Digitale Kultur: Remixen
Remixe nerven! Aber sie können auch bezaubern. Knapp 30 Jahre nach der Glanzzeit des Remixes definieren Produzenten und Live-Musiker das Format unter ihren eigenen Bedingungen neu. Dabei gehen sie sowohl voller Achtung vor dem Original als auch komplett respektlos vor.
Remixe nerven! Aber sie können auch bezaubern. Knapp drei Jahrzehnte nach der Glanzzeit des Remixes definieren Produzenten und Live-Musiker das Format unter ihren eigenen Bedingungen neu. Dabei gehen sie sowohl voller Achtung vor dem Original als auch komplett respektlos vor. Hauptsache: Es kommt etwas aufregend Anderes dabei heraus.
Ideal ist es, wenn dir vom Original ein ganz bestimmtes Schlüsselelement sehr gefällt, der Rest des Stücks aber nicht. Dann hast du sofort eine Vision für deinen Remix. «
Es war eine Behandlung, wie sie üblicherweise nur Königen und Königinnen zu Teil wird: 1995 ließ Michael Jackson den Produzenten David Morales nach Los Angeles einfliegen, quartierte ihn drei Wochen lang in den besten Unterkünften der Stadt ein und bezahlte ihm wertvolle Studiozeit. Obendrauf erhielt Morales einen Betrag, den er nie genau beziffert hat, den manche aber knapp unterhalb der Sechsstelligkeit vermuten. Für sein Geld bekam Jackson drei Remixe, die er auf seine damalige Single “Scream” packen konnte. Geld, so gab Morales in Interviews offen zu, spielte damals keine Rolle. [1] Aus heutiger Sicht wirken diese Beträge und der mit dem Projekt verbundene Aufwand – einschließlich engmaschiger Sicherheits-Checks – geradezu absurd. Zwar gehört der Remix in der Club-Szene noch immer zum Tagesgeschäft. Doch hat er als Einkunftsquelle für Produzenten drastisch an Bedeutung eingebüßt. Immerhin: In kreativer Hinsicht erlebt das Format derzeit eine erstaunliche Renaissance.
Keine Frage: Das Format steht heute nicht mehr da, wo es mal war. Morales war der vielleicht angesagteste Remixer seiner Ära, hatte bahnbrechende Arbeit für Mariah Carey, Whitney Houston und die Pet Shop Boys geleistet. Trotzdem war er nicht der einzige, der hervorragend verdiente. So verriet mir Stephan Bodzin, wie er mit dem Trance-Projekt Kaycee Remixe wie am Fließband produzierte: “Du hast damals für einen Remix 10,000 Mark bekommen und wir haben in der Woche zwei davon rausgehämmert”. Als Hip Hop wenige Jahre später seinen globalen Durchbruch erlebte, waren das plötzlich nur noch Peanuts - so schätzt Morales, dass Künstler wie P Diddy knapp das zehnfache von Bodzins Gage forderten. Das Kuratieren von Remixen wurde zu einem eigenständigen Berufszweig. Mit Ralph Moore hatten beispielsweise Neil Tennant und Chris Lowe einen sogenannten Remix-Consultant unter Vertrag, der sie karrierebegleitend beriet und sie dazu ermutigte, Remixe nicht nur nach kommerziellen Gesichtspunkten in Auftrag zu geben. Wohl auch deshalb gibt es zu vielen PSB-Alben ein eigenständiges Remix-Gegenstück, das den Originalen um wenig bis nichts nachsteht. [2] Doch spätestens seit 2010, als das Geschäft mit physischen Tonträgern unter Beschuss geriet und die Musikindustrie in eine Depression rutschte, wurde der Remix unterm Strich zu einem Verlustgeschäft.
Die Kunst lebt weiter
Die oft gehörte Behauptung, dass die Kunst des Remixens seitdem ihren Glanz verloren habe, kann man aber nicht stehen lassen. Zugegeben, die Messlatte, die beispielsweise Masters at Work mit ihren komplexen Neubarbeitungen, die sich mosaikhaft aus Soul, Funk, Disco, House, RnB und Weltmusik bedienten, aufgelegt haben, ist hoch. Unerreichbar sind diese Höhen aber auch weiterhin nicht. Für seinen Remix von Rufus Wainwrights “Tiergarten” bastelte die Kompakt-Legende Michael Mayer 2005 eine Komposition, die als Ballade beginnt, sich in einen Club-Track entwickelt und dann in eine hypnotische Club-Coda mündet. Sein Kollege Ewan Pearson stand dem um nichts nach, als er sich ein Jahr später Goldfrapps “Ride a white horse” vornahm und daraus eine fünfzehnminütige Miniatur-Symphonie bastelte, die aus 5 miteinander verknüpften Teilen bestand. [3] Auch unter den unzähligen Remixen, die heute das Tageslicht erblicken, befinden sich immer wieder einige Perlen. Der Pariser Produzent Jéremy Guindo-Zegiestowski alias Bambounou nennt als Beispiel den Bruce-Remix des Tracks “Kefi” des mysteriösen UK-Projekts Das Spezial: “Das Original ist ein wunderbares Ambient-Drone-Stück mit einem Industrial-Einschlag. Der Remix hingegen wird richtig funky und groovig. Es hat dieses Überraschungselement!”
Jéremy ist Teil des Aufgebots, das die Klassik-Plattenfirma Deutsche Grammophon für Remixe des aktuellen Moby-Albums “Reprise” zusammengestellt hat. Diese Stücke zeigen auf, wie vielschichtig heute gedacht wird. Schon “Reprise” selbst war eine Interpretation, goss die elektronischen Hymnen der 90er in akustische, teilweise gar klassische Arrangements. Somit sind die Remixe de facto elektronische Neubearbeitungen akustischer Neubarbeitungen elektronischer Tracks, die teilweise Neubearbeitungen akustischer Originale waren. Die Schachtelung könnte einen schwindelig machen, aber die Remixe klingen dann eigentlich sehr vertraut : Christian Löffler zeichnet “Porcelain” mit sanft klickenden House-Beats neu, Efdemin baut daraus einen schwebenden Techno-Track, während Anfisa Letyago den Klassiker “Go” in überraschend unnostalgische Electro-Gefilde überführt. Den Vogel abgeschossen aber haben wohl Felsmann + Tiley, die “Extreme Ways” in einen Kosmos aus schwebenden Flächen, intensiver Klangarchitektur und euphorisch anschwellender Synthie-Stakkatos beamen.
Für Felsmann + Tiley hat sich die grundlegende Qualität eines Remixes seit den frühen Tagen kaum verändert, als es vor allem darum ging,
einen Song so aufzubereiten, dass er auch auf dem Dancefloor eines Clubs funktioniert: “Unsere Musik hat keine Beats und kein Schlagzeug, wie arbeiten mit Synths und Stimmen. Wenn du aber aus dem Techno-Bereich kommst, musst du vorsichtig sein, dass sich diese Kombination aus elektronischen Beats und Orchester-Elementen nicht zu erzwungen anhört. Davon einmal abgesehen, sind unterschiedliche Stilrichtungen in den vergangenen 10-15 Jahren so sehr zusammengewachsen, dass heutzutage doch eigentlich alles geht.” Damit es für den Hörer eine angenehme Erfahrung wird, so das Duo, müssen zentrale Passagen aus dem Original weiterhin erkennbar bleiben: “Ideal ist es, wenn dir von dem Original ein ganz bestimmtes Schlüsselelement sehr gefällt, der Rest des Stücks aber nicht”, so Felsmann + Tiley, “Denn dann hast du sofort eine Vision, beziehungsweise Idee für deinen Remix.”
Konventionen hinterfragen
Während die Moby-Remixe das klassische Remix-Album wiederbeleben, öffnet das neue Album der Techno-Legende Plastikman mit dem Komponisten Chilly Gonzales die Tür in eine faszinierende Zukunft. Hier nämlich wird die Vorstellung eines Remixes grundlegend hinterfragt, mit Konzepten aus der Interpretation, Improvisation und Kollaboration verbunden und angereichert. Die Stücke auf der Veröffentlichung basieren allesamt auf dem radikalen Plastikman-Meisterwerk
“Consumed”, welches 1998 den als ekstatische Feiermusik gestarteten Acid-Techno in ein schwarzes Loch stieß. Gonzales lernte “Consumed” erst zum 25-jährigen Jubiläum kennen und verliebte sich sofort in seine Andersartigkeit und Radikalität. Er ließ die Musik laufen, setzte sich ans Klavier – und hatte plötzlich drei neue Versionen aufgenommen, bei denen sich neoromantisch-traumhafte, geradezu zarte Figuren über die finster pochenden Beats legte.
Für Richie Hawtin alias Plastikman waren diese Versionen ebenso überraschend wie verstörend. Statt sie schlicht abzulehnen oder in ihrer bestehenden Form anzunehmen, setzte er seine eigenen Bedingungen: Er wolle Chillys Stücke nur dann akzeptieren, wenn er die Möglichkeit bekäme, sich selbst an ihnen zu beteiligen. Und so öffnete er die Arrangements auf seiner Festplatte, fuhr die guten alten Maschinen wieder hoch und machte sich an die mikroskopische Feinarbeit. Zwei Jahre lang schickten sich die beiden Updates hin und her, und kamen dabei zu Ergebnissen, die das Album teilweise ergänzen, teilweise aufregend emotional aufladen. In gewisser Weise stellte der Prozess für sowohl Hawtin als auch Gonzales einen Remix ihrer Arbeit dar, der in Echtzeit und mit Beteiligung beider Seiten stattfand. Wohl auch deshalb war er zumindest teilweise ebenso zufriedenstellend wie aufreibend, wie Chilly zu Protokoll gab: “Gleich zwei Mal, während wie an Consumed in Key arbeiteten, hatte ich Tränen in den Augen.”
Ob das, was der Jazz-Drummer Makaya McCraven in seinen Tracks macht, noch ein Remix ist, kann hingegen nicht einmal er selbst genau sagen. Alles fing damit an, dass McCraven seine Live-Sessions am Rechner zerschnitt und neu zusammensetzte, um daraus eigenwillige, seltsam verfremdete Kompositionen zu erstellen. Sein innovativer und respektloser Umgang mit der eigenen Musik ließ das ruhmreiche Blue-Note-Label aufhorchen und man verschaffte dem jungen Musiker Zugang zu den Archiven. So entstanden alternative Versionen von Jazz-Stücken, deren Originale bis zu einem halben Jahrhundert zurückliegen. Man kennt das Konzept aus den 90ern, als sich das UK-Projekt US3 durch die Klassiker sampelte. Für McCraven hingegen waren Samples lediglich der erste Schritt. In einem zweiten lud er für “Deciphering the Message” befreundete Musiker ins Studio ein, um über die bestehenden Strukturen zu spielen. Kein Stück ist jemals fertig, denn die Ergebnisse ließen sich schließlich erneut auseinandernehmen und umbearbeiten. Der Ansatz ist so simpel wie inspirierend und funktioniert vor allem deshalb, weil McCraven, wie der Titel seines Albums bereits andeutet, nicht respektlos an die Klassiker herangeht, sondern sie wirklich zu internalisieren versucht – der komplette Gegenansatz zu der früheren Hochphase des Remixes, als irgendwann vom Original kaum mehr als ein rhythmisches Element oder ein paar Vocal-Fetzen übrig blieben.
Dass jemals wieder dieselben Summen fließen wie zu “Scream”-Zeiten ist praktisch undenkbar. Das ist vielleicht aber auch gar nicht verkehrt. Seine besten Remixe machte David Morales wohl für Mariah Carey, an denen er weitaus weniger verdiente, die aber eine wahre Spielwiese für seine vielschichtigen Interessen boten. Bis heute ist es eines der größten Versäumnisse dieser Zeit, dass die beiden nicht für ein gemeinsames Album ins Studio gingen. Dass man überhaupt darüber spekulierte, liegt einzig und allein an der wohl einzigartigen Qualität aller großartigen Remixe: Das bereits Bekannte in einem ganz neuen Licht erstrahlen zu lassen.