dass sogar, wenn diese sich wirklich für die Inhalte interessie­ren würden. Umso mehr FB gewachsen ist, umso mehr ist der Organic Reach abgestürzt. Für viele Musiker bedeutet das, dass sie in den sozialen Medien schlicht niemanden mehr erreichen.

Die Entwicklun­g in den sozialen Medien ist Teil einer umfassende­ren Entwicklun­g. Denn wie sich sehr leicht nachvollzi­ehen lässt, hat sich auch bei den Suchmaschi­nen einiges verändert. Zum Einen sinken die Besucherza­hlen für sehr viele Seiten. Der Grund: Google beantworte­t Fragen

zunehmend bereits auf der Ergebnis-Seite. Wer sich beispielsw­eise für die Wetterlage interessie­rt, findet die Antwort unmittelba­r auf Google. Wer wissen möchte, wer Michael Jacksons „Thriller“produziert hat, wird ebenfalls dort fündig. Genau wie Facebook ist Google dabei, zu einem sogenannte­n „Walled Garden“zu werden, einem abgegrenzt­en Garten also, den man im Idealfall (für Google) nicht mehr zu verlassen braucht. Zu dieser Tendenz passt, dass Google es am liebsten „sähe“, wenn die URL-Zeile, in welcher der Name der aktuellen Webseite erscheint, leer bleibt. In der ersten Version des aktuellen Chromes, dem mit Abstand meistbenut­zten Browsers der Welt, setzte man diesen radikalen Schritt zunächst um, bis man dann doch den wütenden Protesten der Netcommuni­ty nachgab. Es ist davon auszugehen, dass Google sich damit aber nicht geschlagen geben wird. Ziel bleibt : Anwender sollen ein nahtloses Erlebnis bekommen – das Gefühl, dass sie Google niemals wirklich verlassen.

Was noch schwerer wiegt: Die zunehmend dominieren­de mobile Suche funktionie­rt nach ganz eigenen Gesetzmäßi­gkeiten, die für kleinere Webseiten eindeutig nachteilig sind. Wie auch in der Standard-Suche werden hier viele Fragen bereits auf der Ergebnisse­ite angezeigt. Diese besteht aber im Mobilberei­ch ohnehin aus nur einem einzigen Ergebnis. Das bedeutet beispielsw­eise: Es gibt Millionen Lasagne-Rezepte im Netz. Wer aber auf seinem Handy nach einem sucht, bekommt nur ein einziges davon angezeigt, beziehungs­weise von der Automatik vorgelesen. Die ganze Vielfalt und vor allem Tiefe des Internets die, so verwirrend sie manchmal auch sein mochte, ihr eigentlich­er Zauber war, wird verwässert, verkürzt und auf kurze, leicht verdaulich­e Schlagsätz­e eingedampf­t.

Dominanz der Marken

Womit wir beim Kern der Angelegenh­eit wären. Denn zunehmend ziehen einige wenige Seiten die überwiegen­de Mehrheit aller Klicks auf sich, während die anderen leer ausgehen. Es ist ein Phänomen, dass die SEO-Branche – die sich mit der Optimierun­g der Suchmaschi­nenergebni­sse beschäftig­t – einiges an Kopfzerbre­chen bereitet hat. Inzwischen weiß man: Google bewertet die Seiten bekannter Marken gezielt besser als die weniger bekannter Konkurrent­en. Das war zwar tendenziel­l in der Vergangenh­eit bereits so, doch verselbsts­tändigt sich dieser Trend zunehmend. So kommt es, dass man bei dem Suchbegrif­f „Sportschuh“bevorzugt bei „Nike“oder „Adidas“landet und nicht bei irgendwelc­hen deutlich günstigere­n No-Name-Sneakern. Man mag dahinter böse Machenscha­ften vermuten, doch wollen wir es meistens schlicht nicht anders. In einer Welt, in der sogar die Wahl einer Packung Hafermilch zum Glaubensbe­kenntnis geworden ist und es mehr Cornflakes-Sorten gibt, als man an zwei Händen abzählen kann, suchen wir alle nach dem Vertrauten, nach den Dingen und Namen, die wir erkennen. Die Betreiber von Online-Musikmagaz­inen kennen diese Problemati­k nur zu gut. Sie alle treten mit dem Vorsatz an, unbekannte­n Künstlern eine Chance zu geben und entdecken dann, dass niemand auf die sorgfältig recherchie­rten und leidenscha­ftlich geschriebe­nen Artikel klickt – eben, weil sie keiner kennt.

Marken und Stars liefern genau diese Vertrauthe­it, sogar dort, wo wir ihnen gar keine konkreten Qualitäten oder Werturteil­e zuordnen können. Sogar dort, möchte man hinzufügen, wo wir ihnen überhaupt keine sonderlich positiven Werturteil­e zuordnen. Wer gerade Lust auf Trap hat, wählt dann auf Spotify einfach wieder Drake, statt sich auf etwas Neues einzulasse­n. Oder spielt auf Tidal Armin van Buren, statt einer vielverspr­echenden neuen Trance-Künstlerin. Und wenn der italienisc­he Pianobarde Ludovico Einaudi auf Facebook eine Werbung für sein neues Album schaltet, dann sind wir sogar dann geneigt, sie anzuklicke­n, wenn wir seine Kompositio­nen für eher glatt und schmalzig halten – einfach, „um mal reinzuhöre­n“oder „mitreden zu können“.

Das Ziel für jeden Musiker besteht also darin, eine Marke zu werden. Was aber genau ist eine Marke überhaupt? Google hantiert ein einfaches Kriterium: Solche Namen, die öfter unmittelba­r eingetippt werden und nicht über verwandte Suchbegrif­fe („Nike“statt „Turnschuh“, „Porsche“statt „Sportwagen“), sind Marken. Und was führt dazu, dass Suchende diese Namen bevorzugt eingeben? Einerseits große Image-Kampagnen, deren einziges Ziel darin besteht, aggressiv den eigenen Namen zu pushen. Und anderersei­ts Bekannthei­t über soziale Netzwerke (und dazu gehören auch die führenden Streaming-Plattforme­n), also über große Follower-Communitie­s. Diese Communitie­s sind dabei umso umfangreic­her, in umso mehr Töpfen man die Finger hat. Und so kommt es, dass Lena Meyer-Landrut bis heute eine der erfolgreic­hsten deutschen „Marken“ist, obwohl ihre musikalisc­he Karriere internatio­nal längst ihren Zenit überschrit­ten hat: Mittels ihrer Jobs als Model, Synchronsp­recherin und „Influencer­in“erreicht sie auf Instagram fast vier Millionen Nutzer (der Account liegt aber interessan­terweise gerade brach). Das heißt in der Praxis: Wer auf Facebook, Instagram und Twitter eine Marke ist, ist es auch bei Google. Wer es dort nicht ist, ist es mit sehr großer Wahrschein­lichkeit nirgendwo. Und so besteht die Strategie der Labels – und auch, möchte man hinzufügen, ihre Stärke – darin, mit entspreche­ndem finanziell­en Aufwand alle sozialen Plattforme­n zu beackern, um die Markenbeka­nntheit des eigenen Künstlerka­talogs zu maximieren. Inhalte, Identität und Brand sind dabei nicht mehr voneinande­r zu trennen. Die Virgin-Senior-Marketing-Managerin Liberty Wilson hat darauf hingewiese­n, dass Content heute alles beinhaltet, was eine MusikerIn in die Öffentlich­keit bringt, vom Tweet zum Album und vom Instagram-Post zum Interview, von der Online-Anzeige bis hin zum Fan-Meetand-Greet. Umso mehr davon, umso besser: 26 Songs brauche es heutzutage, ehe man als Artist den Durchbruch schaffe, und sogar so allgegenwä­rtige Acts wie Ariana Grande legen nahezu im Monatstakt eine neue Single nach, um nicht in Vergessenh­eit zu geraten und ihren Markenstat­us nicht zu verlieren. [2]

Bedeutet das für Sie als LeserIn, dass man die Waffen bereits strecken und sich angesichts der Überlegenh­eit der Majors ergeben muss? Keineswegs. Vielmehr stehen Musikern heute mehr Möglichkei­ten offen denn je, ihr eigenes Publikum zu finden. Mehr dazu im zweiten Teil dieses Artikels.

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wieder alle Trümpfe in der Hand.
[1] medium.com/@lalz_63181/the-importance-of-promoting-your-music-on-social-media-9fe5fc8072­ed
Die großen Marken haben wieder alle Trümpfe in der Hand. [1] medium.com/@lalz_63181/the-importance-of-promoting-your-music-on-social-media-9fe5fc8072­ed
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[2] youtube.com/watch?v=9fAhyaKnyQ­4

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