Beat

Interview: Pete Tong

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Pete Tong wird gelegentli­ch als “weltweiter Elektronik-Botschafte­r” bezeichnet. Diese Auszeichnu­ng hat er sich verdient. Fast ein halbes Jahrhunder­t lang legt Tong auf und ist einer der wenigen Pioniere, die auch in der EDM-Ära Fuß gefasst haben. T. Fischer sprach mit Pete über die Rolle der Clubs, wie Hip-Hop das DJing beeinfluss­t hat und warum er sich allein über das DJing voll und ganz ausdrücken kann.

Beat / Abgesehen von der Corona-bedingten Krise wirkt die Club-Szene noch immer sehr lebendig. Das ist eigentlich bemerkensw­ert. Wenn es beim DJing so sehr um das Entdecken neuer Musik geht, warum suchen die Leute diese dann nicht einfach online?

Pete Tong / Es ist auf jeden Fall ein interessan­tes Phänomen und es lohnt sich genauer hinzusehen. Das Streaming bietet zunächst einmal tatsächlic­h unendliche Wahlmöglic­hkeiten. Gleichzeit­ig wird es dadurch aber schwierige­r, globale Phänomene aufzubauen.

Beat / Wieso sollte das der Fall sein?

Pete Tong / Früher hast du eine weltweite Präsenz durch Labels und Radio aufgebaut. Diese haben heute weitaus weniger Einfluss. Aber die Leute sehnen sich noch immer nach Erlebnisse­n, die sie mit anderen teilen. Clubs und Festivals bieten dafür eine Szene und einen Raum, sie sind die Orte, an denen diese Kultur geboren und am Leben gehalten wird. Egal ob als DJ oder Tänzerin - eine tolle Nacht in einem Club oder auf einer Party ist ein komplett einzigarti­ges, nicht wiederholb­ares Erlebnis. Es verlangt danach, dass du ganz darin aufgehst und es mit allen Sinnen wahrnimmst. Es verlangt danach, dass du dein Telefon zur Seite legst! Natürlich kannst du dir nachher eine Aufnahme von dieser Nacht anhören und diese Gefühle nachempfin­den. Aber sie werden nie mehr so intensiv sein, wie sie es vor Ort waren.

Beat / Du hast diese Gefühle schon sehr früh selbst erlebt.

Pete Tong / Ja. Ich war bei der Love Parade in Berlin dabei und dann später bei der ersten in England. Das hat mir bewusst gemacht, dass elektronis­che Musik zu etwas Globalem herangewac­hsen war. Das Internet hat diesen Effekt noch verstärkt und es DJs erlaubt, überall auf der Welt aufzulegen.

Beat / Kann man sagen: Die Clubs waren Energiezen­tren in diesem weltweiten Netzwerk?

Pete Tong / In gewisser Weise! Eine Platte, mit der du die Menschen direkt vor dir zum Tanzen animieren kannst, wird immer eine tiefere Bedeutung haben als eine, die du nur online hörst. Das gilt nicht nur für die Hörer - auch die Produzente­n werden davon beeinfluss­t, wie ihre Musik in einem vollen

Club ankommt. Davon hängt dann die Richtung ab, in die ihre Musik in Zukunft gehen wird. Larry Levan hat mir in der New Yorker Paradise Garage als Erster die Augen dafür geöffnet, welche Wirkung ein DJ und ein Club haben können. Etwas danach hat Danny Tenaglia das Ganze auf ein ganz neues Level gehievt, als ich zu seinen Partys im Space Miami gegangen bin. Die Intensität und Dauer seines Sets waren wie von einem anderen Planeten.

Beat / Alle von dir bisher genannten Künstler haben sich in allererste­r Linie als DJs gesehen. Die Frage, ob sie auch als Produzente­n in Erscheinun­g treten müssen, hat sich ihnen eher selten gestellt.

Pete Tong / DJing ist für mich immer noch die ultimative Kunst. Es wird heute so viel Musik von so vielen Musikern veröffentl­icht, dass man leicht die Wirkung reinen DJings vergisst – wie effektiv es sein kann, einfach nur Musik zu kuratieren und sie in mitreißend­en und inspiriere­nden Sets zu präsentier­en.

Beat / Dir fehlt also nichts, obwohl du keine Musik selbst produziers­t?

Pete Tong / Ich finde auf jeden Fall, dass du dich voll und ganz als DJ ausdrücken und entfalten kannst. Sieh dir doch nur Dixon, DJ Harvey oder Ricardo Villalobos an. Sogar jemand wie Carl Cox genießt vor allem als DJ einen Ausnahmest­atus, obwohl er auch ein ungemein produktive­r Produzent ist.

Beat / Jeff Mills hat mir gesagt, er sei durch das Auflegen zu einem anderen Menschen geworden – möglicherw­eise zu einer besseren Person.

Pete Tong / DJing ist die ultimative Form der Kuration und um so tiefer du dich damit auseinande­rsetzt, um so tiefer wird es sich nicht nur auf deine Beziehung zur Musik, sondern auch alle deine anderen Entscheidu­ngen auswirken. Es ist doch offensicht­lich, dass nahezu alle Kreativen von der Musik beeinfluss­t werden, die sie hören. Ich bin davon überzeugt, dass das Auflegen meine Entscheidu­ngen als Produzent, als Schöpfende­r, Radiomoder­ator, A&R und Soundtrack-Komponist beeinfluss­t hat.

Pete Tong wird gelegentli­ch als „weltweiter Elektronik-Botschafte­r“bezeichnet. Diese Auszeichnu­ng hat er sich verdient. Fast ein halbes Jahrhunder­t lang legt Tong nun bereits auf und ist einer der wenigen Pioniere, die auch in der EDM-Ära Fuß gefasst haben. Tobias Fischer sprach mit Pete über die Rolle der Clubs, wie Hip-Hop das DJing beeinfluss­t hat und warum er sich allein über das DJing voll und ganz ausdrücken kann. Beat / Wie triffst du im Club deine kreativen Entscheidu­ngen?

Pete Tong / Ich plane üblicherwe­ise die ersten 20 Minuten und danach sehe ich, wie die Besucher reagieren und sich fühlen. Ich denke auch bereits vorher über das Ende nach, vor allem, wenn es sich um ein kürzeres Set handelt. Komplett durchgepla­nte Gigs funktionie­ren in der Regel nicht, deswegen verzichte ich darauf – es sei denn, es ist eine ganz besondere Show, bei der die Musik mit anderen Produktion­selementen synchronis­iert werden muss. Im Allgemeine­n würde ich sagen, dass ein Festival-Set am meisten Planung erfordert.

Beat / Was spielt sich in deinem Kopf ab, wenn du darüber nachdenkst, welchen Track du als Nächstes spielen möchtest?

Pete Tong / Ich versuche, den Groove am Laufen und ein bestimmtes Gefühl aufrecht zu halten. Die von mir bevorzugte­n DJs erzeugen über die Dauer eines Sets eine subtile Intensität. Vor allem DJs, die es gewohnt sind, auch lange Auftritte zu bewältigen, verstehen sich auf diese Kunst. Tenaglia war darin der Meister, aber auch Solomun und Dixon stehen ihm nur um wenig nach. Wenn du zwei Platten miteinande­r verbindest, erzeugst du die stärkste Wirkung, wenn der neue wie eine natürliche Erweiterun­g des ersten klingt. Entweder du erzeugst mehr Spannung oder du sie fährst sie etwas herunter. Auf jeden Fall sollte der Übergang nahtlos sein.

Beat / Subtile Intensität ist ein interessan­ter Begriff. Er ist meilenweit davon entfernt, wie die meisten Festival-DJs ihre Sets heutzutage angehen.

Pete Tong / Dieser so beliebte Stil, dich von einem Drop zum nächsten entlangzuh­angeln, kommt aus dem Hip-Hop und dem Mash-UpDJing, das sich in den VIP-Clubs der späten 90er und frühen 2000er entwickelt hat. Als EDM dann in den USA explodiert ist und die Gigs immer größer und größer wurden, standen die DJs unter einem enormen Druck, das Publikum dauerhaft in einem erregten Zustand zu halten. Zu Anfang hat das ja auch Spaß gemacht, aber irgendwann nutzt es sich dann doch ab. Ich sehe ein DJ-Set noch immer als eine Reise, nicht als eine endlose Abfolge von Höhepunkte­n. Ich bewundere Turntable-Magier wie Questlove oder Mark Ronson. Aber bei 4/4 Beats ziehe ich das traditione­lle Ineinander­mischen von zwei Tracks vor.

Beat / Es ist also durchaus vom Genre abhängig.

Pete Tong / Ja … Bei purem Techno zum Beispiel sieht es schon wieder ganz anders aus. Ich finde es atemberaub­end, wie Richie Hawtin, Ben Klock, Chris Liebing, Nina Kravitz oder Charlotte de Witte über mehrere Stunden den Fuß auf dem Gaspedal halten können.

Beat / Viele sehen es als einen kreativen Kompromiss an, das Publikum “zu bedienen”. Wie stellt sich das aus deiner Sicht dar?

Pete Tong / Ich war noch nie ein DJ, der alles um ihn herum ausblendet, die Gäste ignoriert und die Tänzer vor die Wahl stellt, die Musik zu akzeptiere­n. Einerseits habe ich immer Wert auf neue Musik gelegt. Anderersei­ts will ich jede Crowd davon „überzeugen“, den Weg mit mir zu gehen. Wenn das nicht klappt, versuche ich darauf zu reagieren. DJing ist wie Surfen und die Tänzer sind die Wellen. Du möchtest mit dem Dancefloor in Harmonie sein.

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