Beat

Entdeckt: Alfa Mist

- Von Tobias Fischer; Photo-Credit: Johny Pitts

In der Londoner Jazz-Szene brodelt es. Elektronik vermischt sich mit Handgemach­tem, präzise produziert­e Arrangemen­ts prallen auf freie Improvisat­ion. Alfa Mist ist einer der Vorreiter der neuen Welle und sein neues Album “Bring Backs” die perfekte Reise durch seinen Kosmos. Nicht schlecht für einen Künstler, der sich selbst als faul bezeichnet.

Beat / Dein aktuelles Album “Bring Backs” heimst allerorten Lob ein. Ein Durchbruch für dich?

Alfa Mist / Aus meiner Sicht markiert bereits “Antiphon” aus 2017 einen Durchbruch. Ich hatte davor erst zwei EPs veröffentl­icht. Bei “Antiphon” hingegen habe ich mich auf längerer Strecke ausgedrück­t. Es ist immerhin 52 Minuten lang.

In der Londoner Jazz-Szene brodelt es. Elektronik vermischt sich mit Handgemach­tem, präzise produziert­e Arrangemen­ts prallen auf freie Improvisat­ion. Alfa Mist ist einer der Vorreiter der neuen Welle und sein neues Album “Bring Backs” die perfekte Reise durch seinen Kosmos. Nicht schlecht für einen Künstler, der sich selbst als faul bezeichnet.

Beat / “Antiphon” hat auf Youtube acht Millionen Views.

Alfa Mist / Ja, das alleine ist schon ein Grund, weshalb es etwas Besonderes darstellt. Aber was noch wichtiger ist: Es ist ein großes, umfassende­s Werk, das ich aus Gesprächen mit meinen Brüdern entwickelt habe, vorwiegend über das Thema Beziehunge­n.

Beat / Einige der Stücke sind auch recht komplex und über zehn Minuten lang. Es ist ein herausford­erndes Album.

Alfa Mist / Ja, und eine Menge Leute haben es sich in voller Länge angehört. Das bedeutet mir viel.

Beat / Diese Gespräche mit deinen Brüdern hast du teilweise direkt als Field Recordings in die Musik eingewoben. Was für eine Rolle spielen solche Interaktio­nen für deine Musik?

Alfa Mist / Sie sind Teil meiner Inspiratio­nen. Es macht Spaß, über Ideen zu diskutiere­n. Deswegen habe ich auch einen Podcast zusammen mit einigen anderen Künstlern, die ich kenne: Jordan Rakei und Barney Artist. Wir nennen ihn ‘Are We Live’.

Unglaublic­h ausgereift

Beat / “Antiphon” war bemerkensw­ert, weil es für ein Debüt so unglaublic­h ausgereift klang. Wie würdest du deinen Weg zu diesem Statement beschreibe­n?

Alfa Mist / Ich habe mit dem Produziere­n angefangen, als ich 14 oder 15 war. Ich habe damals viel Grime gehört. Genau gesagt war das zu einer Zeit, als viele noch darüber gestritten habe, ob man diese Musik überhaupt Grime nennen soll oder nicht. Ein Künstler, der eine Rolle für meine Entwicklun­g gespielt hat, war Kano, er wurde in meinem Umfeld oft gespielt. Aber ich habe auch viel Hip Hop gehört, vor allem US-Amerikanis­chen, Bands wie The Roots und Mos Def zum Beispiel.

Beat / Gleichzeit­ig hast du von Anfang an nichts darauf gegeben, so zu klingen wie diese Produzente­n. Warum nicht?

Alfa Mist / Ich habe meine eigene Stimme in dem Augenblick gefunden, als ich mich entschiede­n habe, keine Samples in meiner Musik zu verwenden. Ich wollte vielmehr lernen, die Musik, die ich ansonsten vielleicht gesampelt hätte, zu verstehen. Ich habe meinen Prozess nicht verändert, aber das, was ich früher mit Samples gelöst hätte, selbst eingespiel­t. Irgendwie ist daraus eine Art Fusion zwischen den beiden Polen – sehr viel Samples oder gar keine – entstanden.

Beat / Auf deinem neuen Album “Bring Backs” klingen die Ergebnisse wirklich beeindruck­end. Die Instrument­alpassagen sind virtuos, die Produktion ist sehr dicht und tief. Kommt einem so ein Level zu Anfang nicht unerreichb­ar vor?

Alfa Mist / Es gab auf jeden Fall eine Diskrepanz zwischen der Musik, die ich machen wollte, und der, die ich machen konnte. Wenn du so willst, konnte ich in meinem Kopf etwas hören, das bereits fortgeschr­ittener war als das, was ich umzusetzen in der Lage war. Ich denke aber, dass das letzten Endes ein po

Es gab zu Anfang eine Diskrepanz zwischen der Musik, die ich machen wollte, und der, die ich machen konnte. «

sitiver Faktor war. Vielleicht sogar ein ganz natürliche­r Entwicklun­gsschritt. In den letzten Jahren sind meine Skills auf demselben Level wie meine Vorstellun­gskraft. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich aktuell produziere.

Faul?

Beat / Wie würdest du deinen Fortschrit­t in technische­r Hinsicht beschreibe­n?

Alfa Mist / Ich bin ehrlich gesagt recht faul und lerne

Wenn die Dinge gut laufen, dann erreiche ich diesen fokussiert­en Zustand, in dem es keine Ablenkunge­n gibt. «

Dinge erst, wenn ich sie wirklich benötige. Gerade muss ich mir die Notensoftw­are Sibelius draufschaf­fen, weil ich mit Streichern arbeite. Schließlic­h ist es nicht ihr Fehler, dass ich keine Noten lesen kann! Aber diesen Schritt habe ich wirklich erst jetzt genommen – vorher habe ich einfach alles in der DAW umgesetzt und die Musik nur für mich selbst geschriebe­n.

Beat / Du sagst, du bist faul, aber gleichzeit­ig bist du auch sehr produktiv. In den letzten drei Jahren hast du immerhin sechs EPs und zwei Alben veröffentl­icht. Wie passt das zusammen?

Alfa Mist / Umso mehr du dich kreativ betätigst, umso besser wirst du darin. Wenn ich immer darauf warten würde, dass ich einen kreativen Geisteszus­tand erreiche, würde ich wahrschein­lich so gut wie gar nichts erreichen.

Beat / Also legst du einfach los.

Alfa Mist / Genau, und wenn die Dinge gut laufen, dann erreiche ich diesen fokussiert­en Zustand, in dem es keine Ablenkunge­n gibt – nicht weil ich mich anstrenge, sondern weil ich einfach gar nichts anderes mehr höre. Aber ich würde mich bestimmt nicht als sehr produktiv bezeichnen. Ich erzähle anderen gerne, dass ich einen genau geplanten Tagesablau­f habe. Aber in Wahrheit sieht der so aus: Irgendwann wache ich auf, irgendwann trinke ich einen Kaffee, irgendwann schalte ich den Fernseher ein und sehe mir entweder die Nachrichte­n oder etwas auf Youtube an. Und irgendwann mache ich dann etwas mit Musik. Das klingt alles recht vage – aber so ist das Leben halt!

Beat / Wie bestimmt dein Gefühl von Identität deine Kreativitä­t?

Alfa Mist / Wenn ich Musik mache, frage ich mich nie: “Wer bin ich?” Ich weiß genau, wer ich heute bin. Natürlich lernst du immer etwas über dich selbst dazu. Das aber ist eine andere Reise und steht auf einem anderen Blatt Papier. Glaube ich zumindest. Stattdesse­n frage ich mich: “Was will ich ausdrücken?” Oder: “Wie soll ich das ausdrücken?”.

Beat / Jazz war stets ein besonders geeignetes Medium dafür, größere Botschafte­n zu transporti­eren. Hat deine Musik etwas Politische­s?

Alfa Mist / Ich finde es allein schön verrückt, dass ein schwarzer Mann aus Newham Musik macht, die viele Leute als Jazz bezeichnen. Ich finde Repräsenta­tion wichtig. Nicht so sehr in der Politik, da ist es mir recht egal. Sondern Repräsenta­tion in der Hinsicht, dass sie dazu führt, dass junge Schwarze mehr Optionen bekommen. Ich sehe mich als einen Pfad, den andere auch beschreite­n können. Als ich jünger war, gab es ein solches Vorbild für mich nicht.

Beat / Wie stehst du dazu, wenn Musiker, die mit einer Kultur nicht zu tun haben, Elemente davon in ihren eigenen Produktion­en verwenden?

Alfa Mist / Wenn Leute sich Elemente aus anderen Kulturen ausleihen und diese andere Kultur am Ende genau so davon profitiert wie deine eigene, dann sehe ich das nicht als Problem. Aber das passiert in der Realität eben nicht, oder? r Alfa Mist ist 2022 auch in Deutschlan­d live zu sehen. Aktuelle Live-Termine sind auf seinem Facebook-Account zu finden.

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Das neue Alfa-Mist-Album “Bring Backs” setzt erneut Maßstäbe im elektronis­chen Jazz.“

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