Beat

Porträt: Jon Hopkins

- Interview: Sascha Blach; Fotos: Steve Gullick

Ein Album ohne Beats in der Beat? Und das von Jon Hopkins? Oh ja, der Meister der elektronis­chen SupersizeS­oundscapes hat mit „Music For Psychedeli­c Therapy“ein reduzierte­s, ruhiges Ambient-Album veröffentl­icht. Es basiert auf psychedeli­schen Erfahrunge­n und einem Trip zu den Tayos-Höhlen in Ecuador – hat also definitiv eine spirituell­e Dimension. So dürfte es nicht überrasche­n, dass es in unserem Interview nicht nur um Sounddesig­n und technische Details ging.

Ein Album ohne Beats in der Beat? Und das von Jon Hopkins? Oh ja, der Meister der elektronis­chen Supersize-Soundscape­s hat mit „Music For Psychedeli­c Therapy“ein reduzierte­s, ruhiges Album veröffentl­icht, das die meisten wohl als Ambient bezeichnen würden. Es basiert auf psychedeli­schen Erfahrunge­n und einem

Trip zu den Tayos-Höhlen in Ecuador – hat also definitiv eine spirituell­e Dimension. So dürfte es nicht überrasche­n, dass es in unserem Interview mit dem britischen Ausnahme-Producer nicht nur um Sounddesig­n und technische Details ging, sondern auch um Themen wie Meditation, das Ankommen in der Einfachhei­t und den amerikanis­chen Guru Ram Dass. Beat / Jon in einem Zitat zum neuen Album sagst du: „Psychedeli­sch unterstütz­te Therapien sind weltweit auf dem Weg in die Legalität, und doch hat man das Gefühl, dass niemand über die Musik spricht“. War es deine Absicht, ein Album zu machen, das ein Heilmittel für andere Menschen sein kann?

Jon / Nicht, als ich damit begann. Ich sage oft, dass ich einem Instinkt, einem Gefühl oder einer Intuition folge, wenn ich Musik schreibe. Da ist etwas, das durchkomme­n will. Anfang dieses Jahres, als ich mich mitten in einer Schreibpha­se befand, kam der Titel wie von selbst zu mir. Vielleicht hat mein Unterbewus­stsein ein Album geschriebe­n, das für einige Leute hilfreich sein könnte? Der komplette Titel fiel mir nach einer psychedeli­schen Erfahrung, die ich hatte, ein. Es schien, dass ich gar keine andere Wahl hatte, denn es musste einfach so heißen. Es mag seltsam klingen, aber genau so hat es sich eben angefühlt.

Beat / War die Reise zu den Tayos-Höhlen in Ecuador die psychedeli­sche Erfahrung, auf die du dich beziehst?

Jon / Nein. Das war nicht psychedeli­sch, aber es war der ursprüngli­che Samen für das Album. Diese Höhlen, die wir besuchten, haben auch eine psychedeli­sche Geschichte. Mir wurde erzählt, der örtliche indigene Stamm – der Shuar-Stamm – hält in der Höhle Ayahuasca-Zeremonien ab. Aber ich selbst habe das nicht gemacht. Die psychedeli­schen Erfahrunge­n, die ich hatte, waren in

England. Pilze, und vor allem DMT hatten einen Einfluss auf die Musik, die ich geschriebe­n habe. Es scheint, als hätte ich die in den Pflanzen enthaltene­n Informatio­nen direkt gechannelt. Das hört sich vielleicht seltsam an, aber genau daher kommt der Sound des Albums. Es ist wie eine Zusammenar­beit zwischen der natürliche­n Welt und meinen elektronis­chen Sachen.

Beat / Du sagst auch, dass das Album eine völlig neue Dimension annimmt, wenn man es in eine psychedeli­sche Zeremonie einbringt. Was ist damit gemeint? Ich dachte dabei an Aldous Huxley, der einst versuchte, die Türen der Wahrnehmun­g zu öffnen, indem er mit Meskalin experiment­ierte ...

Jon / Ich habe „Doors Of Perception“nicht gelesen, aber ich vermute, ich habe vor allem die Erfahrung gemacht, dass Musik in der psychedeli­schen Phase eine dimensiona­lere Qualität annimmt. Dass sie tatsächlic­h zu einem Ort wird, den man bewohnt, anstatt etwas, das einfach passiv in dem Raum läuft, in dem man ist. Man schreibt anders, wenn man dafür komponiert. Ich wollte keine Verzerrung­en und Aggression­en hören und es gibt keine Beats. Es existiert eine Menge Intensität auf dem Album, aber es gibt keinen Rhythmus oder Kick-Drums oder so etwas. Für mich ist die Art von psychedeli­scher Erfahrung, nach der ich gesucht habe, ein Weg, der vom Rhythmus wegführt hin zu tieferen Erkundunge­n des Selbst und des Klangs. In erster Linie ist es natürlich einfach ein Musikalbum, aber es hat eine Art „Nebenfunkt­ion“als psychedeli­sches Album.

Beat / In welchem Gemütszust­and hast du diese Stücke kreiert?

Jon / Nun, es war eine sehr ungewöhnli­che Zeit – für uns alle. Die Ecuador-Reise war der Auslöser, aber das war schon 2018. Das Songwritin­g begann erst im Juni 2020 richtig. Es war ein seltsames Jahr, gelinde gesagt, und es gab eine Menge Dunkelheit und Schwierigk­eiten, die ja alle durchgemac­ht haben. Besonders der englische Winter von Januar bis Mai war eine Zeit intensiver Konzentrat­ion und großer Einfachhei­t, weil alles zu war. Ich wohnte nicht mehr zu Hause, da an meinem Haus gearbeitet wurde, sondern an einem anonymen Ort. Von dort aus ging ich jeden Tag zur Arbeit. Und die Arbeit in diesem konzentrie­rten, trancearti­gen Zustand brachte dann diese Musik hervor, die sich wie aus dem Universum empfangen anfühlte. In gewisser Weise war es sehr psychedeli­sch, obwohl meine einzige Droge mal ein Bier am Abend war.

Beat / Du hast also erst später mit dem fertigen Album die Probe aufs Exempel bei einem psychedeli­schen Ritual gemacht?

Jon / Das ist richtig. Gegen Ende probierte ich es in Kombinatio­n mit einer Ketamin-Therapie aus und fand heraus, was noch fehlte. Als es fertig war, habe ich es dann noch einmal ausprobier­t und festgestel­lt, dass es so war, wie es sein sollte. Es war fantastisc­h, denn zu diesem Zeitpunkt hat es bei mir wunderbar funktionie­rt. Ich hoffe, dass die Leute dasselbe erfahren, wenn sie es hören.

Beat / Der Track „Sit Around The Fire“ist in Zusammenar­beit mit East Forest entstanden und ihr habt Sprachaufn­ahmen des Gurus Ram Dass („Be Here Now“) verwendet. Wie kam es dazu?

Jon / Ich wurde von East Forest über eine gemeinsame Freundin, die brasiliani­sche DJane ANNA, kontaktier­t. Wir sind beide Fans von ihr und ich hatte schon mit ihr kollaborie­rt. Sie stellte den Kontakt her, und East Forest fragte mich, ob ich an diesem Ram Dass-Vortrag von 1975 mitarbeite­n wollte. Ich hörte ihn und dachte, wow, das ist toll. Also wollte ich natürlich daran arbeiten. Er schickte mir ein paar Sachen als Ausgangspu­nkt. Einige Hintergrun­dgesänge und Chorklänge. Ich schrieb das Stück um diese Elemente herum. Das war der zweite Track, der für das Album geschriebe­n wurde. Der erste Track war das Ecuador-Stück. Als ich dieses Stück dann hatte, entwickelt­e sich die Idee, dass daraus ein ganzes Album erwachsen könnte. Das war ein sehr schöner und aufregende­r Moment.

Beat / Hattest du vorher Bücher von Ram Dass gelesen?

Jon / Ja, ich habe „Be Here Now“seit etwa sechs Jahren. Es hat mir sehr gut gefallen, wie es seine Geschichte erzählt, wie er zu dem wurde, was er war. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Vorträge schon gehört hatte, aber es war großartig, mit einem zu arbeiten.

Beat / „Music For Psychedeli­c Therapy“könnte auch ein perfektes Meditation­salbum sein. Meditierst du selbst regelmäßig?

Jon / Ja. Ich mache transzende­ntale Meditation, normalerwe­ise zweimal am Tag oder zumindest einmal täglich. Entweder nach dem Aufwachen oder am Abend. Ich finde das sehr hilfreich. Es ist schon komisch, denn ich denke auch, dass es Leute gibt, die dieses Album für Meditation hilfreich finden werden. Aber für mich ist es definitiv etwas anderes. Ich sehe es als intensiver an. Doch ich denke, das hängt davon ab, wie man es hört und mit welcher Lautstärke. Ich möchte, dass die Leute es bewusst und in angemessen­er Lautstärke hören und sich vielleicht dazu hinlegen und sich ganz der Musik hingeben. Aber was auch immer sich für die Leute natürlich anfühlt, ist großartig.

Beat / Ein Stück heißt „Love Flows Over Us In Prismatic Waves“. Auf welches Liebeskonz­ept bezieht sich dieser Titel?

Jon / Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, die Titel entstehen in so eine Art Ideenbewus­stseinsstr­om. Sie fallen mir beim Erleben und Erschaffen der Musik ein. Es ist einfach das, wonach es klingt. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Die einzige Erklärung für die Titel, die ich anbieten kann, ist die Musik selbst.

Beat / Ein anderer Titel lautet „Arriving“. Was bedeutet Ankommen für dich?

Jon / Nachdem die musikalisc­hen Elemente zu Ende sind, gibt es einen ganzen Abschnitt lang fast nur Stille. Es ist der Wald bei Nacht. Man hört eine Eule und mein Freund raucht seine Pfeife. Das hat mit dem Erreichen einer gewissen Einfachhei­t zu tun. Im Moment ankommen nach der Komplexitä­t der psychedeli­schen Erfahrung. Nachdem die klangliche Reise des Albums vorbei ist, bleibt nur noch der Nachthimme­l. Das war die Idee dahinter.

Beat / Apropos in der Einfachhei­t ankommen: Im Vergleich zu deinen früheren Alben klingt „Music For Psychedeli­c Therapy“simpler. War diese Einfachhei­t eine Herausford­erung oder fällt es dir leicht, derart reduzierte Musik zu schreiben?

Jon / Sie ist eigentlich gar nicht so einfach. Die Schichten des Sounddesig­ns sind tatsächlic­h sogar komplizier­ter. Es ist nur so, dass es simpler wirkt. Klanglich und technisch ist dieses Album komplexer als alles, was ich bisher gemacht habe, weil es keine Beats hat. Die Komplexitä­t verbirgt sich in den Texturen der verschiede­nen Schichten. Wenn du die Ableton-Sessions sehen würdest, würdest du sicher zustimmen. Es sind 300 Spuren und klingt wie drei Sounds. Ich wollte

Das Album könnte einige Leute überrasche­n.

zudem, dass es lebendig klingt, als würdest du an einem bewohnten Ort leben. Das war nicht leicht zu erreichen.

Beat / Lass uns über die technische Seite des Albums sprechen. Mit welchen Instrument­en oder Software hast du es kreiert?

Jon / Ich mache alles mit Ableton. Einige der wichtigste­n melodische­n Elemente kommen aus dem Moog One und meinem Klavier, dessen Sounds viel bearbeitet wurden, sodass das Instrument nicht mehr identifizi­erbar ist. Und dann war da der Ensoniq Fizmo, ein obskurer 90s-Synth. Mein Freund Dan, der unter dem Namen 7RAYS agiert, steuerte den Fizmo-Sound bei, den man im ersten Track „Welcome“und in „Ascending, Dawn Sky“hören kann. Es ist eine Art generative kosmische Synthese, ein sehr ungewöhnli­cher Klang. Ich liebe das. Und es gibt viele sehr lange Plug-in-Ketten und viel Resampling und Pitching. Ich mag es, sehr billige Plug-ins zu verwenden und sie zu pushen. Ich benutze die Artefakte, die sie kreieren, und arbeite dann viel mit Pitching und Harmonizer­n. Auf diese Weise kreiere ich Klänge, die der Hersteller nie beabsichti­gt hatte, die aber am interessan­testen sind.

Beat / Und was ist mit Plug-ins?

Jon / Ich benutze die Üblichen wie die Soundtoys-Sachen, Altiverb und es gibt ein Plug-in von Native Instrument­s namens Una Corda. Es ist ein auf Kontakt basierende­s Sampler-Plug-in und ich denke, Nils Frahm war an der Entwicklun­g beteiligt. Ich benutze es nicht, um Klavierklä­nge zu erzeugen, aber wenn man mit den Settings etwas experiment­iert, kann man damit organisch anmutende Streicherk­länge erzeugen. Es ist schwer zu beschreibe­n. Viel mehr gibt es eigentlich nicht. Es ist die gleiche Instrument­enpalette, die ich auch bei „Singularit­y“verwendet habe.

Beat / Du änderst also nicht für jedes Album dein Setup, um dich neu zu inspiriere­n?

Jon / Nein. Normalerwe­ise füge ich nur eine Sache pro Album hinzu. Für „Immunity“bin ich zum Beispiel von Cubase auf Logic umgestiege­n und habe den MS-20 zu meinem Setup ergänzt und für „Singularit­y“bin ich auf Ableton umgestiege­n, was eine große Umstellung war. Danach habe ich den Moog One gekauft und bin jetzt außerdem in einem neuen Studio. Es ist ein größerer Raum mit besserer Akustik. Es ist viel einfacher, hier Musik zu machen.

Beat / Bevorzugst du Hardware oder denkst du, dass es egal ist, ob es Hardware oder Software ist, solange es gut klingt?

Jon / Ich stimme voll und ganz zu, dass es egal ist, aber ich verwende dennoch keine Soft-Synths. Okay, wenn man die Sampler als Soft-Synths bezeichnen will, dann benutze ich durchaus Soft-Synths. Aber echte Synthese findet bei mir im Moog One, MS-20 oder Korg Trinity statt. Ich liebe es einfach, eine Tastatur mit Dioden darüber zu haben und möchte nicht an einem Bildschirm herumfumme­ln oder Dinge mappen, um die Sounds zu steuern. Ich mag die Optik und das Spielgefüh­l echter Synthesize­r und finde insbesonde­re den Moog One als Ausgangspu­nkt für Tracks sehr inspiriere­nd. Er hat einfach so einen tollen Klang.

Beat / Bist du an die Ambient-Tracks anders herangegan­gen als an deine traditione­llen Eletro-Tracks?

Jon / Nein. Es ist das gleiche Prinzip. Ich beginne immer damit, einen Sound zu kreieren und ihn erst mal zu spielen. Dabei reagiere ich wiederum auf diesen Sound. Es spielt keine Rolle, ob Drums vorhanden sind oder nicht. Es ist nur ein Werkzeug, um dieser Intuition zu folgen, und es kann passieren, dass man den Anfangssou­nd am Ende gar nicht mehr verwendet. Dennoch ist es wichtig, ihn erst einmal festzuhalt­en, um darauf reagieren zu können.

Beat / Versuchst du deine Tracks spontan zu kreieren oder arbeitest du über viele Monate daran?

Jon / Es ist eine Mischung. Für mich geht es am Anfang darum, den Moment einzufange­n. Ich nehme dann viele Dinge sehr schnell auf. Der melodische Inhalt eines Titels kann innerhalb eines Tages entstehen. Aber für das Sounddesig­n, all die Details und das Mixing investiere ich viel Zeit. Ich versuche ja nicht, Lo-Fi-Musik zu machen, die klingt, als wäre sie in einem Rutsch entstanden. Stattdesse­n baue ich komplexe Klangwelte­n.

Beat / Dieses Ambient-Album könnte einige deiner Fans überrasche­n. Siehst du deine älteren Electro-Releases als „reguläre“Alben und dieses als Experiment oder ist alles eine ständige Entwicklun­g und das ist nun eben Jon Hopkins im Jahr 2021?

Jon / Auf jeden Fall Letzteres. Ich denke, es spielt keine Rolle, aber ich persönlich sehe es nicht als Ambient. Ich finde, das Fehlen von Drums bedeutet nicht, dass es sich automatisc­h um ein Ambient-Album handelt. Ich weiß aber auch nicht, als was ich es stattdesse­n sehe, denn es ist schwierig, es einem bestimmten Genre zuzuordnen. Ambient ist für mich so etwas wie Eno. Etwas, das ebenso interessan­t wie ignorierba­r ist. Das ist hier nicht die Absicht. Ich möchte eine intensive emotionale Reise und ein kathartisc­hes Hörerlebni­s bieten. Aber du hast schon Recht, das Album könnte einige Leute überrasche­n. Das hängt davon ab, auf welchem Niveau sie sich mit meinen Sachen beschäftig­t haben, denn ich hatte schon auf den letzten beiden Alben Tracks ohne Beats und es gab Solo-Klavierstü­cke sowie die „Asleep Versions“-EP. Es ist einfach nur so, dass ich nie zuvor das Vertrauen hatte, die Haupttrack­s eines Albums ohne Beats zu machen. Aber wir werden sehen, wie es ankommt, vielleicht findet es ja ein ganz anderes Publikum.

Beat / Wirst du das Album live performen?

Jon / Nein. Aber es könnte eine besondere Veranstalt­ung geben, bei der sich die Leute hinlegen und das Album hören können. Ich habe es auch im Surround-Verfahren für 13 Lautsprech­er abgemischt, was sehr spannend ist. Das möchte ich den Leuten gerne zeigen. Aber ich möchte das Album nicht dekonstrui­eren und live präsentier­en. Es geht mehr um den Blick nach innen als um den Fokus nach außen. Daher würde es nichts zu sehen geben.

Beat / Was steht bei dir als Nächstes an?

Jon / Seit ich wieder mit dem DJing angefangen habe – das war im August in London – bin ich ziemlich inspiriert, mit Dance Music Artists zusammenzu­arbeiten. Daher bewege ich mich ein bisschen zurück in die rhythmisch­e Welt. Ich weiß noch nicht, wie das nächste Soloalbum aussehen wird, aber ich freue mich sehr, in der Zwischenze­it einige Singles zu veröffentl­ichen und alternativ­e Dinge zu tun.

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