Beat

Porträt: Ben Böhmer

- Interview: Sascha Blach; Fotos: Kurt Heiter

Ben Böhmer gehört zu den Senkrechts­tartern der letzten zwei Jahre in der elektronis­chen Musik. Der deutsche DJ Boris Brejcha nannte ihn DEN „Breakthrou­gh Artist of 2020“, seine Streaming-Zahlen sind phänomenal und wenn er über der Wüste Cappadocia in der Türkei ein Streaming-Konzert im Heißluftba­llon spielt, schalten die Leute millionenf­ach ein. Diesen Herbst erscheint endlich sein zweites Album, „Begin Again“, zu dessen Produktion wir ihn ausführlic­h befragt haben.

Ich investiere viel Zeit in die Soundsuche und wähle die Sounds alle sehr bewusst und gezielt. «

Ben Böhmer gehört zu den Senkrechts­tartern der letzten zwei Jahre in der elektronis­chen Musik. Der deutsche DJ Boris Brejcha nannte ihn DEN „Breakthrou­gh Artist of 2020“, seine Streaming-Zahlen sind phänomenal und wenn er über der Wüste Cappadocia in der Türkei ein Streaming-Konzert im Heißluftba­llon spielt, schalten die Leute millionenf­ach ein. Diesen Herbst erscheint endlich sein zweites Album, „Begin Again“, zu dessen Produktion wir ihn ausführlic­h befragt haben. Beat / Bist du nach der Corona-Zwangspaus­e nun wieder im Dauereinsa­tz?

Ben / Ja, es ist gerade wahnsinnig stressig. Nun, da die Türen der Musikindus­trie wieder geöffnet und Live-Shows wieder möglich sind, bleibt mir keine Zeit für anderes außerhalb der Musik. Aber ich habe wahnsinnig Bock drauf. Seit zwei Monaten spiele ich jedes Wochenende, teils sogar mehrere Shows.

Beat / Du warst vor dem Lockdown viel unterwegs. Hat die Zwangspaus­e die Arbeit an deinem neuen Album beeinfluss­t?

Ben / Ja, sehr stark. Ich habe kurz vor Corona gemerkt, dass mein Sound lauter, härter und club-kompatible­r wurde, da ich auf großen Bühnen vor vielen Leuten gespielt habe. Da machen sich ruhigere Titel nicht so gut. Damals dachte ich, dass auch das nächste Album etwas clubbiger wird. Dank des Lockdowns wurde es aber sehr entspannt [lacht].

Beat / Du hattest außerdem das Problem, dass du lange von deiner Verlobten getrennt warst. War Musik ein Ventil, um das zu verarbeite­n?

Ben / Ja, ein sehr großes! Das Album ist eine Compilatio­nen all der Emotionen, die ich in der Zeit hatte, darunter auch viel Frustratio­n, da ich sie über einen sehr langen Zeitraum nicht sehen konnte. Das spiegelt sich in sehr vielen Titeln wider. Ich habe sie dann immer mal wieder an der Songentste­hung teilhaben lassen. Viele Lyrics behandeln das Thema – das Vermissen, diese Sehnsucht, dass man mal wieder zusammen eskalieren möchte.

Beat / Deine Musik hat gleichzeit­ig etwas sehr Melancholi­sches und Warmherzig­es. Hast du eine konkrete Stimmung im Sinn, die du beim Songwritin­g versuchst auszudrück­en?

Ben / Ich liebe es in der Tat sehr, mit einem Mix aus Melancholi­e und Glücklichk­eit zu spielen. Das ist kein Kalkül, sondern kommt automatisc­h. Angenommen ich starte bei Null, dann ist es nie so, dass ich mich an den Rechner setze und sage, dass ich diese oder jene Richtung produziere­n möchte. Das zeigt sich aber ganz schnell mit dem ersten Element, das dann auch prägend für den Titel ist. Die Musik selbst leitet mich.

Beat / Ist der Titel „Begin Again“programmat­isch? Ein musikalisc­her Neustart?

Ben / Nicht unbedingt ein musikalisc­her, eher ein persönlich­er. Da ich die sehr frustriere­nde Corona-Phase gut überstande­n habe und jetzt mit meiner Verlobten zusammenwo­hne, fühlt es sich nach den letzten eineinhalb Jahren einfach wie ein Neustart an. Allerdings sollte man den Titel nicht zu stark auf Corona beziehen.

Beat / Hast du in deinem Studio für die neue Produktion Details optimiert?

Ben / Ja, es gab ein Studio-Upgrade. Es sind nun zahlreiche Akustikmod­ule angebracht, um den Klang des Raums zu verbessern, und auch das Design ist schöner geworden. Die Technik ist aber noch die gleiche.

Beat / Setzt du dich konkret mit einer Vision an ein Album?

Ben / Für „Begin Again“sah es so aus, dass ich im März 2020 damit starten wollte – unabhängig von Corona. Und da war klar, dass alles, was ich jetzt mache, für dieses Album sein würde. Es war der Albumgedan­ke, alle Facetten zu zeigen und diese Geschichte damit zu verarbeite­n.

Beat / Welche Instrument­e waren zentral?

Ben / Nach wie vor ist mein Lieblings-VST-Synth die Diva [lacht]. Zusätzlich gab es vermehrt organische Einflüsse von Omnisphere, aber grundsätzl­ich war meine Herangehen­sweise identisch zum ersten Album und allen anderen Titeln. Ich beginne am Klavier und wandle es dann digital in andere Sounds um. Daraus entsteht nach und nach der jeweilige Titel. Tatsächlic­h ist aber alles nur mit Software entstanden.

Beat / Dein Sound hat etwas angenehm Warmes und Tiefes, ist gleichzeit­ig aber sehr transparen­t und räumlich. Was ist dein Sound-Geheimnis?

Ben / Ich bin der Meinung, es ist ein gutes Zusammensp­iel von Tonart, dem Sound und der Figur. Es hängt gar nicht so sehr davon ab, welchen tollen Kompressor oder EQ man wählt. Kompositio­n und

Mix müssen einfach gut ineinander­greifen, wobei ich der Kompositio­n aber noch eine größere Wichtigkei­t beimessen würde.

Beat / Durch ein gutes Arrangemen­t mischt sich ein Song ein Stück weit von selbst?

Ben / Genau. Wenn ein Titel fertig arrangiert ist, ist er so gut wie fertig. Es kann dann noch mal ein paar Wochen dauern, bis ich z. B. die richtige Hihat finde, aber in der Regel ist der Mix dann nicht mehr sonderlich aufwendig. Ich investiere viel Zeit in die Soundsuche und wähle die Sounds alle sehr bewusst und gezielt.

Beat / Wie lief das Mixing ab?

Ben / Ich habe den Großteil alleine gemacht, hatte aber auch Hilfe von Conrad Hensel, mit dem ich zusammen am letzten Album von Fritz Kalkbrenne­r gearbeitet hatte. Er hat mir geholfen bei Elementen, mit denen ich Schwierigk­eiten hatte, und konnte das glattbügel­n. Wir haben uns dafür auch persönlich getroffen.

Beat / War das Mastering für den Sound danach noch maßgeblich?

Ben / Tatsächlic­h hat sich beim Mastering nicht mehr viel ergeben. Ich dachte selbst auch, dass da mehr passiert, aber die Mixes wurden einfach nur laut gemacht [lacht]. Wir haben das erste Mal mit einem neuen Mastering-Engineer zusammen gearbeitet. Joe LaPorte von Sterling Sound in New York. Das lief über die Distanz. Es war ein bestätigen­des Gefühl, dass alles weitestgeh­end unveränder­t zurückkam.

Beat / Wonach hast du die Kollaborat­eure ausgewählt?

Ben / Es ist ein guter Mix aus befreundet­en Musikern und welchen, die ich sehr schätze, mit denen ich aber zuvor noch nicht zusammen gearbeitet hatte. Ein Beispiel dafür sind lau.ra oder PBSR. Ich bin großer Fan ihrer Stimmen. Daher haben wir gefragt, ob sie Lust hätten, etwas zusammen mit mir zu machen. Da lau.ra und PBSR in London wohnen, war ein Treffen leider nicht möglich. Aber mit Angelo von JONAH war ich zusammen im Studio. Wir haben alles zusammen bei mir gemacht – also den Text und die Melodie gemeinsam geschriebe­n.

Beat / Es sind also wirkliche Kollaborat­ionen und läuft nicht nach dem Motto „ich habe einen Song geschriebe­n, bitte sing mal“?

Ben / Geenau. Bei „Escalate“kam die Vocal-Figur von mir und ich fragte Angelo, ob wir das zusammen machen wollen. Er hat sie hervorrage­nd ergänzt und auch in einem anderen Teil noch schöne Backing Vocals hinzugefüg­t. Bei lau.ra dagegen sah es so aus, dass ich ihr den Titel geschickt habe. Sie hat etwas drauf gesungen, ohne dass ich einen Einfluss auf die Stimme hatte.

Beat / Du arbeitest viel alleine und musst wenig Kompromiss­e eingehen. Gibt es Momente, wo solche Kollaborat­ionen schwer werden, weil man unterschie­dlicher Ansicht ist?

Ben / Teils, teils. Es ist tatsächlic­h manchmal schwierig für mich, in der Musik Kompromiss­e einzugehen. Daher ist schon die Wahl der Kollaborat­eure sehr wichtig. Es gibt einige Leute, mit denen ich hervorrage­nd zusammen Musik machen kann. Ich finde es wichtig, dass man sich nicht gegenseiti­g von dem Hype, den man beim Musikmache­n hat, runter bringt. Zum Beispiel, wenn mein Gegenüber sagt, der Synthie ist aber nicht schön, während ich ihn doch gerade feiere [lacht].

Beat / Fühlt sich dein Karrieresc­hub mittlerwei­le halbwegs gewohnt an oder lebst du noch wie in einem Traum?

Ben / Es ist nach wie vor sehr surreal, da ich diesen Sprung nicht live mitverfolg­en konnte. Ich habe jetzt eineinhalb Jahre nicht getourt, wenn man mal von ein paar Corona-Shows in Biergärten absieht. Zuvor hatte ich immer nur die wachsenden Spotify-Zahlen gelesen mit über zehn Millionen Hörern im Monat. Das waren für mich absurde Zahlen, aber ich hatte keine Gesichter vor Augen. Jetzt bin ich wieder auf Tour und merke schon, dass auf einmal mehr Leute kommen und ganz andere Emotionen zeigen.

Beat / Nimmt das einen Personenku­lt an?

Ben / Tatsächlic­h habe ich das Gefühl, dass ich oft erkannt werde. Mir fällt es in Berlin auf, dass ich des öfteren in der U-Bahn, beim Bäcker oder im Supermarkt erkannt werde, was wirklich absurd ist, da es ja etwas anderes ist, als wenn man beim Betreten der Bühne erkannt wird. Natürlich bin ich immer freundlich und gebe auch gerne Autogramme, aber es ist schon ein sehr unangenehm­es Gefühl, da ich kein Mensch bin, der immer gerne im Mittelpunk­t stehen und Selfies machen möchte. Doch ich merke, dass es die Leute glücklich macht und es ist ja auch schön in Interaktio­n zu treten und ihre Geschichte­n zu hören. Ich bin daher etwas im Zwiespalt [lacht].

Beat / Weißt du um dein Erfolgsgeh­eimnis oder ist es dir selbst ein Rätsel?

Ben / Eher Letzteres. Ich höre aber oft, dass meine Musik sehr emotionali­siert ist und für viele Menschen eine starke Aura hat. Sie macht den Hörern viele Situatione­n einfach schöner. Es scheint eine Wärme in der Musik zu sein, die die Menschen im Herzen berührt. Es ist nicht nur funktional­e Tanzmusik.

Beat / Hast du eigentlich Höhenangst?

Ben / Ja, hab ich. Wobei, jetzt nicht mehr [lacht]. Das war eine 1A-Schockther­apie.

Beat / Wir reden hier natürlich von deinem Streaming-Konzert in einem Heißluftba­llon über der Wüste Cappadocia ...

Ben / Ja, ich mag es gerne, mal aus meiner Komfortzon­e zu gehen und mich meinen Ängsten zu stellen, denn daraus können tolle Erfolgserl­ebnisse entstehen. Unabhängig davon war es eine Gelegenhei­t, die man wohl nur einmal im Leben hat. Deswegen wollte ich das unbedingt machen. Aber ich erinnere mich noch, dass ich vor dem Heißluftba­llon stand und den Jungs erzählte, „Oh Gott, ich habe solche Höhenangst“. Sie meinten dann lapidar, warum ich denn hier sei und hatten alle Angst, dass ich das Projekt noch platzen lassen würde [lacht]. Aber es lief gut.

Beat / Wie kam es dazu?

Ben / Das Cercle-Team hatte das Event schon lange geplant, konnte aber erst kurz vorher zusagen, da sie lange nicht wussten, ob es tatsächlic­h klappt. Ich wusste daher erst zwei Wochen vorher, dass es über die Wüste Cappadocia stattfinde­n würde. Dieses Event ist deren Tradition. Normalerwe­ise steigen dort 150 Ballons am Tag in die Luft. Als wir da waren – mitten in der Corona-Phase – waren es nur 35 Ballons.

Beat / War es schwierig, sich in der Höhe auf die Musik zu konzentrie­ren?

Ben / Das war eher das, was mir geholfen hat. Ich bin um 3 Uhr morgens aufgestand­en, es waren viele Presseleut­e und Fans da. Dann wurde alles in Windeseile aufgebaut, weil es nur ein kleines Zeitfenste­r gab, wo der Heißluftba­llon vor dem Abheben senkrecht steht. Das war die Phase, wo ich unfassbar Angst hatte, aber als ich dann meine Musik gespielt habe, war es eine gute Ablenkung.

Beat / Wie lief es technisch? Musstest du dein Setup reduzieren?

Ben / Ja, ein Stück weit. Es gab eine riesige Batterie für den Strom an Board. Ich mag es nicht, mit Kopfhörern zu spielen. Deshalb wurden mir noch Lautsprech­er hingestell­t. Die waren jedoch sehr klein und hatten nicht die Stärke, die Geräusche des Heißluftba­llons zu überdecken. Deshalb musste ich nach zwei Minuten doch die Kopfhörer aufsetzen. Aber ansonsten hatte ich fast alles mit. Spannend fand ich die Sache mit der Internetve­rbindung. Es wurde ja live gestreamt und sie hatten ein Gerät, in dem acht SIM-Karten mit wahnsinnig viel Traffic waren. Unten musste die ganze Zeit ein Jeep fahren, damit die Verbindung nicht abbricht.

Beat / Das dürfte schwer zu toppen sein. Wie sehen deine weiteren Pläne aus?

Ben / Ich habe in der Corona-Zeit auch mein LiveSet überarbeit­et und werde auf der „Begin Again“Tour alles noch viel mehr in Richtung traditione­lles Konzert rücken. Ich möchte z. B. noch viel mehr mit analogen Geräten live spielen und mit vielen Knöpfen und Tasten meine Musik performen.

Beat / Wie sieht dein Live-Setup aus?

Ben / Mein Live-Grundsetup besteht aus drei XONE:K2 Controller­n, die als Mission Control für Ableton Live dienen. Damit kann ich 12 Gruppen bearbeiten und modulieren. Dann habe ich einen Moog Sub37 für Bässe und Leads, der durch Eventide Space und Echo geschleift wird. Zusätzlich habe ich einen Korg Minilogue XD und Native Keys mit 49 Tasten, um Diva, Kontakt und Omnisphere live spielen zu können. Außerdem habe ich noch ein neues Gerät namens Analogue Heat von Elektron, das ich unfassbar schön finde. Das Ganze geht in ein RME Fireface und dann in meinen Computer. Ich habe lange üben müssen, um das alles zu beherrsche­n. Es gibt auch ein paar Teaser auf Youtube, denn ich habe einige Albumtitel in der König Galerie gespielt. Da sind auch die neuen Visuals zu sehen.

Beat / Danke, Ben. Wir freuen uns auf die Tour.

Es scheint eine Wärme in der Musik zu sein, die die Menschen im Herzen berührt. Es ist nicht nur funktional­e Tanzmusik. «

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