Porträt: Jon Hopkins
Ein Album ohne Beats in der Beat? Und das von Jon Hopkins? Oh ja, der Meister der elektronischen SupersizeSoundscapes hat mit „Music For Psychedelic Therapy“ein reduziertes, ruhiges Ambient-Album veröffentlicht. Es basiert auf psychedelischen Erfahrungen und einem Trip zu den Tayos-Höhlen in Ecuador – hat also definitiv eine spirituelle Dimension. So dürfte es nicht überraschen, dass es in unserem Interview nicht nur um Sounddesign und technische Details ging.
Ein Album ohne Beats in der Beat? Und das von Jon Hopkins? Oh ja, der Meister der elektronischen Supersize-Soundscapes hat mit „Music For Psychedelic Therapy“ein reduziertes, ruhiges Album veröffentlicht, das die meisten wohl als Ambient bezeichnen würden. Es basiert auf psychedelischen Erfahrungen und einem
Trip zu den Tayos-Höhlen in Ecuador – hat also definitiv eine spirituelle Dimension. So dürfte es nicht überraschen, dass es in unserem Interview mit dem britischen Ausnahme-Producer nicht nur um Sounddesign und technische Details ging, sondern auch um Themen wie Meditation, das Ankommen in der Einfachheit und den amerikanischen Guru Ram Dass. Beat / Jon in einem Zitat zum neuen Album sagst du: „Psychedelisch unterstützte Therapien sind weltweit auf dem Weg in die Legalität, und doch hat man das Gefühl, dass niemand über die Musik spricht“. War es deine Absicht, ein Album zu machen, das ein Heilmittel für andere Menschen sein kann?
Jon / Nicht, als ich damit begann. Ich sage oft, dass ich einem Instinkt, einem Gefühl oder einer Intuition folge, wenn ich Musik schreibe. Da ist etwas, das durchkommen will. Anfang dieses Jahres, als ich mich mitten in einer Schreibphase befand, kam der Titel wie von selbst zu mir. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein ein Album geschrieben, das für einige Leute hilfreich sein könnte? Der komplette Titel fiel mir nach einer psychedelischen Erfahrung, die ich hatte, ein. Es schien, dass ich gar keine andere Wahl hatte, denn es musste einfach so heißen. Es mag seltsam klingen, aber genau so hat es sich eben angefühlt.
Beat / War die Reise zu den Tayos-Höhlen in Ecuador die psychedelische Erfahrung, auf die du dich beziehst?
Jon / Nein. Das war nicht psychedelisch, aber es war der ursprüngliche Samen für das Album. Diese Höhlen, die wir besuchten, haben auch eine psychedelische Geschichte. Mir wurde erzählt, der örtliche indigene Stamm – der Shuar-Stamm – hält in der Höhle Ayahuasca-Zeremonien ab. Aber ich selbst habe das nicht gemacht. Die psychedelischen Erfahrungen, die ich hatte, waren in
England. Pilze, und vor allem DMT hatten einen Einfluss auf die Musik, die ich geschrieben habe. Es scheint, als hätte ich die in den Pflanzen enthaltenen Informationen direkt gechannelt. Das hört sich vielleicht seltsam an, aber genau daher kommt der Sound des Albums. Es ist wie eine Zusammenarbeit zwischen der natürlichen Welt und meinen elektronischen Sachen.
Beat / Du sagst auch, dass das Album eine völlig neue Dimension annimmt, wenn man es in eine psychedelische Zeremonie einbringt. Was ist damit gemeint? Ich dachte dabei an Aldous Huxley, der einst versuchte, die Türen der Wahrnehmung zu öffnen, indem er mit Meskalin experimentierte ...
Jon / Ich habe „Doors Of Perception“nicht gelesen, aber ich vermute, ich habe vor allem die Erfahrung gemacht, dass Musik in der psychedelischen Phase eine dimensionalere Qualität annimmt. Dass sie tatsächlich zu einem Ort wird, den man bewohnt, anstatt etwas, das einfach passiv in dem Raum läuft, in dem man ist. Man schreibt anders, wenn man dafür komponiert. Ich wollte keine Verzerrungen und Aggressionen hören und es gibt keine Beats. Es existiert eine Menge Intensität auf dem Album, aber es gibt keinen Rhythmus oder Kick-Drums oder so etwas. Für mich ist die Art von psychedelischer Erfahrung, nach der ich gesucht habe, ein Weg, der vom Rhythmus wegführt hin zu tieferen Erkundungen des Selbst und des Klangs. In erster Linie ist es natürlich einfach ein Musikalbum, aber es hat eine Art „Nebenfunktion“als psychedelisches Album.
Beat / In welchem Gemütszustand hast du diese Stücke kreiert?
Jon / Nun, es war eine sehr ungewöhnliche Zeit – für uns alle. Die Ecuador-Reise war der Auslöser, aber das war schon 2018. Das Songwriting begann erst im Juni 2020 richtig. Es war ein seltsames Jahr, gelinde gesagt, und es gab eine Menge Dunkelheit und Schwierigkeiten, die ja alle durchgemacht haben. Besonders der englische Winter von Januar bis Mai war eine Zeit intensiver Konzentration und großer Einfachheit, weil alles zu war. Ich wohnte nicht mehr zu Hause, da an meinem Haus gearbeitet wurde, sondern an einem anonymen Ort. Von dort aus ging ich jeden Tag zur Arbeit. Und die Arbeit in diesem konzentrierten, tranceartigen Zustand brachte dann diese Musik hervor, die sich wie aus dem Universum empfangen anfühlte. In gewisser Weise war es sehr psychedelisch, obwohl meine einzige Droge mal ein Bier am Abend war.
Beat / Du hast also erst später mit dem fertigen Album die Probe aufs Exempel bei einem psychedelischen Ritual gemacht?
Jon / Das ist richtig. Gegen Ende probierte ich es in Kombination mit einer Ketamin-Therapie aus und fand heraus, was noch fehlte. Als es fertig war, habe ich es dann noch einmal ausprobiert und festgestellt, dass es so war, wie es sein sollte. Es war fantastisch, denn zu diesem Zeitpunkt hat es bei mir wunderbar funktioniert. Ich hoffe, dass die Leute dasselbe erfahren, wenn sie es hören.
Beat / Der Track „Sit Around The Fire“ist in Zusammenarbeit mit East Forest entstanden und ihr habt Sprachaufnahmen des Gurus Ram Dass („Be Here Now“) verwendet. Wie kam es dazu?
Jon / Ich wurde von East Forest über eine gemeinsame Freundin, die brasilianische DJane ANNA, kontaktiert. Wir sind beide Fans von ihr und ich hatte schon mit ihr kollaboriert. Sie stellte den Kontakt her, und East Forest fragte mich, ob ich an diesem Ram Dass-Vortrag von 1975 mitarbeiten wollte. Ich hörte ihn und dachte, wow, das ist toll. Also wollte ich natürlich daran arbeiten. Er schickte mir ein paar Sachen als Ausgangspunkt. Einige Hintergrundgesänge und Chorklänge. Ich schrieb das Stück um diese Elemente herum. Das war der zweite Track, der für das Album geschrieben wurde. Der erste Track war das Ecuador-Stück. Als ich dieses Stück dann hatte, entwickelte sich die Idee, dass daraus ein ganzes Album erwachsen könnte. Das war ein sehr schöner und aufregender Moment.
Beat / Hattest du vorher Bücher von Ram Dass gelesen?
Jon / Ja, ich habe „Be Here Now“seit etwa sechs Jahren. Es hat mir sehr gut gefallen, wie es seine Geschichte erzählt, wie er zu dem wurde, was er war. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Vorträge schon gehört hatte, aber es war großartig, mit einem zu arbeiten.
Beat / „Music For Psychedelic Therapy“könnte auch ein perfektes Meditationsalbum sein. Meditierst du selbst regelmäßig?
Jon / Ja. Ich mache transzendentale Meditation, normalerweise zweimal am Tag oder zumindest einmal täglich. Entweder nach dem Aufwachen oder am Abend. Ich finde das sehr hilfreich. Es ist schon komisch, denn ich denke auch, dass es Leute gibt, die dieses Album für Meditation hilfreich finden werden. Aber für mich ist es definitiv etwas anderes. Ich sehe es als intensiver an. Doch ich denke, das hängt davon ab, wie man es hört und mit welcher Lautstärke. Ich möchte, dass die Leute es bewusst und in angemessener Lautstärke hören und sich vielleicht dazu hinlegen und sich ganz der Musik hingeben. Aber was auch immer sich für die Leute natürlich anfühlt, ist großartig.
Beat / Ein Stück heißt „Love Flows Over Us In Prismatic Waves“. Auf welches Liebeskonzept bezieht sich dieser Titel?
Jon / Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, die Titel entstehen in so eine Art Ideenbewusstseinsstrom. Sie fallen mir beim Erleben und Erschaffen der Musik ein. Es ist einfach das, wonach es klingt. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Die einzige Erklärung für die Titel, die ich anbieten kann, ist die Musik selbst.
Beat / Ein anderer Titel lautet „Arriving“. Was bedeutet Ankommen für dich?
Jon / Nachdem die musikalischen Elemente zu Ende sind, gibt es einen ganzen Abschnitt lang fast nur Stille. Es ist der Wald bei Nacht. Man hört eine Eule und mein Freund raucht seine Pfeife. Das hat mit dem Erreichen einer gewissen Einfachheit zu tun. Im Moment ankommen nach der Komplexität der psychedelischen Erfahrung. Nachdem die klangliche Reise des Albums vorbei ist, bleibt nur noch der Nachthimmel. Das war die Idee dahinter.
Beat / Apropos in der Einfachheit ankommen: Im Vergleich zu deinen früheren Alben klingt „Music For Psychedelic Therapy“simpler. War diese Einfachheit eine Herausforderung oder fällt es dir leicht, derart reduzierte Musik zu schreiben?
Jon / Sie ist eigentlich gar nicht so einfach. Die Schichten des Sounddesigns sind tatsächlich sogar komplizierter. Es ist nur so, dass es simpler wirkt. Klanglich und technisch ist dieses Album komplexer als alles, was ich bisher gemacht habe, weil es keine Beats hat. Die Komplexität verbirgt sich in den Texturen der verschiedenen Schichten. Wenn du die Ableton-Sessions sehen würdest, würdest du sicher zustimmen. Es sind 300 Spuren und klingt wie drei Sounds. Ich wollte
Das Album könnte einige Leute überraschen.
zudem, dass es lebendig klingt, als würdest du an einem bewohnten Ort leben. Das war nicht leicht zu erreichen.
Beat / Lass uns über die technische Seite des Albums sprechen. Mit welchen Instrumenten oder Software hast du es kreiert?
Jon / Ich mache alles mit Ableton. Einige der wichtigsten melodischen Elemente kommen aus dem Moog One und meinem Klavier, dessen Sounds viel bearbeitet wurden, sodass das Instrument nicht mehr identifizierbar ist. Und dann war da der Ensoniq Fizmo, ein obskurer 90s-Synth. Mein Freund Dan, der unter dem Namen 7RAYS agiert, steuerte den Fizmo-Sound bei, den man im ersten Track „Welcome“und in „Ascending, Dawn Sky“hören kann. Es ist eine Art generative kosmische Synthese, ein sehr ungewöhnlicher Klang. Ich liebe das. Und es gibt viele sehr lange Plug-in-Ketten und viel Resampling und Pitching. Ich mag es, sehr billige Plug-ins zu verwenden und sie zu pushen. Ich benutze die Artefakte, die sie kreieren, und arbeite dann viel mit Pitching und Harmonizern. Auf diese Weise kreiere ich Klänge, die der Hersteller nie beabsichtigt hatte, die aber am interessantesten sind.
Beat / Und was ist mit Plug-ins?
Jon / Ich benutze die Üblichen wie die Soundtoys-Sachen, Altiverb und es gibt ein Plug-in von Native Instruments namens Una Corda. Es ist ein auf Kontakt basierendes Sampler-Plug-in und ich denke, Nils Frahm war an der Entwicklung beteiligt. Ich benutze es nicht, um Klavierklänge zu erzeugen, aber wenn man mit den Settings etwas experimentiert, kann man damit organisch anmutende Streicherklänge erzeugen. Es ist schwer zu beschreiben. Viel mehr gibt es eigentlich nicht. Es ist die gleiche Instrumentenpalette, die ich auch bei „Singularity“verwendet habe.
Beat / Du änderst also nicht für jedes Album dein Setup, um dich neu zu inspirieren?
Jon / Nein. Normalerweise füge ich nur eine Sache pro Album hinzu. Für „Immunity“bin ich zum Beispiel von Cubase auf Logic umgestiegen und habe den MS-20 zu meinem Setup ergänzt und für „Singularity“bin ich auf Ableton umgestiegen, was eine große Umstellung war. Danach habe ich den Moog One gekauft und bin jetzt außerdem in einem neuen Studio. Es ist ein größerer Raum mit besserer Akustik. Es ist viel einfacher, hier Musik zu machen.
Beat / Bevorzugst du Hardware oder denkst du, dass es egal ist, ob es Hardware oder Software ist, solange es gut klingt?
Jon / Ich stimme voll und ganz zu, dass es egal ist, aber ich verwende dennoch keine Soft-Synths. Okay, wenn man die Sampler als Soft-Synths bezeichnen will, dann benutze ich durchaus Soft-Synths. Aber echte Synthese findet bei mir im Moog One, MS-20 oder Korg Trinity statt. Ich liebe es einfach, eine Tastatur mit Dioden darüber zu haben und möchte nicht an einem Bildschirm herumfummeln oder Dinge mappen, um die Sounds zu steuern. Ich mag die Optik und das Spielgefühl echter Synthesizer und finde insbesondere den Moog One als Ausgangspunkt für Tracks sehr inspirierend. Er hat einfach so einen tollen Klang.
Beat / Bist du an die Ambient-Tracks anders herangegangen als an deine traditionellen Eletro-Tracks?
Jon / Nein. Es ist das gleiche Prinzip. Ich beginne immer damit, einen Sound zu kreieren und ihn erst mal zu spielen. Dabei reagiere ich wiederum auf diesen Sound. Es spielt keine Rolle, ob Drums vorhanden sind oder nicht. Es ist nur ein Werkzeug, um dieser Intuition zu folgen, und es kann passieren, dass man den Anfangssound am Ende gar nicht mehr verwendet. Dennoch ist es wichtig, ihn erst einmal festzuhalten, um darauf reagieren zu können.
Beat / Versuchst du deine Tracks spontan zu kreieren oder arbeitest du über viele Monate daran?
Jon / Es ist eine Mischung. Für mich geht es am Anfang darum, den Moment einzufangen. Ich nehme dann viele Dinge sehr schnell auf. Der melodische Inhalt eines Titels kann innerhalb eines Tages entstehen. Aber für das Sounddesign, all die Details und das Mixing investiere ich viel Zeit. Ich versuche ja nicht, Lo-Fi-Musik zu machen, die klingt, als wäre sie in einem Rutsch entstanden. Stattdessen baue ich komplexe Klangwelten.
Beat / Dieses Ambient-Album könnte einige deiner Fans überraschen. Siehst du deine älteren Electro-Releases als „reguläre“Alben und dieses als Experiment oder ist alles eine ständige Entwicklung und das ist nun eben Jon Hopkins im Jahr 2021?
Jon / Auf jeden Fall Letzteres. Ich denke, es spielt keine Rolle, aber ich persönlich sehe es nicht als Ambient. Ich finde, das Fehlen von Drums bedeutet nicht, dass es sich automatisch um ein Ambient-Album handelt. Ich weiß aber auch nicht, als was ich es stattdessen sehe, denn es ist schwierig, es einem bestimmten Genre zuzuordnen. Ambient ist für mich so etwas wie Eno. Etwas, das ebenso interessant wie ignorierbar ist. Das ist hier nicht die Absicht. Ich möchte eine intensive emotionale Reise und ein kathartisches Hörerlebnis bieten. Aber du hast schon Recht, das Album könnte einige Leute überraschen. Das hängt davon ab, auf welchem Niveau sie sich mit meinen Sachen beschäftigt haben, denn ich hatte schon auf den letzten beiden Alben Tracks ohne Beats und es gab Solo-Klavierstücke sowie die „Asleep Versions“-EP. Es ist einfach nur so, dass ich nie zuvor das Vertrauen hatte, die Haupttracks eines Albums ohne Beats zu machen. Aber wir werden sehen, wie es ankommt, vielleicht findet es ja ein ganz anderes Publikum.
Beat / Wirst du das Album live performen?
Jon / Nein. Aber es könnte eine besondere Veranstaltung geben, bei der sich die Leute hinlegen und das Album hören können. Ich habe es auch im Surround-Verfahren für 13 Lautsprecher abgemischt, was sehr spannend ist. Das möchte ich den Leuten gerne zeigen. Aber ich möchte das Album nicht dekonstruieren und live präsentieren. Es geht mehr um den Blick nach innen als um den Fokus nach außen. Daher würde es nichts zu sehen geben.
Beat / Was steht bei dir als Nächstes an?
Jon / Seit ich wieder mit dem DJing angefangen habe – das war im August in London – bin ich ziemlich inspiriert, mit Dance Music Artists zusammenzuarbeiten. Daher bewege ich mich ein bisschen zurück in die rhythmische Welt. Ich weiß noch nicht, wie das nächste Soloalbum aussehen wird, aber ich freue mich sehr, in der Zwischenzeit einige Singles zu veröffentlichen und alternative Dinge zu tun.