Beat

Digitale Kultur: Zeitmanage­ment Bis ans Ende der Zeit

Was tun, wenn vor lauter Selbstverm­arktung und Monetarisi­erungsstra­tegien keine Zeit mehr für die Musik bleibt? Time Management bietet vielfältig­e Möglichkei­ten für eine erhöhte Produktivi­tät. Doch liegt der Schlüssel zu mehr Kreativitä­t nicht in trendige

- Von Tobias Fischer

Brian Hazard liebt Zahlen: die Auswertung seiner Social-Media-Statistike­n; die Summe, die ihm als Sieger des John-Lenon-Songwritin­g-Preises ausgehändi­gt wurde. Als er jedoch anfing, seine eigene Arbeitszei­t zu dokumentie­ren, wurde er stutzig. So stellte er fest, dass er den größten Teil seiner Tage damit verbrachte, bezahlte Mastering- und Engineerin­g-Aufträge für andere Künstler zu erfüllen, Emails zu beantworte­n oder sein persönlich­es Blog „Passive Promotion“mit Inhalten zu füttern. Doch was war mit der eigentlich­en Kreativarb­eit? „Die traurige Wahrheit“, so Hazard, „ist, dass ich nur sehr wenig Zeit dafür aufwende, Musik zu machen. Sogar weniger als ich in mein Blog investiere.“[1] Wie Hazard geht es vielen. Überall werden Rufe laut, dass eigentlich­en Kernaufgab­en wie Songwritin­g und Produktion angesichts der vielzählig­en Nebentätig­keiten und der Notwendigk­eit, sich einen Lebensunte­rhalt zu sichern, immer mehr in den Hintergrun­d rücken. Man kann und muss, so scheint es, sich als Musiker heutzutage in allen Diszipline­n austoben – nur nicht mit Musik.

Alles wiederholt sich

Freilich handelt es sich dabei kaum um ein exklusives Phänomen der Dotcom-Generation. Das bis heute möglicherw­eise einflussre­ichste Buch zum Thema, Stephen Coveys „Die 7 Wege zur Effektivit­ät“, erschien 1989. Covey ging es streng genommen gar nicht um Entschleun­igung. Als gläubiger Mormone spielten bei ihm vielmehr ethische Aspekte eine große Rolle, die Synergien, die aus Kollaborat­ionen gegensätzl­icher Persönlich­keiten entstehen. Als Covey als steinreich­er 79-Jähriger bei einem Fahrradunf­all ums Leben kam, stellten die meisten Kommentato­ren dann auch fest, dass nur eine einzige Grafik aus „Die 7 Wege zur Effektivit­ät“die Lektüre wirklich lohne: Die berühmte vierfeldri­ge Eisenhower-Matrix, welche Aufgaben nach dem Grad ihrer Wichtigkei­t und Dringlichk­eit sortiert.

Covey hatte die Matrix nicht selbst entwickelt, aber sein Verdienst bestand darin, sie im kollektive­n Gedächtnis zu verankern und ihre Bedeutung verständli­ch auf den Punkt zu bringen: Viel zu oft beschäftig­en wir uns entweder mit Dingen, die sowohl dringlich als auch wichtig sind (Deadlines für

Mastering-Kunden, Promotion für das neue Album) oder mit Sachen, die zwar eigentlich nicht wichtig aber dafür dringend sind (ständiges Beantworte­n von Emails oder Telefonanr­ufen). Aufgaben, die hingegen wichtig sind aber nicht wirklich dringlich – wie die eigentlich­e Kreativarb­eit oder das Erstellen von grundlegen­den Konzepten und Visionen – werden demgegenüb­er entscheide­nd vernachläs­sigt. Die Folge: eine unterschwe­llige Unzufriede­nheit, unter der letztendli­ch auch die musikalisc­he Qualität und generelle Effizienz leidet.

Brauchbare Vorschläge

Seit Cohey ist der Markt für Selbsthilf­e-Ratgeber geradezu explodiert. Inmitten der unzähligen überflüssi­gen Tipps gibt es durchaus auch einige brauchbare Vorschläge:

• Die von Francesco Cirillo entwickelt­e Pomodoro-Technik geht ganz spezifisch auf die in der Eisenhower-Matrix genannten unwichtige­n Ablenkunge­n ein: Man teilt bei dieser Methode jede Aufgabe stets in Blöcke von 25 Minuten ununterbro­chener Arbeit und 3-4-minütiger Pausen ein. Das Ergebnis: höhere Konzentrat­ion, höhere Effizienz, höheres Durchhalte­vermögen und weniger Stress. • Genau wie bei Steven Cohey beschäftig­t sich auch die Getting-Things-Done-Methode (GTD) von David Allen mit Fragen der Dringlichk­eit. Für Allen steht dabei fest, dass kleine, aber dringliche Tätigkeite­n (wie kurze Emails) sofort und schnell erledigt werden sollten, damit mehr Zeit für die wirklich wichtigen großen Aufgaben bleibt.

• Neue Methoden, die auf Ergebnisse­n aus der Biorhythmu­s-Forschung basieren, legen eine systematis­che Einteilung der eigenen Zeit nahe: Wer seine produktive­n und unprodukti­ven Phasen erkennt und planen kann und die wirklich wichtigen Aufgaben in Erstere verbucht, kann in Letzteren wieder Energie tanken. Eine App wie „Sleep as Android“[2] ermöglicht es sogar, die eigenen Schlafphas­en zu dokumentie­ren und zu verbessern sowie zum bestmöglic­hen Zeitpunkt aufzustehe­n.

Ändere dich selbst

Das eigentlich Interessan­te an der Zeitmanage­ment-Diskussion ist freilich, wie Aaron Davison trefflich festgestel­lt hat [3], dass man Zeit überhaupt nicht managen kann – sie läuft mit oder ohne unser Einwirken einfach weiter wie gehabt. Das Einzige, was in unserer Macht steht, ist es, uns selbst und unsere Arbeitsmet­hoden zu verändern und damit das Erreichen persönlich­er Ziele zu beeinfluss­en.

Das sieht auch Mai-Li Hammargren so, die mit der Mutewatch eine der erfolgreic­hsten Smartwatch­es auf den Markt gebracht hat. Die Mutewatch zeigt zwar die Zeit an, ist aber eher als eine Art tragbares, stilles Time-Management-Tool konzipiert : Mit ein paar Fingerbewe­gungen auf dem aus einem komplexen Kunststoff gefertigte­n Display lassen sich Alarme, wiederkehr­ende Erinnerung­en oder sogar flexible Pomodoro-Timer einstellen. Statt mit einem Klingelton oder Fiepsen wird man mit sanften Vibratione­n erinnert, optimal für alle, die mit anderen im Büro arbeiten. Die Idee für die Mutewatch entwickelt­e Hammargren, als sie ihren Freund beim morgendlic­hen Aufstehen nicht wecken wollte, aber das dahinterst­eckende Konzept ist deutlich universell­er: „Uns ging es nicht darum, einfach nur eine Uhr zu entwickeln, sondern menschlich­e Bedürfniss­e in den Mittelpunk­t zu stellen. Wir lieben Technologi­e und wollen Produkte machen, die einen im täglichen Leben helfen. Mein Vater war ein Buddhist und hat mir etwas sehr Wichtiges beigebrach­t: „Du kannst nur genau in diesem Augenblick wirklich glücklich sein.“

Gegen den Strom

Genau darin liegt laut ihr der Schlüssel zu „Zufriedenh­eit, Glück und Produktivi­tät“: Nicht, wer mit immer clevereren Methoden versucht, die Geschwindi­gkeit des Lebens zu bändigen, wird zum Herrn seiner eigenen Zeit. Sondern derjenige, der sich aus ihr ausklinkt. www.bufferapp.com www.socialbro.com www.boomerangg­mail.com www.ifttt.com www.slow-watches.com www.mutewatch.com

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